Risikobasierte versus risikoinsensitive Kapitalanforderungen

Eine Diskussion über komplementäre Sicherungsinstrumente

Univ.-Prof. Dr. Thomas Hartmann-Wendels Quelle: Uni Köln

Grundsätzlich muss das Eigenkapital der Banken im Hinblick auf die eingegangenen Risiken auskömmlich sein. Eigenkapitalvorschriften sollen die Eigenschaften der Risikointensivität, Einfachheit und Vergleichbarkeit erfüllen. Bei der Bestimmung besteht ein grundlegender Interessenkonflikt zwischen Banken und Aufsichtsbehörden: Während die einen an niedrigen Kapitalanforderungen interessiert sind, möchten die anderen höhere Anforderungen durchsetzen. Der Beitrag diskutiert die Entwicklung der aktuellen Regulierungsvorschriften. (Red.)

Seit dem Ausbruch der Finanzmarktkrise sind die Eigenkapitalvorschriften für Banken tiefgreifend verändert worden. So wurden die Anforderungen an die Qualität des haftenden Eigenkapitals verschärft, die einzuhaltenden Eigenkapitalquoten erhöht und die Methoden zur Ermittlung der risikogewichteten Aktiva modifiziert. Die neuen Eigenkapitalregeln haben die bestehenden Regelungen nicht nur verschärft, sondern beinhalten auch den Beginn einer Neuausrichtung in der Zielsetzung der Eigenkapitalvorschriften.

Mittlerweile geht es nicht nur darum, sicherzustellen, dass das Eigenkapital im Hinblick auf die eingegangenen Risiken auskömmlich ist, sondern die Reformvorschläge enthalten auch Elemente, die bewusst von einer an den eingegangenen Risiken bemessenen Eigenkapitalunterlegung abweichen. So wurde mit Basel III die Höchstverschuldungsquote (Leverage Ratio) als eine nicht-risikobasierte Eigenkapitalvorschrift eingeführt und die Ende vergangenen Jahres als Vollendung von Basel III bezeichneten Eigenkapitalanforderungen für Kreditausfallrisiken und operationelle Risiken enthaltenen Vorschriften, die die Risikosensitivität der Eigenkapitalanforderungen bewusst reduzieren.

So entfällt der auf eigenen Risikomodellen basierende fortgeschrittene Messansatz für operationelle Risiken, und der auf internen Ratings basierende Ansatz (IRBA) wird in der fortgeschrittenen Variante für Forderungen an Banken und große Unternehmen nicht mehr zugelassen. Darüber hinaus wird die Risikosensitivität durch sogenannte Input-Floors für selbst geschätzte Ausfallwahrscheinlichkeiten und Verlustquoten sowie durch einen Output-Floor, der die Eigenkapitalanforderungen auf der Basis interner Modelle auf mindestens 72,5 Prozent der Kapitalanforderungen nach den Standardansätzen nach unten begrenzt, reduziert.

Neuausrichtung der Regulierung

Mit dieser Neuausrichtung der Regulierungsvorschriften wird die über Jahrzehnte hinweg verfolgte Strategie, Eigenkapitalanforderungen möglichst genau auf die ein gegangenen Risiken abzustimmen, umgekehrt. Meilensteine dieser Entwicklung waren die Zulassung eigener Risikomodelle für Marktpreisrisiken im Jahre 1996 sowie die Einführung des IRBA für Kreditausfallrisiken und der fortgeschrittenen Messansätze für operationelle Risiken durch Basel II.

Ausgangspunkt dieser Umkehr ist ein Diskussionspapier des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht (BCBS) aus dem Jahr 2013 mit dem Titel "Regulatorische Rahmenbedingungen: Abstimmung von Risikosensitivität, Einfachheit und Vergleichbarkeit". Mit diesem Papier wird das Ziel, Eigenkapitalanforderungen risikobasiert zu gestalten, relativiert, indem gefordert wird, dass Eigenkapitalanforderungen zusätzlich die Eigenschaften der Einfachheit und Vergleichbarkeit erfüllen sollen. Da risikosensitive Kapitalanforderungen zwangsläufig zu komplexen Regeln führen und risikobasierte Kapitalquoten schwer vergleichbar sind, können die Ziele der Einfachheit und Vergleichbarkeit nur erreicht werden, wenn zugleich die Risikosensitivität der Kapitalanforderungen eingeschränkt wird.

Ziele der Anforderungen

Um die veränderte Ausrichtung der Regulierung beurteilen zu können, sollen zunächst die Ziele, die mit Eigenkapitalanforderungen verbunden sind, erläutert werden. Der Hauptzweck von Eigenkapitalvorschriften besteht darin, sicherzustellen, dass das Haftungskapital eines Kreditinstituts mit hinreichender Sicherheit ausreicht, auftretende Verluste aufzufangen. Das angestrebte Sicherheitsniveau beträgt 99,9 Prozent bei einem Risikohorizont von zehn Tagen bei handelbaren Positionen und einem Risikohorizont von einem Jahr bei nicht handelbaren Risiken.

Die Abbildung zeigt eine stilisierte Wahrscheinlichkeitsverteilung der Verluste. Das 99,9-Prozent-Perzentil der Verlustverteilung entspricht dem Value-at-Risk (VaR). Die möglichen Verluste können unterteilt werden in erwartete und unerwartete Verluste. Erwartete Verluste sollten idealerweise bereits in Form von Wertberichtigungen oder Rückstellungen vom haftenden Eigenkapital abgezogen worden sein, so dass die Eigenmittelunterlegung sich auf die unerwarteten Verluste bezieht.

Dieses Konzept ist beispielsweise im IRBA umgesetzt. Während erwartete Verluste, soweit sie nicht bereits durch Wertberichtigungen oder Rückstellungen berücksichtigt worden sind, vom Kernkapital abgezogen werden, berechnet die IRBA-Formel2 die unerwarteten Verluste, das heißt denjenigen Verlustbetrag, der mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,9 Prozent nicht überschritten wird.

Es ist offensichtlich, dass eine Bemessung der Eigenkapitalanforderung an dem Ziel, anfallende Verluste mit hinreichender Sicherheit auffangen zu können, verlangt, dass die Verlustrisiken quantifiziert und die Eigenkapitalanforderungen an dem ermittelten Risikobetrag ausgerichtet werden. Aber auch die weiteren Ziele, die mit Eigenkapitalanforderungen verbunden sind, können nur mit risikobasierten Eigenkapitalanforderungen erreicht werden: Mindesteigenkapitalquoten sollen die Anreize, Verlustgefahren durch eine riskante Unternehmenspolitik auf die Gläubiger abzuwälzen ("Moral Hazard"), reduzieren.

Die Anreize dazu sind besonders dann hoch, wenn das Insolvenzrisiko hoch ist, das heißt wenn das vorhandene Eigenkapital in Relation zu den bestehenden Risiken gering ist. Eigenkapitalvorschriften sollen es darüber hinaus der Bankenaufsicht ermöglichen, bei einer sich abzeichnenden Schieflage frühzeitig einzugreifen. Auch dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn das Eigenkapital in Relation zu den vorhandenen Risiken gesetzt wird. Die über Jahrzehnte anhaltende Tendenz zu immer risikosensitiveren Kapitalanforderungen ist nicht zuletzt der Erkenntnis geschuldet, dass einfache, risikounabhängige Vorschriften Anreize zu Regulierungsarbitrage bieten. So ist das starke Wachstum des Verbriefungsmarktes in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts unter anderem als Ausdruck von Regulierungsarbitrage zu verstehen.

Wenn Eigenkapitalanforderungen hauptsächlich vom Kreditvolumen und nicht vom Ausfallrisiko abhängen, können ohne Reduzierung der Ausfallrisiken Eigenmittel eingespart werden, indem Kredite ausplatziert werden und die Equity-Tranche der Verbriefung, in der das Ausfallrisiko des Kreditportfolios konzentriert ist, zurückbehalten wird.

Schließlich wurde mit der Zulassung eigener Risikomodelle ebenfalls das Ziel verfolgt, den Banken Anreize zu geben, die internen Risikomess- und -steuerungsverfahren weiterzuentwickeln.

Risiko einer übermäßigen Verschuldung

Angesichts dieser überzeugenden Argumente überrascht die Kritik an risikobasierten Eigenkapitalvorschriften. Risikobasierte Kapitalanforderungen, insbesondere wenn sie auf der Basis eigener Risikomodelle ermittelt wurden, werden als Ursache dafür angesehen, dass die bilanziellen Eigenkapitalquoten der Banken in den Jahren vor der Finanzmarktkrise kontinuierlich gesunken sind.3 Eine übermäßige Verschuldung der Banken wird als Ursache für systemische Risiken angesehen und war ein wesentliches Motiv für die Einführung der Leverage Ratio.

Systemische Risiken resultieren daraus, dass Verluste einen massiven Verkauf von Finanzaktiva auslösen können, wenn die ursprüngliche Eigenkapitalquote wieder hergestellt werden soll. Bei einer bilanziellen Eigenkapitalquote von 2 Prozent müssten 49 Prozent der Aktiva veräußert werden, um nach einem Verlust in Höhe von nur 1 Prozent die ursprüngliche Eigenkapitalquote wieder zu erreichen. Bei einer Eigenkapitalquote von 50 Prozent dagegen beträgt der Anteil der zu veräußernden Assets lediglich 1 Prozent.

Müssen Wertpapiere in erheblichem Umfang veräußert werden, geraten - insbesondere bei geringer Marktliquidität - die Preise unter Druck ("fire-sale-Preise"). In der Folge müssen auch andere Banken, die diese Wertpapiere halten, Wertberichtigungen vornehmen. Die daraus resultierenden Verluste wiederum veranlassen weitere Banken dazu, Wertpapiere zu veräußern, entweder, weil die Refinanzierung nicht mehr gesichert ist oder weil die regulatorischen Kapitalanforderungen nicht mehr eingehalten werden können.

Durch diese zusätzlichen Verkäufe geraten die Wertpapierpreise weiter unter Druck, was zu einem erneuten Wertberichtigungsbedarf führt und weitere Wertpapierverkäufe notwendig macht ("Loss spiral-Asset price-Effect").4

Wesentlich für das Entstehen systemischer Risiken ist eine kurzfristige Refinanzierung langfristiger Assets sowie starre regulatorische Eigenkapitalquoten. Beide Aspekte wurden bereits im Rahmen von Basel III adressiert: So verlangt die "Net Stable Funding Ratio" eine stabile Refinanzierung langfristiger, illiquider Assets, und der Kapitalerhaltungspuffer gibt den Banken ein gewisses Maß an Flexibilität bei der Einhaltung der regulatorischen Mindestkapitalquoten. Darüber hinaus sind risikosensitive Kapitalanforderungen grundsätzlich besser geeignet, systemische Effekte zu reduzieren. Höhere Kapitalanforderungen für riskante Assets ermöglichen es, die ursprüngliche Eigenkapitalquote mit geringeren Asset-Verkäufen wiederherzustellen.

Prozyklizität

Ein Nachteil risikosensitiver Kapitalanforderungen wird darin gesehen, dass sie prozyklisch wirken, das heißt die zyklischen realwirtschaftlichen Schwankungen noch verstärken. In Krisenzeiten steigen die Risikogewichte und damit die Kapitalanforderungen an. Dies führt dazu, dass Banken, die aufgrund der zu erwartenden höheren Ausfallraten in Krisenzeiten ihre Kreditvergabe ohnehin restriktiver gestalten, diese zusätzlich einschränken.

Bei guter Wirtschaftslage dagegen tritt ein umgekehrter Effekt ein: Niedrige Risikogewichte und damit geringere Kapitalanforderungen befeuern die ohnehin große Bereitschaft der Banken zur Kreditvergabe. Es geht somit darum, dass das ohnehin zyklische Verhalten von Banken durch die regulatorischen Eigenkapitalanforderungen zusätzlich verstärkt wird. Die empirischen Untersuchungen zur Prozyklizität risikobasierter Eigenkapitalanforderungen kommen zu keinem einheitlichen Ergebnis. Dies mag damit zusammenhängen, dass bereits Basel II einige Elemente enthält, die mögliche prozyklische Wirkungen dämpfen. So sollen bei Anwendung des IRBA für die Parameter Ausfallwahrscheinlichkeit und Verlustquote langfristige Durchschnittswerte verwendet werden. Dabei wird die langfristige durchschnittliche Verlustquote noch um einen Faktor, der ökonomische Downturn-Bedingungen abbildet, erhöht. Zudem sinkt in der IRBA-Formel der Korrelationskoeffizient mit zunehmender Ausfallwahrscheinlichkeit, was den Anstieg der Kapitalanforderungen erheblich dämpft.

Basel III enthält mit dem antizyklischen Kapitalpuffer, der in Zeiten eines übermäßigen Kreditwachstums aufgebaut und in Krisenzeiten abgeschmolzen werden kann, ein weiteres Instrument zur Vermeidung prozyklischer Effekte. Der antizyklische Kapitalpuffer kann bis zu 2,5 Prozent der Risikoaktiva betragen. Über seine Dotierung wird unter Berücksichtigung der jeweiligen wirtschaftlichen Situation eines Landes entschieden.

Prozyklische Effekte können aber durch die Impairment-Vorschriften im Rahmen des IFRS 9 ausgelöst werden. Diese sehen vor, dass bei einer wesentlichen Verschlechterung der Bonität anstatt des "12-month-expected-credit-loss" der "life-time-expected-credit-loss" angesetzt werden muss. Damit besteht die Gefahr, dass in einer Krisensituation der Abschreibungsbedarf dramatisch ansteigt, was zu einem deutlichen Absinken der Leverage Ratio führt.

Im Zentrum der Kritik an risikobasierten Kapitalanforderungen stehen die internen Modelle für Marktpreis- und operationelle Risiken sowie der IRB-Ansatz. Diese Kritik entzündet sich an mehreren vermeintlichen Schwachpunkten: Internen Modellen wird vorgeworfen, dass sie zu geringe Eigenkapitalquoten ermöglicht hätten.5 Bei diesem Vorwurf ist unklar, welcher Vergleichsmaßstab herangezogen wird.

Frühe, weitgehend risikoinsensitive Regeln zu den Kapitalanforderungen haben lediglich Kreditausfallrisiken erfasst. Mit der Berücksichtigung von Marktpreisrisiken sowie mit der Einbeziehung von Risikopositionen aus Derivaten fand auch eine zunehmende Risikogewichtung statt. Erst die Hinwendung zu risikobasierten Eigenkapitalanforderungen hat somit die Einbeziehung weiterer Risikoarten in die Ermittlung der Kapitalanforderungen ermöglicht.

Als weiterer Vergleichsmaßstab kommen die risikobasierten Kapitalanforderungen der Standardansätze in Frage. Diese waren bis zur Umsetzung von Basel III deutlich höher als die Kapitalanforderungen auf der Basis interner Modelle. Der Grund hierfür ist, dass die Risiko gewichte der Standardansätze das Risiko nur sehr grob messen und daher ein Sicherheitspuffer notwendig ist.

Darüber hinaus sollte die Frage nach dem Niveau der Kapitalanforderungen getrennt werden von der Frage, ob die Kapitalanforderungen risikobasiert oder risikoinsensitiv bemessen werden. Mit der Umsetzung von Basel III im Rahmen der Capital Requirements Regulation (CRR) sind die Kapitalanforderungen für Marktpreisrisiken auf der Basis eigener Risikomodelle nicht mehr durchweg geringer als die Kapitalanforderungen bei Anwendung der Standardmodelle.6

Komplexität

Ein zweiter Kritikpunkt bemängelt, dass risikobasierte Eigenkapitalanforderungen komplex sind. Dies gilt in besonderem Maße für eigene Risikomodelle. Komplexe Regeln werden als Gefahr angesehen, weil die Methoden, nach denen die Kapitalanforderungen ermittelt werden, nicht transparent seien. Dies kann dazu führen, dass die Geschäftsführung sich auf die Ergebnisse der komplexen Modelle verlässt, ohne die dahinter stehenden Zusammenhänge zu verstehen.

Darüber hinaus erschweren komplexe Modelle der Risikomessung eine Beaufsichtigung, und zwar sowohl durch die Aufsichtsgremien der Bank als auch durch die Bankenaufsicht.7 Dies wird auch als "Regulatory Capture by Sophistication" bezeichnet.8 Interne Risikomodelle werden bewusst so komplex konstruiert, dass die Bankenaufseher deren Validität nicht beurteilen können. Um dies nicht einzugestehen, werden die eigenen Risikomodelle bei der Zulassungsprüfung "durchgewunken".

Ein Übermaß an Komplexität führt zu fehlender Transparenz. Marktteilnehmer haben daher kein Vertrauen in risikobasierte Kapitalquoten, sondern orientieren sich an vermeintlich einfachen Kennziffern wie der Leverage Ratio. Doch auch die Leverage Ratio umfasst ein durchaus komplexes Regelwerk. Daher leuchtet nicht ein, warum Marktteilnehmer Kapitalquoten, die an Bilanzierungsregeln anknüpfen, mehr vertrauen sollen. Bilanzwerte beruhen zum Teil ebenfalls auf komplexen Vorschriften, darüber hinaus gibt es eine Reihe von expliziten und impliziten Bilanzierungswahlrechten, die die Transparenz von Jahresabschlussgrößen erheblich beeinträchtigt.

Von Andrew Haldane wird die These vertreten, dass komplexe Systeme am besten durch einfache Regeln gesteuert werden.9 Als Beleg führt er das "Dog-and-frisbee-Beispiel" an. Obwohl es überaus kompliziert ist, die Flugbahn einer Frisbee-Scheibe zu berechnen, sind Hunde in der Lage, mittels einfacher Heuristiken eine Frisbee-Scheibe aufzufangen.

Die Analogie zur Bankenaufsicht hat allerdings einen Haken: Während die Flugbahn der Frisbee-Scheibe nicht davon beeinflusst wird, wer die Frisbee-Scheibe fängt, wird das Verhalten der Banken sich vermutlich durchaus ändern, wenn sie auf der Basis einfacher Regeln reguliert werden.

Bei der Verwendung eigener Risikomodelle beschränken sich die Vorgaben der Bankenaufsichtsregeln darauf, Mindestanforderungen an die Schätzung der Risikoparameter und an die Verknüpfung dieser Parameter zu einer Risikomessgröße zu stellen. Die konkrete Methodik, mit der die Risiken gemessen werden, kann dagegen vom betreffenden Institut selbst festgelegt werden. Dies eröffnet den Banken Spielräume bei der Risikomessung. Martin Hellwig sieht darin einen grundsätzlichen Konstruktionsfehler: Da es einen inhärenten Interessenkonflikt gibt zwischen den Banken, die an niedrigen Kapitalanforderungen interessiert sind, und den Aufsichtsbehörden, die höhere Kapitalanforderungen durchsetzen möchten, kann man die Regeln, nach denen die Kapitalanforderungen bemessen werden, nicht den Banken überlassen.10

Vergleichbarkeit

Als weitere Konsequenz der Spielräume, die interne Modelle belassen, können die Ergebnisse der Modelle und damit die Kapitalanforderungen sehr unterschiedlich ausfallen, so dass keine Vergleichbarkeit gegeben sei.11

Um die Auswirkungen der Risikomessmethoden auf die Risikogewichte zu untersuchen, wurden im Rahmen des "Regulatory Consistency Assessment Programmes" von 15 Banken die Risikogewichte für ein hypothetisches Testportfolio ermittelt.12 Dabei zeigten sich Unterschiede in den Kapitalanforderungen um den Faktor 2,5. Ein Teil dieser Schwankungen ist allerdings auf unterschiedliche regulatorische Vorgaben zurückzuführen. So schwankten beispielsweise die von den Bankenaufsichtsbehörden vorgegebenen Faktoren für die Marktrisikomodelle, mit denen der VaR zu multiplizieren ist, zwischen 3 und 5,5.

Betrachtet man ausschließlich die Einflussgrößen, die unter Kontrolle der Banken sind, so ist zunächst festzustellen, dass die Variabilität bei den erst relativ kürzlich eingeführten internen Risikomodellen größer ist als bei den bereits seit längerem etablierten Modellen zur Ermittlung des VaR und des gestressten VaR.

Bei den eigenen Marktrisikomodellen sind es vor allem drei Faktoren, die die Unterschiede in den Ergebnissen erklären:

  • die Länge der historischen Datenreihe, die zur Kalibrierung des Modells verwendet wird,
  • die Methode zur Skalierung einer zehntägigen Haltedauer sowie
  • die Verfahren zur Aggregation der einzelnen Risikokomponenten, wobei dieser Faktor wiederum sehr stark durch unterschiedliche bankaufsichtliche Vorgaben beeinflusst wird.

Insgesamt konnte nicht festgestellt werden, dass eine bestimmte Methode stets zu einer konservativeren Risikomessung führt.

Eine vergleichbare Studie zu den Ausfallrisiken im Bankenbuch ergab, dass die Banken ungeachtet signifikanter Unterschiede bei der Schätzung der Ausfallwahrscheinlichkeiten und der Verlustquoten die einzelnen Adressen im Testportfolio hinsichtlich ihres Risikogehalts in eine ähnliche Reihenfolge brachten. Unterschiede bezüglich der geschätzten Ausfallwahrscheinlichkeiten und Verlustquoten sind darauf zurückzuführen, dass die Banken unterschiedliche Ausfalldefinitionen verwenden und die Schätzung der Ausfallwahrscheinlichkeiten auf bankspezifischen Ausfallhistorien beruht.

Zu erwarten ist, dass zumindest innerhalb der Europäischen Union aufgrund einer zunehmenden Vereinheitlichung der Bankenaufsicht und der Vorgaben für die Schätzung von Parametern die Unterschiede deutlich abnehmen werden. Einen weiteren Beitrag zur Reduzierung der Unterschiede wird von den kürzlich beschlossenen Input-Floors für die Schätzung der Ausfallwahrscheinlichkeit und der Verlustquote ausgehen.

Allerdings ist vor einer übertriebenen Vereinheitlichung zu warnen. Da Risiken nicht objektiv eindeutig messbar sind, würde eine weitgehende Vereinheitlichung eine Genauigkeit der Risikomessung vortäuschen, die es nicht gibt. Darüber hinaus würde eine völlig gleichartige Risikomessung gleichartiges Verhalten der Banken induzieren und damit prozyklische Effekte begünstigen.

Modellrisiken

Große Unterschiede in den Ergebnissen eigener Risikomodelle werden als Hinweise auf das Vorliegen von Modellrisiken angesehen. Eigene Risikomodelle können in dem Sinne fehlerbehaftet sein, dass Modellparameter wie Ausfallwahrscheinlichkeiten, Volatilitäten und Korrelationen unterschätzt oder überschätzt werden. Darüber hinaus können Wirkungsmechanismen und Zusammenhänge zwischen den einzelnen Risikogrößen vernachlässigt oder nur unzureichend abgebildet worden sein.

Um Modellrisiken zu begrenzen, darf der fortgeschrittene IRBA bei sogenannten "low default"-Portfolien, das heißt bei Krediten an Banken und große Unternehmen aufgrund der zu geringen Datenbasis nicht mehr angewendet werden. Darüber hinaus sollen Input-Floors für Ausfallwahrscheinlichkeiten und Verlustquoten verhindern, dass diese Risikoparameter zu günstig geschätzt werden. Allerdings ist fraglich, ob Input-Floors hierfür geeignet sind. Denn der Floor greift nur für solche Parameterwerte, die unterhalb des vorgegebenen Mindestwertes liegen, Schätzfehler können aber auch bei Risikopositionen auftreten, deren Ausfallwahrscheinlichkeit und/oder Verlustquote darüber liegen.

Komplementäre Sicherungsinstrumente

Der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht befürwortet nicht die Abschaffung risikobasierter Kapitalanforderungen. Er hält es aber für notwendig, risikobasierte Kapitalanforderungen durch risikoinsensitive Kapitalanforderungen wie die Leverage Ratio zu ergänzen und sieht das Zusammenspiel beider Systeme als eine Art "Gürtel-Hosenträger-Prinzip" an. Wenn eines der beiden Sicherungssysteme versagt, kann immer noch das andere System seine Schutzwirkung entfalten.

Anders als bei Gürtel und Hosenträger sind risikobasierte und risikoinsensitive Kapitalanforderungen nicht zwei unabhängige Sicherungssysteme, bei denen die Wahrscheinlichkeit eines Ausfalls beider Systeme dem Produkt der Einzelwahrscheinlichkeiten entspricht. Vielmehr beruhen beide Systeme auf demselben Sicherungsinstrument, nämlich Eigenkapital, nur die Berechnung der Eigenkapitalanforderungen erfolgt unterschiedlich. Das bedeutet, dass immer nur eines der beiden Systeme bindend ist und somit die Eigenkapitalanforderung der Bank letztlich bestimmt.

Sind die risikobasierten Eigenkapitalanforderungen höher als die Eigenkapitalanforderung nach der Leverage Ratio, so ist letztere wirkungslos. Ist jedoch die Leverage Ratio bindend, so hat eine Bank einen Anreiz zur Regulierungsarbitrage, indem Risikopositionen eingegangen werden, die das Risiko erhöhen ohne die Bemessungsgrundlage der Leverage Ratio zu verändern.

Da Risiken nicht mit der Präzision wie Längen oder Gewichte gemessen werden können, sind risikobasierte Kapitalanforderungen stets der potenziellen Gefahr ausgesetzt, dass sie auf einer fehlerhaften Risikomessung aufbauen. Da raus sollte aber nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, dass der Verzicht auf jegliche Risikomessung besser sei. Insbesondere ist zu beachten, dass risikoinsensitive Kapitalanforderungen Möglichkeiten zur Regulierungsarbitrage eröffnen.

1) Vgl. BCBS: Basel III: Finalising post-crisis reforms, Basel, Dezember 2017.

2) Vgl. CRR, Art. 153.

3) Vgl. z. B. Admati, Anat; Hellwig, Martin: The Bankers´ New Clothes, Princeton 2013, S. 184.

4) Vgl. Brunnermeier, Markus; Pedersen, Lasse: Market Liquidity and Funding Liquidity, Review of Financial Studies, Vol 22, 2009, S. 2201-2238.

5) Vgl. BCBS: Consultative Document Capital floors: the design of a framework based on standardised approaches, Dezember 2014, S. 4.

6) Vgl. BCBS: Regulatory Consistency Assessment Programme (RCAP). Analysis of Risk-Weighted Assets for Market Risk, Basel, Januar 2013, S. 8 f.

7) Vgl. BCBS: Regulatorische Rahmenregelungen: Abstimmung von Risikosensitivität, Einfachheit und Vergleichbarkeit, Juli 2013, S. 12 f.

8) Vgl. Hellwig, Martin (2010): Capital Regulation after the Crisis. Business as Usual? Working Paper, Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern, Bonn. Hakenes, Hendrik; Schnabel, Isabel (2014): Regulatory Capture by Sophistication, Working Paper.

9) Vgl. Haldane, Andrew; Madouros, Vasileios: The Dog and the Frisbee, Vortrag auf dem 36. Symposium der Federal Reserve Bank of Kansas City, 2012.

10) Vgl. Hellwig, Martin (2010): Capital Regulation after the Crisis. Business as Usual? Working Paper, Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern, Bonn.

11) Vgl. BCBS: Consultative Document Capital floors: the design of a framework based on standardised approaches, Dezember 2014, S. 4.

12) Vgl. BCBS: Regulatory Consistency Assessment Programme (RCAP). Analysis of Risk-Weighted Assets for Market Risk, Basel 2013.

13) Vgl. BCBS: Regulatory Consistency Assessment Programme (RCAP). Analysis of Risk-Weighted Assets for Credit Risk in the Banking Book, Basel 2013.

14) Vgl. BCBS: Basel III: Finalising post-crisis reforms, Basel, Dezember 2017.

DER AUTOR: Univ.-Prof. Dr. Thomas Hartmann-Wendels, Köln,ist seit 1999 Direktor des Seminars für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Bankbetriebslehre an der Universität zu Köln und außerdem geschäftsführender Direktor des Instituts für Bankwirtschaft und Bankrecht sowie des Forschungsinstituts für Leasing. Er lehrte an den Universitäten in Osnabrück, Aachen und Köln Finanzierungs- und Bankbetriebslehre.
Univ.-Prof. Dr. Thomas Hartmann-Wendels , Direktor, Seminar für ABWL und Bankbetriebslehre, Universität zu Köln, Köln, geschäftsführender Direktor, Institut für Bankwirtschaft und Bankrecht, Forschungsinstitut für Leasing

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