Spagat zwischen technologischem Fortschritt und verändertem Kundenverhalten

Die Digitalisierung der Customer Journey

Abbildung 1: Grundmechanik von Bonusprogrammen Quelle: Eigene Darstellung

Enrico Moritz - Die Zukunft der Informationstechnologie liegt im Kern der digitalen Transformation, also leichtgewichtigen, agilen Services. Sie bieten die Chance, mit digitaler Innovation und Transformation Schritt zu halten. Das Zeitalter der Großprojekte geht über in eine Epoche der Assemblierung beziehungsweise Orchestrierung von Fast Integration Business Services. Diesen Wechsel beleuchtet der Autor in diesem Beitrag.

Globalisierung, maximale Preistransparenz und aggressiver Wettbewerb mit disruptiven Startups, Regulierungsprozesse und sinkende Margen stellen Unternehmen und Führungskräfte in Zeiten der Veränderungen vor massive Probleme (vgl. Abbildung 1, Seite 175).

Die Herausforderung, der Schnelligkeit und Intensität des Wandels mit kundenorientierten Lösungen bei gleichzeitiger Berücksichtigung der rechtlichen beziehungsweise regulatorischen Anforderungen zu begegnen, führte zu fragmentierten, veralteten IT-Landschaften und -Architekturen, die eine kurzfristige Umsetzung moderner internetbasierter Anwendungen auf lange Sicht behindern. Starre und träge Budgetierungsprozesse sowie Entwicklungs-, Test- und Rolloutzyklen binden wertvolle Ressourcen und verzögern den ertragbringenden Einsatz von Prozess- und Produktinnovationen. In Folge erschweren weitere langwierige "Software Unification"-Großprojekte zunehmend die Implementierung marktseitig dringend benötigter IT-Services. Im Ergebnis geraten viele Unternehmen in Rückstand, und mehr als 70 Prozent der Change-Vorhaben scheitern.1)

Somit können die heute im Einsatz befindlichen, historisch gewachsenen Kernanwendungen die aktuellen Marktanforderungen oft nicht mehr vollumfänglich oder nur sehr kostenintensiv abdecken.

Digitale Transformation

Die Digitalisierung transformiert Branchen, Geschäftsmodelle und Unternehmen in radikaler Weise und zwingt zum Überprüfen von Strategien, Strukturen und Prozessen. Der durch die Real-Time-Economy ausgelöste Strukturwandel erfasst Partner, Zulieferer, Berater und Kunden gleichermaßen und zwingt zur Endto-End-Digitalisierung von Wertschöpfungsketten. Zukunftsorientierte Unternehmen haben den Umfang und die Intensität des Handlungsdrucks bereits erkannt (vgl. Abbildung 2, Seite 175).

Sie erlangen Digital Dexterity, also Fingerfertigkeit, durch innovative Partner, Systeme und Services. Die Adaption von Strategie, Organisation, Prozessen und Produkten sowie deren IT-seitige Implementierung werden zu elementaren Herausforderungen in der nachhaltigen Gestaltung der Zukunftsfähigkeit für Hersteller, Vendoren und Service Provider aller Branchen - von der Finanzindustrie bis zum Maschinenbau.

Die Linearität der Wertschöpfungskette und die Maxime der Kundenzentrierung haben sich somit unter dem Einfluss von Big Data zu komplexen, algorithmenbasierten Informations- und Steuerungssystemen weiterentwickelt. Sie verfügen über die Fähigkeit, die Umfeldfaktoren der zunehmend volatilen Märkte beziehungsweise globalen, sozialen und vernetzten Marktplätze, regulatorische Anforderungen und Restriktionen von Ressourcen oder Produktionsprozessen zu berücksichtigen.

Diese Echtzeit-Intelligenz vernetzt Maschinen, Sensoren, Software und Menschen in Entwicklung, Produktion und Vertrieb gleichermaßen. Die digitale "Customer Journey" auf virtuellen Marktplätzen, also die einzelnen Zyklen, die ein Kunde durchläuft, bevor er sich für den Kauf eines Produktes entscheidet, fordert eine Umkehr von Transaktion zu Interaktion. Sie trifft auf vernetzte, smarte Fabriken, intelligente Produktionssysteme, automatisierte Logistik, bimodale IT und agile Business Services.

Für diese durch die disruptive Kraft der Digitalisierung verursachten und an Diversität und Komplexität kaum zu übertreffenden Rahmenbedingungen findet die Wissenschaft eine treffende Bezeichnung:

- VUCA: Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity2) .

Dauerhaft zukunftsfähig und erfolgreich bleiben etablierte Unternehmen in diesem Kontext nur dann, wenn sie Informationstechnologie zur grundlegenden Renovierung von Kernressourcen und -kompetenzen, das heißt Strategie, Kultur und Führung sowie Produkte und Prozesse, intelligent einsetzen.

Partner und Netzwerke

Agile Prinzipien nehmen Einzug in mobile, selbstorganisierte Teams unter demokratischer Führung und maximaler, automatisierter Informationstransparenz. Design Thinking gilt als Maßstab für die erfolgreiche Verflechtung interdisziplinärer Teams zur Reduktion von Ungewissheit sowie Steigerung von schneller Anpassungsfähigkeit und Kreativität in der Schaffung kundenzentrierter Lösungen.

Das Prinzip "Linked and Liquid" untermauert die Bedeutung dynamischer, flexibler Netzwerke innovativer Partner. Deren Aufbau und Weiterentwicklung bleibt weiterhin eine zentrale Kernkompetenz. Insbesondere die langfristige Vernetzung mit Gesamt-Dienstleistern - Business-Innovation- und Transformation-Partnern - bietet eine effektive Möglichkeit, Transformationskompetenz und Entscheidungssicherheit in Zeiten von Komplexität und Wandel zu steigern und die Chancen der digitalen Ära optimal zu nutzen.

Technologie und Lösungen

"Technology eats Industries" beschreibt die alle Branchen gleichermaßen betreffende transformierende Kraft der Digitalisierung. So wandeln sich traditionelle Produkthersteller zu innovativen Serviceanbietern und disruptive Startups, zum Beispiel sogenannte Fintechs3) , ziehen die Aufmerksamkeit durch innovative Geschäftsmodelle, Teamstrukturen und Prozesse sowie emotionale Markenführung auf sich.

Die Komplexitätsbewältigung kann nur mithilfe konkreter Aktivitäten in den vorgenannten Kompetenzfeldern erfolgen. Anderenfalls bleiben Lösungsszenarien an der Oberfläche und tragen nicht zum tief greifenden organisationalen Wandel bei. Hierzu benötigen Entscheider einen Überblick über Umfeld, Markt und Wettbewerb, digitale Best Practices und Lösungsansätze sowie eine realistische Einschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit im Hinblick auf den digitalen Reifegrad.

Zur Sicherung von Objektivität und Weitblick können externe Fachkräfte wertvolle Hilfestellung bei Gap-Analyse und Extraktion der relevanten Handlungsfelder liefern. Diese untersuchen beispielsweise die Prozesse der betroffenen Geschäftsfelder aus End-to-End-Sicht bezüglich bestehender Medienbrüche, Durchlaufzeiten, Automatisierungsgrad und Zufriedenheit der Anwender. Die digitalen Berater analysieren dabei ebenfalls, wie sich die zeitnahe Reaktion auf veränderte Kundenanforderungen durch den parallelen Einsatz von agilen und stabilen Applikationen herbeiführen lässt.

Bimodale IT und agile Business Services

Während die Kernanwendungen vieler Branchen weiterhin auf Stabilität und Sicherheit ausgelegt sind und oftmals sein müssen, steigt der Handlungsdruck vor dem Hintergrund der digitalen Transformation nicht nur von Marktseite enorm. Der scheinbare Gegensatz zwischen der Flexibilität und Agilität webbasierter Wertschöpfungsketten, sogenannter Value Chains, einerseits und der vorhersehbaren, langfristig ausgelegten IT-Governance andererseits lässt sich durch das Prinzip einer IT der zwei Geschwindigkeiten auflösen (vgl. Abbildung 3).

Die Zukunft der Informationstechnologie liegt im Kern der digitalen Transformation: leichtgewichtige, agile Services. Sie bieten die Chance, mit digitaler Innovation und Transformation Schritt zu halten. Das Zeitalter der Großprojekte geht über in ein Zeitalter der Assemblierung beziehungsweise Orchestrierung von Fast Integration Business Services. Diese überzeugen durch kurze Entwicklungs-, Rollout- und Testzyklen und somit stark reduziertem Ressourcenbedarf sowie einer vielfach schnelleren Time-to-Market (vgl. Abbildung 4).

Die Grundidee, monolithische Strukturen aufzubrechen, indem gekapselte, einfach handhabbare Applikationen zum Einsatz kommen, entstand mit der Einführung serviceorientierter Architekturen. Auf deren Prinzipien bauen Business Services auf und führen diesen Weg im Sinne der agilen Softwareentwicklung konsequent fort. Sie eignen sich insbesondere zur Implementierung von Funktionalitäten, die regelmäßigen Änderungen unterliegen, zum Beispiel mobilen Applikationen.

Die prozesszentrierten Business Services fokussieren auf spezifische funktionale Geschäftsprozesskomponenten. Sie zeichnen sich aus durch datengetriebene Schnittstellen mit wenigen In- und Outputs ohne weitere Abhängigkeiten zu spezifischen Architekturen, Systemen oder Datenbankanbindungen. Diese dezentralisierten, vernetzten Serviceplatt formen schaffen die Möglichkeit, eigenständig entwickelte Services ohne aufwendige Rekonfiguration mit kurzer Time-to-Market im Sinne der Continuous Delivery unabhängig in Produktion zu bringen (vgl. Abbildung 5, Seite 177).

So ergänzen sich spezialisierte, gekapselte Services optimal zu Applikationen, die es ermöglichen, selbst komplexe Geschäftsprozesse flexibel und individuell abzubilden. Applikationen definieren sich somit als Kollektion von Services, die über a-/synchrone Nachrichtenflüsse beziehungsweise Request-Response-Aufrufe in Verbindung stehen. Idealerweise steuert man diese Nachrichten-/ Datenflüsse über einen Enterprise Service Bus (ESB).

Eine Cloud-Infrastruktur vereinfacht die Bereitstellung und Verknüpfung der Service-Funktionalitäten. Der schlanke, genau definierte Scope und nicht vorhandene externe Abhängigkeiten unterstützen deren Skalierbarkeit und einfache Integration in bestehende Strukturen. Daraus ergibt sich die Möglichkeit, innovative Funktionalitäten basierend auf moderner Technologie mithilfe von Business Services in Legacy-Systeme (Altsysteme) zu implementieren, ohne deren Code-Basis und Funktionalität zu verändern. Neue Technologie und neuartige Features fügen sich somit nahtlos in das Gesamtbild ein.

Lückenlose Customer Journey

Auf der digitalen Reise im Internet über verschiedene Kanäle werden Kunden häufig Medienbrüche oder umständliche Prozesse mit redundanter Datenerfassung zugemutet. Lücken und Hürden in der Customer Journey verhindern einen schnellen Verkaufsabschluss. Derartige Lücken im Kundendialog findet man insbesondere dort vor, wo ein starker Kaufwunsch besteht; zum Beispiel direkt auf den Webseiten der Hersteller oder Händler. Dabei fällt auf: Die Vertriebskanäle der Hersteller und des Handels sind oftmals nur unzureichend integriert beziehungsweise nicht existent. Wären Kunden- und Angebotsdaten sowie Kontaktpunkte hingegen synchronisiert, ließe sich der Vertragsabschluss von allen Parteien optimal unterstützen.

Neben der Kooperation von Hersteller und Handel ist auch die Einbindung von weiteren Finanz- und Serviceprovidern essenziell, um dem Kunden den Kauf zu erleichtern. Produkte oder Services, kombiniert mit attraktiven verbindlichen Finanzierungs- oder Versicherungsangeboten, erhöhen die Abschlusswahrscheinlichkeit in wesentlichem Maße.

Demgegenüber steht die Tatsache, dass das Angebot an integrierten Dienstleistungen noch nicht flächendeckend in den Vertriebskanälen von Herstellern und Handel eingeführt ist. Selbst wenn sich visuelles Design und Navigationsstrukturen von Online-Angeboten verbessert haben, setzt der mangelnde Automatisierungsgrad nicht die gewünschten Preis- und Geschwindigkeitspotenziale frei.

Die Verbindlichkeit der Angebote und das Fehlen von Medienbrüchen mit dem Ziel der nahtlosen Informationsverarbeitung bilden allerdings wesentliche Vorbedingungen einer Endto-End-Optimierung der gesamten Prozesskette. Interaktive Kundennähe und Agilität in Bezug auf die Umsetzung einer zielgerichteten, integrierten Customer Journey mit dem Ziel einer höheren Abschlusswahrscheinlichkeit stellen sich als zentrale Erfolgsfaktoren für kunden- und zukunftsorientierte Unternehmen he raus.

Integration von Wertschöpfungsketten

Die nahtlose Integration von Produkt- und Service-Lieferanten macht das Beispiel der Absatzfinanzierung deutlich. Die intelligente Kombination von Vertriebskanälen zur Unterstützung der Lead4) -Identifikation und fortwährenden Begleitung der digitalen Customer Journey stellt einen wesentlichen Erfolgsfaktor für die Geschäftsentwicklung und die vollständige Umsetzung des digitalen Verkaufsraums dar. Die digitale Lead-Generierung lässt sich von agilen Business Services spezifisch und flexibel unterstützen. So bietet beispielsweise der Fast Integration Business Service "Retail Calculation Portal Snippet"5) eine individuelle, integrierte und verkaufsfördernde Dialogplattform, die auf den Webseiten der Händler und Hersteller mit individuellen Startparametern und Layout zum Einsatz kommen kann.

Der Kalkulationsservice ermöglicht nicht nur allgemeine Referenzkalkulationen von Finanzdienstleistungsangeboten. Vielmehr errechnet dieser Service unter Berücksichtigung des Bestands an Neu- und Gebrauchtwaren im Handel, kundenindividuell gewünschter Parameter, wie Anzahlung und Vertragslaufzeit, und objektspezifischer Angebote des Finanzdienstleisters, Herstellers und Händlers ein verbindliches Finanzierungsangebot. Die Kalkulation beschränkt sich dabei nicht nur auf ein Finanzprodukt, es lassen sich bis zu drei Kalkulationen gleichzeitig darstellen.

Mithilfe von Geolokalisation kann dem potenziellen Kunden ein geeigneter Händler empfohlen werden. Dieser wird nach Übertragung der Kunden-, Objekt- und Kalkulationsdaten direkt mit dem Lead Kontakt aufnehmen, die Daten nahtlos weiterverarbeiten und den Verkaufsprozess effizient abschließen. Eine redundante Datenerfassung wird vermieden, da der Händler bereits die online zur Verfügung gestellten Daten erhalten hat. Die Generierung von Leads beziehungsweise die Abschlussquote wird erhöht und die bisherige Prozesslücke zwischen den Webseiten der Hersteller und Händler geschlossen. Schließlich steigert das erweiterte und integrierte Finanzierungsangebot die Kundenzufriedenheit, und die grundlegenden digitalen Kundenanforderungen werden vollumfänglich bedient: informieren, vergleichen und abschließen.

1) Harvard Business Manager (2013). Was sich ändern muss. http://www.harvardbusinessmanager.de/blogs/a-898305.html

2) Volatilität, Unsicherheit, Komplexität, Ambiguität.

3) Finanztechnologie (verkürzt Fintech beziehungsweise "FinTec").

4) Lead = Qualifizierter Interessent.

5) AFB Application Services AG.

DER AUTOR:

Enrico Moritz, München, arbeitet seit 2004 bei der AFB Application Services AG, derzeit als Manager Business Development und Consulting. Vor AFB war er im Bereich Requirements Engineering und Software Development unter anderem in den USA tätig.E-Mail: moritz.enrico[at]afb[dot]de

Weitere Artikelbilder

Noch keine Bewertungen vorhanden


X