Schwerpunkt

Kreditrisiken: die bessere Alphaquelle?

Zinsprognosen waren noch nie einfach, aber seit zwei Jahren sind sie schwieriger denn je. Mit dem Beginn der Finanzkrise scheinen die klassischen Zusammenhänge zwischen Anleiherenditen und Konjunktur außer Kraft gesetzt. Nicht mehr Wachstum und Inflationserwartungen bestimmen die Renditen, sondern die schwankende Risikobereitschaft der Anleger und die unkonventionellen Maßnahmen der Notenbanken - die "Flucht in die Qualität" und das "Quantitative Easing".

Unberechenbarkeit der Anlegerstimmung

Die Unberechenbarkeit der Anlegerstimmung ist legendär, und auch das Notenbankverhalten ist zurzeit nicht leicht zu prognostizieren. Denn für die derzeitige Geldpolitik gibt es keinen Präzedenzfall. Entsprechend schwierig sind Prognosen der Staatsanleiherenditen. Immer wieder haben Experten in den letzten Jahren versucht, Niveau und Steigung der Zinsstrukturkurven vorherzusagen. Meist war der Erfolg gering - und viel spricht dafür, dass dies noch längere Zeit so bleibt.

Hinzu kommt, dass die Realzinsen amerikanischer und kerneuropäischer Staatsanleihen heute negativ sind. Anleiheinvestoren mit konkreten Rendite- oder Ertragsvorgaben haben also ein Problem. Eine Lösung könnte sein, das Heil in längeren Laufzeiten zu suchen. Aber das bedeutet ein höheres Zinsrisiko - in einer Zeit, in der die zukünftige Renditeentwicklung nur schwer einzuschätzen ist.

Kredit- statt Zinsrisiko

Eine andere Möglichkeit ist, auf Papiere mit einer etwas geringeren Kreditqualität zu setzen. Dann sorgt das höhere Kreditrisiko für höhere laufende Renditen. Für eine solche Strategie spricht zweierlei: Zum einen sind die Realrenditen vieler Spreadprodukte nach wie vor positiv, zum anderen bieten die Spreads einen Puffer, wenn die Zinsen doch steigen.

Dies gilt umso mehr, als dass die Spreads trotz ihres Rückgangs in den letzten Monaten noch immer sehr weit sind und oft nur knapp unter ihren (durch die Turbulenzen nach der Lehman-Insolvenz nach oben verzerrten) Zehnjahresdurchschnitten liegen (Abbildung 1). Ob Investment-Grade-Unternehmensanleihen, High-Yield- oder Emerging-Market-Staatsanleihen - die Spreads sind zwar weit von ihren Höchstständen aus dem Herbst 2008 entfernt, aber im Vergangenheitsvergleich noch immer attraktiv.

Zum einen liegt es an der nach wie vor eher geringen Risikobereitschaft vieler Anleger, zum anderen aber auch daran, dass die Investoren völlig zu Recht einen Ausgleich für latente gesamtwirtschaftliche Unsicherheiten und die abnehmende Marktliquidität erwarten. Sie ist eine Folge neuer aufsichtsrechtlicher Vorschriften wie der höheren Kapitalanforderungen nach Basel III (die den Eigenhandel einschränken und damit zu geringeren Umsätzen führen), aber auch des schrumpfenden Nettoangebots. Auf diesen Punkt wird später noch ausführlicher eingegangen.

Doch auch aus einem anderen Grund ist das Kreditrisiko die vielversprechendere Alphaquelle, heute wie langfristig: Es ist leichter zu analysieren. Während die Zinsentwicklung von komplexen wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen und der oft unberechenbaren Anlegerstimmung abhängt, zählt beim Kreditrisiko allein die besser prognostizierbare Zahlungsfähigkeit der Emittenten.

Hinzu kommt, dass eine Zinsrisikostrategie zu wenigen großen Wetten zwingt, während eine Kreditrisikostrategie eine Vielzahl von Einzelwertpositionen ermöglicht. In Nordamerika und Kerneuropa gibt es nur wenige Staatsanleihenmärkte, aber Tausende von Unternehmen, die Anleihen emittieren. Wer auf Kreditrisiken setzt, hat deshalb vielfältige Diversifikationsmöglichkeiten, die weit über die einer Staatsanleihenstrategie hinausgehen. Kreditrisiken zu steuern bedeutet, viele kleine Entscheidungen zu treffen, anstatt auf wenige große Zinspositionen zu setzen. Dem Risiko-Ertrags-Profil des Portfolios kann das nur gut tun: Der Fundamental Law of Active Management zufolge sind viele kleine Alphachancen wenigen großen vorzuziehen.

Besonders attraktiv:

US-Unternehmensanleihen mit BB-Rating

Wenn etwas sehr vielversprechend ist, spricht man im Englischen vom "Sweet-Spot". Ursprünglich meinte man damit einen Golfplatz, auf dem man mit wenig Kraft optimale Ergebnisse erzielt. Einen solchen Sweet Spot hat zurzeit auch der - ohnehin günstig bewertete - amerikanische Unternehmensanleihemarkt.

Besonders interessant erscheinen Papiere mit dem besten spekulativen Rating, einem BB. High-Yield-Investoren meiden sie, weil ihnen ihre Renditen nicht reichen, und für Anleger, die ausschließlich in Investment-Grade-Titel investieren dürfen, sind sie tabu. Dies kann zu Marktineffizienzen führen, die man mit sorgfältigen Analysen nutzen kann. Die Attraktivität dieser Titel hat also strukturelle Ursachen. Ähnliches gilt für sogenannte Crossover-Anleihen - Titel, denen eine der beiden großen Ratingagenturen Investment-Grade-Status zuerkennt, die andere aber nicht.

Oft haben Emittenten mit BB-Rating ähnliche Kreditkennziffern wie Investment-Grade-Emittenten, sodass auch ihre Kreditrisiken nicht höher sind. Dennoch bieten sie die bei High Yield üblichen Renditen. Mit sorgfältigen Analysen kann man deshalb Papiere finden, deren Erträge für das jeweilige Risiko mehr als entschädigen. Dazu trägt auch bei, dass die Ratingagenturen üblicherweise erst mit Verzögerung auf die Entwicklung der Fundamentaldaten reagieren.

Als aktiver Unternehmensanleihemanager betreibt MFS Investment Management daher Ratingarbitrage. Es geht darum, mögliche Heraufstufungen zu antizipieren und in eine Anleihe zu investieren, bevor der Markt die Verbesserung der Fundamentaldaten erkennt - und lange bevor die Agenturen einen Emittenten heraufstufen. Wenn das schließlich geschieht, ändert sich auch das technische Umfeld substanziell. Dies führt häufig zu einem deutlichen Spreadrückgang, weil sich die Bewertung der Anleihe an die ihrer neuen Vergleichsgruppe anpasst. Die Aussicht auf erhebliche Kursgewinne, wenn die Ratingagentur handelt, macht die Heraufstufungskandidaten also zusätzlich interessant.

Alles in allem zeichnen sich BB-Anleihen durch im Vergleich zu Investment-Grade-Anleihen höhere Renditen, eine geringere Duration und niedrigere Korrelation mit US-Staatsanleihen aus. Fairerweise muss man aber hinzufügen, dass auch das Volatilitäts- und das Ausfallrisiko höher sind als bei Investment-Grade-Papieren.

Die Risiken dürften aber heute niedriger sein als vor einigen Jahren: Die amerikanischen Unternehmen haben mittlerweile ihre Lektion gelernt. Nach den Erfahrungen während der Kreditkrise, als die große Abhängigkeit von kurzfristigem Fremdkapital viele bis dahin solvente Qualitätsunternehmen an den Rand der Zahlungsunfähigkeit gebracht hat, haben sie zum Teil beachtliche Liquiditätspuffer geschaffen. Diese Kassepositionen, die sich (gemessen an den Barmitteln in Prozent der Gesamtaktiva, ohne Finanzanlagen) heute nahe ihrer 50-Jahres-Hochs befinden, bewahren die Unternehmen vor künftigen Liquiditätsengpässen. Sie bieten Schutz, wenn externe Finanzierungsmöglichkeiten wieder einmal knapp werden.

Bessere Fundamentaldaten

Außerdem sind, wie bereits erwähnt, die Verschuldungsgrade zurückgegangen, und die Unternehmen haben sich mit Investitionen sehr zurückgehalten. Auch das hat zu höheren freien Cash-Flows geführt. Die Verschuldungsgrade (Schulden/Cash-Flows) von High-Yield-Emittenten liegen deshalb heute unter ihren Langfristdurchschnitten. Die Zinsdeckungsquoten sind hingegen deutlich gestiegen und überschreiten die Langfristdurchschnitte jetzt erheblich. Es ist daher auch in nächster Zeit mit eher wenigen Zahlungsausfällen zu rechnen.

Günstig ist auch das technische Umfeld für amerikanische Unternehmensanleihen. Die Nachfrage der Investoren bleibt trotz der noch immer vorhandenen Unsicherheit hoch, denn in Zeiten niedriger Staatsanleiherenditen interessieren sich Investoren für höher verzinsliche Alternativen. Zugleich werden heute nicht nur weniger Unternehmensanleihen, sondern generell weniger Spreadprodukte emittiert als vor einigen Jahren, insbesondere weil seit der Finanzkrise weniger Kreditverbriefungen begeben werden. Folglich hat das Nettoemissionsvolumen von Spreadprodukten abgenommen, so dass die höhere Nachfrage auf ein vergleichsweise knappes Angebot trifft. Amerikanische Unternehmensanleihen, und insbesondere Titel mit Ratings von BB, macht das zusätzlich interessant. Zu den stabilen Fundamentaldaten kommt die gute technische Marktverfassung.

Knappes Angebot, hohe Nachfrage

Wie aber steht es um ihr Langfristpotenzial? Nach hauseigenen Analysen bieten Anleihen mit Ratings von BB so attraktive ausfallbereinigte Langzeitrenditen wie keine andere Ratingklasse. Untersucht wurden Moody's-Daten der Jahre 1983 bis 2010 - Ratings, Ratingveränderungen sowie Ausfall- und Wiedereinbringungsquoten - und die Renditen der Barclays-Indizes für amerikanische Unternehmensanleihen seit 1987. Es ging darum, die ratingspezifischen Durchschnittsrenditen in ihre Komponenten zu zerlegen: den risikolosen Zins, den Ausgleich für Zahlungsausfälle (unter Berücksichtigung von Ratingveränderungen) und den Teil des Mehrertrags, der die Investoren für alle anderen Risiken entschädigt, etwa für Volatilitäts- und Liquiditätsrisiken, Unsicherheitsfaktoren und Ängste.

Diese dritte Komponente, also die Durchschnittsrendite der Ratingkategorie ab züglich des risikolosen Zinses und der Entschädigung für durchschnittliche Ausfallverluste, wird als das Residuum bezeichnet. Das Proxy für den risikolosen Zins war die langfristige Durchschnittsrendite sieben- bis zehnjähriger amerikanischer Staatsanleihen, deren Duration beziehungsweise Laufzeit weitgehend der des Unternehmensanleiheuniversums entspricht. Dabei zeigte sich, dass Anleihen mit Ratings von BB (beziehungsweise Ba auf der Moody's-Skala) in der Vergangenheit die höchsten ausfallbereinigten Renditen sämtlicher amerikanischer Unternehmensanleihen boten (Abbildung 2).

Anschließend wurden auch die volatilitätsbereinigten Erträge untersucht. Dabei wurden sowohl die langfristigen Gesamterträge als auch die langfristigen Mehrerträge (gegenüber Staatsanleihen) mit der Volatilität der Erträge verglichen, ebenfalls getrennt nach Ratingklassen. Es galt zu wissen, in welchen Segmenten die Investoren einen besonders hohen Ausgleich für die Volatilität bekamen. Erwartungsgemäß hingen Volatilität und Erträge von der Kreditqualität ab. Beides ist tendenziell höher, je niedriger das Rating ist. Bemerkenswert ist aber, dass die BB-Kategorie positiv aus dem Rahmen fällt (Abbildung 3). In der Vergangenheit waren die Erträge hier höher, als aufgrund des Risikoprofils zu erwarten gewesen wäre. Darin ist eine weitere Bestätigung der langfristigen Attraktivität von BB-Anleihen zu sehen.

Steuerung der Kreditrisiken

Nichts ist beständiger als der Wandel. Es ist zwar nicht bekannt, wie hoch die Zinsen in einem Jahr sein werden, in fünf Jahren oder in zehn. Es ist auch nicht absehbar, wie stark und wie schnell sie sich ändern. Aber sie werden kaum dauerhaft auf dem gleichen Niveau bleiben. Das ist so gut wie sicher.

Die Renditen können aus Gründen steigen oder fallen, an die heute niemand denkt - ja niemand denken kann, weil es keinen Präzedenzfall gibt. Risikotheoretiker sprechen von Schwarzen Schwänen, von "unbekannten Unbekannten", die sich jeder Prognose entziehen, weil man gar nicht wissen kann, was man überhaupt prognostizieren soll. Wer hätte schon vor einigen Jahren vermutet, dass die Notenbanken in so großem Stil Anleihen kaufen, dass Wachstum und Inflationserwartungen für die Kursentwicklung kaum noch eine Rolle spielen? Und dass die Teuerung trotz der gewaltigen Geldmengenexpansion einfach nicht steigen will?

Es wird daher nicht einfach sein, mit Durationsmanagement Alpha zu erzielen. Wesentlich erfolgversprechender ist die Steuerung der Kreditrisiken durch Investitionen in Unternehmensanleihen und andere Spreadprodukte - weil die Realzinsen negativ und die Spreads noch immer eher hoch sind, weil ein Unternehmensanleihenportfolio eine wesentlich bessere Diversifikation ermöglicht als ein reines Staatsanleiheninvestment, und nicht zuletzt, um sich gegen steigende Renditen abzusichern.

Auch in Zukunft dürfte das Kreditrisiko berechenbarer sein als das Zinsrisiko. Eine sorgfältige Unternehmensanleiheauswahl ist eine verlässlichere langfristige Alphaquelle als das Durationsmanagement. Für aktive Unternehmensanleihemanager wird es immer Chancen geben - und viel spricht auch dafür, dass BB-Papiere unabhängig von der Konjunktur überdurchschnittlich attraktiv bleiben. Denn das hat strukturelle Gründe, die anders als andere Marktineffizienzen nur bedingt durch Arbitrageure beseitigt werden.

Lars Detlefs , Senior Managing Director, Head of Institutional Sales – EMEA , MFS Investment Management, Frankfurt am Main
Robert M. Hall , Institutional Fixed Income Portfolio Manager, MFS Investment Management, Boston
Noch keine Bewertungen vorhanden


X