Kreditwesen international

Auswirkungen der Neuregelungen zur Klassifizierung nach IFRS 9

Die Bilanzierung von Finanzinstrumenten nach IFRS wird derzeit als Folge der Finanzkrise neu geregelt. Die Überarbeitung des relevanten Standards - IAS 39 - erfolgt dabei in drei Phasen. In der ersten Phase wurden die Vorschriften für die Klassifizierung und Bewertung von Finanzinstrumenten überarbeitet, während die beiden nachfolgenden Phasen die Erneuerung der Vorschriften zum Impairment und Hedge Accounting vorsehen.

Anwendung voraussichtlich ab Januar 2015

Die finalen Regelungen zur Klassifizierung und Bewertung von Finanzinstrumenten wurden im November 2009 (Aktivseite) beziehungsweise Oktober 2010 (Passivseite) veröffentlicht. Derzeit ist davon auszugehen, dass die Anwendung voraussichtlich ab dem 1. Januar 2015 mit entsprechenden Vorjahresvergleichszahlen erfolgen wird.1)

Die Bewertung von Finanzinstrumenten erfolgt nach den neuen Vorschriften entweder zu fortgeführten Anschaffungskosten oder zum Fair Value und hängt dabei von zwei Voraussetzungen ab. Zu fortgeführten Anschaffungskosten dürfen künftig nur Vermögenswerte bewertet werden, die sich in einem Portfolio befinden, dessen Geschäftsmodell darin besteht, die vertraglichen Cash-Flows der Finanzinstrumente durch "Halten" zu erzielen. Weiterhin dürfen sich die Cash-Flows ausschließlich aus Zins- und Tilgungen zusammensetzen, um eine Bilanzierung zu fortgeführten Anschaffungskosten zu erreichen. Alle übrigen Finanzinstrumente der Aktivseite sind bei Kreditinstituten zum Fair Value zu bewerten. Vor dem Hintergrund dieser Neuregelungen ist damit zu rechnen, dass Kreditinstitute häufiger eine GuV-wirksame Fair- Value-Bewertung ihrer Finanzinstrumente vornehmen müssen als dies bislang der Fall ist.2)

Trotz des vermeintlich noch langen Zeithorizonts bis zur voraussichtlichen Erstanwendung von IFRS 9, empfiehlt es sich bereits heute, die Weichen für die Umsetzung zu stellen. Heute abgeschlossene Geschäfte sind nach den neuen Vorschriften zu bilanzieren, wenn sie sich über den Erstanwendungszeitpunkt hinaus in den Beständen der Bank befinden. Systemrelevante Umsetzungen bedürfen einer fach- und ITkonzeptionellen Vorlaufphase. Handlungs- und Entscheidungsbedarf zu den Neuregelungen wird im Folgenden erläutert.

Die mit den Finanzinstrumenten verbundene Geschäftsstrategie soll zukünftig die Basis der Bewertung der Finanzinstrumente der Aktivseite sein. Um dies umzusetzen, muss die Geschäftsleitung3) auf Portfolioebene zwischen den Geschäftsmodellen "Halten" und "Nicht-Halten" unterscheiden. Geplante Verkäufe sind in Halteportfolios unzulässig. Treten Veräußerungen nachträglich ein, so sind diese in Ausnahmefällen allerdings dennoch für eine Bewertung zu fortgeführten Anschaffungskosten nicht schädlich.4) So können Verkäufe beispielsweise dadurch begründet sein, dass ein bestimmtes Instrument nicht mehr der Investitionspolitik des Instituts entspricht oder kurzfristig Liquidität beschafft werden soll. Sofern Verkäufe in einem Halteportfolio mehr als nur unregelmäßig auftreten, ist eine Überprüfung des Geschäftsmodells erforderlich.

Verknüpfung von Strategieelementen und Bilanzierung

Um einen ersten Eindruck von den Auswirkungen des IFRS 9 zu gewinnen, ist es mithin erforderlich, die künftige Abgrenzung von Portfolios mit ihren Geschäftsmodellen zu antizipieren. Dies gilt auch vor dem Hintergrund der Simulation der Auswirkungen der neuen Vorschriften zur Risikovorsorge unter IFRS 9: Portfolios, die zum Fair Value bewertet werden, sind in die Risikovorsorgeermittlung nicht einzubeziehen.

Da die Festlegung der Geschäftsstrategie als Halten oder Nicht-Halten für die bilanzierungsrelevanten Portfolios durch die Geschäftsleitung erfolgen muss, sollten bereits heute strategische Entscheidungen, die mit der Ausrichtung der Steuerung von Portfolios verbunden sind, vor dem Hintergrund der neuen Regelungen des IFRS 9 getroffen werden. Zu nennen sind hier unter anderem Entscheidungen zur Segmentierung, die Implementierung einer kennzahlenbasierten Steuerung - oder der Ausgestaltung der Strategien in Abbauportfolios. Eine Verbindung zwischen der Geschäftsstrategie nach den MaRisk5) und den Geschäftsmodellen nach IFRS 9 ergibt sich zumindest insoweit, als dass eine widerspruchsfreie Festlegung erfolgen muss. Dabei können einzelne Segmente und dahinterliegende spezifische Geschäftsstrategien mit den nach IFRS 9 zu bestimmenden Geschäftsmodellen identisch sein. Sofern innerhalb einer Geschäftsstrategie nach MaRisk, Portfolien mit unterschiedlichen Halteintentionen nach IFRS 9 vorgesehen sind, sollte dies in der Strategiedokumentation nach MaRisk berücksichtigt werden. Bei der nach MaRisk regelmäßig vorzunehmenden Überprüfung der Geschäftsstrategie sollten auch die Auswirkungen auf die Geschäftsmodelle nach IFRS 9 gewürdigt werden.

Produktmerkmale und Bilanzierung

Führen die Vertragsbedingungen eines Finanzinstruments nicht zu Cash-Flows, die ausschließlich Zins und Tilgung darstellen, so ist unabhängig vom Geschäftsmodell eine Bewertung zum Fair Value vorzunehmen. Zins wird in diesem Zusammenhang als Vergütung für den Zeitwert des Geldes sowie des Kreditrisikos definiert. Bei Eigenkapitaltiteln wie zum Beispiel Aktien, aber auch bei Investmentfondsanteilen und vielen mezzaninen Instrumenten, sind diese Kriterien nicht erfüllt.

Führen vertragliche Merkmale oder Nebenabreden zu einer Hebelwirkung in Bezug auf die zugrunde liegenden Cash-Flows eines dem Grunde nach zinstragenden Finanzinstruments, ist eine Bewertung zu fortgeführten Anschaffungskosten ausgeschlossen.6) Dies führt beispielsweise dazu, dass Instrumente, deren Verzinsung von einem Index abhängt oder deren Euribor-basierte Verzinsung täglich dem 3-Monats-Euribor angepasst wird, zum Fair Value zu bewerten sind.7) Ebenso kann bereits eine Ausgestaltung als Non-Recourse-Finanzierung dazu führen, dass eine Fair-Value-Bewertung vorzunehmen ist.

Fair-Value-Bewertungspflicht

Umgekehrt sind Finanzinstrumente, die unbedingte Kündigungs- oder Sondertilgungsrechte beinhalten, allein aufgrund dieser Eigenschaften nicht von einer Fair-Value-Bewertungspflicht betroffen. Sind solche Rechte aber bedingt, führen sie zu einer verpflichtenden Bewertung zum Fair Value des Instruments, wenn es sich nicht um Vereinbarungen handelt, die den Darlehensgeber vor Bonitätsverschlechterungen der Kontrahenten oder die Vertragspartner vor wesentlichen rechtlichen und steuerlichen Änderungen schützen.8) Ist also ein Kündigungsrecht von der Entwicklung eins Index abhängig, führt das zur Fair-Value-Bewertung des Instruments. Ebenso führt eine vertragliche Vereinbarung mit Kündigungsrecht, bei der der Zins auf Basis eines kürzeren Zeitraums als die Gesamtlaufzeit vereinbart und für diesen oder einen beliebigen anderen Zeitpunkt ein Kündigungsrecht eingeräumt wird, zu einer Hebelung und damit einer Fair- Value-Bewertung. Ein Prolongationsrecht, bei dem beispielsweise die Konditionen für einen ursprünglichen Fünfjahres-Zeitraum auf einen Zehnjahres-Zeitraum ausgedehnt werden können, führt ebenso zu einer Fair-Value-Bewertung.9)

Um die Auswirkungen aus der Anwendung von IFRS 9 antizipieren zu können, bedarf es einer strukturieren Untersuchung der im Bestand befindlichen Produkte. Daraus können schon heute Entscheidungen zu denjenigen Produkten abgeleitet werden, die sich zum Erstanwendungsstichtag von IFRS 9 noch im Bestand befinden werden. In Frage kommt insbesondere die Modifizierung von Produkteigenschaften neuer Produkte, um sicherzustellen, dass eine Fair-Value-Bewertung nicht erforderlich ist. Die Kriterien hierfür sind im Neue-Produkte-Prozess zu verankern. Auch eine Abbau-Strategie oder die Beschleunigung einer ohnehin verankerten Abbaustrategie könnte Ergebnis der Analysen sein. Nicht zuletzt ist zu berücksichtigen, dass eine Vielzahl von bestehenden Verträgen zu analysieren ist, um deren Einwertung unter den neuen IFRS-9-Regelungen - auch bereits in den Vergleichszahlen - zu ermöglichen.

System- und prozessrelevante Entscheidungen

Die technische und prozessuale Umsetzung der Anforderungen aus IFRS 9 wird die Entscheider der Banken vor neue Herausforderungen stellen. Idealtypisch sollten hierzu die Systeme und Prozesse bereits zur Erstellung der Vergleichszahlen, also voraussichtlich ab 2014, IFRS-9-fähig sein.

Bei der Umsetzung ist unter anderem zu entscheiden, wie die Portfoliozuordnung systemseitig hinterlegt beziehungsweise erkannt wird. Der Wechsel von Finanzinstrumenten zwischen verschiedenen Geschäftsmodellen aufgrund von (konzern-) internen Transaktionen darf das initial angelegte Geschäftsmodell und damit die Bewertung nicht ändern. Dem ist systemseitig oder prozessual Rechnung zu tragen. Was an verschiedenen Stellen der Prozess- und IT-Landschaft erfolgen kann.

Daneben ist systemseitig zu hinterlegen, ob die Cash-Flows des Finanzinstruments ausschließlich Zins und Tilgung repräsentieren. Das kann beispielsweise durch Implementierung einer IT-gestützten Prüfroutine oder anderseits durch Verankerung in den Geschäftsabschlussprozessen vorgenommen werden. Hierzu ist es erforderlich, dass zunächst sämtliche möglichen Vertragsabsprachen systematisiert ausgewertet werden. Auf dieser Basis lassen sich anschließend logische Regelwerke oder produkt- beziehungsweise systembezogene Klassifizierungsschablonen entwerfen.

Neugeschäft sollte zeitnah im Hinblick auf die IFRS-9-Kriterien dokumentiert werden, damit der Nacherhebungsaufwand möglichst gering gehalten wird. Hierfür sind entsprechende Prozesse und Dokumentationsmöglichkeiten einzurichten.

Rechtzeitige Identifikation und Analyse

Die fristgerechte Umsetzung der Anforderungen des IFRS 9 macht es erforderlich, sich bereits heute mit den Neuregelungen auseinanderzusetzen und deren Aus wirkungen für das eigene Haus zu untersuchen. Simulationsrechnungen unterstützen die Einschätzung von Handlungsbedarf, setzen aber die frühzeitige unternehmensspezifische Analyse der Konsequenzen der Neuregelungen voraus.

Aufgrund der geänderten Rahmenbedingungen werden nach den neuen Vorschriften in weit größerem Maße Fair Values für die Bilanzierung benötigt als bisher. Die Vorschriften machen es erforderlich, dass die Daten auf Einzelgeschäftsebene bereitgestellt werden. Die Umsetzung dieser Anforderungen geht mit erheblichem Anpassungsbedarf einher, da neue Bewertungsmodelle zu definieren und zu implementieren sind und die Datenversorgung aufgebaut und sichergestellt werden muss.

Die Ausführungen zeigen auch, dass bereits heute im Rahmen von laufenden Geschäftsprozessen Entscheidungen zu treffen sind, die sich auf die Bilanzierung nach IFRS 9 auswirken und die entsprechend gestaltet werden können, wenn deren Folgen dem Entscheider bekannt sind. Dies betrifft zum Beispiel die Festlegung der Geschäftsstrategie sowie Überlegungen zur Produktgestaltung. Die rechtzeitige Identifikation und Analyse der im Bestand befindlichen Finanzinstrumente ermöglicht ein aktives Managen solcher Instrumente, die potenziell von einer Fair-Value- Bewertung betroffen sind sowie bewusste Entscheidungen zu heutigen Vertragsgestaltungen unter Berücksichtigung der bilanziellen Auswirkungen unter IFRS 9.

Fußnoten

1) IFRS 9.7.1.1 sieht derzeit noch die Anwendung für Geschäftsjahre, die ab dem 1. Januar 2013 beginnen, vor. Im IASB/FASB Meeting vom 21. Juli 2011 wurde jedoch dem Vorschlag des Staff's gefolgt und eine Verschiebung des Erstanwendungszeitpunkts auf den 1. Januar 2015 beschlossen. Vgl. hierzu IASB Webcast vom Juni 2011, http://www.ifrs.org/Meetings/IASB+Meeting+July+2011.htm.

2) Vgl. hierzu Gehrer/Krakuhn/Tietz-Weber, Klassifizierung von finanziellen Vermögenswerten und Verbindlichkeiten - Praxisfragen aus der Phase I des IFRS 9, in IRZ, Heft 2, Februar 2011, S. 87-90.

3) Vgl. IFRS 9. B4.4.1.1 "key management personnel".

4) Vgl. IFRS 9. B4.1.3, wonach eine Veräußerung bei "not more than an infrequent number of sales" unkritisch ist.

5) Vgl. hierzu BaFin, Rundschreiben 11/2010 (BA) -Mindestanforderungen an das Risikomanagement - MaRisk, AT 4.2.

6) Vgl. IFRS 9. B4.1.9.

7) Vgl. IFRS 9. B4.1.13, Instrument B. 8) Vgl. IFRS 9. B4.1.10. 9) Vgl. IFRS 9. B4.1.11.

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