Aufsätze

Finanzkrisen und ihre Bewältigung: Wiederkehrende Herausforderungen für Großbanken

Über die letzten drei Dekaden sind die vormals weitgehend voneinander getrennten, nationalen Finanzmärkte zu einem wahrhaft globalen Finanzmarkt verschmolzen. Viele haben von dieser Entwicklung profitiert: Unternehmen und Privatkunden, denen Zugang zu neuen, günstigeren und stärker an ihren Bedürfnissen ausgerichteten Finanzquellen und -instrumenten erschlossen wurde; Staaten, die ihre gewaltigen Infrastrukturinvestitionen finanzieren oder ihre Devisenüberschüsse weltweit anlegen können; und nicht zuletzt die Banken, denen sich gänzlich neue Geschäftsfelder und Märkte eröffnet haben. Profitiert hat aber auch das Finanzsystem als Ganzes, dessen Stabilität durch die stärkere geografische Streuung von Erträgen und Risiken erhöht wurde.

Handlungsbedarf erkannt

Gleichzeitig gilt, was Martin Kohlhaussen mit großer Weitsicht bereits im September 1997 - also kurz nach Ausbruch der Asienkrise - schrieb: "Die Globalisierung und die damit erhofften weltweiten Wohlstandssteigerungen erfolgen jedoch nicht automatisch. Die optimistischen Erwartungen werden sich nur erfüllen, wenn die Regierungen die notwendigen stabilen Rahmenbedingungen schaffen. Dazu gehört neben einer auf Geldwertstabilität und finanzpolitischer Solidität gründenden Wirtschaftspolitik auch ein Rahmen für internationale Finanzmärkte, der alle Akteure vergleichbaren Aufsichtsnormen unterwirft und die Liberalisierung vor allem in den Schwellenländern zügig vorantreibt. Im Vordergrund stehen dabei zweifelsohne die Stärkung der Eigenverantwortung der Marktteilnehmer sowie die Verbesserung der Entscheidungsprozesse durch Markttransparenz und ein leistungsfähiges internes Risikomanagement."1)

Die aktuelle Finanzmarktkrise, die - von einem obskuren Segment des US-Hypothekenmarkts ausgehend - rasch auf Finanzmärkte und -institutionen weltweit übergriff, hat diese Kehrseite der globalen Verflechtung erneut unterstrichen. Fast alle der von Martin Kohlhaussen bereits vor über zehn Jahren identifizierten Handlungsfelder haben sich auch in dieser Krise als relevant erwiesen: das Auseinanderfallen von nationaler Aufsicht und globalen Finanzmärkten, die Existenz regulatorischer Schwachstellen - insbesondere in Bezug auf außerbilanzielle Vehikel wie SIVs und Conduits -, die mangelhafte Transparenz über den Risikogehalt einiger Produkte und über die jeweiligen Engagements der Banken sowie die Schwächen im Risikomanagement mancher Finanzinstitute.

Ist daraus der Schluss zu ziehen, dass die Finanzmarktakteure - allen voran die Banken - nichts gelernt haben? Die Antwort ist sicherlich ein klares "Nein". Tatsache ist: Viele der seit der Asienkrise ergriffenen Maßnahmen haben sich als durchaus hilfreich erwiesen. Die Verbesserung der Aufsichtsstandards und der makroökonomischen Politiken in den Schwellenländern hat ebenso Früchte getragen wie die gestiegene Datentransparenz und die intensivere Verwendung dieser Daten im Risikomanagement der Banken - vor allem bei Engagements in den Schwellenländern.

Äußerst stabil

Zu beobachten ist, dass die Schwellenländer und die Engagements der internationalen Banken in diesen Ländern von der gegenwärtigen Krise nicht betroffen sind ganz im Gegenteil, sie erweisen sich als äußerst stabil und stützen das globale Wachstum; für die Großbanken erweisen sich die Geschäfte in diesen Ländern als ertragsstabilisierend.

Ähnliches gilt für die Lehren, die aus dem Zusammenbruch des Hedgefonds Long-Term Capital Management im Jahre 1998 gezogen wurden, der stets Anlass für erhebliche Bedenken bezüglich der Geschäfte der Großbanken mit Hedgefonds war.

Auch hier ist zu beobachten: Selbst wenn die durchschnittliche Wertentwicklung der Hedgefonds in den ersten Monaten dieses Jahres leicht negativ war, so sind sie doch wesentlich besser durch die Marktturbulenzen gekommen als so manches Kreditinstitut und waren - anders als viele Marktteilnehmer dies erwartet hatten - jedenfalls nicht Auslöser der Krise. Auch in diesem Geschäftsfeld scheinen sich die Maßnahmen, die die Großbanken als Prime Broker und Kreditgeber der Hedgefonds ergriffen haben, bewährt zu haben.

Handlungsfeld Risikobewertung

Dieser positive Befund kann - und soll freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass an anderen Stellen - zum Teil gravierende - Versäumnisse festzustellen waren. Dies gilt insbesondere für den Kernbereich des Bankgeschäfts: die Risikobewertung - und hier vor allem in Bezug auf den US-Hypothekenmarkt; die dort entstandenen Defizite im Hinblick auf die Vermögens- und Risikobewertungen zogen sich durch die gesamte Kette der darauf basierenden verbrieften Forderungen. Auch die Anleger, die in diese Verbriefungen investiert haben, hatten es an der erforderlichen Sorgfalt bei der Prüfung des Risikogehalts ihrer Investitionen missen lassen. Zu oft und zu sehr haben sich manche blind auf die Auszeichnungen und Urteile der Ratingagenturen verlassen. Hinzu kam - sicher auch bedingt durch eine lange Periode niedriger Ausfallraten, geringer Inflation und großer Finanzmarktstabilität - eine zu große Risikoneigung, die dazu führte, dass einige Marktteilnehmer Risiken eingegangen sind, die nicht im angemessenen Verhältnis zu ihrer Kapitalstärke und ihrer Ertragskraft standen.

Darüber hinaus wirkten sich unvorhergesehene Umstände krisenverstärkend aus. Vor allem wegen der mangelnden Transparenz führte die Unsicherheit über die Höhe der Verluste einzelner Finanzmarktakteure zu Verwerfungen am Geldmarkt. Der daraus entstehende Druck, sich anderswo Liquidität zu beschaffen und zu sichern durch den Verkauf gesunder, zunächst nicht unmittelbar von der Krise betroffener Vermögenswerte - bewirkte das Überschwappen der Krise auf fundamental gesunde Märkte. Als krisenverstärkend erwies sich zudem die prozyklische Wirkung von Eigenkapitalanforderungen und Mark-to-Market-Bewertungen. Und auch die anfänglich unabgestimmten Maßnahmen von Zentralbanken und Aufsichtsbehörden trugen ein Übriges zur Unsicherheit bei, bevor ein konzertiertes, auf vergleichbaren Instrumenten beruhendes Vorgehen vereinbart wurde.

Für all diese Schwachpunkte gilt es nun, angemessene Antworten zu finden. Hier täten wir gut daran, die Maxime zu beherzigen, die Martin Kohlhaussen nach den Turbulenzen des Jahres 1998 formulierte: "Angebracht ist [...] eine ausgewogene und differenzierende, jedenfalls aber keine radikale Kur. Dies schließt striktere Regeln in einzelnen Bereichen nicht aus."2) Die Blaupausen dafür liegen mit dem Bericht des Financial Stability Forum (Report of the FSF on Enhancing Market and Institutional Stability) sowie dem "Interim Report of the Committee on Market Best Practices" des Institute of International Finance (IIF) auf dem Tisch. Erfreulicherweise gibt es eine breite inhaltliche Übereinstimmung zwischen beiden Berichten.

Dem Bericht des IIF kommt dabei insofern besondere Bedeutung zu, als die Finanzindustrie in ihm ihre eigene Verantwortung für die Stabilität der Finanzmärkte und die Beseitigung von Schwachstellen unterstreicht. Sie will aktiv zur Überwindung dieser Defizite beitragen. Im Mittelpunkt der Vorschläge des IIF stehen konsequenterweise Sachverhalte, die das Management der Banken selbst betreffen. Konkret geht es um die Bereiche "Risiko- und Liquiditätsmanagement", "Vergütungsstrukturen" sowie "Transparenz und Offenlegung". Hinzu kommen die Themen "Bewertungsfragen", "Arbeit der Ratingagenturen" und die "Zusammenarbeit der Aufsichtsbehörden" - Themen also, bei denen Antworten nur im gemeinsamen Wirken der Finanzindustrie mit anderen Kapitalmarktakteuren gefunden werden können.

Viele der vorgeschlagenen Maßnahmen sind dabei weitgehend unstrittig. Dies gilt insbesondere für das Bestreben, größere Transparenz über jene Risiken herzustellen, die Banken auf und außerhalb ihrer Bilanzen halten. Einigkeit besteht auch darüber, dass Investoren zukünftig mehr Informationen über strukturierte Produkte und Verbriefungstransaktionen erhalten sollen. Unstrittig ist ebenfalls: Banken müssen die Anreizstrukturen für die Entlohnung ihrer Mitarbeiter überdenken; dies wird am besten durch eine Selbstverpflichtung der Institute zu erreichen sein. Auch Vorschläge zu einer Verbesserung des Liquiditätsmanagements wurden ja bereits vor Ausbruch der Subprime-Krise diskutiert

- übrigens auf Basis von Empfehlungen des IIF vom April 2007; hier gilt es nun, diese Empfehlungen konsequent in der Praxis und im Aufsichtsrecht umzusetzen. Bei anderen Themen können Regierungen, Aufsichtsbehörden und Finanzmarktakteure ebenfalls auf vorhandenen Arbeiten aufbauen. Über die Rolle der Ratingagenturen etwa wurde bereits in der Vergangenheit intensiv diskutiert. Hier gibt es freilich neue Aspekte dieser Debatte - insbesondere die Frage nach der Ratingmethodologie für strukturierte Produkte -, die sich in der Vergangenheit in dieser Form nicht gestellt haben und nun Eingang in die Diskussionen finden müssen. Ähnliches gilt für die Optimierung der internationalen Zusammenarbeit von Aufsichtsbehörden und Zentralbanken in Bereichen, in denen die derzeitige Krise neuen Handlungsbedarf über die ohnehin laufenden Projekte hinaus - aufgezeigt hat. Schließlich gibt es bei einigen Themen Bedarf für eine sorgsame Prüfung möglicher regulatorischer Antworten. Dies gilt zum einen für die Frage einer Revision der Eigenkapitalanforderungen, wo man sicherlich gut beraten wäre, zunächst einmal die Wirkung der Einführung von Basel II abzuwarten. Dies gilt aber auch für die Frage der Bewertungsstandards, insbesondere die Bewertung von Finanzaktiva, für die es temporär keinen liquiden Markt gibt. Hier gilt es, die richtige Balance zwischen der erstrebenswerten Transparenz einer Zeitwertbilanzierung und der Gefahr einer prozyklischen Wirkung und Verstärkung zu finden. Auch in diesem Zusammenhang hat übrigens Martin Kohlhaussen bereits vor zehn Jahren gewarnt: "Schätzergebnisse, die mit hoher statistischer Unsicherheit behaftet sind, können nicht dem Gewinn zugerechnet werden."3)

Kooperation von öffentlichem und privatem Sektor

Der beste Weg zu angemessenen Antworten auf diese und andere komplexe Fragestellungen wird ein gemeinschaftliches Handeln von Aufsicht, Standardsetzern und Banken sein. Die bereits erwähnte hohe Übereinstimmung der vorgelegten Maßnahmenpläne ist eine gute Grundlage dafür. Sie wird dazu beitragen, Antworten zu formulieren, die die identifizierten Probleme kraftvoll beseitigen und gleichzeitig die Gefahr einer Überregulierung vermeiden.

Positiv wirkt sich dabei aus, dass sich der Dialog zwischen Finanzindustrie und öffentlichem Sektor in den vergangenen Jahren in beispielloser Weise intensiviert hat. Die Zusammenarbeit bei der Bewältigung der Asienkrise war hierbei ebenso formativ wie die konzeptionelle Arbeit am revidierten Eigenkapitalstandard (Basel II). Voraussetzung hierfür war übrigens eine engere Kooperation der international agierenden Banken untereinander. Heute ist es selbstverständlich, dass nicht nur im Konzert der großen deutschen Banken, sondern auf globaler Ebene - im Rahmen des IIF - oder zumindest auf europäischer Ebene - etwa über die European Banking Federation - Antworten gesucht und Lösungsvorschläge entwickelt werden.

Rückbesinnung auf die Grundsätze klugen Bankgeschäfts

Die gegenwärtige Finanzkrise ist zweifelsohne eine der größten Herausforderungen für die Banken, das Finanzsystem insgesamt und damit auch für Aufsicht und Regierungen, mit der wir seit Langem konfrontiert wurden. Die besonnene, koordinierte und zielgerichtete Art des Umgangs mit der Krise durch alle Akteure ist dabei aber ein Grund für Optimismus. Sie ist zugleich eine Mahnung zur Rückbesinnung auf die Grundsätze klugen Bankgeschäfts. Um mit den Worten Martin Kohlhaussens zu schließen, die für die Subprime-Krise ebenso wahr sind wie damals für die Asienkrise: "Insofern kann die gegenwärtige Krise, die eigentlich eine längst fällige, wenn auch hier und da schmerzhafte Korrektur übertriebener Hoffnungen darstellt, heilsame Wirkung entfalten: indem sie den Sinn für das Verhältnis zwischen Risiko und Ertrag schärft."4)

Fußnoten

1) "Bankgeschäft im Zeitalter der Globalisierung", Beitrag zur Sonderbeilage "Banking International" der Börsen-Zeitung am 13. September 1997.

2) "Globalisierung der Finanzmärkte", Vortrag auf der European Banking Technology Fair am 2. November 1998.

3) "Internationale Bilanzierung im Spannungsfeld von Anleger- und Gläubigerinteressen", Rede auf der Jahrestagung des Instituts der Wirtschaftsprüfer am 2. Oktober 1997.

4) "Globalisierung der Finanzmärkte", a.a. O.

Eigene Bewertung: Keine Durchschnitt: 3 Punkte (1 Bewertung)


X