Ausnahmezustand

Philipp Otto, Chefredakteur FLF, FRANKFURT AM MAIN Foto: FKV

Deutschland befindet sich im Ausnahmezustand. Die Bekämpfung der Ausbreitung des Corona-Virus hat Politik, Gesellschaft und Wirtschaft fest im Griff. Schulen und Kitas sind dicht, der Aufenthalt im Freien ist nur in Kleingruppen erlaubt oder sogar ganz verboten, Büros sind verwaist, Gastronomie- und Dienstleistungsbetriebe geschlossen. Rund 480 000 Unternehmen befanden sich vor Ostern in Kurzarbeit, davon betroffen ist der Rekord von mehr als 2,4 Millionen Arbeitnehmern.

All das hat Folgen, gesellschaftlich wie wirtschaftlich. So wird die Wirtschaftsleistung in Deutschland laut einem aktuellen Expertengutachten in diesem Jahr als Folge der Corona-Pandemie um 4,2 Prozent einbrechen. In der vor Ostern veröffentlichten Gemeinschaftsdiagnose "Wirtschaft unter Schock - Finanzpolitik hält dagegen", die von den führenden Wirtschaftsforschungsinstituten erarbeitet wurde, heißt es: "Die Corona-Pandemie löst eine schwerwiegende Rezession in Deutschland aus." Bereits im ersten Quartal 2020 dürfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 1,9 Prozent geschrumpft sein, so die Schätzung. Im zweiten Quartal gehen die Experten von einem Rückgang als Folge des Shutdowns um 9,8 Prozent aus. Laut Gutachten ist dies der stärkste seit Beginn der Vierteljahresrechnung im Jahr 1970 gemessene Rückgang in Deutschland und mehr als doppelt so groß wie jener während der Weltfinanzkrise im ersten Quartal 2009.

Doch Deutschland bringt gute Voraussetzungen mit, den wirtschaftlichen Einbruch zu verkraften: Bereits im kommenden Jahr rechnen die Wirtschaftsforschungsinstitute mit einer weitgehenden Erholung des BIP und erwarten ein Wachstum von 5,8 Prozent. Eine wichtige Rolle spielen dabei die Hilfspakete von Bund und Ländern. Als Retter hat der Staat sich zweifelsohne erwiesen. Doch die vergangenen Jahre lassen Bedenken daran aufkommen, dass er auch eine treibende Kraft bei einer Rückkehr aus dem Konjunkturtal spielen kann. Staatliche Konjunkturprogramme werden sehr skeptisch betrachtet. Der öffentliche Investitionsstau ist enorm. Doch genau darauf wird es "Nach-Corona" ankommen: Dass mit staatlichen Programmen die Wirtschaft angekurbelt wird, dass die öffentliche Hand ihrer Rolle als Antreiber und Investor nachkommt. "So viel Markt wie möglich, so viel Staat wie nötig" ist eine oftmals gebrauchte Aussage im Zusammenhang mit der Sozialen Marktwirtschaft. Man darf sicher sein, dass es künftig "mehr Staat" heißen muss. Und selbst das wird eine große Pleitewelle nicht verhindern können. Auch da sollte man ehrlich bleiben.

Für die deutschen Finanzdienstleister ist die gegenwärtige Situation Chance und Risiko zugleich. Sie sind anders als 2008 Teil der Lösung und nicht Teil des Problems und können durch ihr Wirken Vertrauen zurückgewinnen. Gleichzeitig ist es eine große Herausforderung, den eigenen Betrieb am Laufen zu halten und für die Kunden da zu sein. Und die negativen Folgen der Corona-Krise werden sich unweigerlich und heftig in den Bilanzen verewigen. Zum Glück haben die Institute in den vergangenen Jahren konservativ gewirtschaftet, fleißig thesauriert und verfügen über ausreichend Kapitalpolster. Aber "Fünfe gerade sein lassen", wie es Bundesfinanzminister Olaf Scholz gefordert hat, sollte man auf gar keinen Fall. Sonst wird in einigen Jahren wieder über Schieflagen von Finanzdienstleistern gelästert werden.

Philipp Otto , Geschäftsführer, Verleger, Chefredakteur , Verlag Fritz Knapp, Verlag Helmut Richardi, Verlag für Absatzwirtschaft
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