Aufsätze

Kreditrisikostresstests in Banken - Anforderungen und Methoden

Zahlreiche internationale Regulierungsinitiativen betrachten Stresstests als eines der zentralen Instrumente zur Beurteilung der Stabilität von Instituten und Finanzsystemen. So heißt es im Abschlussdokument des G20-Gipfels in Pittsburgh: "We commit to conduct robust, transparent stress tests as needed". Noch stärker wird die wachsende Bedeutung durch einen Vorschlag des Baseler Commitee of Banking Supervision (BCBS) unterstrichen, wonach Stresstest-Ergebnisse explizit in die "normalen" Berechnungen des regulatorischen Eigenkapitals eingehen und nicht mehr bloß zusätzlich auf informeller Basis stattfinden sollen.1)

Die Erfahrungen der Finanzmarktkrise haben deutlich gezeigt, dass die bisher seitens der Institute durchgeführten Stresstests mit Schwächen behaftet sind, was das Committee of European Banking Supervisors (CEBS) unlängst veranlasst hat, neue Leitlinien für Stresstests vorzulegen. Diese werden im Folgenden aus Institutssicht vorgestellt und einer kritischen Bewertung unterzogen.

Betriebswirtschaftliche Zielsetzung und aufsichtsrechtliche Anforderungen

Im Rahmen des Kreditrisikomanagements müssen sich Institute einen umfassenden Überblick über bestehende Risiken verschaffen und sicherstellen, dass nur vertretbare Risiken in ihren Kreditportfolios existieren. Um neben der Quantifizierung des Risikos anhand gängiger Risikomaße (zum Beispiel Credit-Value-at-Risk CVaR) auch die Auswirkungen extremer, aber plausibler Marktveränderungen (zum Beispiel eine wirtschaftliche Rezessionsphase), die außerhalb der CVaR-Betrachtung liegen, zu simulieren, sollten sogenannte Stresstests durchgeführt werden. Der Begriff Stresstest wird hierbei definiert als Risikomanagementmethodik zur Beurteilung der potenziellen Auswirkungen eines spezifischen Ereignisses und/oder der Veränderungen der ökonomischen Rahmenbedingungen auf die finanzielle Situation eines Kreditinstituts.2)

Aufsichtsrechtlich stellen Stresstests zum einen eine qualitative Mindestanforderung für die Verwendung des IRB-Ansatzes gemäß Solvabilitätsverordnung (SolvV) dar, bei dem Institute verpflichtet sind, mindestens jährlich Kreditrisikostresstests durchzuführen, um die Auswirkung besonderer ökonomischer Rahmenbedingungen auf die Höhe der Eigenkapitalanforderungen für Adressrisiken zu beurteilen (regulatorische Stresstests).3) Zum anderen sollen Institute durch Stresstests in die Lage versetzt werden, ihre ökonomische Kapitalausstattung zu beurteilen (ökonomische Stresstests).4) Diese Anforderung betrifft sämtliche (IRB- und KSA-)Institute, leitet sich ebenfalls aus der Solvabilitätsverordnung ab und ist Bestandteil des Internal Capital Adequacy Assessment Process (ICAAP), der in Deutschland durch die Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk) umgesetzt wurde. Da die interne Steuerung einer Bank auf dem ökonomischen Kapital basiert, ein Mangel an regulatorischem Kapital allerdings zu einer Beschränkung der Geschäftstätigkeit führen kann, bedeutet diese Dualität der Anforderungen für Institute, dass sie identische Stressszenarien anlegen müssen, mit der Zielsetzung, diese für beide Kapitaldefinitionen zu bestehen.5)

Bausteine für Stresstests für Kreditrisiken

Stresstests lassen sich prinzipiell nach univariaten und multivariaten Tests unterscheiden (Abbildung 1).

Univariate Stresstests untersuchen den isolierten Einfluss, den eine extreme Veränderung eines einzigen Risikofaktors auf ein Portfolio hat. Sie können in einem Kreditinstitut auf zwei verschiedene Arten durchgeführt werden: entweder mittels portfolioindividueller oder mittels standardisierter Verfahren.7) Bei portfolioindividuellen Sensitivitätsanalysen kann die Bank Risikofaktoren ihrer Wahl extremen, relativen Veränderungen unterwerfen. Hierzu ist es notwendig, die wesentlichen Risikotreiber im Kreditportfolio zu identifizieren, um danach die portfolioindividuellen Risikofaktoren zu stressen.8)

Als Alternative zu portfolioindividuellen Sensitivitätsanalysen können auch standardisierte Verfahren in Bezug auf Ratings oder Sicherheitenwerte zum Einsatz kommen.9) Derartige Sensitivitätsanalysen sind generell recht einfach durchzuführen und liefern bereits eine gute Approximation der potenziellen Verluste während verschiedener Stresssituationen. Dennoch ist ihre Aussagekraft sowohl bei portfolioindividuellen als auch bei standardisierten Verfahren eingeschränkt, weil sich in Stresssituationen nur selten ein Risikofaktor isoliert verändert. Da Sensitivitätsanalysen keine Korrelationen zwischen einzelnen Risikofaktoren berücksichtigen, werden ökonomische Wirkungszusammenhänge unterschätzt und damit Risiken fehlerhaft eingeschätzt. Daher sind sie für das mittel- und langfristige Risikomanagement weniger geeignet.

Multivariate Stresstests

Multivariate Stresstests versuchen diesen Nachteil zu beseitigen. Szenarioanalysen berücksichtigen die simultane Veränderung mehrerer Risikofaktoren während eines Stressereignisses und integrieren dabei auch Korrelationen zwischen einzelnen Risikofaktoren. Damit liefern Szenarioanalysen eine realistischere Darstellung des Portfolioverhaltens in Extremsituationen;10) sie besitzen allerdings eine deutlich höhere Komplexität in Bezug auf die Modellierung. Mit historischen Szenarien wird im Rahmen von Stresstests das Verhalten des aktuellen Portfolios beim Eintritt historischer Stressereignisse nachvollzogen. Damit wird versucht zu erklären, wie sich ein Portfolio entwickeln würde, wenn dieser historische Fall wieder einträte. Beispiele für konkrete Stressszenarien sind die Währungskrise in Asien (1997), der Zusammenbruch des Hedgefonds Long-Term- Capital-Managements (LTCM) 1998 oder die Anschläge vom 11. September 2001. Die Problematik einer derartigen Vorgehensweise besteht darin, dass sich die Produkte und damit die Portfoliozusammensetzung seit dem Auftreten des betrachteten historischen Ereignisses zumeist geändert haben, sodass es schwierig ist, historische Stressereignisse mit ausreichender Relevanz zu identifizieren. Ein weiterer Kritikpunkt historischer Szenarien ist, dass sich Krisen selten wiederholen, sondern in der Regel neue Charakteristika aufweisen.

Hypothetische Szenarien gehen von den wesentlichen Risikofaktoren im Portfolio aus. Im Gegensatz zu historischen Szenarien lehnen sie sich nicht an bestimmte Ereignisse der Vergangenheit an; sie kommen dann zur Anwendung, wenn historische Szenarien für das Portfolio wenig bedeutsam sind.

Hybridszenarien stellen die dritte Möglichkeit der Szenariokonstruktion dar. Hier werden die Entwicklungen, die Risikofaktoren während historischer Stressereignisse gezeigt haben, mit zusätzlichen Risikoszenarien kombiniert, um neue Szenarien aufzubauen.11)In Hybridszenarien dienen die historischen Marktbewegungen ausschließlich dazu, die Veränderungen der Risikofaktoren zu kalibrieren; sie werden aber nicht explizit betrachtet, sondern fungieren nur als Bausteine für das Risikomanagement, um umfassende Stressszenarien zu kreieren.12)

Wahl der Risikoparameter

Gemäß den aufsichtlichen Anforderungen ist ein expliziter Zusammenhang zwischen ökonomischen Szenarien und deren Auswirkung auf die aufsichtlichen Risikoparameter herzustellen. Grundsätzlich sind Szenarien auf der Ebene der aufsichtlichen Risikoparameter Probability of default (PD), Loss given default (LGD) und Kreditkonversionsfaktoren (CCF) zulässig.13) Ein Stress der Probability of default - simuliert zum Beispiel durch einen generellen Anstieg der Ratingnoten um drei Notches auf Einzelgeschäftsebene - würde die Wirkung einer Rezessionsphase auf das Kreditportfolio widerspiegeln. Alternativ zu einer proportionalen Erhöhung können auch konjunkturabhängige Migrationsmatrizen eingesetzt werden, welche die Wanderungsbewegungen von Ratings in einer Abschwungphase modellieren. Ein beispielhaftes Szenario im Falle eines Immobilienmarktcrashes ist eine Erhöhung der Verlustquoten für grundpfandrechtliche Sicherheiten durch einen Parallelshift um 30 Prozent.

Neben der Stresssimulation für Ziehungsquoten durch eine erhöhte Inanspruchnahme von Kreditlinien sind auch weitere Szenarien, wie zum Beispiel der gleichzeitige Ausfall der zehn größten Kreditnehmer, im Portfolio denkbar.

Durchführung eines regulatorischen Stresstests am Beispiel

Für die beispielhafte Simulation eines regulatorischen Stresstests wird ein Beispielportfolio im IRB-Ansatz mit einem Exposure ad default (EAD) von 697,5 Millionen Euro über 8-PD-Klassen betrachtet (Abbildung 2).

Weiterhin wird angenommen, dass das Institut 120 Millionen Euro regulatorisches Eigenkapital als Risikodeckungsmasse für die Berücksichtigung des Adressenausfallrisikos des Beispielportfolios hält. Für die Stressbetrachtung werden neben dem Normalszenario die folgenden Stressszenarien selektiert:

Stressszenario 1: Verschlechterung aller Kreditnehmer um 2-PD-Klassen, das heißt ein Kreditnehmer mit einer PD von 0,03 Prozent (PD-Klasse 3) erhält im Stress eine PD von 0,17342 Prozent (PD-Klasse 5). Exposures im PD-Band 0,2 migrieren in den Ausfall mit einer PD von 100 Prozent;

Stressszenario 2: Erhöhung der LGD von 45 Prozent auf 75 Prozent für alle Einzelgeschäfte;

Stressszenario 3: Kombination aus Stressszenario 1 und 2. Zielsetzung ist die Ableitung gestresster Risikopotenziale. In allen Stressszenarien sollte bei schlagend werdenden Risikopotenzialen die Weiterführung des Geschäftsbetriebes durch das zur Verfügung stehende Eigenkapital stets gewährleistet sein.

Basel-II-Kalkulation und Ergebnisparameter im Beispiel

Die Ergebnisparameter für die regulatorische Stressbetrachtung sind der Expected Loss (EL) und der Unexpected Loss (UL): EL = PD x LGD x EAD Die Quantifizierung des ökonomisch unerwarteten Verlustes (UL) erfolgt auf Basis des Basel-II-IRB-Ansatzes und entspricht der regulatorischen Eigenkapitalanforderung:

Formel

Ergebnisanalyse: Im Normalszenario übersteigt die zur Verfügung stehende Risikodeckungsmasse die bestehenden Risikopotenziale deutlich (Abbildung 3). Nach Simulation der Szenarien 1 bis 3 betragen die Eigenkapitalanforderungen im Stressszenario 129,0 Millionen Euro (minus zehn Prozent gegenüber Normalszenario), was damit zu erklären ist, dass durch die Ratingmigration der EL um 55,2 Millionen Euro auf 66,3 Millionen Euro gestiegen ist, wozu insbesondere jetzt ausgefallene Geschäfte beitragen. Dementsprechend muss bei einem starken Anstieg des EL weniger UL auftreten.

Im Stressszenario 2 steigt der EL nur um 67 Prozent auf 18,5 Millionen Euro, während die Eigenkapitalanforderungen um 64 Prozent auf 52,9 Millionen Euro steigen. Es besteht ein linearer Zusammenhang zwischen Risikogewichtsfunktion und LGD-Parameter, sodass Erhöhungen der LGD nicht überproportional mit höheren Eigenkapitalanforderungen "bestraft" werden. In beiden Szenarien wären sowohl die regulatorischen Mindesteigenkapitalanforderungen als auch der durch Risikovorsorgebildung zu deckende EL15) durch das vorhandene Eigenkapital von 120,0 Millionen Euro gedeckt.

Im Stressszenario 3 ergibt sich dagegen ein EL von 110,6 Millionen Euro und eine Eigenkapitalanforderung für den UL von 47,6 Millionen Euro, was dazu führt, dass die Risikodeckungsmasse nicht mehr ausreichend ist. Da die gestressten Parameter multiplikativ verknüpft sind und damit sich gegenseitig verstärkend in die EL-Bestimmung eingehen, kann keine Addition des EL aus Szenario 1 und Szenario 2 erfolgen. Die Bank wäre somit im Stressszenario 3 aufgerufen, für sich zu klären, wie sie der potenziellen Unterdeckung begegnen will. Sie steht mithin vor der Entscheidung, die Risikopositionen über Methoden wie Verbriefung oder das Hedging mit Kreditderivaten zu reduzieren oder das Eigenkapital aufzustocken.16)

Neue bankaufsichtliche Vorgaben für Stresstests bei Kreditinstituten

Das CEBS hat am 14. Dezember 2009 für Stresstests 21 neue Leitlinien veröffentlicht, welche auf den im Jahr 2006 bereits publizierten Anforderungen an Stresstests17) aufbauen und wesentliche Schwachstellen, die während der Finanzmarktkrise aufgetreten sind, beseitigen sollen. Sie sind modular aufgebaut und stehen im Einklang mit den "Principles for sound stress testing practices and supervision" des Basel Committee of Banking Supervision (BCBS) vom Mai 2009. Hauptkritikpunkte des CEBS über die bisher durchgeführten Stresstests waren die fehlende Integration in bestehende Risikomanagement- und Entscheidungsprozesse der Institute, die moderat angesetzten Stressszenarien sowie die Vernachlässigung von wesentlichen Risiken wie Konzentrationsrisiken oder Risiken aus strukturierten Produkten wie Verbriefungen.18) Die Fähigkeit, kurzfristige Ad-hoc-Szenarien durchzuführen, war in vielen Banken nicht vorhanden. CEBS plant die überarbeiteten Leitlinien bis zum 30. Juni 2010 in Kraft zu setzen.

Einbindung in das Risikomanagement

Ausschlaggebend für die Anwendung der Richtlinien ist das Proportionalitätsprinzip, das heißt die Umsetzung einzelner Richtlinien ist abhängig von dem Risikoprofil des Instituts - je komplexer und risikobehafteter das Geschäftsmodell, desto umfangreicher müssen die Stresstests ausgestaltet sein. Grundprinzip von Stresstests ist, dass das Management (Vorstand und Senior Management) die Gesamtverantwortung für diese trägt und in der Lage sein muss, die Auswirkungen von Stressszenarien auf das Risikoprofil des Instituts zu beurteilen. Die Einbindung des Topmanagements, zum Beispiel über ein Stresstest Committee, unterstreicht dabei die Wichtigkeit von Stresstestergebnissen für das Institut. Das Topmanagement soll aktiv in die Selektion der relevanten Szenarien, die Festlegung der Annahmen und Methoden und die Diskussion der Ergebnisse eingebunden sein.

Weiterhin sollen Stresstests in einen Risikomanagementprozess integriert und als integraler Bestandteil des ICAAP zur Simulation von Szenarien, die die Risikotragfähigkeit des Instituts prüfen, behandelt werden. Die Definition von Stresstestszenarien soll im Dialog zwischen Risikomanagern, volkswirtschaftlicher Abteilung und den Managern der Marktbereiche erfolgen. Die Häufigkeit der Stresstestdurchführung kann in Abhängigkeit der betrachteten Risikoart variieren. Das Institut sollte allerdings die entsprechende IT-Infrastruktur schaffen, um Ad-hoc-Stresstests durchführen zu können.

Im Institut müssen klare Verantwortlichkeiten und Anweisungen für Stresstests existieren, aus denen die Annahmen, Methoden und gewählten Szenarien für die Stresstests hervorgehen. In regelmäßigen Abständen - mindestens jährlich - hat eine risikoorientierte Überprüfung, zum Beispiel durch die interne Revision, des bestehenden Stresstestprogramms zu erfolgen, um deren Effektivität und laufende Angemessenheit in Bezug auf die verfolgten Ziele, die Einbindung des Managements oder die Datenqualität, sicherzustellen.

Stresstestmethoden

Die Verwendung von geeigneten Stresstestmethoden ist die Bedingung, um das verfolgte Ziel von Stresstests zu erreichen. Daher sollten effektive Stresstestprogramme aus der Kombination von Sensitivitäts- und Szenarioanalysen - in Abhängigkeit des vorliegenden Risikoprofils - bestehen. Anhand von Sensitivitätsanalysen sollten wesentliche Risiken und Risikokonzentrationen identifiziert werden. Szenarioanalysen sind auf Basis von zukunftsgerichteten, hypothetischen Daten auf Ebene des gesamten Instituts durchzuführen, da rein historisch geprägte Szenarien nicht ausreichend sind. Für die Ausgestaltung der Szenarien sollten alle wesentlichen Risiken, zum Beispiel Kre-dit-, Markt-, Zinsänderungs-, Liquiditäts- und operationelle Risiken, im Hinblick auf die institutsspezifischen Gefährdungen (zum Beispiel sektorale oder regionale Charakteristika, spezifische Produkte) berücksichtigt werden.

Risikokonzentrationen sind sowohl innerhalb einer Risikoart als auch zwischen verschiedenen Dies gilt auch für Risiken aus außerbilanziellen Gesellschaftskonstruktionen (zum Risikoarten zu berücksichtigen. Beispiel ABCP-Transaktionen). Um die Auswirkungen von definierten Szenarien in Veränderungen der internen Risikofaktoren (PD, LGD, CCF) zu übersetzen, müssen Transformationsregeln festgelegt werden, die sich primär aus den Erfahrungen des Instituts ableiten. Die identifizierten Szenarien sind sowohl auf bilanzielle als auch auf außerbilanzielle Positionen anzuwenden.

Mehrschichtiger Ansatz

Die bestehenden Stresstests müssen um Reverse Stresstests ergänzt werden. Derartige Tests basieren auf der umgekehrten Vorgehensweise wie gewöhnliche Stresstests, indem die Frage beantwortet werden soll: "Wie viel Stress verträgt die Bank gerade noch?". Ausgangspunkt ist damit nicht die geschätzte Erhöhung der PDs, sondern das Risikodeckungspotenzial gemäß ICAAP. Auf dieser Basis kann berechnet werden, ab welchem PD-Level das Risikokapital der Bank aufgebraucht wäre. Der Vorteil dieses Vorgehens ist, dass das Management einschätzen kann, ab welcher Schwelle verschiedene Szenarien existenzbedrohend werden. Die genaue Kenntnis dieser Schwelle ermöglicht eine zielgerichtete Steuerung des Portfoliorisikos.19)

Stresstestprogramme müssen einen mehrschichtigen Ansatz verfolgen, indem sie sowohl einfache Sensitivitätsanalysen auf Portfolioebene als auch institutsweite Szenarioanalysen zur Erfassung aller Risikoarten umfassen. Über Portfoliostresstests können die Auswirkungen einzelner Risikoparameter analysiert werden. So ist es möglich, für ein Portfolio aus privaten Hypothekendarlehen einen Rückgang der Hauspreise oder eine gestiegene Arbeitslosigkeit als Szenario zu modellieren, während ein Versicherungsportfolio nur geringfügig auf diese Szenarien reagiert.

Ebenfalls können Portfoliostresstests potenzielle Risikokonzentrationen aufdecken: Interdependenzen zwischen Risikoarten wie Adress- und Marktrisiken sollten durch die Berücksichtigung von Korrelationen Eingang in die Stresstests finden, zum Beispiel für den Fall, dass ein Institut gleichzeitig in Asset Backed Securities (ABS) und Credit Default Swaps (CDS) investiert ist. Wenn die ABS-Marktwerte sinken und das Institut dadurch einem Downgrade unterliegt, werden Trigger-Events der CDS ausgelöst, die die Lieferung von zusätzlichen Sicherheiten an die Kontrahenten erforderlich machen. Das Liefererfordernis kann die Refinanzierung des Instituts erschweren, da weniger Sicherheiten zur Verfügung stehen, sodass ABS verkauft werden müssen, was den Portfoliowert weiter sinken lässt.

Das Risikolevel auf Institutsebene kann nicht durch die einfache Aggregation der Stresstestergebnisse für Teilportfolios ermittelt werden, da ansonsten Korrelationen nicht adäquat modelliert werden, eine Doppelzählung von Risiken entsteht oder die Auswirkungen von Stressszenarien unterschätzt werden. Aus diesen Gründen müssen separate, institutsweite Stresstestprogramme - je nach Aktivitäten des Instituts optional unterteilt nach Geschäftsbereichen (zum Beispiel separat für den Bereich Asset Management und den Bereich Kreditgeschäft) - implementiert werden. Zusätzlich werden regelmäßige Stresstests auf Gruppenebene gefordert.

Stresstestergebnisse und Handlungsimplikationen

Die Ergebnisse aus den Stresstests, zum Beispiel der prognostizierte EL, sind kritisch zu reflektieren und werden ins Verhältnis zum regulatorischen Eigenkapital sowie zur GuV-Rechnung gesetzt. Für den Fall, dass die Szenarien die Überlebensfähigkeit des Instituts gefährden, sollten bereits Maßnahmenpläne vorhanden sein, die auch unter Stressbedingungen durch den Abbau von Risikoaktiva in bestimmten Geschäftsbereichen oder durch eine Kapitalerhöhung die Solvabilität sicherstellen können.

Grundsätzlich müssen die Stresstestergebnisse belastbar sein, um Handlungsimplikationen des Managements hervorzurufen, wie zum Beispiel die Prüfung von Kreditnehmerlimiten, die Risikoreduzierung durch die Hereinnahme von zusätzlichen Sicherheiten oder die Reduzierung von Branchen- oder Länderexposures wie auch auf Gesamtbankebene die Überprüfung der Kreditrisikostrategie. Die Ergebnisse von Stresstests müssen zudem in die Bestimmung des "Risikoappetits" der Bank und den Kapitalallokationsprozess mit einfließen, sodass überprüfbar wird, ob die Risikotragfähigkeit im Rahmen des ICAAP gewährleistet ist. Auf diese Weise wird eine enge Verzahnung zwischen Stresstestprogrammen, Risikoprofil des Instituts und der geplanten Geschäftsstrategie hergestellt.

Kritische Würdigung des CEBS-Ansatzes

Der Ansatz des CEBS, aus den Erfahrungen der durchaus verbesserungswürdigen Leistungsfähigkeit von Stresstestverfahren während der Finanzmarktkrise prinzipienorientierte Empfehlungen abzuleiten, ist grundsätzlich als sinnvoll anzusehen.20) Insbesondere dienen die Leitlinien dazu, dass den Instituten geholfen wird, die Erwartungen der Aufsicht an Stresstests zu verstehen.21) Zukünftige Herausforderungen für die Institute sind insbesondere Risikoarten übergreifende Stresstests auf Instituts- beziehungsweise Gruppenebene. Für Kreditrisiken geht es darum, plausible Szenarien vorzugeben. Dies ist schon deshalb notwendig, weil die Durchführung umfangreicher Stresstests mit hohen Kosten verbunden ist.22) Die Implementierung von Reverse-Stresstests und die Modellierung von Stresstests für strukturierte Produkte stellen die Institute vor hohe methodische Anforderungen. Für die Einbeziehung von Risikokonzentrationen in die Stresstestbetrachtung wird der Einsatz von Kreditrisikomodellen erforderlich, wodurch Investitionen in die IT-Infrastruktur und ein entsprechender Wissensaufbau sowohl im Risikomanagement als auch auf Ebene der Informationsadressaten notwendig werden. Positiv zu bewerten ist die verstärkte Verankerung von Stresstests in der Risk Governance. Es bleibt abzuwarten, wie die deutsche Aufsicht ihre Gestaltungsspielräume durch weitere Anpassungen in den MaRisk nutzt.

Die institutsinterne Umsetzung von Stresstests kann erhebliche betriebswirtschaftliche Nutzenpotenziale heben. Stresstests bieten praktische Lösungsansätze zur Risikofrüherkennung, zur kritischen Würdigung der Risikotragfähigkeit sowie zu Entwicklung und Validierung von Krisenplänen.23) Zudem helfen Stresstests, die anhand der klassischen Risikomessverfahren gebildete grundsätzliche Ausrichtung der Bank aus einem zweiten Blickwinkel heraus zu beurteilen, und unterstützen damit das Verständnis hinsichtlich des Risikoprofils - insbesondere durch neu entwickelte risikobereichsübergreifende Stressszenarien - und der Sensitivitäten gegenüber extremen Risiken und Risikokonzentrationen. Zudem fördern Stresstests nach der Vorstellung der neuen CEBS-Leitlinien eine verständliche und transparente Risikokommunikation.

Zukünftig werden Stresstests zu einer qualitativen Weiterentwicklung des Risikomanagements führen, deren betriebswirtschaftlicher Nutzen durch verbesserte Steuerungsimpulse ebenso bedeutsam ist wie die Erfüllung aufsichtsrechtlicher Anforderungen.24) Die Integration von Stresstests als fester Bestandteil der "normalen" Risikoüberwachung und -steuerung ist so entscheidend, dass sie zum Unterscheidungs- und Qualitätsmerkmal werden, durch die sich eine Bank positiv gegenüber Wettbewerbern positionieren kann.25)

Fußnoten

1) Vgl. Thiele, M.: Integrierende und integrierte Stresstests in Banken, in: Risikomanager, 4/2010, Seiten1, 8 bis 10.

2) Vgl. Boos, K.-H./Fischer, R./Schulte-Mattler, H.: Kommentar zum KWG und Ausführungsvorschriften, 3. Auflage, München 2008, Seiten 1862 bis 1864.

3) Vgl. § 59 und § 123 Abs. 2 SolvV.

4) Vgl. § 123 Abs. 1 SolvV.

5)Vgl. Klauck, O.: Regulatorische und ökonomische Stresstests, in: Klauck, O./Stegmann, C. (Hrsg.): Stresstests in Banken - Von Basel II bis ICAAP, Stuttgart 2006, Seite 101.

6) In Anlehnung an Bühn, A./Klauck, O.: Mit modernen Stresstests das Risikoprofil analysieren, in: Betriebswirtschaftliche Blätter 6/2007, Seite 354.

7) Vgl. Monetary Authority of Singapore: Technical Paper on Credit Stress-Testing, March 2003. Seiten 25 bis 30, http://www.mas.gov.sg/resource/publications/info_papers/CSTTechnicalPaper.pdf.

8) Vgl. Bühn, A./Klauck, O.: Stresstest - Einführung und Grundlagen, in: Klauck, O./Stegmann, C. (Fn. 5), Seiten 12 bis 14.

9) Vgl. Federal Reserve Bank of San Francisco (2005): Stress Tests: Useful of Complements to Financial Risk Models, in: FRSBSF Economic Letter, Number 2005-14, Seite 2.

10) Vgl. Bühn, A./Klauck, O. (Fn. 8), Seite 15.

11) Vgl. Bühn, A./Klauck, O. (Fn. 6), Seiten 353 bis 354.

12 )Vgl. Commitee on the Global Financial System (2005), Stress testing at major financial institutions: survey results and practice, 2005, Seite 7, http://www.bis.org/publ/cgfs24.pdf.

13) Vgl. Fachgremium Kredit: Stresstests, 2007, Seiten 1 bis 10, http://www.bundesbank.de/download/bankenaufsicht/pdf/stresstest.pdf.

14) Vgl. Hofmann, B.: Risikosensitive Ausgestaltung regulatorischer Eigenmittelanforderungen: Eine kritische Analyse des IRB-Ansatzes, in: Cramme, T. et al. (Hrsg.): Handbuch Solvabilitätsverordnung, Stuttgart 2007, Seite 104.

15) Bei einem IRB-Institut wird im Rahmen des Wertberichtigungsvergleichs nach § 105 SolvV ein Wertberichtigungsfehlbetrag komplett von den Eigenmitteln abgezogen.

16) Vgl. Klauck, O. (Fn. 5), Seite 107.

17) Committee of European Banking Supervisors (CEBS): Guidelines on Technical Aspects of Stress Testing under the Supervisory Review Process, 14. Dezember 2006.

18) Vgl. CEBS: Guidelines on Stress Testing, CP 32, 2009, Seite 2, http://www.c-ebs.org/Publications/Consultation-Papers/All-consultations/CP31-CP40/CP32.aspx.

19) Vgl. Klauck, O./Liermann, V.: Banken im Stresstest, in: die bank, 5/2009, Seite 53.

20) Vgl. Zentraler Kreditausschuss (ZKA): Consultative paper "Principles of sound stress testing practices and supervision", 2009, Seiten 1 bis 2.

21) Vgl. Schmieder, Chr.: Validierung und Stresstest ing, in: Cramme, T. et al. (Fn. 14), Seiten 384 bis 385.

22) Vgl. Schmieder, Chr. (Fn. 21), Seite 385.

23)Vgl. Kaninke, M. et al.: Integration von Stresstests in die Steuerungssystematik der Wüstenrot, in: Risikomanager, Ausgabe 4/2010, Seite 12 bis 19.

24) Vgl. Kaninke, M. et al. (Fn. 23), Seite 19.

25) Vgl. Thiele, M. (Fn. 1), Seite 10.

Prof. Dr. Stephan Schöning , Professor für ABWL/Finance, SRH Hochschule Heidelberg
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