Eine Welt voller Verteilungsfragen - selbst in der Geldpolitik

Dr. Berthold Morschhäuser, Chefredakteur, Foto: Verlag Fritz Knapp GmbH

Die weltweite Debatte um Verteilungsgerechtigkeit tangiert nicht nur den Handelskrieg, die Flüchtlingsfragen und die Klimapolitik, sondern sie spiegelt sich dieser Tage auch in einer zwiespältigen Würdigung der Amtszeit des bisherigen EZB-Präsidenten Mario Draghi wider. Während er für seine Rolle bei der Entschärfung der akuten Eurokrise überwiegend Anerkennung genießt und als Retter des Euros gefeiert wird, findet die (Fort-)Entwicklung der Geldpolitik der EZB bis zum Ende seiner Amtszeit gerade in Deutschland ein geteiltes Echo. Dass er Ende Juli 2012 mit seiner inzwischen schon legendären Kernaussage (Whatever it takes ...) aus seiner Londoner Rede die internationalen Kapitalmärkte beruhigt und dazu beigetragen hat, das von der EZB als geldpolitisches Instrument installierte Ankaufprogramm für Staatsanleihen lange Zeit gar nicht erst umsetzen zu müssen, bestreiten nicht einmal seine ärgsten Kritiker. Aber der Zeitgewinn, den Draghi und die EZB durch die Glättung der Marktturbulenzen der Finanzpolitik der europäischen Länder verschafft haben, um Strukturreformen umzusetzen und/oder die Staatsverschuldung zurückzuführen, ist nicht genutzt worden.

Im Rückblick hat es die expansive Geldpolitik der EZB wie der anderen Notenbanken vielen Staaten ermöglicht, Reformen zu verschleppen. Doch was konnten Draghi und der EZB-Rat mehr tun, als die europäische Politik mehr oder weniger dringlich anzumahnen, die nationale Fiskalpolitik nicht zu vernachlässigen? Eine neue Qualität hatten unter der Ägide Draghis sicherlich die diversen - flankierend zum Leitzins von Null - aufgelegten Wertpapierkaufprogramme der EZB. Deren Einsatz als geld- oder fiskalpolitisches Instrumentarium wird bis heute kontrovers diskutiert (siehe Beitrag Hansen/Meyer in diesem Heft). Besonders hierzulande werden die vorübergehend eingestellten und dieser Tage wieder aufgenommenen Anleihekäufe der EZB als zu weite Auslegung des EZB-Mandats gewertet. Doch liegt das Problem der höchst unterschiedlichen Wirkungen auf die einzelnen Volkswirtschaften nicht an dem Konstrukt Europa mit seiner nationalen Ausrichtung der Wirtschaftspolitik und einer gemeinsamen Geldpolitik?

Generell umstritten bleiben die Wirkungen der geldpolitischen Maßnahmen einschließlich Nullzinspolitik und der Negativzinsen für die Einlagefazilität der Banken auf das Geldvermögen der deutschen Sparer. Mit Blick auf das hierzulande nach wie vor beliebte Kontosparen wird der Vorwurf einer Enteignung breiter Bevölkerungsschichten erhoben. Auf 47 Milliarden Euro für das laufende Jahr beziffert etwa eine Erhebung der DZ Bank die Zinsverluste der deutschen Sparer, wobei den Berechnungen als Referenzwert zu den heutigen Nullzinsen 2,3 Prozent als ermitteltes Nominalzinsniveau im Zeitraum 1999 bis 2009 zugrunde gelegt wird. Auch wenn bei der Bewertung solcher Zahlen eingeräumt wird, dass Kreditkunden durch das niedrige Zinsniveau Einsparungen verbuchen können, das Realzinsniveau in früheren Zeiten oft durch höhere Inflationsraten gedämpft wurde und in einer volkswirtschaftlichen Gesamtbetrachtung fairerweise auch die günstigen Bedingungen für die Finanzierung von Investitionen und Wohnungen sowie der Abbau der Verschuldung des Staates beziehungsweise der Gebietskörperschaften einbezogen werden sollten, wird im Sinne einer Verteilungsgerechtigkeit, also quasi zum Ausgleich unerwünschter Verteilungswirkungen der Geldpolitik auf die deutschen Sparer, die Förderung der privaten Altersvorsorge durch den Staat gefordert.

Aus Sicht der Deutschen Kreditwirtschaft ist dieses Anliegen durchaus nachvollziehbar, denn die Erosion der Spareinlagen betrifft der Tendenz nach die Klientel aller großen Bankengruppen und hat bei dem momentanen, wenig auf den Kapitalmarkt ausgerichteten Anlageverhalten unbestritten Bremswirkungen auf die private Altersvorsorge einschließlich der Ablaufleistungen der beliebten Lebensversicherungen sowie der betrieblichen Versorgungsleistungen. Andere Kritiker gehen noch weiter und bringen bei allen Vorbehalten gegenüber monokausalen Erklärungen für komplexe Probleme selbst die verteilungspolitisch als notwendig erachteten staatlichen Eingriffe in den Wohnungsmarkt (mit dem Berliner Mietendeckel als Extrembeispiel) indirekt mit der Geldpolitik in Verbindung.

Aufklärung und Orientierung kann in dieser emotionalen Debatte um die verteilungspolitischen Wirkungen der Geldpolitik nicht zuletzt die Deutsche Bundesbank geben, die sich in der Nachkriegszeit ein immer noch tragfähiges Image als glaubwürdige geld- und währungspolitische Instanz erworben hat. Dezidiert aufgegriffen hat die Notenbank die Verteilungseffekte der Geldpolitik bereits in ihrem Monatsbericht September 2016. Die bis heute anhaltenden Preissteigerungen von Vermögenswerten wie Immobilien und Aktien will sie darin keinesfalls automatisch mit einer Umverteilung hin zu Personen mit höherem Vermögen assoziiert wissen und verweist auf mögliche Gegeneffekte wie etwa positive Arbeitsmarktim pulse einer expansiven Geldpolitik, die erst mit einer Zeitverzögerung wirken. Dass solche indirekten Segnungen der (deutschen) Öffentlichkeit schwerer zu vermitteln sind als die direkt sichtbaren Auswirkungen auf das Sparkonto sowie die mittlerweile sogar drohenden Negativzinsen auf Einlagekonten von Privatkunden, hat die Bundesbank auch weiterhin im Blick. "Welche Verteilungswirkungen hat die aktuelle Geldpolitik?" lautet beispielsweise eine Informations- und Diskussionsveranstaltung, zu der die Hauptverwaltung in Rheinland-Pfalz und dem Saarland für Ende November dieses Jahres einlädt.

Zeitlich und thematisch passt diese Veranstaltung gut in das aktuelle Umfeld. Denn der französische Ökonom Thomas Piketty hat die generelle Verteilungsdebatte gerade mit einem Folgewerk seines 2014 erschienenen Bestsellers "Das Kapital im 21. Jahrhundert" neu belebt, die Vergabe des diesjährigen Wirtschaftsnobelpreises hat den Blick auf die Armutsforschung gelenkt, in Frankreich hat die öffentliche Diskussion um Verteilungsgerechtigkeit zu einer ernst zu nehmenden politischen und gesellschaftlichen Bewegung geführt und in Deutschland wird sie noch in diesem Jahr die Entscheidung über die Fortführung der Regierungskoalition maßgeblich beeinflussen.

Die Verteilungswirkungen der expansiven Geldpolitik waren in der Amtszeit Draghis sicher nicht das zentrale Thema zur Beurteilung seiner Arbeit. Unter seiner Nachfolgerin Christine Lagarde könnten sich die Gewichte aber in diese Richtung verschieben. Denn angesichts einer immer tieferen Vernetzung der globalen Handels-, Dienstleistungs- und Geldströme muss die neue EZB-Präsidentin einerseits noch stärkere und schnellere Wechselwirkungen ihrer geldpolitischen Entscheidungen einkalkulieren. Und andererseits muss sie sich wie alle anderen großen Notenbanken einer stärkeren Abhängigkeit von der Politik beziehungsweise mehr oder weniger offensiven politischen Einmischungsversuchen erwehren. Dank ihrer exzellenten Vernetzung in der Politik hat sie alle Chancen, dieses Dilemma innerhalb der EZB gekonnt zu moderieren. Sie könnte aber auch geneigt sein, die Geldpolitik als Mittel gegen eine drohende Verschärfung der zentralen globalen Verteilungskonflikte wie Handelsstreit und Klimapolitik einzusetzen. Vor diesem Hintergrund ist ihr und allen anderen verantwortlichen Notenbankern dieser Welt eine klare geldpolitische Linie zu wünschen. Die Geldpolitik kann zwar sehr wohl Verteilungswirkungen haben und gerade in westlichen Demokratien massiv den politischen Prozess beeinflussen. Aber sie sollte ebenso wenig wie die Gestaltung der aufsichtsrechtlichen Rahmenbedingungen den Anspruch haben, aktiv verteilungspolitische Wirkungen zu erzielen.

Dass die deutsche Bundesregierung zumindest bisher eine durchaus nachvollziehbare kritische Sicht auf die Geldpolitik der EZB nicht in Richtung der Verteilungsdebatte verschärft, ist klug. Denn abgesehen von dem gern genutzten positiven Effekt auf das Schuldenmanagement und die Haushaltsplanung wissen geübte Politiker natürlich, wie wichtig die Vertrauenswürdigkeit einer Notenbank ist. Wer das Projekt Europa erhalten will, tut gut daran, die Glaubwürdigkeit der EZB nicht unnötig zu beschädigen. Eine harte Diskussion über die Wirkung der Geldpolitik auf die Reformfähigkeit der Nationalstaaten darf das allerdings nicht ausschließen.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X