Aufsätze

Bepreisungsverhalten am deutschen Zertifikatemarkt

Die "faire" Bepreisung von strukturierten Produkten durch den jeweiligen Emittenten spielt angesichts der großen Bedeutung des Zertifikatemarktes in Deutschland eine wichtige Rolle. Ziel der Untersuchung ist es, etwaige systematische Abweichungen der gestellten Kurse von Bonuszertifikaten auf den deutschen Aktienindex Dax im Tagesverlauf sowie über die gesamte Laufzeit zu ermitteln. Diese Frage ist von großer Relevanz, da bei Abweichungen vom angemessenen Preis eine Benachteiligung von Privatanlegern zugunsten der Emittenten stattfinden könnte.

Zertifikate - eine etablierte Anlageklasse

Der Zertifikatemarkt hat sich in Deutschland seit der Jahrtausendwende zunehmend etabliert. Nach einem Einbruch des Zertifikatevolumens im Zuge der Finanzkrise hat sich der Markt deutlich erholt. Im Jahr 2012 beläuft sich das durchschnittliche monatliche Marktvolumen auf rund 100 Milliarden Euro.1) Die Zahl der notierten Zertifikate hat ebenfalls stark zugenommen und einen Wert von mehr als einer Million erreicht (siehe Abbildung 1).

Damit stellen Zertifikate eine bedeutsame Anlageklasse dar, die sich auch nach der Finanzkrise einer großen Beliebtheit bei Privatanlegern erfreut. Diese anhaltende Erfolgsstory kann auf einige grundsätzliche Vorteile einer Geldanlage in Zertifikate im Vergleich zu einem Direktinvestment in den Basiswert zurückgeführt werden. So bieten Zertifikate die Möglich keit, nicht nur in Zeiten steigender Kurse, sondern auch in fallenden oder stagnierenden Märkten zu profitieren. Je nach spezifischer Ausgestaltung erlauben sie Privatanlegern Anlagestrategien umzusetzen, die genau dem jeweiligen Chancen-Risikoprofil entsprechen. Rechtlich handelt es sich bei Zertifikaten nicht um Sondervermögen, sondern um Inhaberschuldverschreibungen. Der Emittent des Zertifikates verpflichtet sich zur Zahlung gemäß den Zertifikatsbedingungen. Bei Zahlungsunfähigkeit des Emittenten besteht deshalb das Risiko, einen Totalverlust zu erleiden.

Struktur des Zertifikatemarktes

Der Zertifikatemarkt kann nach verschiedenen Produktkategorien unterteilt werden, welche eine unterschiedliche Nachfrage bei Privatanlegern hervorrufen (siehe Abbildung 2).

Alle Produktkategorien haben gemeinsam, dass sie von Privatanlegern entweder an regulierten Handelsplätzen wie dem Euwax Handelssegment der Börse Stuttgart oder außerbörslich gehandelt werden können. Zudem leitet sich der Wert aller Zertifikate aus dem jeweils aktuellen Wert des Basispreises ab. Entsprechend erfolgt die Preissetzung nicht durch ein Auktionsverfahren, sondern im Rahmen eines quotegesteuerten Marktes, in dem zumeist der Emittent des Zertifikats die Rolle des Market Makers übernimmt. Das bedeutet, dass die Emittenten die Kurse für die von ihnen aus gegebenen Produkte stellen. Dieser Handlungsspielraum bei der Preissetzung könnte nun allerdings dazu führen, dass die quotierten Kurse von ihrem "fairen", das heißt finanzmathematisch korrekten, Wert abweichen und damit Privatanleger systematisch benachteiligt werden.

Der Handlungsspielraum bei der Preissetzung wird zudem dadurch begünstigt, dass quotierte Preise von Zertifikaten nur schwer miteinander vergleichbar sind, da wesentliche Charakteristika wie Ausübungspreis und Restlaufzeit der Zertifikate voneinander abweichen. Für den Privatanleger ist damit nur schwer nachvollziehbar, welches Zertifikat attraktive Konditionen bietet und welches einen relativ hohen Preisaufschlag beinhaltet.

Mysterium theoretischer Wert

Aus Sicht von Handelsplätzen und Banken wird oftmals proklamiert, dass ein fairer Wert für Zertifikate nicht existiert, da sich einflussnehmende Rahmenbedingungen kontinuierlich ändern. Korrekter ist jedoch, dass kein einheitlicher fairer Wert existiert. Um einen Preis für ein Zertifikat stellen zu können, muss eine Bank zunächst den Preis mit Hilfe eines finanzmathematischen Modells berechnen. Hierzu können Optionspreismodelle, wie zum Beispiel das Black-Scholes-Modell, herangezogen werden, da die Auszahlungsprofile vieler Zertifikaten durch Optionen dupliziert werden können.

Um den tatsächlichen Preis des Zertifikats zu bestimmen, müssen zu diesem theoretisch angemessenen Preis die im Zusammenhang mit dem Produkt entstehenden Kosten umgelegt werden werden. Dieser Aufschlag auf den finanzmathematisch bestimmten Preis ist jedoch weitestgehend unbekannt und wird von den emittierenden Banken auch nicht veröffentlicht. Diese sogenannte Marge oder Prämie liegt bei Anlagezertifikaten je nach Produkttyp zwischen 0,5 Prozent und 6,0 Prozent des Produktpreises.2)

Bepreisung von Bonuszertifikaten

Im Folgenden wird anhand der quotierten Kurse von Bonuszertifikaten sowie Handelsdaten der Börse Stuttgart empirisch das Bepreisungsverhalten deutscher Emittenten untersucht. Bonuszertifikate sind insbesondere zur langfristigen Kapitalanlage geeignet. Sie bieten die Möglichkeit, auch in Zeiten stagnierender oder schwach fallender Kurse des Basiswertes, positive Renditen zu erzielen. Wenn der Preis des Basiswertes während der Laufzeit eine im Vorfeld festgelegte Kursbarriere nicht unterschreitet, die bei Emission unter dem aktuellen Kurs des Basiswertes liegt, erhalten Anleger am Laufzeitende mindestens eine Zahlung in Höhe des Bonuslevels. Das Bonuslevel wird ebenfalls bei Emission festgelegt und liegt zunächst über dem aktuellen Kurs. Oberhalb des Bonuslevels sowie bei einmaliger Unterschreitung der Kursbarriere partizipieren Anleger 1:1 von der Entwicklung des Basiswertes (siehe Abbildung 3).

Optionspreistheorie als Grundlage der Bepreisung von Bonuszertifikaten: Finanzmathematisch besteht ein Bonuszertifikat aus einer Zero-Strike Call Option (das heißt der Basispreis ist 0) und einer Downand-Out Put Option (das heißt eine traditionelle Put Option, deren Wert verfällt, wenn die Knock-Out Barriere berührt wird). In der Untersuchung wird das Practitioners Black-Scholes-Modell (PBS) verwendet, um die Optionskomponenten von Bonuszertifikaten zu bepreisen und durch Duplikation den fairen Preis des jeweiligen Produkts zu ermitteln.3) Als Inputparameter werden die Laufzeit, der Ausübungspreis, die implizite Volatilität des Basiswertes sowie der risikofreie Zins benötigt. Die Prämie eines Zertifikates bestimmt sich dann als die Differenz zwischen dem quotierten Preis und dem theoretisch ermittelten Wert.

Implizite Prämien zur Finanzierung der Zertifikate: In der Analyse wird diese Methodik zur Bestimmung impliziter Produktmargen auf 930 Bonuszertifikate mit dem Basiswert Dax angewendet, die im Jahr 2010 an der Börse Stuttgart gelistet waren und mindestens mit einem Volumen von 10 000 Euro an der Börse Stuttgart gehandelt wurden. Diese Vorgehensweise ermöglicht eine umfassende Analyse der Prämien führender deutscher Zertifikateemittenten.4) Im Durchschnitt beträgt die implizite Prämie von Bonuszertifikaten 2,8 Prozent. Dabei schwanken die Prämien zwischen den Emittenten deutlich, bis zu einem Maximalwert von 4,1 Prozent. Da das Ausfallrisiko der jeweiligen Emittenten in der Unter suchung nicht berücksichtigt ist, handelt es sich bei den ermittelten Prämien um konservative und tendenziell zu niedrige Werte.

Die Ergebnisse deuten zum einen darauf hin, dass Banken durchschnittlich ökonomisch bedeutende Prämien auf Bonuszertifikate erheben. Weiterhin kann aus den unterschiedlichen Preisaufschlägen gefolgert werden, dass für Privatanleger die Produkte einzelner Banken attraktiver sind als die anderer Banken. Um die Kosten, die für den Privatanleger mit einer Anlage in Bonuszertifikate verbunden sind, besser beurteilen zu können, stellt sich die Frage, ob die erhobenen Prämien systematisch von bestimmten Faktoren beeinflusst werden.

Die Lebenszyklushypothese

Die Zeit ist ein wichtiger Faktor bei der Bepreisung von Zertifikaten. Generell kann zwischen Bepreisungmustern im Tagesverlauf und über die Produktlaufzeit unterschieden werden. Die empirische Analyse kommt zunächst zu dem Ergebnis, dass die Prämie der untersuchten Bonuszertifikate über die Produktlaufzeit abnimmt. Dieses Phänomen ist unter dem Begriff Lebenszyklushypothese bekannt.5)

Da zu Beginn des Produktlebenszyklus überwiegend in das jeweilige Zertifikat investiert wird und gegen Ende der Laufzeit verstärkt Positionen aufgelöst werden, generiert die emittierende Bank einen risikolosen Profit durch eine im Zeitablauf sinkende Prämie. Banken begründen dieses Verhalten oftmals durch implizite Vertriebs- und Marketingkosten, die über die Laufzeit hinweg refinanziert werden müssen. Die Unter suchungsergebnisse unterstützen diese Hypothese: Die Restlaufzeit hat einen positiven Einfluss auf die Prämie: Je länger (kürzer) die Restlaufzeit, desto höher (geringer) ist im Durchschnitt die prozentuale Prämie der untersuchten Bonuszertifikate.

Zu systematischen Veränderungen der Prämien im Tagesablauf sind in der bisherigen Literatur kaum Ergebnisse dokumentiert. Theoretisch kann argumentiert werden, dass ein wichtiger Faktor die Kosten sind, die für den Emittenten durch die Absicherung der eingegangenen Positionen entstehen (Hedgingkosten). Diese kommen dadurch zustande, dass Emittenten auf Aktien- und Optionsmärkten gegenläufige Positionen einnehmen, um die Positionen aus der Ausgabe von Zertifikaten abzusichern. Ein Anstieg der Hedgingkosten, beispielsweise durch relativ illiquide Optionsmärkte, erhöht entsprechend die impliziten Kosten von Zertifikaten und damit ultimativ auch deren Prämien.

In der Untersuchung lässt sich ein deutlicher Anstieg der Prämie gegen Ende des Handelstages beobachten. Dieses Phänomen kann auf gestiegene Hedgingkosten zurückgeführt werden, da auch nach Dax-Handelsschluss um 17:30 Uhr Zertifikate gehandelt werden, eine Absicherung auf dem Op tionsmarkt jedoch nur noch zu höheren Kosten möglich ist (Gap Risiko). Im Vergleich zum Lebenszykluseffekt sind die Margenschwankungen im Tagesablauf vergleichsweise gering. Folglich spielt die Produktauswahl für den Privatanleger eine größere Rolle als der exakte Zeitpunkt der Transaktion innerhalb eines Tages.

Prämien und Marktpreisrisiko

Negativer Zusammenhang zwischen Prämien und "Moneyness": Weiterhin ist zu beobachten, dass die Differenz zwischen Basiswert und Bonuslevel von Bonuszertifikaten (Moneyness) einen negativen Einfluss auf die Prämie hat. Dies ist in der Transparenz der Zertifikatebepreisung begründet, die sich je nach Wert des Basispreises anders darstellt. Bewegt sich der Basiswert über dem Bonuslevel, so ist für den Privatanleger leicht ersichtlich, ob Banken eine verhältnismäßig hohe Prämie einpreisen, da der Zertifikatepreis sehr nahe am Wert des Basiswertes sein sollte.

Bei Preisen unterhalb des Bonuslevels ist die exakte Preissetzung eines Zertifikates aufgrund einer höheren Komplexität für den Privatanleger hingegen deutlich schwerer nachzuvollziehen. Die geringere Transparenz in diesem Wertebereich eröffnet den Emittenten deshalb einen größeren Spielraum bei der Preissetzung und damit potenziell höhere Preisaufschläge (siehe Tabelle).6)

Das Marktrisiko spiegelt sich in den Prämien wider: Ein weiterer Faktor, der die Prämien von Bonuszertifikaten beeinflusst, ist die Unsicherheit des Marktes bezüglich zukünftiger Preisentwicklungen. Je höher die erwartete Volatilität ist, das heißt je größer die von den Finanzmarktakteuren erwarteten Marktschwankungen sind, desto teurer ist für Zertifikateemittenten die Absicherung der eingegangenen Positionen durch Optionen am Sekundärmarkt. Dies ist darauf zurückzuführen, dass sich der Wert von klassischen Optionen durch einen Anstieg der Volatilität erhöht. Da Emittenten die gestiegenen Kosten umwälzen, resultieren aus einem Anstieg der Volatilität steigende Prämien.

Prämien passen sich der Nachfrage an: In vergangenen Untersuchungen wurde zumeist approximativ die relative Laufzeit eines Produktes herangezogen, um Nachfrageeffekte bei der Preissetzung zu untersuchen. Diese Methodik beruht auf der Annahme, dass Produkte zu Beginn ihrer Laufzeit stärker nachgefragt werden als gegen Ende. Diese Vorgehensweise ist jedoch wenig präzise und ermöglicht keine Schlüsse, ob die Prämie durch Kauf- und Verkaufaufträge unterschiedlich beeinflusst wird. Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass dies der Fall ist und Emittenten nach Kaufaufträgen die Prämien erhöhen, während Verkaufaufträge sinkende Prämien nach sich ziehen.7)

Dahinter verbirgt sich der grundlegende Gedanke, dass beispielsweise ein Kaufauftrag tendenziell eher einen weiteren Kaufauftrag als einen Verkaufsauftrag nach sich zieht (aufgrund von Herdenverhalten der Anleger). Dies deutet da rauf hin, dass Emittenten versuchen, die Richtung zukünftiger Aufträge zu antizipieren und darauf aufbauend die Prämien zu ihrem Vorteil anpassen. Abschließend ist festzuhalten, dass verschiedene Fak toren einen Einfluss auf die Prämie von Bonuszertifikaten haben (siehe Tabelle für einen Überblick der Einflussfaktoren). Für Privatanleger sollten diese Faktoren ein wichtiges Kriterium bei der passenden Produktauswahl spielen.

Attraktivität durch mehr Transparenz

Zertifikate bieten Privatanlegern die Möglichkeit, passende Anlagestrategien für unterschiedliche Marktphasen und individuelle Anlegerpräferenzen zu implementieren. In diesem Sinne bietet der Markt eine wichtige und wertvolle Ergänzung zur traditionellen Geldanlage in Aktien und Anleihen. Für diesen erweiterten Marktzugang müssen Privatanleger indirekt in Form einer Produktmarge auf den theoretisch "fairen" Preis bezahlen.

Die tatsächliche Höhe dieser Prämie ist für Privatanleger aufgrund mangelnder Transparenz nicht einsehbar und kann nur durch komplexe finanzmathematische Modelle ermittelt werden. Um die Attrak tivität des grundsätzlich positiv zu be wertenden Zertifikatemarktes für den Privatan leger weiter zu erhöhen, sind deshalb transparentere Strukturen im Sinne einer verbesserten Informationspolitik sowie einer besseren Vergleichbarkeit zwischen ähnlichen Produkten verschiedener Emittenten notwendig.

Die Studie entstand mit finanzieller Unterstützung der Börse Stuttgart.

Quellenverzeichnis

Muck, M. (2006): Where Should You Buy Your Options? The Pricing of Exchange-Traded Certificates and OTC Derivatives in Germany, The Journal of Derivatives, 14(1), 82-96.

Entrop, O., Schober, A., and Wilkens, M. (2011): The Pricing Policy of Banks on the German Secondary Market for Leverage Certificates: Interday and Intraday Effects, Arbeitspapier.

Baule, R. (2011): The Order Flow of Discount Certificates and Issuer Pricing Behavior, Journal of Banking & Finance, 35(11), 3120-3133.

Baule, R., and Tallau, C. (2011): The Pricing of Path-Dependent Structured Financial Retail Products: The Case of Bonus Certificates, Journal of Derivatives, 18(4), 54-71.

Fußnoten

1) Quelle: http://www.derivateverband.de

2) Vgl. Baule und Tallau (2011) und Entrop et al. (2011).

3) Im Gegensatz zum klassischen Black-Scholes-Modell wird bei PBS zu jedem Zeitpunkt neu kalibriert, das heißt, die implizite Volatilität wird zu jedem Zeitpunkt neu aus den zugrundeliegenden Eurex Optionsdaten interpoliert. Dadurch werden wesentlich exaktere Preise berechnet.

4) Im Detail handelt es sich hierbei um BNP Paribas, Commerzbank, Deutsche Bank, Goldman Sachs, HSBC Trinkaus, Macquarie und Société Générale.

5) Vgl. Muck (2006), der diese Lebenszyklushypothese als erster für Zertifikate dokumentiert.

6) Vgl. Baule und Tallau (2011).

7) Vgl. Baule (2011), der dieses Phänomen am Beispiel von Discountzertifikaten dokumentiert.

Prof. Dr. Hans-Peter Burghof , Inhaber des Lehrstuhls für Bankwirtschaft und Finanzdienstleistungen , Universität Hohenheim, Stuttgart
Dr. Sebastian Schroff , Lead Portfolio Manager , Allianz Global Investors, München
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