Wetterleuchten an den Finanzmärkten?

Dr. Martin Hüfner

So viel Unruhe und Unsicherheit auf einmal gab es selten an den internationalen Finanzmärkten. Wo man hinschaut kriselt es. Muss man befürchten, dass die lange Hausse an den Aktienmärkten unter der Last der Probleme zusammenbricht? Immerhin dauert sie nun schon mehr als neun Jahre. Es ist der zweitlängste Aufschwung der Nachkriegszeit. Der Dax hat sich in dieser Zeit mehr als verdreifacht. Wäre es da nicht an der Zeit für eine Konsolidierung?

Solche Befürchtungen sind verständlich. Wer will schon in den Verdacht geraten, den Hals nicht voll genug zu bekommen? Andererseits ist es nicht mehr als ein lieb gewonnenes Vorurteil, dass Aufschwünge bei Aktien an Altersschwäche sterben.

Wenn man sich die Entwicklung der deutschen Börse in den letzten fünfzig Jahren anschaut (siehe Grafik), dann deutet nichts auf ein zyklisches Auf und Ab nach dem Muster der sieben fetten und der sieben mageren Jahre hin. Die Börse geht vielmehr relativ gleichmäßig nach oben. Über die gesamte Zeit hinweg, das heißt einschließlich auch aller vorübergehenden Rückschläge, ist der Index im Durchschnitt um über 8 Prozent p.a. gestiegen. Das ergibt eine beachtliche Rendite für den Anleger. Sie wird über eine so lange Zeit von keiner anderen Assetklasse erreicht. Das ist im Übrigen nicht nur ein deutsches Phänomen. Auch in den USA wurden bei Aktien hohe Renditen erreicht. Dort gibt es auch längere Statistiken. Danach betrug der jahresdurchschnittliche Ertrag in den letzten 200 Jahren im Schnitt um die 6 Prozent.

Das heißt nicht, dass es nicht auch immer wieder Rückschläge gab. In Deutschland kann man in der Nachkriegszeit drei größere Krisen zählen. Die erste war die Baisse von 1987, in der der Dax in kurzer Zeit um 41 Prozent an Wert verlor. Die Einbußen wurden aber schnell (in zwei Jahren) wieder aufgeholt. Die zweite Krise war schwerer. Sie ereignete sich Anfang der Jahrtausendwende, als der Dax über drei Jahre um über 70 Prozent abstürzte. Das war bisher der größte Einbruch. Es dauerte fast acht Jahre, bis die Verluste aufgeholt waren. Das hat den Anlegern richtig wehgetan und war mit ein Grund für die Abneigung der deutschen Bevölkerung gegen Risikopapiere, die bis heute andauert.

Der dritte große Kursrückgang kam schließlich in der großen Finanzkrise 2008/2009, als der Dax über 50 Prozent verlor. Erst nach fünf Jahren war das Kursniveau vom März 2009 wieder erreicht.

Wer an den jeweiligen Höhepunkten vor den Krisen Geld in Aktien investierte, musste lange Zeit mit Verlusten in seinem Depot leben. Die Erfahrungen dieser Jahre sollten jeden dazu bewegen, größere Geldsummen nie zu einem einzigen Zeitpunkt in den Aktienmarkt zu investieren. Wer regelmäßig anlegt (etwa durch monatliche Sparpläne) wird durch Krisen wesentlich weniger betroffen.

Zeigt dies nicht, dass Aktien doch krisenanfällig sind? Natürlich sind Anlagen in Dividendenpapieren nicht risikolos. Erträge bekommt nur der, der auch bereit ist, Risiken einzugehen. Je höher die Erträge, desto höher auch die Risiken. Andererseits entstanden die Einbrüche nicht durch Übertreibungen an den Aktienmärkten. Sie waren vielmehr die Folge von fundamentalen volkswirtschaftlichen Fehlentwicklungen. 1987 waren es währungspolitische Verwerfungen, auf die die Zentralbanken nicht angemessen reagierten. Im Jahr 2000 waren es die Exzesse der New Economy, die zu einer Blase in der Wirtschaft führten. Das strahlte natürlich auch auf die Aktienmärkte aus.

In der Subprime-Krise 2008 waren es Fehlentwicklungen auf dem amerikanischen Immobilienmarkt, die letztlich zum Zusammenbruch des Bankhauses Lehman Brothers führten und die Aktienkurse in den Keller schickten. Natürlich gab es in all den Fällen auch Fehlspekulationen am Aktienmarkt. Aber sie waren nur Randerscheinungen. Die erste und wichtigste Ursache waren volkswirtschaftliche Ungleichgewichte, die sich dann auch am Aktienmarkt spiegelten. Die Finanzmärkte waren nicht der Bösewicht. Sie waren letztlich nur der Ort, an dem sich die volkswirtschaftlichen Probleme austobten.

Daraus folgt: Wer Angst vor einem größeren Absturz der Aktienkurse hat, sollte nicht auf Fehlentwicklungen an den Aktienmärkten schauen oder die lange Dauer der Kursaufschwünge, sondern auf volkswirtschaftliche Ungleichgewichte. Dort sitzt das Grundübel, nicht an den Märkten selbst.

Natürlich gab es in der Vergangenheit auch Krisen, die auf die Aktienmärkte selbst zurückzuführen waren. Das waren aber jeweils kleinere Ereignisse, bei denen die Kursverluste nicht so groß waren und nicht so lange dauerten. Sie wurden auch nicht als größere Krisen empfunden. Siehe etwa den Einbruch 2015/ 2016, der schon ein Jahr später vergessen war. Oder der berühmte Kursrückgang im August 2011, der schon 2012 wieder Geschichte war. Solche "kleineren Unfälle" gibt es immer wieder. Sie sind der Preis für die Unsicherheiten der Märkte. Mit ihnen muss man leben und mit ihnen kann man leben. Wer klug investiert und Aktien als Langfristanlage nutzt, wird damit kein größeres Problem haben.

Kann es heute eine größere Krise geben? Wenn man sich das fundamentale Umfeld der Märkte anschaut, dann sieht es nicht danach aus. Die wirtschaftliche Situation ist nicht mehr so gut wie im letzten Jahr. Sie weist aber auch keine größeren Ungleichgewichte auf. Die Konjunktur läuft auf globaler Ebene mit ordentlichen Wachstumsraten. Die derzeitige Schwächephase ist auf Europa und Japan beschränkt. Sie wird - auch wenn es schlecht läuft - nicht zu einer größeren Rezession führen.

Die Preise steigen nur maßvoll. Es sieht nicht danach aus, dass die Inflation außer Kontrolle gerät. Die Zentralbanken stehen Gewehr bei Fuß und führen die Liquidität vorsichtig zurück. Die Federal Reserve in den USA erhöht auch schon kräftig die Zinsen. Der Markt sieht das aber als eine Normalisierung und als Zeichen einer Gesundung nach der Großen Finanzkrise an. Er reagiert nicht negativ.

Sorgen machen allerdings die protektionistischen Tendenzen in der Welt und die Gefahr eines Handelskrieges. Das erinnert fatal an die Zeit der großen Weltwirtschaftskrise vor bald neunzig Jahren. Unbehagen geht auch von dem populistischen Umschwung in Italien aus, der das Thema Eurokrise wieder auf die Tagesordnung gebracht hat. Hinzu kommt, dass die steigenden Zinsen zusammen mit der Aufwertung des US-Dollar Gift für einige Schwellen- und Entwicklungsländer ist. Siehe die jüngsten Probleme in Argentinien, der Türkei oder zum Teil auch in Brasilien. Das erinnert an die Schuldenkrisen in den 80er Jahren und auch an das "Taper Tantrum" 2012, als die Federal Reserve den Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik bekannt gab.

Schließlich sind die geopolitischen Probleme im Zusammenhang mit Korea, Iran und anderen Ländern des Nahen Ostens zu nennen. Es gibt daher genügend Gründe für größere und kleinere Schwankungen an den Aktienmärkten. Wer traden kann, findet in dieser Situation gute Gewinnmöglichkeiten. Langfristinvestoren sollten sich wärmer anziehen, durch Diversifikation Risiken aus dem Portfolio nehmen und ihre Erwartungen den geänderten Verhältnissen anpassen. 2018 wird nicht noch einmal so gut wie 2017.

Dr. Martin Hüfner Chefvolkswirt, Assenagon Asset Management
Dr. Martin Hüfner , Chefvolkswirt, Assenagon Asset Management

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