Aufsätze

Der Börsengang - eine Finanzierungsalternative für den Mittelstand?

In der ökonomischen Literatur hält sich bis dato die These, dass mittelständische Unternehmen aus unterschiedlichen Gründen eine gewisse Abneigung hätten, Informationen beispielsweise aus ihren Jahresabschlüssen oder über ihre Zulieferer- und Abnehmerstrukturen an potenzielle Kapitalgeber weiterzureichen ("informational opacity"). Darüber hinaus verfüge ein Großteil dieser Unternehmen nicht über die Instrumente, quantitative und qualitative Unternehmensdaten nutzergerecht aufzubereiten. Deswegen stelle sich mittelständischen Unternehmen oftmals das Problem, die Qualität ihres Unternehmens und die darauf basierende Kreditwürdigkeit am Kapitalmarkt glaubwürdig zu kommunizieren.1) Sie seien dementsprechend auf institutionelle Ersatzlösungen angewiesen, die ebenfalls dazu beitragen, diese Informationsasymmetrien zwischen potenziellen Kapitalgebern und mittelständischen Unternehmen zu überwinden. Dazu zähle insbesondere die Hausbankbeziehung, die trotz des Wandels des deutschen Finanzsystems immer noch von großer Bedeutung ist.2)

Nicht nur der Hausbankkredit

Verschiedene Umfrageergebnisse deuten darauf hin, dass der deutsche Mittelstand tatsächlich - neben der Innenfinanzierung - vor allem auf den (Haus-)Bankkredit zurückgreift. So zeigen die Studien auch, dass gerade für größere mittelständische Unternehmen alternative Finanzierungsinstrumente an Bedeutung gewinnen. Dazu gehören zum Beispiel mezzanines oder Beteiligungskapital, deren Nutzung den Unternehmen gleichzeitig ein höheres Maß an Informationsbereitschaft gegenüber den Kapitalgebern abverlangt.3) Unter dem Druck der Verhältnisse (Stichwort Basel II) und/oder aus dem eigenen Wunsch heraus, die Außenfinanzierung auf eine breitere Basis zu stellen, scheint sich das Finanzierungsverhalten im deutschen Mittelstand zu wandeln. Damit müssen die Unternehmen aber bereit sein, nicht nur allein die Hausbank, sondern auch die Kapitalgeber an den organisierten Märkten mit Unternehmensinformationen zu versorgen.

Besonders hohe Anforderungen an die Kapitalnehmer stellt auch der Börsengang als die "Königsdisziplin" der Eigenkapitalbeschaffung. Doch wie hoch ist das Interesse (oder Desinteresse) im deutschen Mittelstand am Börsengang tatsächlich? Welche Gründe sprechen für den Börsengang, welche dagegen? Wie kann der Börsengang in das Spektrum anderer "typisch" mittelständischer Finanzierungsinstrumente eingeordnet werden?

Um diese Fragen zu beantworten, hat das Deutsche Aktieninstitut im Mai 2007 rund 6 700 Unternehmen aus dem verarbeitenden Gewerbe mit einem Umsatz von mehr als fünf Millionen Euro und mit mehr als 20 Mitarbeitern angeschrieben. Dabei wurden ausschließlich wirtschaftlich unabhängige Unternehmen berücksichtigt. Dementsprechend sind Konzerntöchter ausgeschlossen. Die Rücklaufquote betrug fünf Prozent, die aber bei den größeren Unternehmensklassen ab einem Umsatz von 25 Millionen Euro signifikant auf mehr als sieben Prozent anstieg.

Kapitalmarktorientierung im Mittelstand

Unter den Umfrageteilnehmern konnte ein beträchtliches Potenzial für zukünftige Börsengänge identifiziert werden. Auf die Frage nach der Einstellung zum Börsengang antworteten immerhin fast ein Viertel der Unternehmen, dass sie den Börsengang entweder anstreben oder ihn sich vorstellen können. Insgesamt hat sich der Anteil der kapitalmarktorientierten Unternehmen im Vergleich zum Jahr 2003, in dem eine ähnliche Untersuchung durchgeführt wurde, um rund sechs Prozentpunkte erhöht.4)

In der Umfrage wurde nicht nur die Einstellung gegenüber der Finanzierung über die Börse erhoben, sondern auch gegenüber anderen "kapitalmarktnahen" Finanzierungsinstrumenten. Dazu zählen Private Equity oder Venture Capital, mezzanines Kapital oder kapitalmarktorientierte Fremdkapitalfinanzierungen. Auch hier müssen potenzielle Kapitalnehmer Voraussetzungen erfüllen, die insbesondere im Hinblick auf die Transparenzanforderungen dem Börsengang nur wenig nachstehen. Gerade vor dem Hintergrund des einleitend erwähnten typischen mittelständischen Merkmals der "informational opacity" überrascht es, dass sich 80 Prozent der Umfrageteilnehmer zumindest den Einsatz eines der genannten Finanzierungsinstrumente vorstellen können. Zudem sind Unternehmen, die einen Börsengang in Betracht ziehen, diesen Instrumenten gegenüber aufgeschlossener.

Gründe für den Börsengang

Die von den kapitalmarktorientierten Unternehmen genannten Gründe für den Börsengang sind facettenreich (Abbildung 1).

An oberster Stelle steht der Wunsch, mit den an der Börse eingeworbenen finanziellen Mitteln intern oder durch den Zukauf anderer Unternehmen zu wachsen. Dieses Ergebnis deckt sich auch mit Resultaten aus anderen Umfragen, etwa unter den Mittelständlern aus dem Jahr 2003 und unter den Neuemittenten der Jahre 2005 sowie 2006.5)

Mit dem Börsengang kann ein Unternehmen zudem die Eigenkapitalbasis stärken. Dies erhöht den Puffer im Verlustfall und signalisiert so externen Fremdkapitalgebern eine geringere Ausfallwahrscheinlichkeit sowie eine dementsprechend höhere Bonität. Zwar hat der Großteil der deutschen Mittelständler die derzeit gute konjunkturelle Lage dazu genutzt, die Eigenkapitalbasis auszuweiten.6) Zugleich ist aber der Anteil der Unternehmen, die weiterhin als unterkapitalisiert gelten, noch beträchtlich.7) Dementsprechend überrascht es nicht, dass die Stärkung der Eigenkapitalquote als Motiv für den Börsengang bei den Umfrageteilnehmern mit Rang drei einen relativ hohen Stellenwert einnimmt. Auch ist es wenig verwunderlich, dass 92 Prozent der kapitalmarktorientierten Unternehmen mit einer Eigenkapitalquote von weniger als 20 Prozent diesen Grund angeben. Bei den Unternehmen mit einer Eigenkapitalquote von 20 bis 30 Prozent sind es immerhin noch 69 Prozent, bei den Unternehmen mit einer Kapitalausstattung von mehr als 30 Prozent hingegen nur noch zwölf Prozent.

Ähnlich hohes Gewicht erhält das Motiv, durch den Börsengang eventuell bestehende Abhängigkeiten von Fremdkapitalgebern zu verringern und damit die Finanzierungsquellen stärker zu diversifizieren. Dies mag letztendlich eine Reaktion auf das veränderte Risikoverhalten der Hausbanken sein, die in der Vergangenheit aus unterschiedlichen Gründen dazu übergegangen sind, ihre Darlehensvergabe an mittelständische Gesellschaften neu auszurichten.

Gründe gegen den Börsengang

Rund drei Viertel der antwortenden Unternehmen würden derzeit einen Börsengang ausschließen. Der Hauptgrund hierfür ist mit 60 Prozent der Nennungen, dass andere Finanzierungsinstrumente als ausreichend angesehen werden (Abbildung 2). Fast gleichbedeutend ist die Annahme, das eigene Unternehmen sei für den Gang an die Börse zu klein. Insbesondere Unternehmen mit einem Umsatz von weniger als 50 Millionen Euro äußern sich dementsprechend. Eine zu geringe Größe einer Gesellschaft muss aber nicht unbedingt ein Hinderungsgrund sein, die Börse als Finanzierungsquelle zu nutzen. Zum einen tragen mittlerweile besondere Börsensegmente den speziellen Anforderungen kleinerer Unternehmen Rechnung. Zum anderen belegt die Neuemissionsstatistik, dass die Eigenkapitalbeschaffung via Börse längst nicht nur exklusiv größeren Unternehmen vorbehalten ist. Immerhin zählten knapp 30 Prozent der Börsengänge an der Deutschen Börse in den Jahren 2005 bis November 2007 mit einem Volumen von bis zu zehn Millionen Euro zu den kleineren Neuemissionen.8)

Von mehr als 30 Prozent der antwortenden Unternehmen wird auch das Niveau der Regulierung für börsennotierte Unternehmen als ein Hindernis angesehen, den Schritt auf das Börsenparkett zu wagen. Dies deckt sich mit Ergebnissen einer früheren Untersuchung des Deutschen Aktieninstituts, in der nach Meinung der befragten börsennotierten Gesellschaften die zunehmende Regulierungsaktivität deutliche Belastungen bringt, denen nicht immer ein entsprechender Nutzen gegenübersteht.9)

Die Transparenzanforderungen der Kapitalgeber werden hingegen nur von etwas mehr als einem Zehntel der Gesellschaften als Hindernis für den Börsengang betrachtet. Ähnlich niedrig ist der Anteil der Nennungen im Hinblick auf die Offenheit als Kriterium für die Finanzierungswahl. An diesem Ergebnis wird deutlich, dass die Bereitschaft mittelständischer Unternehmen, Informationen weitergeben zu wollen, offensichtlich vorhanden ist.

Der Börsengang im Spektrum anderer Finanzierungsinstrumente

Zumindest Teile der befragten Mittelständler zeigen eine deutliche Offenheit gegenüber den Kapitalgebern. Interessant ist deshalb auch, wie die relative Bedeutung verschiedener Finanzierungsinstrumente insgesamt eingeschätzt wird. Die Umfrageteilnehmer sprechen den traditionellen Instrumenten der Mittelstandsfinanzierung - der Innenfinanzierung und dem Bankkredit, aber auch der Finanzierung über Gesellschaftereinlagen - aktuell den höchsten Stellenwert zu. Darauf folgt mit den klassischen Kreditalternativen (Factoring, Leasing und Lieferantenkredite), den Gesellschafterdarlehen sowie Förderkrediten/Investitionszulagen eine Gruppe von Instrumenten aus dem Fremdkapitalbereich. Den anderen Finanzierungsinstrumenten, darunter auch dem Börsengang, wird nur eine vergleichsweise geringe Bedeutung attestiert. Dieses Meinungsbild ändert sich nur unwesentlich bei der Frage nach der zukünftigen Bedeutung dieser Finanzierungsinstrumente, was für eine weitgehende Konstanz des Finanzierungsverhaltens spricht. Allerdings werden hier gravierende Unterschiede zwischen kapitalmarktorientierten und nicht-kapitalmarktorientierten Unternehmen sichtbar. Erstere zeigen sich nicht nur gegenüber dem Börsengang, sondern auch gegenüber weiteren "innovativen" Instrumenten der Unternehmensfinanzierung weitaus aufgeschlossener. Deutlich wird dies insbesondere bei den Eigenkapitalinstrumenten. Wesentliche Differenzen in den jeweiligen Einschätzungen beginnen bei den Gesellschaftereinlagen und nehmen über das mezzanine Kapital hin zur Beteiligungsfinanzierung stark zu. Am größten sind die Abweichungen - was wenig überraschend ist - bei der Beurteilung der zukünftigen Bedeutung des Börsengangs. Das Interesse kapitalmarktorientierter Unternehmen beschränkt sich daher nicht nur auf den Börsengang, sondern erstreckt sich vielmehr noch auf weitere "kapitalmarktnahe" Instrumente.

Kapitalmarktrelevante Strukturen in den Unternehmen

Nicht nur die Nutzung kapitalmarktorientierter Finanzierungen, sondern auch die Inanspruchnahme des Bankkredits ist mittlerweile mit einem größeren Maß an Transparenz gegenüber den Kapitalgebern verbunden. Die Umfrage zeigt diesbezüglich, dass ein Großteil der Mittelständler in der jüngsten Vergangenheit dazu übergegangen ist, die dafür notwendigen Instrumente zu installieren (Abbildung 3).

Fast alle befragten Unternehmen sind in der Lage, unterjährig betriebswirtschaftliche Auswertungen bereitzustellen, die in der Regel wichtige Grundlage der Kreditgewährung und der laufenden Kreditüberwachung sind. Darüber hinaus verfügen beispielsweise rund 90 Prozent der Umfrageteilnehmer über ein Berichtswesen beziehungsweise ein Kennzahlensystem. Für viele Mittelständler steht meist aus Altersgründen in naher Zukunft die Übergabe des Unternehmens an. Wesentliches Kriterium ist daher für viele Kapitalgeber, ob die Nachfolge geregelt und damit die Konstanz der Geschäftsführung gewährleistet ist. Während fast 50 Prozent der Umfrageteilnehmer eine Nachfolgeregelung getroffen haben, planen dies immerhin knapp 40 Prozent.

Großes Potenzial an künftigen Börsengängen

Darüber hinausgehende, primär für die kapitalmarktorientierte Finanzierungen relevante Informationsinstrumente, sind dagegen bei den befragten Unternehmen noch weniger etabliert. Allerdings zeigen die kapitalmarktorientierten Unternehmen deutlich mehr Interesse an einer umfassenden Informationsbereitstellung als die nicht-kapitalmarktorientierten. Dies gilt unter anderem für die Einführung der internationalen Rechnungslegungsstandards IAS/IFRS, die von vielen Investoren als Grundvoraussetzung oder zumindest als wichtiger Schritt in Richtung Börsengang betrachtet werden. Immerhin beträgt der Anteil kapitalmarktorientierter Unternehmen, die nach IAS/IFRS bilanzieren oder dies zumindest grundsätzlich überlegen, 53 Prozent aller Gesellschaften dieser Gruppe, während lediglich 35 Prozent der nicht-kapitalmarktorientierten Gesellschaften eine Einführung internationaler Rechnungslegungsstandards zumindest erwägen.

Die Umfrageergebnisse offenbaren insgesamt ein großes Potenzial an künftigen Börsengängen unter den mittelständischen Unternehmen. Bei einem weitgehend konstanten Finanzierungsmuster aller befragten Mittelständler zeigt sich auch, dass ein Teil der Gesellschaften nicht nur dem Börsengang, sondern auch anderen "innovativen"

Finanzierungsinstrumenten, insbesondere Private Equity oder mezzaninem Kapital, aufgeschlossen gegenübersteht. Der Wandel des deutschen Finanzsystems und damit auch der Unternehmensfinanzierung in Richtung einer stärkeren Kapitalmarktorientierung, von dem bislang tendenziell eher große Unternehmen profitiert hatten, erfasst damit offenbar nun auch kleine und mittlere Gesellschaften.

Darüber hinaus bleibt festzuhalten, dass die Bereitschaft unter den Mittelständlern, Informationen für den Kapitalmarkt nutzeradäquat zu generieren und bereitzustellen, durchaus vorhanden ist. Transparenz in Angelegenheiten der Finanzierung scheint mehr und mehr zur Selbstverständlichkeit zu werden. Bei einem großen Teil der Umfrageteilnehmer scheint die "informational opacity" daher deutlich abzunehmen. Auch dies ist ein Zeichen für eine Veränderung der Finanzierungsmuster.

Dr. Gerrit Fey , Leiter Fachbereich Kapitalmärkte , Deutsches Aktieninstitut e.V. (DAI), Frankfurt am Main
Dr. Norbert Kuhn , Leiter Unternehmensfinanzierung und stellvertretender Leiter des Fachbereichs Kapitalmärkte , Deutsches Aktieninstitut e.V., Frankfurt am Main
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