Digitalisierung: zuweilen kontraproduktiv

Ron Hess
Quelle: on-geo

Nicht digital genug, nicht agil genug, nicht schnell genug - Kritik dieser Art an Deutschlands Ämtern hat inzwischen fast schon Tradition. Mit der Corona-Pandemie hat sie vielerorts eine neue Qualität erreicht. Schelte kommt häufig auch von der Immobilienbranche. Sie mag in der Sache zutreffend sein. Doch wer Missstände thematisiert, sollte auch Lösungen anbieten. Wohlgemerkt Lösungen, die Verbesserungen herbeiführen, statt Frust hervorzurufen, wie ich es derzeit verstärkt in Behörden und Ämtern beobachte. Einige mögen jetzt als positive Beispiele Start-ups anführen, die angetreten sind, um etwa die Dokumentenabfrage bei Behörden zu revolutionieren. Meiner Beobachtung nach wird die Situation durch diese Angebote jedoch eher verkompliziert. Auf Knopfdruck bieten junge Unternehmen Grundbuchauszüge, Alt- und Baulastenauskünfte oder Katasterpläne - und Immobilienunternehmen dadurch enorme Kosten- und Zeitersparnisse. Ja, auf Kundenseite genügt ein Klick. Am anderen Ende der Leitung setzt er jedoch einen Prozess in Gang, der häufig weder (vollkommen) digital ist oder zum gegenwärtigen Zeitpunkt sein kann noch zum ersten Mal durchlaufen wird. Konkret: Für die Mitarbeitenden in den Behörden und Ämtern kommen einfach neue Ansprechpartner hinzu, neue organisatorische Schnittstellen, neue Prozesse.

Doch dass ein Dokument als Scan beim Auftraggeber ankommt, ist noch längst nicht mit der Digitalisierung der Dokumentenabfrage gleichzusetzen, geschweige denn mit der Digitalisierung von Behörden. Mehrwert entsteht erst dann, wenn es gelingt, ursprünglich analoge Informationen digital in bestehende Geschäftsprozesse zu überführen. Bei Grundbüchern können das digitalisierte Auszüge in Form von XML-Dateien sein, die über Schnittstellen eine direkte, im besten Falle automatisierte Verarbeitung im Datensystem des Empfängers ermöglichen. Aus Sicht des Mittlers zwischen Amt und Kunde ist jedoch auch das nur die Pflicht. Die Kür liegt darin, die Informationen bereits elektronisch zu beziehen. Und dafür genügen Softwarelösungen allein nicht. Gerade weil die Bedingungen in deutschen Amtsstuben regional und manchmal auch von Büro zu Büro in einer Abteilung so unterschiedlich sind, braucht es auch Fingerspitzengefühl, um die Digitalisierung voranzutreiben. Wir adressieren mit Kritik und Lösungen eben keine anonymen Institutionen, sondern Menschen. Da ist es ebenso hilfreich, die Pausengewohnheiten von Ansprechpartnern zu kennen wie eine Software programmieren zu können.

Ron Hess, Teamleiter Vertrieb/Marketing, on-geo GmbH, Erfurt

Ron Hess , Leiter Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit , on-geo GmbH, Erfurt
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