Aufsätze

Europäische Staatsfinanz- und Bankenkrise - Laokoon oder klarer Schnitt?

In der Europäischen Union haben sich die Staatsfinanzierungskrise und die Bankenkrise politisch und ökonomisch zutiefst verschränkt. Die Banken und die Staaten sitzen nun in einem Boot, sie sind die beiden Seiten einer Münze. Und diese Münze, die eigentlich für die Funktionsfähigkeit des Systems stehen sollte, genießt kein Vertrauen mehr. Die Symbiose zwischen Banken und Staat ist verhängnisvoll. Sie führt dazu, dass zwischen der Stabilität der öffentlichen Finanzen und der Stabilität des Bankensektors eine enge Klammer besteht: Die Staaten haben sich von den Banken abhängig gemacht. Diese Verschränkung muss aufgebrochen werden.

Verhängnisvolle Symbiose

Möglicherweise hat man das auch erkannt. Die mit den Beschlüssen vom 28./29. Juni angedachte Lösung der Rekapitalisierung der Banken durch den ESM birgt allerdings sowohl ordnungspolitisch, verteilungspolitisch als auch operationell beachtliche Unwägbarkeiten. Sie verheißt zwar konditionierte Schrittfolgen in der Sequenz des "wenn/dann", doch wird diese Erwartung durch die bisherige Erfahrung mit europäischen Prozessen nicht gestützt. Die öffentliche Artikulation der vergangenen Tage ist Ausdruck dieses Misstrauens.

Eine der wichtigsten Lehren der Finanzkrise 2008/2009 war die Erkenntnis, dass die Erpressbarkeit des Staates mit dem Argument "too big to fail" oder "too interconnected to fail" beseitigt werden muss. Die deutsche Antwort auf diese Herausforderung war das "Restrukturierungsgesetz" von 2010: Gelingt einem Kreditinstitut die Sanierung und Reorganisation nicht aus eigener Kraft - durch Leistungen der Eigentümer und der Gläubiger - wird ihm diese Verantwortung entzogen. Die Gestaltungsmöglichkeiten gehen dann bei Bestandsgefährdung des Instituts im Interesse der Systemstabilisierung auf Dritte über: Auf die Bankenaufsicht, auf die Finanzmarktstabilisierungsanstalt und auf den von dieser verwalteten Restrukturierungsfonds.

Restrukturierungsgesetz als Vorbild

Nicht zuletzt dieser deutsche Schritt hat die EU-Kommission noch in 2011 veranlasst, den Ansatz zum Gegenstand einer Richtlinie zu machen, also in EU-Recht zu transformieren. Die wesentlichen Empfehlungen der "Vickers-Commission" für die Reform des britischen Bankwesens und des US-amerikanischen Dodd-Frank Act ("Volker's Rule") haben im Kern die gleiche ordnungspolitische Intention, nämlich Chancen und Risiken des Bankgeschäftes bei den Eigentümern und Gläubigern wieder in die Balance zu bringen.

Dazu gehören auch Vorkehrungen für eine geordnete Abwicklung von Kreditinstituten, wie sie in Großbritannien und in den USA durch "living wills" (das heißt "Testamente" im Sinne eines vorbereiteten Abwicklungsplans) von dort tätigen Banken vorgelegt werden müssen. Aber dieser Kern der Bankordnungspolitik könnte mit dem nunmehr angedachten Verfahren wieder Makulatur werden. Die Bankensanierung zulasten der Gesellschaft und ihrer Steuerzahler würde dann ein Pfeiler der angedachten europäischen Bankenunion.

Neben dieser ordnungspolitischen Gefahr wäre damit auch eine verteilungspolitische Unwucht vorprogrammiert: Nach Berechnungen des Ifo-Instituts lag die Summe der Bankschulden der Krisenländer Griechenland, Irland, Italien, Portugal und Spanien Ende 2011 bei 9,2 Billionen Euro, die der Staatsschulden dieser Länder bei 3,3 Billionen Euro. Allein die fünf Krisenländer hatten also 2011 brutto Staats- und Bankenschulden in Höhe von 12,5 Billionen Euro. Bereinigt man diese Größenordnung um das Volumen der Staatspapiere in den Bankbilanzen dieser Länder, ergibt sich eine Schuldensumme von 12 Billionen Euro.

Ungewollte Verteilungseffekte

Nun muss man nicht gleich in Schreckens-Szenarien denken. Aber selbst wenn nur ein relativ geringer Prozentsatz dieses Volumens über den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) refinanziert werden sollte, wäre dessen "Feuerkraft" schnell erschöpft und müsste durch weitere Leistungen der EU-Mitgliedstaaten deutlich erhöht werden. Es bliebe dann noch die bereits in Rede stehende Möglichkeit, den ESM mit einer Banklizenz zu versehen. Aber auch ein solcher Schritt würde das Problem nur verschleiern: Denn im Ergebnis - wenn auch über Zwischenschritte müsste der europäische Steuerzahler antreten, um die Werthaltigkeit der Forderungen von Anlegern und Investoren aus aller Welt zu sichern und deren vorangegangene Risikoneigung und Ertragsrealisierung im Nachhinein zu alimentieren

Operationell wird die nunmehr angedachte Bankenrekapitalisierung nicht einmal im Ansatz in die Rahmenbedingungen und Regelwerke einer noch zu konstruierenden europäischen Bankenunion eingebettet beziehungsweise von deren Voraussetzungen abhängig gemacht werden können, wie es insbesondere das deutsche Petitum war. Die Rekapitalisierung der spanischen Banken wird so lange nicht warten können, und es wird sich schnell die normative Kraft des Faktischen entfalten. Die Erfahrung zeigt, dass bereits ein einzelner Referenzfall für einen solchen Prozess ausreicht. Die Ankündigung Irlands unmittelbar nach dem Gipfel, gewissermaßen im Nachhinein auf ESM-Mittel zur Alimentation von Rekapitalisierungsmaßnahmen zurückgreifen zu können, bestätigt diese Befürchtung.

"Entgiftung" der Bilanzen

Was aber wäre zielführend, um die Verstrickung von Staatsfinanzierungs- und Bankenkrise aufzulösen und die Gefahr zu bannen, dass beide sich - wie in Irland 2008/2009 - potenzieren?

Zunächst muss der Brandbeschleuniger für eine solche Entwicklung aus den Bankbilanzen herausgelöst werden. Das heißt, die Kreditinstitute müssen die Möglichkeit bekommen, die toxischen Aktiva und nicht-strategische Assets aus der Bilanz zu nehmen und diese einem spezifischen Verfahren der Abwicklung beziehungsweise Verwertung zu unterwerfen. Die grundsätzlichen Elemente eines solchen Vorgehens wurden in Deutschland Mitte 2009 mit der Novelle zum Finanzmarktstabilisierungsgesetz geschaffen.

Auf der Grundlage dieses Gesetzes haben die WestLB und die HRE bislang insgesamt Aktiva von rund 250 Milliarden Euro in öffentlich-rechtliche Abwicklungsanstalten ausgelagert, um sie über einen längeren Zeitraum und ohne akuten Verkaufsdruck verwerten zu können. Mit den abschließenden Übertragungen bei der Auflösung der WestLB wird sich diese Summe auf 350Milliarden Euro erhöhen.

Ohne diesen Ansatz im Einzelnen darzustellen, ist für unseren Zusammenhang und mit Blick auf eine Umsetzung dieses Modells in der EU Folgendes wichtig:

- Die Übertragung der in Rede stehenden Aktiva und der damit korrespondierenden Passivseite sollte zum Buchwert für einen bestimmten Stichtag erfolgen.

- Der Träger dieser Plattform sollte der Do-mizil-Staat der jeweiligen Bank sein, dessen Aufsicht zusammen mit europäischen Bankaufsichtsinstanzen diesen Ansatz begleitet.

- Die Plattform selbst muss mit Blick auf den begrenzten Geschäftszweck keine Banklizenz beanspruchen. Sie ist deshalb auch nicht dem gesamten Kanon bankaufsichtsrechtlicher Regeln, insbesondere jenen für das Eigenkapital, zu unterwerfen.

- Die Refinanzierung der übertragenen Aktiva bis zum Veräußerungszeitpunkt wird durch den jeweiligen Staat garantiert. Dessen Kapitalmarktfähigkeit, dessen Rating und die daraus abgeleitete staatliche Refinanzierungskraft sind dann der Ansatzpunkt europäischer Solidarhilfen, nicht das einzelne Institut selbst.

- Die Kapitalausstattung einer solchen Plattform muss beim Start so dimensioniert werden, dass der vorgesehene Abwicklungsplan zumindest prospektiv mit einem ausgeglichenen Ergebnis endet. Das wirtschaftliche Ergebnis der Abwicklungsplattform kann gleichwohl temporär (zum Zeitpunkt einzelner Jahresabschlüsse), aber auch definitiv (am Ende der Abwicklungsperiode) negativ sein. Die dann notwendige (temporäre) Risikovorsorge beziehungsweise auch der gegebenenfalls letztliche Verlustausgleich sind ebenfalls Aufgabe des jeweiligen nationalen Trägers einer solchen Abwicklungsbank.

- Soweit sich mit einem solchen Vorgehen Beihilfefragen verknüpfen, sind diese durch die zuständigen Stellen der EU-Kommissionen im Zusammenhang mit der Genehmigung der beiden deutschen "Referenzfälle" geklärt.

Dieser Ansatz vermeidet die genannten ordnungspolitischen und verteilungspolitischen Verwerfungen der angedachten Rekapitalisierung von Banken zulasten der europäischen Gesellschaft, deren Toleranz- und Solidaritäts-Schwelle sonst bis an die Grenzen getestet würde. Er belässt die politische Verantwortung für die Restrukturierung der nationalen Bankenwirtschaften, auch unter Einschluss europäischer Auflagen, bei den einzelnen Ländern, die diesen Anspruch auch immer wieder artikulieren. Diese können damit auch entscheiden, ob und in welchem Umfang die Eigentümer und Gläubiger der Kernbanken in die Lasttragung der Abspaltungen einbezogen beziehungsweise Eigentümerwechsel notwendig werden.

Verschuldungsstand bleibt Aufgabe der nationalen Finanzpolitik

Das skizzierte Vorgehen entlastet nicht unmittelbar die jeweiligen Staatshaushalte und deren Verschuldungsstand. Dies ist und bleibt Aufgabe der nationalen Finanzpolitik. Es würde aber vermieden, dass durch permanente Verschleppung der notwendigen Korrekturen weitere öffentliche Lasten entstehen und die verhängnisvolle Spirale von Bankenstützung zulasten der Staatshaushalte sich noch schneller dreht.

Vor allem würde ein Weg für die Restrukturierung und Redimensionierung der europäischen Bankwirtschaft eröffnet:

1. Die nach Abspaltung der Abwicklungsplattformen verbleibenden Kernbanken sind mit Blick auf Ertragslage und Risikopotenzial deutlich stabiler.

2. Die Entlastung des Kernkapitals unterstützt deren Restrukturierung und die Ausrichtung auf ein zukunftsfähiges Geschäftsmodell und eröffnet neuen Spielraum für Kreditvergabe.

3. Die damit einhergehende Revitalisierung der originären Bonität der geschrumpften Institute verbessert deren Rating und deren Refinanzierungsfähigkeit.

4. Die Abwicklungsplattformen ihrerseits bieten den Vorteil der potenziellen und partiellen Werterholung der aktuell "gestressten" Aktiva, machen "fire sales" entbehrlich und eröffnen damit die Chance, die ansonsten notwendige Stützung zu reduzieren.

Dies alles kann nur ein Denkanstoß sein, der noch nicht alle Einzelfragen beantwortet. So ist zum Beispiel die Übertragung von Aktiva und Passiva auf eine Abwicklungsbank an die Zustimmung der Schuldner und Gläubiger gebunden. Auch dafür sind Lösungen denkbar, zum Teil auch bereits erprobt. Die Stichworte dafür sind die synthetische Übertragung, das heißt lediglich die Transformation des wirtschaftlichen Risikos auf die Abwicklungsplattform (bei Komplikationen auf der Schuldnerseite) beziehungsweise die Umwandlung der jeweiligen Verbindlichkeiten in "Debt-Equity-Swaps" (bei Komplikationen auf der Gläubigerseite). Letzteres würde sofort und ohne Umwege einen Beitrag zur Rekapitalisierung der jeweiligen Kernbank leisten.

Offen bleibt auch die Frage, ob ein solcher Ansatz für alle oder nur für systemrelevante Banken vorgesehen werden oder sich zum Beispiel auf die Kreditinstitute in den genannten Krisenländern beschränken sollte. Gleichermaßen sind die Kriterien ausgliederungsfähiger Aktiva und die Übertragungswege auf eine Abwicklungsplattform zu definieren. Die Fixierung dieser Rahmenbedingungen könnte eine originäre und sachlich gebotene konzeptionelle Aufgabe einer europäischen Bankenaufsicht sein. Dabei könnten wesentliche Vorarbeiten kurzfristig von der EZB geleistet werden, zumal sich diese anheischig macht, zumindest Teile der europäischen Bankenaufsicht zu übernehmen. Die Umsetzungsschritte dagegen sollten im Sinne einer ordnungspolitisch verträglichen Arbeitsteilung gegebenenfalls von der EBA und jeweiligen nationalen Bankenaufsichten gesteuert und flankiert werden.

Konzeptionelle Führungsrolle

Entscheidend aber ist die ordnungspolitische Dimension. Sie würde auch der Intention einer europaweiten Einlagensicherung viel von ihrer politischen und psychologischen Sprengkraft nehmen. Es wäre dann erkennbar, dass deren Mittel im Zweifel nicht auch dazu herhalten müssen, die bilanziellen Schleifspuren exzessiver Risikofreude und eines "moral hazard" auszubügeln. Deutschland hätte die Chance, sich in den europäischen Verhandlungen nicht nur in Abwehrschlachten zu verzehren, um weitere Begehrlichkeiten zur Mitnutzung einer noch intakten staatlichen Bonität zurückzudrängen. Mit einem solchen Lösungsansatz könnte man vielmehr eine konzeptionelle Führungsrolle übernehmen. Vor allem aber würde deutlich, dass in Europa das Denken und Handeln in Ordnungskategorien sich noch nicht völlig verflüchtigt hat. Dies wäre ein Wert an sich, denn diese Gewissheit ist letztlich die Grundlage für das Vertrauen der Märkte und der Bürger in die politische Führung.

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