Aufsätze

Erwartungen an das Investmentjahr 2012: Cash-Flow is King

Anfang 2012 ist der Euroraum in großer Bedrängnis. Die schwächere Konjunktur, abzulesen an Industrieproduktion und Endnachfrage, könnte der Beginn einer Rezession sein. Wenn sich aber die Geschichte wiederholt, ist es für eine erneute Rezession in Europa etwas früh - der letzte Abschwung endete erst vor zweieinhalb Jahren. Die aktuelle, konjunkturelle Schwäche hat drei Gründe:

- die lange Zeit recht straffe Geldpolitik der EZB, - staatliche Sparprogramme der hochverschuldeten Länder (Austeritätsprogramme) sowie

- eine zurückhaltendere Kreditvergabe der Banken, die sich auf Verluste bei Staatsanleihen vorbereiten.

Eine neue Rezession dürfte aber milder ausfallen als der Abschwung nach dem Zusammenbruch des amerikanischen Hypothekenmarkts und dem Lehman-Debakel weil Banken und Unternehmen heute deutlich mehr Reserven haben und wesentlich liquider sind. Hinzu kommen die geringeren Risiken in den Bankbilanzen. Der Euroraum kann den Schock diesmal also wesentlich besser verkraften.

Auswirkungen außerhalb des Euroraums

Betroffen werden aber auch die Länder außerhalb des Euroraums sein. Dies gilt vor allem für Asien, dessen Emerging Markets erheblich mehr nach Europa als nach Nordamerika exportieren. Die Handels- und Kapitalverflechtungen Asiens mit Europa sind wesentlich enger als die Verflechtungen Europas mit anderen Regionen.

Hinzu kommt die schwächere Konjunktur in China, die nicht ohne Folgen für das Wachstum der Boomländer Korea und Taiwan bleibt. Weniger Wachstum in China und eine Rezession in Europa würde die Wirtschaft in anderen Ländern Asiens zwar nicht schrumpfen lassen, doch dürften deren Exporte nicht mehr so stark zunehmen.

Für die USA, aber für auch Kanada und Mexiko gilt das allerdings eher weniger weil diese Länder nicht so viel Handel mit Europa betreiben. Nur zwei Prozent des amerikanischen BIPs werden auf die andere Seite des Atlantiks exportiert. Doch ist zu befürchten, dass eine Rezession in Europa Auswirkungen auf die amerikanischen Börsen und Banken hätte.

Die größten Unternehmen im amerikanischen S&P 500 erzielen deutlich mehr als zwei Prozent ihres Umsatzes und Gewinns in Europa - nämlich zehn bis zwölf Prozent. Dies wiederum lässt vermuten, dass ihr zuletzt solides Gewinnwachstum Anfang 2012 etwas zurückgehen könnte. Nicht wenige Blue-Chip-Unternehmen werden mit einer geringeren Nachfrage nach amerikanischen Waren und Dienstleistungen konfrontiert sein.

Systemrelevante amerikanische Großbanken

Auch viele systemrelevante amerikanische Großbanken sind sehr eng mit Europa verflochten. Sie haben europäische Staatsanleihen in ihren Büchern (die möglicherweise abgeschrieben werden müssen), treten als CDS-Kontrahenten auf und stellen europäischen Banken temporäre Liquiditätsüberschüsse als Tagesgeld zur Verfügung wegen der höheren Zinsen.

Aufgrund der größeren Verlustrisiken werden viele US-Banken genau wie ihre europäischen Pendants ihre Bilanzen verkürzen und damit de facto weniger Kredite vergeben. In früheren Konjunkturzyklen wäre eine solche Liquiditätsverknappung fatal gewesen. Weil eine höhere Kreditvergabe die amerikanische Konjunktur in letzter Zeit aber kaum gestützt hat, dürften auch straffere Kreditbedingungen keine allzu gravierenden Auswirkungen haben.

Die schwere Rezession 2008/2009 ist noch zu gut in Erinnerung. Aber die möglichen Verluste durch einen Staatsbankrott in Europa werden nicht im Entferntesten so groß und unberechenbar sein wie die damaligen Verluste des Banken- und Wohnimmobiliensektors. Damals lösten die hohen Fremdkapitalquoten eine fast beispiellose Rezession aus. Dieses Mal haben weder amerikanische noch europäische Banken einen so hohen Leverage.

Mit anderen Worten: Die jetzt denkbaren Verluste scheinen leichter verkraftbar zu sein als die Verluste während der letzten Rezession. Die Investoren müssen zwar wachsam und vorsichtig bleiben, doch gibt es keinerlei Grund, vor Angst zu erstarren. Wie es scheint, haben die internationalen Finanzmärkte die zu erwartenden Verluste sogar schon verarbeitet. Vergleiche mit der Vergangenheit legen nahe, dass eine moderate Rezession in den Aktienkursen Europas und der Schwellenländer bereits berücksichtigt sein könnte: In der Vergangenheit sind die internationalen Aktienmärkte vor dem Beginn einer Rezession meist um durchschnittlich 15 bis 26 Prozent gefallen. Ähnlich hoch waren auch die jüngsten Verluste. Hinzu kommt, dass Aktien gemessen am KGV (auf Basis der erwarteten Gewinne) und anderer Bewertungskennziffern heute eher billig sind. Die Kurse preisen bereits eine Krise ein.

Abschwung für die USA gut zu überstehen

US-Aktien sind in letzter Zeit nicht so stark eingebrochen wie Aktien aus anderen Ländern. Mit "Entkopplung" - also der Vorstellung, dass sich die USA vom Rest der Welt entkoppelt haben - hat das aber nur wenig zu tun. Eher könnte die relative Stabilität ein Hinweis darauf sein, dass die amerikanischen Unternehmen heute stabil genug sind, um einen Abschwung gut zu überstehen. In den Jahren nach Lehman haben sie Schulden abgebaut; ihre Cash-Flows, Liquiditätsreserven und Umsätze sind hoch; sie haben Zugang zu stark wachsenden Märkten. Dadurch ist die US-Wirtschaft heute und in Zukunft in einer guten Position, um mit einer schwächeren Weltkonjunktur fertig zu werden.

Die europäische Politik hat zwar nur sehr zögerlich und halbherzig auf die Krise reagiert, doch ist es gelungen, den Euro zunächst einmal zu retten. Das Verhalten der Europäer verhindert aber keine Rezession. Offensichtlich verlangen die Ratingagenturen entschlossene Langfristmaßnahmen, um der Welt zu zeigen, dass die europäische Staatsschuldenkrise gelöst werden kann.

Deshalb trauen sich ängstliche Investoren trotz der scheinbar günstigen Bewertungen derzeit noch nicht, auf Europa zu setzen - und die Vergangenheit lehrt, dass eine solche Zurückhaltung durchaus angemessen ist: Die Märkte setzen meist erst etwa sechs bis neun Monate vor dem erwarteten Ende einer Rezession zu einem Höhenflug an. Wie investieren?

Mit regelmäßigen laufenden Erträgen lässt sich der Volatilität ein Schnippchen schlagen. Die Erträge bewährter dividendenstarker Aktien reagieren weniger heftig auf Änderungen der Risikobereitschaft als ihre Kurse. Wenn Anleger vom Optimismus getrieben in Aktien investieren und später wieder die scheinbare Sicherheit von Anleihen (insbesondere US-Staatsanleihen) und dem US-Dollar suchen, führt dies zwar zu starken Kursschwankungen, hat aber keine direkten Auswirkungen auf die Dividenden. Auf sie entfallen in Europa etwa 60 Prozent der Aktienerträge. In Großbritannien beträgt der Anteil 25 Prozent, in den USA 40 Prozent.

Voraussetzung für zukünftige Dividenden sind Cash-Flows. Trotz aller Turbulenzen aufgrund der Staatsschuldenkrise erzielen Unternehmen in Asien, Nordamerika und in Europa so hohe Cash-Flows wie kaum jemals zuvor. Die Dividendenrendite ist wichtig, aber regelmäßige Cash-Flows sind noch wichtiger (Abbildung 1).

Historische Performance keine Garantie für zukünftige Erträge

In der Vergangenheit waren die Dividenden meist etwa 70 Prozent weniger volatil als die Unternehmensgewinne - weil die Unternehmen ihre Dividenden in der Regel erst dann kürzen, wenn es unumgänglich ist. Auch deshalb sollte man mehr auf regelmäßige Dividenden und weniger auf die täglichen Schwankungen internationaler Aktienindizes achten.

Eine weitere Mehrwert generierende Anlagemöglichkeit sind Qualitätsanleihen und High Yield. Gemessen am Mehrertrag (also der Differenz aus Rendite und risikolosem Zinssatz) erscheinen europäische Qualitätsanleihen heute günstig bewertet. Die Ratingagenturen stufen die wenigen verbliebenen Länder mit AAA-Rating herab, sodass das Angebot an AAA-Staatsanleihen für institutionelle Investoren immer kleiner wird.

In den USA sowie den lateinamerikanischen und osteuropäischen Emerging Markets spiegeln die Spreads von Qualitätsanleihen übertrieben hohe Rezessionserwartungen wider. Auch die Spreads amerikanischer High-Yield-Anleihen sind überdurchschnittlich weit.

Die Bilanzen der Emittenten rechtfertigen diese hohen Spreads nicht, denn die Cash-Flows sind gut. Insgesamt sind die Zahlungsausfälle der Unternehmen unterdurchschnittlich, was ebenfalls für niedrigere Renditen sprechen sollte. Hochzinsanleihen sind längst nicht so volatil wie Aktienindizes - und wenn keine Rezession erwartet wird, könnte man mit ihnen regelmäßige Erträge erzielen, die man zu günstigen Kursen wieder anlegen kann.

Technologie: Ein neuer defensiver Sektor?

Für Investoren können Warnungen vor einer zu hohen Verschuldung und Schlagzeilen über politische Spannungen beunruhigend sein. Man sollte aber nicht übersehen, dass selbst in Zeiten schwachen Wachstums ausgewählte Qualitätsunternehmen rekordverdächtige Cash-Flows erzielen und ihre Bilanzen stabil sind. Was zählt, sind die Fundamentaldaten - und die Erkenntnis, dass gerade in Zeiten niedriger Zinsen regelmäßige Dividenden eine wichtige Ertragsquelle sind.

Lars Detlefs , Senior Managing Director, Head of Institutional Sales – EMEA , MFS Investment Management, Frankfurt am Main
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