Gefährliche Zurückhaltung

Philipp Otto

Seit Monaten pumpt die Europäische Zentralbank Unmengen von Geld in den Markt, um die Inflationsrate im Euroraum wieder auf einen Wert um die zwei Prozent zu katapultieren - und erntet dafür viel Kritik. Das lässt sich aushalten, solange die unkonventionellen Maßnahmen die gewünschte Wirkung entfalten. Das tun sie aber nur bedingt. Die Inflationsrate lag mit 0,2 Prozent im Dezember zwar immerhin wieder im positiven Bereich, ist aber weit von den Zielwerten entfernt. Und nun scheint auch noch die Kreditvergabe, der wichtigste Kanal im Kampf gegen die Miniinflation, zu versagen. Zwar lag die gesamte Kreditvergabe im Euroraum laut EZB-Angaben im Dezember um 2,3 Prozent höher als im Vorjahresmonat.

Spürbar eingetrübt hat sich dagegen die Finanzierung von Unternehmen, die Jahreswachstumsrate des Bestands der an nichtfinanzielle Unternehmen vergebenen Kredite lag nur noch bei 0,3 Prozent. Das Neugeschäft war sogar rückläufig. Dabei sah es bislang doch so gut aus: Bis Ende November 2015 wuchsen die Kundenkredite der Banken im Euroraum auf 16 774,3 Milliarden Euro. Im Vergleich zu Ende November 2014 bedeutet das einen Zuwachs um 3,4 Prozent. Das ist das stärkste Kreditwachstum seit 2011. Und noch im Oktober zeigten sich Europas Banken im Hinblick auf die Entwicklung der Kreditnachfrage in den kommenden Monaten weiterhin zuversichtlich.

Die Kreditnachfrage ist im Moment aber nicht mehr vorhanden. Die Unternehmen schauen abwartend auf die Schwierigkeiten im internationalen Umfeld und die immensen Marktverwerfungen seit Anfang des Jahres. Die zunehmenden Spannungen innerhalb Europas wegen der Flüchtlingskrise, der trotz der Brüsseler Einigung immer noch drohende "Brexit", die Konflikte in Nahost, der anhaltende Streit Europas mit Russland, das Nachlassen des chinesischen Wirtschaftswachstums, der Einbruch an den Aktienmärkten, all das sind Probleme, die das Potenzial haben, zu eskalieren und die Wachstumsaussichten in Europa und der Welt deutlich zu dämpfen. Hinzu kommt der Verfall des Ölpreises, dessen positive Wirkungen - geringere Kosten für die Unternehmen und mehr Geld für den Konsum bei den Verbrauchern - sich mittlerweile in das Gegenteil umkehren. Denn die Erdöl exportierenden Länder fallen sowohl als Konsumenten für Maschinen und Anlagen als auch als Investoren mehr und mehr aus.

Dementsprechend halten sich derzeit Unternehmen mit Investitionen weiter zurück und fragen weniger Kredite nach. So entsteht eine gefährliche Spirale, denn dadurch könnte sich die EZB auf ihrer kommenden Sitzung zu einer weiteren Lockerung der Geldpolitik entschließen und beispielsweise den Strafzins für Anlagen der Banken bei der Notenbank weiter erhöhen. Zudem könnten Banken dazu veranlasst werden, ihre Kreditvergabestandards weiter zu lockern, um wenigstens ein bisschen Marge zu erzielen. Doch damit würde der Aufschwung nicht beflügelt, nur das "zinslose Risiko" würde weiter steigen. Und der Investitionsstau wird so auch nicht aufgelöst werden. Wahrlich keine guten Aussichten.

Philipp Otto, Chefredakteur FLF, Frankfurt/M.

Philipp Otto , Geschäftsführer, Verleger, Chefredakteur , Verlag Fritz Knapp, Verlag Helmut Richardi, Verlag für Absatzwirtschaft
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