Digitalisierung: Der erzwungene Sprung nach vorn

Dr. Susanne Hügel, Foto: CBRE

Noch vor wenigen Wochen wurde der sprichwörtliche Blick in die Glaskugel innerhalb der Digitalisierungsdebatte ausgiebig zelebriert. Das Prognostizieren, wann denn etwa die Immobilientransaktion oder der Vermietungsprozess völlig durchdigitalisiert, automatisiert und ohne Intermediär ablaufen werden, hatte jedoch stets auch eine Spur Eskapismus. Manchmal, so schien es, philosophierte man lieber über die Technologien der Zukunft, als das umzusetzen, was bereits heute möglich wäre. Die aktuelle Situation hat dies grundlegend geändert. Wir müssen den akuten Digitalisierungsfragen nicht mehr hinterherlaufen, vielmehr brechen sie gerade über die Branche herein. Besonders in Zeiten gebeutelt von Umbruch und Rezession werden die Unternehmen gestärkt hervorgehen, die die größte Flexibilität und Innovationskraft an den Tag legen. Die dafür nötige Anpassungsfähigkeit ist angesichts der Einschränkungen im öffentlichen und sozialen Leben vor allem digitaler Natur.

Diese Ausgangssituation und die Notwendigkeit der Adaption, für die es mehrere gute Zitate aus der Evolutionstheorie von Charles Darwin gäbe, bergen aber tatsächlich auch Chancen für die digitale Weiterentwicklung der gesamten Branche. Kleine wie große, lokale wie internationale Unternehmen stehen vor der Notwendigkeit, ihren Arbeitsalltag digital abzubilden. Es handelt sich nicht mehr um einen Akt der Freiwilligkeit, der maßgeblich vom Budget und Investitionswillen abhängt - wir müssen uns jetzt alle mit den Digitalfragen auseinandersetzen, so schnell wie möglich Antworten finden und uns praktikable digitale Ökosysteme aufbauen. Das hat zur Folge, dass die Branche einen Sprung nach vorn macht - weil sie muss. Dadurch, dass alle fast schon zu mehr Digitalität gezwungen werden, schmälert sich die Kluft zwischen kleineren und größeren Akteuren, wird die atomisierte Branche digital einheitlicher und der Interoperabilität ein höherer Stellenwert verliehen. Denn wer jetzt nicht digitalisiert, bleibt zurück und kann sich beispielsweise nicht vernünftig an Großprojekten mit mehreren Unternehmen beteiligen.

Ein Bereich, der sich als anschauliches Beispiel heranziehen lässt, ist das Building Information Modeling (BIM). Noch vor wenigen Monaten war eine beliebte KO-Frage, wer den größten Nutzen durch den Einsatz von BIM hat und wer eigentlich dafür bezahlt. Problematischerweise war dies nicht immer ein- und dasselbe Unternehmen. Deshalb wurde im Tagesgeschäft eben doch in Kauf genommen, dass ein Projektteilnehmer womöglich nicht das neueste 3D-Modell erhalten hat - oder dass lieber Excel-Sheets durch den Äther geschickt wurden anstatt die Daten über eine einheit liche digitale Plattform zu teilen. Diese Zeiten sind jetzt endgültig vorbei.

Dr. Susanne Hügel, Head of Digital Innovation & Business Acceleration Continental Europe, CBRE GmbH, Frankfurt am Main

Dr. Susanne Hügel , Associate Director EMEA Digital Innovation, CBRE Germany, Frankfurt am Main, und Research Fellow, EBS Universität, Wiesbaden
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