Die Zukunft der Finanzwirtschaft ist digital

Fintechs als strategische Partner für Finanzinstitute

Jens Spahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen

Quelle: Bundesministerium der Finanzen

 

Die Digitalisierung sorgt für einen dynamischen Wandel in der Finanzwirtschaft. Dem müssen sich etablierte Finanzdienstleister stellen, wenn sie die Zukunft mitgestalten wollen. Innovationsund Digitalisierungsstrategien sind daher keine Option, sondern ein Muss. Die Bundesregierung trägt ihren Teil dazu bei, dass die Rahmenbedingungen stimmen. Unser Ziel ist es, Deutschland zum Fintech-Hub Nummer eins in Europa zu machen.

Nahezu alle Lebensbereiche werden von der Digitalisierung berührt. Sie führt zu spürbaren Veränderungen in Gesellschaft und Wirtschaft. Auch im Finanzsektor sind die Effekte der Digitalisierung deutlich sichtbar. Online-Plattformen ermöglichen die Kreditvergabe direkt zwischen Personen, Smartphones ersetzen die Geldbörse und Robo-Advisor den Anlageberater.

In den letzten Jahren haben Fintechs enorm an Schwung und Attraktivität gewonnen. Die Branche weist eine hohe Wachstumsdynamik auf. Das zeigen auch die Ergebnisse der Fintech-Studie, die das Bundesfinanzministerium in Auftrag gegeben hat1) (siehe auch Sudahl, Seite 104 ff.). Robo-Advisor, alternative Bezahlverfahren, Crowdfunding-Plattformen gewinnen stetig an Bedeutung. Darüber hinaus stehen neue Technologien wie Blockchain und Künstliche Intelligenz in den Startlöchern. Mittelfristig können die Auswirkungen dieser technologischen Entwicklungen enorm sein.

Kooperation statt Abwehrkampf

Dem dynamischen Wandel der Branche müssen sich die etablierten Finanzdienstleister stellen. Denn die technologischen Entwicklungen verändern nicht nur das klassische Bankgeschäft und die Erwartungshaltung der Menschen an Finanzdienstleister, sie verändern auch, wie Menschen Finanzdienstleistungen verstehen und nutzen und wem sie ihr Geld anvertrauen. Banken, Versicherungen und Vermögensverwalter müssen der Digitalisierung mit Offenheit begegnen und dürfen Fintechs nicht als Bedrohung ansehen, sondern als strategische Partner. Das haben in der Finanzwirtschaft viele verstanden. 87 Prozent der an unserer Fintech-Studie beteiligten Banken sind kooperationsbereit.

Fintechs und etablierte Banken wachsen bereits verstärkt zusammen und profitieren voneinander, statt Herausforderer oder Konkurrenten zu sein. Fintechs haben häufig die innovativen Ideen. Sie sind agil und schlank strukturiert, können schnell auf neue Marktbedingungen eingehen und technologische Entwicklungen aufgreifen. Auch verstehen sie sich darin, Produkte oder Dienstleistungen passgenau auf die Kundenbedürfnisse zuzuschneiden. Denn oftmals geht es bei technologischen Finanzinnovationen nicht um gänzlich neue Produkte, sondern um die Art und Weise, wie der Zugang zu altbekannten Finanzdienstleistungen einfacher gestaltet wird.

Etablierte Finanzdienstleister bringen ebenfalls einige Aktivposten in eine produktive Partnerschaft ein. Sie haben langjährige Erfahrung, eine große Kundenbasis, regulatorisches Know-how und - zumindest in Deutschland - immer noch einen Vertrauensvorsprung gegenüber Technologieunternehmen.

Regulieren, fördern, kommunizieren

Die digitale Transformation des Finanzsektors mit seinen neuen Marktteilnehmern stellt auch den Gesetzgeber vor neue Herausforderungen. Daher braucht es faire Regeln und einen fairen Wettbewerbsrahmen mit Raum für Innovationen und Gründergeist, ohne dabei die Risiken für die Nutzer und die Finanzstabilität aus dem Blick zu verlieren. Die Bundesregierung setzt auf einen Dreiklang aus Regulierung, Innovationsförderung und Kommunikation.

Die Finanzmarktregulierung dient vorrangig der Gewährleistung der Finanzmarktstabilität - nicht der Förderung von Innovationen. Gleiche Geschäfte mit gleichem Risiko sollten gleich reguliert sein, unabhängig davon, ob sie von einem etablierten Finanzdienstleister oder von einem Start-up angeboten werden. Gleichwohl wird bei der Gesetzgebung und dem Vollzug darauf geachtet, dass wir den unterschiedlichen Risiken und Komplexitätsgraden verschiedener Geschäftstätigkeiten Rechnung tragen. So verfügt der bestehende Regulierungsrahmen für Finanzdienstleistungen vielfach bereits über eine gewisse Flexibilität, um Raum für Innovation zu schaffen, zum Beispiel mit Ausnahmen für risikoarme Geschäftsaktivitäten. Auch werden beim Entwurf von Gesetzen digitale Lösungen immer häufiger mitgedacht. Prozesse für Registrierung und Identifizierung sollten möglichst digital, ohne Medienbrüche ablaufen können. Dieser Ansatz wurde beispielsweise mit der europäischen Zahlungskontenrichtlinie verfolgt. So kann der Kontowechsel vollständig digital in der Onlinebanking-Anwendung initiiert werden.

Ein weiterer wichtiger Bereich ist die Innovationsförderung, beispielsweise im Bereich Wagniskapital. Hier hat die Bundesregierung im Jahr 2016 unter anderem zwei neue Fonds aufgelegt: den Coparion-Fonds und die ERP/EIF-Dachfonds. Diese ergänzen bestehende Programme, wie etwa den High-Tech-Gründerfonds. Daneben kann die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) mit dem ERP-Fondsinvestmentprogramm seit Jahresbeginn neben Venture-Capital-Fonds auch Venture-Debt-Fonds kofinanzieren.

Auch bei der großvolumigen Anschlussfinanzierung wurde schon einiges verbessert: Die steuerliche Verrechnung von Verlusten bei Körperschaften wurde neu ausgerichtet. Unternehmen, die für ihre Finanzierung auf die Neuaufnahme oder den Wechsel von Anteilseignern angewiesen sind, können nicht genutzte Verluste steuerlich berücksichtigen, sofern sie denselben Geschäftsbetrieb nach einem Wechsel der Anteilseigner fortführen und eine anderweitige Verlustverrechnung ausgeschlossen ist. Derzeit arbeitet das Bundesfinanzministerium gemeinsam mit der KfW an der Errichtung eines Tech-Growth-Fund, aus dem förderungswürdige Unternehmen in der Wachstumsphase Venture Debt für ihre Anschlussfinanzierungen erhalten können. All diese Maßnahmen tragen dazu bei, dass schnell wachsenden innovativen Unternehmen in allen Phasen ihrer Entwicklung ausreichend Kapitalquellen zur Verfügung stehen.

Neben Innovationsförderung setzt die Bundesregierung auf eine Stärkung der Kommunikation zwischen innovativen Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen. Wir haben im März dieses Jahres den Fintech-Rat gegründet, um die digitale Transformation des Finanzsektors durch Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Behörden begleiten zu lassen. Der praxisbezogene Dialog leistet einen wichtigen Beitrag zu einem besseren Verständnis für technologische Entwicklungen und ihre Potenziale, Chancen und Risiken. Dieser Austausch ist wichtig, damit der Staat zukunftsweisende Technologien nicht - vielleicht ohne es zu merken - behindert, sondern deren Entwicklung konstruktiv fördert und potenzielle Risiken frühzeitig erkennt.

Die aktuellen Transformationsprozesse bringen enorme Chancen, aber auch neue Herausforderungen. Der Standort Deutschland ist für die digitale Zukunft gut aufgestellt. Dazu leistet die Bundesregierung ihren Beitrag. Jetzt ist es an etablierten Finanzdienstleistern und Fintechs, die Chancen der Digitalisierung zu nutzen.

1) Abrufbar unter: www.bundesfinanzministerium.de

DER AUTOR: Jens Spahn, Berlin,ist seit 2015 Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesministerium der Finanzen (BMF) und Mitglied des Bundestags. Unter Spahns Vorsitz hat das BMF einen Fintech-Rat ins Leben gerufen, der das Ministerium zu Fragen der digitalen Finanztechnologie, insbesondere zu (informations-)technologischen Entwicklungen, ihren Potenzialen sowie zu Chancen und Risiken beraten soll. Der Rat tagte erstmals am 22. März 2017.
BMF-Studie zu Fintechs Die vom BMF beauftragte Studie schätzt das potenzielle Marktvolumen für die Fintech-Segmente Finanzierung und Vermögensmanagement auf rund 1,7 Billionen Euro im Jahr 2015. Dabei entfällt der Löwenanteil mit etwa 1,3 Billionen Euro auf das Vermögensmanagement. Rund 1,2 Millionen Deutsche nutzten im Jahr 2015 bereits unabhängige Personal-Financial-Managementsysteme, um ihre persönlichen Finanzen zu verwalten. Weitere 380 Milliarden Euro werden dem Segment Finanzierung zugerechnet.Dem Teilsegment Kredite und Factoring bescheinigt die BMF-Studie im Jahr 2015 ein Volumen an finanzierten Krediten von rund 140 Millionen Euro. Das angekaufte Forderungsvolumen wird auf mehr als 500 Millionen Euro beziffert. Im Jahr 2015 sind insgesamt 14 Fintech-Unternehmen im Teilsegment Kredite und Factoring aktiv, je hälftig im Factoring und in der Kreditvergabe sowohl an Privatpersonen als auch an Unternehmen.Die ersten Fintech-Unternehmen für das Teilsegment Kredite und Factoring waren bereits 2012 marktaktiv. Banken und Mittelständler können beispielsweise auf der Plattform des Factoring-Unternehmens Debitos ihre notleidenden Forderungen und Kredite versteigern. Weitere Fintechs, die über das Internet klassische Factoring-Lösungen anbieten, nahmen ihre Geschäftstätigkeit auf. Im Vergleich zu traditionellen Factoring-Gesellschaften fokussieren sich diese auf kleinere Forderungsvolumina.Im Kreditsegment startete 2012 als erstes Unternehmen Vexcash. Für Privatpersonen bietet dieses Internetportal Kleinstkredite mit einer Laufzeit von bis zu 30 Tagen bei schneller Kreditentscheidung und -auszahlung. Die Kredite werden wiederum an eine Partnerbank vermittelt. Inzwischen traten mehrere Fintech-Unternehmen mit teilweise sehr unterschiedlichen Geschäftsmodellen auf den Markt. Das Angebot umfasst Online-Pfandhäuser oder Portale zur Vermittlung von Mittelstandskrediten. keg
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