Aufsätze

BGH: Grenzlinien für die Aufklärungspflichten gegenüber Anlegern

Als eine Folge der Bankenkrise 2008 mit der Insolvenz der US-Investmentbank Lehman Brothers Holding Inc. und ihren Töchtern begann ein spezieller Boom an Schadensersatzklagen gegen Kreditinstitute, die ihren Kunden vor der Krise zur Geldanlage den Kauf von - durch die "Pleite" praktisch wertlos gewordenen - Lehman-Zertifikaten empfohlen hatten. Am 27. September 2011 kam es schließlich zu den beiden ersten und damit grundsätzlichen Urteilen des XI. (Banken-)Senats des BGH.1)

Ersatzansprüche zurückgewiesen

Das Gericht hat darin die Ersatzansprüche von Anlegern gegen eine Sparkasse rechtskräftig zurückgewiesen. Beiden Entscheidungen liegt der Sachverhalt zugrunde, dass die Anleger auf Empfehlung von Anlageberatern der Sparkasse im Dezember 2006 beziehungsweise Oktober 2007 den Betrag von 10000 Euro in die "Pro-tect-Express-Anleihe" beziehungsweise in die "Bull-Express-Garant-Anleihe" angelegt haben. Das waren Inhaberschuldverschreibungen der niederländischen Lehman-Tochtergesellschaft mit Rückzahlungsgarantie der US-amerikanischen Lehman Brothers Holding Inc.

Zeitpunkt und Höhe der Rückzahlung sollten bei beiden Zertifikaten von der Wertentwicklung eines Aktienkorbes (Dax 30 beziehungsweise Euro-Stoxx 50) abhängen, und im ungünstigsten Falle sollte der Anlagebetrag am Ende der Laufzeit ohne Zinsen zurückgezahlt werden. Die Insolvenz der Lehman-Gruppe machte auch diesen Minimalanspruch hinfällig.

Der BGH hat in den beiden - überwiegend gleichlautenden - Entscheidungen zu einer Reihe wichtiger Fragen zur Aufklärungspflicht der Banken Stellung genommen und Grenzlinien mit präjudizieller Wirkung auch weit über den "Fall" Lehman Brothers hinaus gezogen. Sie werden den Bankberatern mehr Sicherheit für ihre Arbeit geben können, zumal diese "tour d'horizon" des BGH am "Fall" der Lehman-Zertifikate "Antworten auf viele Grundsatzfragen des Rechts der Anlageberatung"2) gibt, deren Wesentliche hier grob skizziert werden sollen:

Anleger- und objektgerechte Beratung - "ex ante"-Betrachtung

Der BGH erneuert zunächst den bekannten Grundsatz, dass die beratende Bank zu einer "anleger- und objektgerechten Beratung" verpflichtet ist. Inhalt und Umfang der Beratungspflichten sollen von den "Umständen des Einzelfalles" abhängen. Dabei sollen "einerseits der Wissensstand, die Risikobereitschaft und das Anlageziel des Kunden" maßgeblich sein, und andererseits aber auch "die allgemeinen Risiken, wie etwa die Konjunkturlage und die Entwicklung des Kapitalmarktes, sowie die speziellen Risiken, die sich aus den Besonderheiten des Anlageobjekts ergeben".

Konkreter wird der Bundesgerichtshof mit dem Zusatz, dass sich in Bezug auf das Anlageobjekt die Beratung auf diejenigen Eigenschaften und Risiken zu beziehen hat, die für die jeweilige Anlageentscheidung wesentliche Bedeutung haben oder haben können. Über diese Umstände muss die Bank "richtig, sorgfältig, zeitnah, vollständig und für den Kunden verständlich unterrichten".

Sachverständige Eigenprüfung durch die Bank - Insolvenzrisiko erkennbar?

Ganz fundamental ist der weitere Zusatz des BGH, dass die Bewertung und Empfehlung der Anlage nach diesen Maßstäben allein bei "ex ante-Betrachtung" vertretbar sein müssen, also ausgehend von den Erkenntnismöglichkeiten zum Zeitpunkt der Beratung. Die rückblickende "ex post"-Betrachtung aus den Erkenntnismöglichkeiten zurzeit der Realisierung des Risikos scheidet aus. Der BGH wörtlich: "Das Risiko, dass eine aufgrund anleger- und objektgerechter Beratung getroffene Anlageentscheidung sich im Nachhinein als falsch erweist, trägt der Anleger".

In diesem Zusammenhang stellt der BGH fest, dass die beklagte Sparkasse die in ihr eigenes Anlageprogramm aufgenommenen Lehman-Zertifikate zuvor selbst mit banküblichem kritischem Sachverstand überprüfen musste. Diese Prüfung schloss die Bonität von Emittentin und Garantin als gerade für die Risikobeurteilung eines Zertifikats wesentliches Kriterium ein. Wäre bei solcher Eigenprüfung ein Risiko erkennbar geworden oder hätte sich die Empfehlung der Zertifikate als nicht anleger- oder objektgerecht gezeigt, würde die unterlassene Aufklärung der Anleger haftungsbegründend sein. Hier wurden aber keine Umstände festgestellt, dass ein etwaiges bereits zu den Beratungszeitpunkten bestehendes Insolvenzrisiko der Lehman-Gruppe für die Sparkasse bei ordnungsmäßiger Prüfung der Kapitalanlage erkennbar gewesen wäre. Insbesondere waren deren Ratings "weiterhin so positiv, dass Zweifel an ihrer Zahlungsfähigkeit nicht aufkommen mussten".

Kein getrenntes Sondervermögen

Der BGH stellt sodann klar, dass bei Indexzertifikaten wie hier, kein vom sonstigen Vermögen der Emittentin getrenntes Sondervermögen gebildet wird, sodass der Anleger nicht nur das Marktrisiko des zugrunde gelegten Basiswerts, sondern auch das Bonitätsrisiko der Emittentin (und der Garantin) trägt. Daher muss in solchen Fällen der Anleger auch darüber aufgeklärt werden, dass die Rückzahlung unabhängig von der Entwicklung des Basiswertes - von deren Bonität zum Zeitpunkt der Rückzahlbarkeit der Anleihe abhängt.

Für die Anlageentscheidung kann es von wesentlicher Bedeutung sein, dieses Risiko bezogen auf die gesamte Laufzeit zu übernehmen. Dem kann die beratende Bank nicht entgegenhalten, dass das theoretische Insolvenzrisiko eines Schuldners jedem durchschnittlichen Anleger bekannt und daher nicht aufklärungspflichtig sei. Diese Kenntnis schließt nach Ansicht des BGH das Bewusstsein des Anlegers nicht ein, mit dem Erwerb eines Zertifikates ein Risiko wegen Fehlens eines geschützten Sondervermögens mit zu übernehmen.

Information über fehlendes Einlagensicherungssystem?

Der Anleger muss daher über das allgemeine Emittentenrisiko und darüber aufgeklärt werden, dass er bei Zahlungsunfähigkeit der Emittentin (und Garantin) das angelegte Kapital voll verlieren kann. Diese umfassende Aufklärung hatte die Sparkasse in den beiden Fällen vorgenommen; der Berater als Zeuge gab zum Beispiel in einem der Fälle seine wörtliche, allerdings etwas "flapsige" Belehrung zu Protokoll: "Wenn dieser Herausgeber Pleite geht, ist das Geld weg"!

Dem weiteren Vorbringen der Kläger, die Sparkasse habe pflichtwidrig die Information unterlassen, dass bei Insolvenz der Emittentin kein Einlagensicherungssystem eingreife, folgte der BGH nicht. Wenn die Aufklärung über das allgemeine Emittentenrisiko richtig erfolgt ist, bedarf es keines zusätzlichen Hinweises auf das Fehlen eines solchen Systems.

Weiß der Anleger um die Möglichkeit eines Totalverlusts, kann er - so der BGH - nicht gleichzeitig auf das Eingreifen einer Einlagensicherung vertrauen. Ein Kernsatz, dessen Logik Lars Klöhn zwar als unangreifbar bezeichnet, ihn aber dennoch mit dem Argument kritisiert hat, dass wegen des tendenziellen "overoptimism" der Anleger eine zusätzliche Warnung angebracht wäre.

Eine Aufklärung ist - herkömmlich - auch dann nicht zwingend erforderlich, wenn der Anleger im konkreten Falle dieses Risiko aufgrund seines bisherigen Anlageverhaltens kennt, er zum Beispiel bereits mehrfach Zertifikate erworben hat, oder er sich gegenüber der Bank insoweit als erfahren geriert.

BGH-Klarstellung: keine Aufklärungspflicht über Gewinnspanne

Es folgt ein für die Kreditinstitute ganz wichtiger, weil in der Rechtsprechung bisher umstrittener und nun klar gestellter Punkt: Teilweise wurde dort die Ansicht vertreten, dass die Grundsätze zur Aufklärungspflicht über an die vermittelnde Bank fließende Rückvergütungen (Kick-backs) auch auf deren Gewinnspannen aus Handelsgeschäften (Eigengeschäften) und aus eigenen Anlageprodukten anzuwenden seien. Der BGH hat nun grundsätzlich entschieden, dass eine Bank weder beim Vertrieb eigener Anlageprodukte noch beim Vertrieb fremder Produkte im Eigengeschäft (§ 2 II Satz 2 WpHG) den Kunden über ihre Gewinne beziehungsweise Gewinnmargen auskunftspflichtig ist.

Die bei den Lehman-Produkten von den Banken erzielten Einkaufsrabatte sind keine Rückvergütungen und keine die Werthaltigkeit der Anlage beeinflussenden versteckten Innenprovisionen. Vielmehr wird dadurch, "dass die Bank beim Einkauf der Zertifikate einen geringeren Preis zahlt, als sie ... dem Anleger in Rechnung stellt, nicht der Wert des Papiers beeinträchtigt". Und: "(Es) besteht ... grundsätzlich keine Pflicht der beratenden Bank zur Aufklärung über Existenz, Höhe, Herkunft oder Zusammensetzung des mit einem empfohlenen Produkt erwirtschafteten Gewinns".

In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass der BGH auch eine Verpflichtung der beratenden Bank verneint hat, den Kunden darüber zu informieren, dass sein Zertifikatserwerb ein Eigengeschäft der Bank ist oder sein wird.

Vernünftig anmutende Interessengewichtung

Die Urteilsgründe des BGH sind in ihren Kernaussagen abgewogen und objektiv, also nicht nur aus der besonderen Perspektive der Banken, durchaus überzeugend. Die Richter haben eine vernünftige und für beide Seiten "gerecht" anmutende Interessengewichtung erreicht, die den Banken zwar eine große Zahl von Einzelpflichten zur Aufklärung ihrer Anlagekunden auferlegt oder belässt, die sie bei gehöriger banküblicher Sorgfalt und im Verantwortungsbewusstsein gegenüber ihren Kunden ebenso werden erfüllen können wie die in diesen "Musterfällen" beklagte Sparkasse es nach Meinung des BGH getan hat.

Wichtig ist, dass der BGH den Banken "Aufklärungsexzesse" wie die über ihre Gewinnspannen erspart. Schließlich muss auch kein Unternehmer der Realwirtschaft seinen Kunden mitteilen, wie hoch er seine Handels- oder Gewinnspanne kalkuliert hat. Warum sollte es bei den Banken anders sein?

Der BGH hat in den Urteilen noch eine Reihe weiterer Gesichtspunkte angesprochen, wie vor allem über den Einfluss der europäischen Richtlinien auf das Aufklärungsverhalten der Banken. Sie konnten in diesem Kurzbeitrag nicht behandelt werden. Insoweit und wegen der Details zu den hier angesprochenen Punkten muss auf den Urteilstext und die zitierte Anmerkung von Lars Klöhn verwiesen werden.

Fußnoten

1) BGH Urteile vom 27. September 2011 - XI ZR 182/10 und 178/10. Abgedruckt in ZIP 2011 S. 2237ff.

2) So Lars Klöhn in der Urteilsanmerkung in ZIP 2011 S. 2244.

Auf eine ausführliche Analyse der BGH-Urteile von Stephan Bausch in NJW 2012 S. 354 ist ebenfalls hinzuweisen.

Dr. Claus Steiner , Rechtsanwalt, Wiesbaden
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