Aufsätze

MaRisk: Einbeziehung von Liquiditätsrisiken in das Risikomanagement

Mit Rundschreiben 18/2005 vom 20. Dezember 2005 veröffentlichte die
Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) die Endfassung
der MaRisk. Die Regelungen sind ein Bestandteil der nationalen
Umsetzung der Supervisory Review Process,1) der zweiten Säule der
Neufassung der internationalen Eigenkapitalübereinkunft des Baseler
Ausschusses für Bankenaufsicht (Basel II).2) Die bereits existierenden
Mindestanforderungen (MaH, MaIR, MaK) wurden in überarbeiteter Form in
die MaRisk integriert, wobei die Regelungsinhalte der bisherigen MaH
deutlich modernisiert wurden, während die MaK beziehungsweise MaIR
inhaltlich lediglich moderat überarbeitet wurden.3) Wesentliche
Neuerungen sind das Erfordernis einer auf die Risikosituation und die
Risikotragfähigkeit abgestimmte Geschäftsstrategie (AT 4. 2 MaRisk)4)
sowie die Ausweitung der zu berücksichtigenden Risiken auf alle
"wesentlichen Risiken" (AT 2. 2 MaRisk).
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Vorgaben für das Management von Liquiditätsrisiken
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Explizit aufgeführt werden dabei operationelle und Liquiditätsrisiken,
nachdem diese Risiken zuvor in den Mindestanforderungen an das
Kreditgeschäft (MaK) nur indirekt über ihre Verbindungen zum
Kreditrisiko enthalten waren.5) Im Folgenden werden die Anforderungen
an das Risikomanagement für den Bereich Liquiditätsrisiken näher
untersucht und die besonderen Herausforderungen aufgezeigt, vor die
Kreditinstitute durch die MaRisk gestellt werden.
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Durch die in den MaRisk enthaltene Notwendigkeit, dass alle
wesentlichen Risiken einer Bank zu erfassen und zu steuern sind, und
der expliziten Nennung im Basel II-Rahmenwerk wird das
Liquiditätsrisiko in den Fokus des Interesses gerückt. Demnach "ist
die Liquidität entscheidend für den dauerhaften Bestand jeder Bank.
Die Eigenkapitalpositionen der Banken können, vor allem in einer
Krisensituation, ihre Fähigkeit, Liquidität zu verschaffen,
beeinflussen. Jede Bank muss angemessene Systeme für die Messung,
Überwachung und Kontrolle des Liquiditätsrisikos haben.
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Die Banken sollen die Angemessenheit des Kapitals angesichts ihres
eigenen Liquiditätsprofils und der Liquidität der Märkte, auf denen
sie aktiv sind, beurteilen."6) Zunehmend rücken auch die potenziellen
wirtschaftlichen Vorteile eines integrierten Liquiditätsmanagements in
den Vordergrund, da durch Liquiditätsoptimierung
undfristentransformation Ergebnisbeiträge erzielt werden können.
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Drei Kategorien
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Liquiditätsrisiken lassen sich grundsätzlich in die drei Kategorien
Refinanzie-rungs-, Termin- und Abrufrisiko unterteilen.7) BTR 3 MaRisk
enthalten für diese Risikokategorie insbesondere die folgenden
Vorgaben:
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- Sicherstellung einer jederzeitigen Erfüllung von
Zahlungsverpflichtungen;
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- Gewährleistung einer ausreichenden Diversifikation der Vermögens-
und Kapitalstruktur (dadurch Vermeidung von Termin-, Großabzugs- und
Großausfallrisiken);
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- Erstellen einer Liquiditätsübersicht für einen geeigneten Zeitraum
(Gegenüberstellung von zu erwartenden Liquiditätszu- undabflüssen),
wobei die zugrunde liegenden Annahmen festzulegen sind;
\
- zusätzliche regelmäßige Durchführung von angemessenen
Szenariobetrachtungen bei der Erstellung der Liquiditätsübersicht,
wobei die Szenarien vom Institut individuell zu definieren sind und
zum Beispiel den Ausfall bedeutender Kreditnehmer oder Kreditgeber
oder auch die Verschlechterung des Ratings beziehungsweise die
Streichung wichtiger Kreditlinien des Instituts beinhalten können;8)
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- laufende Überprüfung der Möglichkeiten zur Deckung eines
auftretenden Liquiditätsbedarfs, wobei insbesondere auf den
Liquiditätsgrad der Vermögenswerte abzustellen ist;
\
- Aufstellen einer Maßnahmenplanung für den Fall eines
Liquiditätsengpasses;
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- regelmäßige Berichterstattung an die Geschäftsleitung über die
Liquiditätssituation beziehungsweise das Ausmaß des
Liquiditätsrisikos.
\
Fortschreibung einer Liquiditätsübersicht
\
Basiselement zur Erfüllung der MaRisk ist damit die Existenz und
laufende Fortschreibung beziehungsweise Aktualisierung einer
Liquiditätsübersicht, in der die erwarteten Mittelzuflüsse den
erwarteten Mittelabflüssen gegenübergestellt werden. Während die
Recheneinheit hierbei auf Zahlungsströme festgelegt ist, fehlt eine
Konkretisierung sowohl in Hinblick auf den Planungshorizont (Länge der
Betrachtung, gefordert wird ein "geeigneter Zeitraum") als auch für
die zu nutzende Planungseinheit (Tages-, Wochen- oder Monatsbasis).
Plausibel erscheint eine revolvierende Planung analog zum aktuellen
Grundsatz II der BaFin mit einem (mindestens) einjährigen
Planungshorizont. Abweichend von den hierin festgelegten
Laufzeitbändern auf Monatsbasis ist im kurzfristigen Bereich eine
Planung zumindest auf Tagesbasis, gegebenenfalls sogar mit noch
kürzeren Planungseinheiten erforderlich.
\
Auch im mittelfristigen Bereich ist eine Planung auf Wochen-
beziehungsweise auf Monatsbasis anstrebenswert. Zu beachten bleibt
überdies, dass die Liquiditätsübersicht neben den im Grundsatz II der
BaFin enthaltenen, primär aus Bilanzbeständen resultierenden
Zahlungsströmen9) auch solche zu berücksichtigen hat, die aus
Aufwendungen und Erträgen resultieren.
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Neuartig ist das Erfordernis, die bei der Ermittlung der erwarteten
Mittelzuflüsse undabflüsse zugrunde liegenden Annahmen zu
dokumentieren, wobei nicht nur mehr oder minder wahrscheinliche
Ereignisse, sondern auch außergewöhnliche Szenarien in Betracht zu
ziehen sind. Dies bedeutet, dass anders als beim Grundsatz II der
BaFin, der auf "Normalverhältnisse" abgestellt ist und unter anderem
pauschale Abzugsgefährdungen für bestimmte formal kurzfristige
Einlagenbestände vorsieht, auch schlagartig wirksame Einlagenabzüge
ins Kalkül gezogen werden müssen.
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Ähnliches gilt für die laufende Überprüfung der Werthaltigkeit von
Vermögensgegenständen im Sinne der Eignung für den Einsatz als
kurzfristig realisierbare Liquiditätsreserve. In Ergänzung zu den
pauschalen Vorgaben des Grundsatzes II der BaFin10) ist es also
erforderlich, die Liquidationswerte sämtlicher Aktiva zeitnah zu
aktualisieren. Zusammen mit der Betrachtung krisensicherer
Möglichkeiten zur externen Deckung von Liquiditätslücken (freie
Refinanzierungslinien) kann damit laufend der Nachweis erbracht
werden, ob und inwieweit das Institut in der Lage ist, einen
auftretenden Liquiditätsbedarf zu decken.
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Sinnvolle Ergänzung des Grundsatz II
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Insgesamt stellen die Vorgaben der MaRisk in Bezug auf die isolierte
Behandlung von Liquiditätsrisiken eine sinnvolle, seit Modifikation
des Liquiditätsgrundsatzes geforderte Ergänzung des allein auf den
Normalfall abstellenden Grundsatz II der BaFin1) durch Bad-
beziehungsweise Worst-Case-Betrachtungen dar. Eine derartige Ergänzung
wurde bereits durch die im Februar 2000 vom Baseler Ausschuss für
Bankenaufsicht veröffentlichten "Sound Practices for Managing
Liquidity in Banking Organisations"12) gefordert.
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In diesen Grundsätzen werden allerdings auch Anforderungen wie etwa
die regelmäßige Überprüfung der Anstrengungen zum Aufbau und
Aufrechterhalten der Geschäftsbeziehungen zu den Gläubigern (Practice
8) oder das Vorhandensein eines angemessenen Systems zur Messung,
Überwachung und Steuerung der Liquiditätsposition in den für das
Kreditinstitut wesentlichen Fremdwährungen (Practice 10) aufgeführt,
die noch deutlich über die MaRisk hinausgehen.
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Umfassenderes Liquiditätsrisikomanagement
\
Die MaRisk-Umsetzung für den Bereich der Liquiditätsrisiken dürfte bei
vielen Instituten erhebliche Anstrengungen erfordern.
Liquiditätsrisiken wurden bisher von den Instituten nicht immer als
eigenständige und unabhängige Risikokategorie behandelt, sondern nach
dem Motto "die Liquidität folgt der Bonität"13) eines Instituts eher
als Ergebnis von Adressausfall- oder Marktrisiken gesehen. Damit lag
der Interessenschwerpunkt im Regelfall bei den Erfolgsrisiken, während
Liquiditätsrisiken vielfach allein über den Grundsatz II der BaFin
erfasst und gesteuert wurden. Durch die MaRisk ist ein umfassenderes
Liquiditätsrisikomanagement notwendig, das in Abhängigkeit von
Zielsetzung und Anspruch des Instituts erhebliche Investitionen in
Konzeption, Datenbeschaffung und -aufbereitung sowie in die adäquate
IT-Umsetzung notwendig machen wird.14)
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Einbeziehung von Liquiditätsrisiken in die Gesamtrisikosteuerung
\
Eine über die Ebene des Einzelrisikos hinausgehende Fragestellung, die
durch die MaRisk aufgeworfen wird, ist die Einbeziehungsnotwendigkeit
undart der Liquiditätsrisiken in die Gesamtrisikosteuerung.
\
In Bezug auf die Notwendigkeit zur Einbeziehung von Liquiditätsrisiken
in die Gesamtrisiko- beziehungsweise umfassender in die
Gesamtbanksteuerung sind die MaRisk unkonkret und widersprüchlich.
Einerseits erfolgt in AT 2.2 MaRisk die Identifikation des
Liquiditätsrisikos als im Regelfall wesentliches Risiko. Damit wären
für diese Risikoart grundsätzlich neben der Erfüllung der
einzelrisikobezogenen Anforderungen auch die Einbeziehung in die
Betrachtung der Risikotragfähigkeit, die Formulierung von
Risikostrategien und die Einbindung in die Gesamtbanksteuerung
erforderlich.
\
Gleichzeitig enthalten die MaRisk aber ein deutliches Anzeichen für
die bestehende Sonderstellung von Liquiditätsrisiken: So erfolgt in AT
4.1 Nr. 3 MaRisk die explizite Nennung von Liquiditätsrisiken im
Zusammenhang mit den nicht in das Risikotragfähigkeitskonzept
einzubeziehenden Risiken. Dies wird dann als möglich angesehen, wenn
eine nachvollziehbare Begründung angegeben wird und eine angemessene
Berücksichtigung in den Risikosteuerungs- undcontrollingprozessen
erfolgt. Ursächlich für die interpretationsbedürftige Formulierung
dürften die mannigfaltigen Schwierigkeiten bei der Einbeziehung von
Liquiditätsrisiken in das Risikomanagement sein, die sich unter
anderem in folgenden Aspekten zeigen:
\
- Diese Risikoart führt im normalen Geschäftsverlauf und bei
gesicherter Solvenz eher ein Schattendasein. In der jüngeren Zeit
spielten Liquiditätsrisiken daher in den Instituten und in der
bankbetrieblichen Forschung im Vergleich zu anderen Risikoarten eine
untergeordnete Rolle.15) Allerdings zeigen aktuelle Forschungsbeiträge
auf, dass Banksysteme, die durch moderne Solvenznormen reguliert
werden, in besonderem Maße durch Liquiditätsrisiken bedroht sind.16)
\
- Der Entwicklungsstand und der Anspruch an das
Liquiditätsrisikomanagement sind in den einzelnen Instituten in
Abhängigkeit von der Größe und Komplexität des eigenen Geschäfts sehr
unterschiedlich: Während in vielen Instituten neben der täglichen
Gelddisposition allein eine vorausschauende Analyse und Steuerung
Grundsatz II-Auslastung erfolgt,17) haben andere Institute die
Entwicklung von eigenen internen Modellen vorangetrieben.18)
\
- Die Transparenz bezüglich der implementierten Systeme ist gering,
nicht zuletzt aufgrund der Sicherheitsrelevanz des Bereichs.19)
\
- Es besteht eine Inkompatibilität der Systeme mit etablierten
Verfahren der Gesamtbanksteuerung für Erfolgsrisiken auf VaR-Basis.20)
\
- Die Entwicklungsreife und Akzeptanz von neuen Ansätzen wie des
Liquidity-at Risk-(LaR)-Konzepts ist gegenwärtig nur eingeschränkt
gegeben.
\
Stresstests als Hilfsmittel
\
Die traditionellen Instrumente zur Quantifizierung des
Liquiditätsrisikos wie etwa Liquiditätsübersichten ermöglichen keine
Aussage zur Wahrscheinlichkeit des Risikoeintritts. Daher werden
Stresstests propagiert, bei denen Aussagen über mögliche Auswirkungen
bedeutsamer liquiditätsbeeinflussender Ereignisse gewonnen werden.21)
Zudem wird seit einiger Zeit versucht, Liquiditätsrisiken mit Hilfe
des LaR-Konzepts zu erfassen. Hierbei werden in Anlehnung an
VaR-Konzepte für Erfolgsrisiken die Liquiditätsbelastungen ermittelt,
die mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit nicht überschritten
werden.22) Zum Teil wird darauf aufbauend auch die Zeitdauer bestimmt,
innerhalb derer ein Institut illiquide wird. Indes hat sich für diesen
Bereich bisher kein "Industriestandard" herausgebildet, die
vorgeschlagenen Ansätze unterscheiden sich bezüglich der Definition
des Risikoeintritts sowie der Verteilungsannahme für die
Risikoschätzung und beschränken sich überdies auf den normalen
Geschäftsbetrieb.23)
\
Abgesehen von Detailproblemen besteht die grundsätzliche
Schwierigkeit, dass eine im Zuge der Ermittlung einer
Gesamtrisikoposition notwendige Zusammenführung von Erfolgs- und
Liquiditätsrisiken aufgrund der unterschiedlichen Dimension kaum
möglich scheint. Dies betrifft auch die in ihrer Grundstruktur
ähnlichen modernen Verfahren, da VaR-Konzepte auf die Ermittlung von
(negativen) Vermögenswertschwankungen abzielen, während LaR auf das
Ausmaß von Liquiditätsanforderungen abstellt.
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Ansätze zur Erfüllung der MaRisk in Bezug auf Liquiditätsrisiken
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Die notwendigen Elemente der Einzelrisikomessung undsteuerung werden
recht konkret durch die MaRisk vorgegeben und erfordern im
Wesentlichen eine vertiefte Analyse der Werthaltigkeit und
kurzfristigen Liquidierbarkeit von Aktiva sowie der Abzugsgefährdung
von Passiva und offenen Kreditlinien (Committed und Uncommitted
Lines).24) Daneben sind Anspannungs- und Notfallkonzepte für
unvorhergesehen eintretende Liquiditätsengpässe unterschiedlichen
Ausmaßes zu entwerfen, zu dokumentieren und zu kommunizieren
(Abbildung 1).
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Sämtliche Aktiva, die zur Deckung von laufenden
Liquiditätsanforderungen vorgesehen sind, sowie alle Kreditlinien bei
anderen Banken sind ständig dahingehend zu überprüfen, ob und in
welchem Umfang ihr Einsatz zeitnah möglich ist. Speziell bei
Wertpapieren muss die Analyse über das bisherige Niveau, das durch das
System der Klassifizierung und Abschläge nach Grundsatz II der BaFin
bestimmt wird, hinausgehen; so sind etwa Kursschwankungen als Folge
von Marktzins- und Bonitätsveränderungen exakt zu berücksichtigen.
Aktiva, deren kurzfristige Realisierbarkeit gefährdet ist, sind
unverzüglich aus dem Bestand der Liquiditätsreserven zu entfernen.
\
Zur Konkretisierung der Abzugsgefährdung von Einlagenbeständen und
offenen Kreditlinien ist es zweckmäßig, auf Tagesbasis eine Historie
sämtlicher vom Kreditinstitut nicht beeinflussbarer Zahlungen
aufzubauen und ständig zu aktualisieren. Hierdurch ist es möglich,
Aussagen über die maximal im Normalgeschäft zu erwarteten
Liquiditätsbelastungen zu generieren.25)
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Vorausschauende Planung für auftretende Liquiditätsengpässe
\
Diese zu erwartenden Belastungen determinieren zusammen mit einem von
der Risikobereitschaft der Geschäftsleitung abhängigen
Sicherheitszuschlag die Höhe der vorzuhaltenden liquiden Mittel
inklusive der kurzfristig veräußerbaren Anlagen und der offenen
Kreditlinien. Komplexer gestaltet sich die vorausschauende Planung für
auftretende Liquiditätsengpässe. Sinnvollerweise sind hierbei
zumindest zwei Situationen zu unterscheiden:
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Bei einer Liquiditätsanspannung, ausgelöst durch das Eintreten eines
Erfolgsrisikos oder einen schlagartigen Abzug von Großeinlagen, stehen
Maßnahmen zur möglichst "geräuschlosen" Beseitigung des Engpasses im
Vordergrund. Beispiele hierfür sind die Verschiebung disponibler
Auszahlungen und die Realisierung zusätzlicher Einzahlungen durch
Wertpapierpensionsgeschäfte und die Verpfändung beziehungsweise
Veräußerung von Aktiva.
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Szenario Betrachtungen
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Dagegen werden bei Worst-Case-Betrachtungen auch vermeintlich sichere
externe Zahlungsquellen wie etwa der Liquiditätsausgleich innerhalb
von Verbundsystemen in Frage gestellt; zusätzlich erfolgen verstärkte
Einlagenabzüge und die Liquidierbarkeit des Wertpapiereigenbestandes
sowie der verbrieften Forderungen ist eingeschränkt.26)
\
Mit Hilfe von Szenario-Betrachtungen, in denen differenzierte Annahmen
über das Kundenverhalten und die eintretenden Verschlechterungen der
Liquiditätsbeschaffung getroffen werden, ist das Ausmaß der
Liquiditätslücke zu bestimmen. Sämtliche Maßnahmen, die zum Schließen
der Lücke und damit zur Vermeidung der (dauerhaften) Schließung eines
Instituts infolge von Illiquidität geeignet sind, sind ins Kalkül zu
ziehen. Hierzu zählen neben situativ möglichen Maßnahmen wie etwa die
Nicht-Prolongation von Krediten oder dem Verkauf von Aktiva mit hohen
Abschlägen auch Maßnahmen wie die Emission längerfristiger, nicht
kündbarer Refinanzierungsmittel am Kapitalmarkt.
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Einbeziehung der Liquiditätsrisiken in die Gesamtbanksteuerung
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Erheblich komplizierter gestaltet es sich, die Anforderungen in Bezug
auf die geforderte Integration (oder zumindest angemessene
Berücksichtigung) in die Gesamtbanksteuerung zu erfüllen.
Grundsätzlich sind Wechselbeziehungen zwischen den Erfolgsrisiken,
deren Auswirkungen das Eigenkapital beeinflussen, und der
Liquiditätsrisiken, die die Zahlungsfähigkeit tangieren, vielfältig
und stellen die Institute vor größte Herausforderungen. Da integrative
Ansätze sich bisher nicht durchsetzen konnten, bietet sich in diesem
Zusammenhang zunächst folgendes Vorgehen an: - Das jeweilige
institutsinterne Risikotragfähigkeitskonzept ist zusätzlich zur
Dimension "Kapitalausstattung" um die Dimension "Zahlungsfähigkeit" zu
erweitern.
\
- Für beide Dimensionen sind dann die jeweiligen Risikodeckungsmassen
zu bestimmen sowie die jeweiligen Risiken zu quantifizieren. Als
Risikodeckungsmassen fungieren dabei isoliert und eigenständig das
Verlustauffangpotenzial beziehungsweise das Eigenkapital auf der einen
und die Liquiditätsreserven auf der anderen Seite.
\
- Bezogen auf den Liquiditätsbereich wird der ermittelten
Risikodeckungsmasse das Risiko in Form des potenziellen
Liquiditätsgaps gegenübergestellt. Sofern der Gap die
Risikodeckungsmasse nicht übersteigt, ist die Zahlungsfähigkeit zu
diesem Stichtag nicht akut gefährdet und das Institut wäre dann in
Bezug auf Liquiditätsrisiken noch risikotragfähig.
\
- Die Risikotragfähigkeit des Gesamtinstituts ist dann gesichert, wenn
sowohl die Risikodeckungsmassen für die Erfolgsrisiken als auch
diejenigen für die Liquiditätsrisiken die jeweiligen Risiken
überschreiten.
\
Aufgrund der bestehenden Wechselwirkungen zwischen den Risikoarten
bleiben Praxis und Wissenschaft weiterhin gefordert, praktikable
Verfahren zu entwickeln, mit denen sich die beiden Dimensionen
zusammenführen lassen.27) Realisierbar erscheint der Ansatz,
schrittweise Teilbereiche der Liquiditätsrisiken in das
Value-at-Risk-Konzept zur Steuerung der Erfolgsrisiken zu integrieren.
Zum Beispiel führt eine gesonderte Berücksichtigung der
Veräußerungsverluste, die bei angespannter Liquiditätssituation aus
dem Verkauf von Vermögen resultieren können, zu einer Veränderung des
Value-at-Risk-Kurvenverlaufs28) und damit der vorzuhaltenden
Risikodeckungsmassen.
\
Verbindung der Risikostrategie zur Geschäftsstrategie beachten
\
Zusätzlich ist zu gewährleisten, dass die aus den geschäftspolitischen
Grundentscheidungen für die einzelnen Geschäftsfelder resultierenden
Liquiditätsrisiken ebenso wie die anderen Risiken angemessen
berücksichtigt werden. Dafür ist es notwendig, Geschäfts- und
Risikostrategie aufeinander abzustimmen, hierbei unter anderem die
Liquiditätswirkungen bestimmter Geschäftsstrategien abzuschätzen und
zu prüfen, ob sie im Einklang mit den aktuellen und zukünftigen
Risikodeckungsmassen stehen (Abbildung 2).
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Die MaRisk komplettieren die bisher nur für einzelne Risikoarten
bestehenden Vorgaben für die Konzeption des Risikomanagementprozesses
und stellen durch das Erfordernis einer Geschäftsstrategie zugleich
die Verbindung zwischen Risiko- und Ertragsgesichtspunkten her. Die
durch die MaRisk fortgesetzte Individualisierung der Bankenaufsicht,
die eine Vielzahl von Umsetzungsspielräumen und Öffnungsklauseln und
ausgeweitete Ermessensspielräume für die Prüfer mit sich bringt,30)
ist in Bezug auf die "etablierten" Bereiche des Risikomanagements,
also die Behandlung von Adress- und Marktpreisrisiken, begrüßenswert.
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Dagegen wirft die Verlagerung von strikten Vorgaben hin zu flexiblen,
auf die Notwendigkeiten und Fähigkeiten der Kreditinstitute
zugeschnittenen Regelungen im Hinblick auf die neu in den Katalog
aufgenommenen Risikoarten, für die größtenteils noch keine
"Industriestandards" existieren, deutliche Unklarheiten für alle
Beteiligten auf.
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Schon die Implementierung eines MaRiskkonformen
Liquiditätsrisikomanagements stellt die Institute vor nicht
unerhebliche Herausforderungen, da zusätzliche Instrumente wie etwa
Szenariobetrachtungen, laufende Analysen der erzielbaren
Liquidationswerte von Vermögenspositionen und Notfallplanungen
installiert werden müssen. Noch größere Probleme bereitet die
gewünschte Integration der Liquiditätsrisiken in die
Gesamtbanksteuerung, da für diesen Bereich bisher überhaupt nur wenige
Ansätze vorgeschlagen wurden, die überdies als wenig ausgereift zu
bezeichnen sind. Während damit Praxis und Wissenschaft gefordert sind,
anwendbare Verfahren zu entwickeln, bleibt den meisten
Kreditinstituten in Bezug auf Liquiditätsrisiken zunächst allein die
Möglichkeit, diesen Bereich aus der Gesamtbanksteuerung auszunehmen
und separat zu steuern. Gegenüber der Bankenaufsicht ist dieses
Vorgehen mit den fehlenden Verfahren zu begründen und es bleibt zu
hoffen, dass die Begründung akzeptiert wird.

Prof. Dr. Stephan Schöning , Professor für ABWL/Finance, SRH Hochschule Heidelberg
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