Corona-Lehren

Philipp Otto, Chefredakteur FLF, FRANKFURT AM MAIN Foto: Verlag Fritz Knapp GmbH

Vor gut einem Jahr änderte sich viel, fast alles. Deutschland stand auf einmal still. Am 22. März 2020 reagierte die Bundesregierung auf die steigenden Infektionszahlen, die ersten Toten im Zusammenhang mit Covid-19 in Deutschland und verkündete einen Lockdown. Mehr als ein Jahr und mehrere Lockdowns später hat Covid-19 immer noch alles im Griff und beherrscht Politik und Gesellschaft, Volkswirtschaft und Wirtschaft. Doch es gibt auch interessante Erkenntnisse.

Erstens: So wertvoll und segensreich die föderale Vielfalt in Deutschland unbestritten ist, in Krisenzeiten erweist sich diese Stütze der deutschen Demokratie als zu schwerfällig und hinderlich. Die Schulen sind nur ein Beispiel dafür. Viel zu spät wird nun endlich über mehr Eingriffsmöglichkeiten des Bundes und bundeseinheitliche Regelungen in solchen Ausnahmezeiten gesprochen, die natürlich nicht zu einer neuerlichen Zentralverwaltung führen dürfen. Doch eine klare Perspektive und ein Ende der Vielstimmigkeit wären wichtig für das Vertrauen in die Politik.

Zweitens: Man mag den Eindruck gewinnen, Boris Johnson hätte alles richtig gemacht. Denn die EU-Politiker, die Großbritannien für den Brexit jahrelang kritisiert haben, werden derzeit von ihm vorgeführt. Es ist müßig zu fragen, ob Deutschland allein besser dastehen würde? Aber die aktuelle Lage zeigt einmal mehr die Schwierigkeiten eines äußerst komplexen und heterogenen Europas, bei all den Vorzügen einer vereinten Staatengemeinschaft.

Drittens: Die IT-Systeme der deutschen Finanzdienstleister sind besser als ihr Ruf. Denn es ist gelungen, innerhalb kürzester Zeit Tausende von Mitarbeitern in das Homeoffice zu entsenden, digitale Beratungsformate zu entwickeln, den Filialvertrieb dank starker virtueller Unterstützung aufrechtzuerhalten. Aber die Anforderungen bleiben hoch. Entsprechend muss weiter kräftig in die IT und die zugehörigen Spezialisten investiert werden. Ganz ohne persönliche Kontakte wird Bankgeschäft aber auch in absehbarer Zeit noch nicht funktionieren.

Viertens: Die deutschen Finanzdienstleister können sich auf ihre äußerst stabilen Kundenbeziehungen verlassen. "Banking is necessary, banks are not!" Je mehr die digitale Evolution voranschreitet, desto mehr Wahrheit scheint dieser berühmte Ausspruch von Microsoft-Gründer Bill Gates aus den 90er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts zu bekommen. Und doch hat sich auch in dieser Krise, das altbekannte Muster offenbart: Wenn die Kanonen donnern, halten die Menschen an Bewährtem fest. Entsprechend durften sich die Institute in Deutschland in den vergangenen Monaten einer innigen Zuneigung erfreuen, die das Neugeschäft trotz wachsender Unsicherheit keineswegs einbrechen ließ.

Krise ist bekanntermaßen immer Chance und Risiko zugleich. Die Finanzdienstleister in Deutschland müssen sich weiter wandeln, müssen Prozesse optimieren, Geschäftsmodelle und Angebote überdenken und verschlanken, Kooperationen und Fusionen prüfen und die Arbeitsteilung vorantreiben. Doch auch Politik und Aufsicht müssen ihre Ansprüche an die Institute überdenken. Denn ohne Finanzdienstleister geht es in der Bundesrepublik nicht.

Philipp Otto , Geschäftsführer, Verleger, Chefredakteur , Verlag Fritz Knapp, Verlag Helmut Richardi, Verlag für Absatzwirtschaft
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