Bitte keine Panik-Mache

Philipp Otto

Rund eine halbe Milliarde Euro - so viel hat ein amerikanischer Analyst der US-Investmentbank Merrill Lynch mit seiner Einschätzung zum deutschen Wohnimmobilienmarkt an einem einzigen Tag an Börsenwert allein in Deutschland vernichtet. Betroffen waren die meisten der börsennotierten Immobilien-Aktiengesellschaften. Vonovia, der Branchenprimus beispielsweise, verlor im Dax rund 1,3 Prozent und büßte damit mehr als 200 Millionen Euro Marktkapitalisierung ein. Zur Begründung seiner Einschätzung schrieb der Analyst, das Wachstum der Häuserpreise werde nicht auf dem Niveau wie bisher von fünf bis sechs Prozent pro Jahr weitergehen. Zum einen werden sich die Finanzierungsbedingungen nicht noch weiter verbilligen, da die EZB ihren Spielraum an Zinssenkungspotenzial weitestgehend ausgereizt hat.

Zum anderen sei davon auszugehen, dass sich die deutschen Parteien im Vorfeld der Bundestagswahl im Herbst kommenden Jahres verstärkt dem Thema "bezahlbaren Wohnraum" zuwenden werden und daher mit Gegenwind aus der Politik zu rechnen sei. Daher werde die Nachfrage nach Wohnungsprivatisierungen zurückgehen, was das Wachstumspotenzial der Branche einschränke.

Die heftige Marktreaktion zeigt zum einen die unbegrenzte Macht der (hoffentlich) unabhängigen Analysten. In einer Zeit, in der alles handelbar und bewertbar sein muss, in der innerhalb von Millisekunden Milliarden bewegt, gewonnen und verloren werden, kann der normale Mensch den Überblick nicht mehr behalten. Er sucht daher Rat bei vermeintlichen Spezialisten und glaubt deren Einschätzungen. Dieses Phänomen ist keineswegs neu, schon große Herrscher der vergangen Jahrhunderte vertrauten auf Zauberer und Hexen, zogen sich zurück wenn die Runen ungünstig fielen oder griffen an, wenn die Vögel günstig flogen. Sie zeigt aber auch ein Grundproblem der Immobilienaktiengesellschaften, vor allem der großen Spieler. Deren Wertsteigerungspotenzial, ihre Wachstumsstory für die Investoren, ist beschränkt. Aus dem Bestand heraus lassen sich keine Renditeversprechen von fünf Prozent und mehr halten. Egal wie viel modernisiert wird, egal wie viele Synergien auf der Kostenseite gehoben werden können dank besserer Technik beispielsweise, egal wie viel die Mieten trotz der verschiedensten gesetzlichen Beschränkungen doch noch erhöht werden können. Ob die Mietpreisbremse zu einfach zu umgehen ist, wird aktuell wieder intensivst diskutiert. Und selbst die Strategie "zufriedener Mieter", die möglichst viele weitere Dienstleistungen von den Wohnungskonzernen in Anspruch nehmen, wie Ablesedienste oder ähnliches, hat schnell ihre Grenzen. Um die Aktionäre bei Laune zu halten und vor allem auch neue Eigenkapitalinvestoren zu begeistern, muss also eine bessere Geschichte her. Das heißt vereinfacht: Ohne Übernahmen geht es nicht! Da nimmt man mal hier und da ein größeres Portfolio, aber noch lieber natürlich gleich ein ganzes Unternehmen mit einem ganzen Bestand. Der Weg der ehemaligen Deutsche Annington zeigt beispielhaft, wie erfolgreich man damit sein kann: Hier führte aggressives externes Wachstum bis in den Dax, als erste Immobilienaktiengesellschaft überhaupt.

Als Vonovia-Chef Rolf Buch dann im Frühjahr nach der gescheiterten Übernahme der LEG verkündete, man werde sich zunächst auf internes Wachstum konzentrieren, haben viele das zwar gehört, aber nur wenige haben es geglaubt. Zu Recht, wie sich nur wenige Monate später herausstellte, als Buch getreu dem Motto von Altkanzler Adenauer ("Was kümmert mich mein dumm´ Geschwätz von gestern") stolz verlauten ließ, man sei auf besten Wege die Conwert zu übernehmen. Daran hatten sich zuvor schon die Deutsche Wohnen und die Adler Real Estate vergeblich versucht, beide scheiterten am Votum der Aktionäre der Österreicher. Immobilienaktiengesellschaften sind zum Wachstum verdammt. Gut, solange es noch genug zu konsolidieren gibt.

Aber noch einmal zurück zu der Studie von Merrill Lynch: Von Januar bis Juli wurde der Bau von mehr als 213 000 neuen Wohnungen genehmigt, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Das sind 26 Prozent mehr als im Vorjahr - und es ist der höchste Wert seit 16 Jahren. Klar: Genehmigt ist noch nicht gebaut. Und ob der Immobilienmarkt das Rekordtransaktionsvolumen von 214 Milliarden Euro (+ 16 Prozent) aus dem vergangenen Jahr dauerhaft so bei behalten kann, darf sicherlich bezweifelt werden. Aber es gibt ohne Frage Märkte mit deutlich schlechteren Perspektiven als die deutschen Wohnungs- und Immobilienmärkte.

Philipp Otto , Geschäftsführer, Verleger, Chefredakteur , Verlag Fritz Knapp, Verlag Helmut Richardi, Verlag für Absatzwirtschaft
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