IMMUN?

Philipp Hafner, Quelle: Verlag Helmut Richardi

Was könnte schöner sein als der Frühling an der Côte d'Azur? Wenn es in Nordeuropa noch grau und trist ist, präsentiert die Natur an dem Küstenstreifen im Südosten Frankreichs bereits ihre ganze Pracht. Das satte Gelb der Mimosen erfüllt die Luft mit betörendem Duft und sorgt in Kombination mit dem azurblauen Himmel und Mittelmeer für ganz besondere Farbspiele. Kein Wunder, dass Kreative hier seit jeher Inspiration für ihre Schaffenskunst suchen und diese regelmäßig auch finden. Man denke nur an Matisse, Renoir und Picasso, die im "Vorraum zum Paradies" (Cees Nooteboom) einige ihrer bekanntesten Werke erschufen. Und auch mit Blick auf die High Society der Immobilienszene dürfte es kein Zufall sein, dass sie sich seit nunmehr 31 Jahren Anfang März in Cannes zur Marché International des Professionnels de l'immobilier, kurz MIPIM, versammelt.

Die Wetterprognosen für die diesjährige Auflage sind einmal mehr hervorragend, strahlender Sonnenschein bei angenehmen Temperaturen erwartet die schätzungsweise 26 800 Messebesucher. Unbeschwerte Frühlingsgefühle werden sich wohl trotzdem nicht breitmachen, denn das Schaulaufen der internationalen Immobilienbranche findet heuer unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen statt: Unter anderem wird ein verstärktes Aufgebot von medizinischen Teams präsent sein und zahlreiche Hinweisschilder an Eingängen und Toiletten sollen die Teilnehmer für Hygienemaßnahmen sensibilisieren. Grund dafür ist natürlich die Sorge vor einer weiteren Ausbreitung des Coronavirus. Diese hatte zuletzt bekanntlich schon einigen Großmessen das Geschäft verhagelt. Die Konsequenzen reichten von in Scharen fernbleibenden Ausstellern und Besuchern bis hin zu kompletten Absagen.

Zu einem derart radikalen Schritt sah sich der MIPIM-Veranstalter Reed MIDEM indes nicht genötigt. Zwar ist auch in Cannes das Publikum international geprägt, das Gros wird jedoch europäisch sein. So erklärte Reed MIDEM auf Nachfrage, dass wie bereits im Vorjahr lediglich eine Handvoll Anmeldungen aus China eingegangen seien. Trotzdem hat Wachsamkeit verständlicherweise höchste Priorität. Gut möglich also, dass sich die Immobilienprofis auf Verzögerungen beim Einlass zur Messe einstellen müssen. Zeit, die dennoch produktiv genutzt werden könnte, etwa um sich über die potenziellen Auswirkungen von "Covid-19" auf die Immobilienmärkte auszutauschen. Dass das gar nicht so einfach ist, zeigt die bereits in vollem Gang befindliche Debatte über die Konjunkturrisiken. Vermutlich war das alte Bonmot "Frage zwei Ökonomen und du erhältst drei Meinungen" noch nie zutreffender als hier. Das Spektrum der Prognosen reicht von einem kurzfristigen, weitgehend auf China beschränkten "Q1-Dip", der in den Folgequartalen problemlos aufzuholen sei, bis hin zu regelrechten Untergangsszenarien, denen zufolge das Virus sich als neuer "Lehman-Moment" erweisen könnte.

Es wird zwar noch einige Zeit vergehen, bis die Auswirkungen auf die Weltwirtschaft gesichert abgeschätzt werden können, wie so oft dürfte die Wahrheit am Ende aber irgendwo in der Mitte liegen. Die jüngsten Entwicklungen legen jedenfalls eine Erkenntnis nahe: Das Thema (vor)schnell abzuhaken und zügig wieder zur Tagesordnung überzugehen, wird wohl nicht funktionieren. Das dämmerte bei Redaktionsschluss langsam, aber sicher auch den Börsianern, die die Dimension des Problems zunächst unterschätzt hatten und inmitten der stark grassierenden Epidemie vielerorts gar neue Allzeithochs feierten. Spätestens mit den zuletzt sprunghaften Anstiegen der Infektionszahlen in Südkorea, Iran und Italien erachten viele Experten inzwischen eine Pandemie als realistisches Szenario. Und auch wirtschaftlich beschränkt sich das Problem längst nicht mehr nur auf Asien: Immer mehr der bislang so feinjustierten globalen Produktions- und Lieferketten geraten ob der nicht wie gewohnt arbeitenden "Werkbank China" ins Stocken. Die ohnehin schwächelnde Weltwirtschaft trifft all dies in einem äußerst delikaten Moment und je länger er währt, desto gravierender werden die Folgen sein.

Damit steigt zugleich auch das Rückschlagpotenzial an den Immobilienmärkten. Am Investmentmarkt mag sich das Ganze noch in Grenzen halten, nicht zuletzt, da erste Notenbanken schon wieder allzu bereitwillig neue Lockerungsmaßnahmen in Aussicht gestellt haben. Eine große Flucht institutioneller Liquidität erscheint damit allein aufgrund mangelnder Substitutionsmöglichkeiten eher unwahrscheinlich. Trotzdem ist es natürlich nicht ausgeschlossen, dass es zu Preiskorrekturen kommt, denn in vielen der aktuell gezahlten Kaufpreise sind künftige Mietpreissteigerungen fest eingeplant. Doch ob sich diese auch in einer - bislang hypothetischen - Rezession materialisieren, ist fraglich. Ein solches Szenario müsste gleichwohl nicht zwangsläufig auf ein jähes Ende der vielerorts weit fortgeschrittenen Zyklen hinauslaufen. Und dennoch scheint der Moment näher zu rücken, um einmal innezuhalten und über die zuletzt doch arg strapazierten Erwartungen an den vermeintlich letzten Heilsbringer im Anlageuniversum zu reflektieren. Wo ginge das besser, als im Frühling in Cannes an der Côte d'Azur.

Bei Redaktionsschluss war noch nicht absehbar, ob die MIPIM tatsächlich wie geplant vom 10. bis 13. März 2020 stattfindet.

Philipp Hafner , Leitender Redakteur, Immobilien & Finanzierung , Helmut Richardi Verlag
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