Aufsätze

Neues BGH-Urteil zu strafrechtlicher "Untreue" durch Vergabe von Risikokrediten

Im Anschluss an den Bericht über die Un-treue-Problematik beim Erwerb strukturierter Kreditprodukte "Manager: Bankenkrise und strafbare Untreue (§ 266 BGB)" in Heft 14-15/2009 dieser Zeitschrift kann inzwischen über ein in der juristischen Fachpresse1) abgedrucktes Urteil des BGH vom 13. August 20092) zur Untreue von Bankvorständen im Zusammenhang mit riskanten Kreditbewilligungen berichtet werden. Die Ausführungen des BGH greifen wie üblich über den konkreten Fall hinaus und werden so Teil des rechtlichen Fundaments für die künftige Gerichtspraxis.

Orientierung für Entscheidungsträger

Die Entscheidungsträger der Banken als potenzielle "Täter" erhalten damit zugleich eine weitere Orientierungshilfe im diffizilen Grenzbereich zwischen pflichtmäßigem Verhalten und strafbarer Untreue im Kreditgeschäft vor allem mit Unternehmen. Die Urteilsgründe sind umfangreich und gebieten hier die Beschränkung auf die für die Praxis wesentlichen Aspekte. Bemerkenswert an dem Urteil ist die deutliche Kritik der Bundesrichter und ihre merkbare Verärgerung über die aus ihrer Sicht mangel- und lückenhafte und zum Teil widersprüchliche richterliche Arbeit der Vorinstanz, dem LG Düsseldorf.

Zunächst der Sachverhalt in Kurzfassung: Die Staatsanwaltschaft hatte - verkürzt und ohne die zahlreichen Details dargestellt - einem Vorstand der WestLB vorgeworfen, im Rahmen eines Großkredits von bis zu 800 Millionen Euro an eine britische Unternehmensgruppe seine Pflicht dadurch gravierend verletzt und für seine Bank einen hohen Schaden verursacht zu haben, dass er die wirtschaftlichen Verhältnisse der Kreditnehmerin und deren Marktchancen nicht sorgfältig genug geprüft und sich dadurch einer Untreue im Sinne § 266 StGB schuldig gemacht habe. Der Sachverhalt und die Historie bis zum Kreditvertrag und danach über die Insolvenz der Kreditnehmerin drei Jahre nach der Kreditauszahlung bis zum Ausfall der WestLB mit mindestens 400 Millionen Euro sind umfangreich und sehr komplex. Wer sich für die vom BGH recht ausführlich dargestellten Details interessiert, sei auf die angegebene Fundstelle verwiesen.

Das LG kam zum Ergebnis, der Angeklagte habe zwar "die ihm eingeräumte Befugnis, über das Vermögen der WestLB zu verfügen, ... verletzt", dabei aber ohne Vorsatz gehandelt. Es sei nicht festzustellen gewesen, "dass er eine Gefährdung des Rückzahlungsanspruchs der WestLB als sicher oder wahrscheinlich vorausgesehen und dies billigend in Kauf genommen habe". Der BGH hob diesen Freispruch auf, weil er rechtlicher Überprüfung nicht standhalte. Die nach BGH-Ansicht teilweise lückenhaften und widersprüchlichen Feststellungen des LG seien keine taugliche Grundlage, um den objektiven oder subjektiven Tatbestand der Untreue verneinen zu können. Mit relativ harscher Kritik verwies der BGH den Fall zu neuer Hauptverhandlung und Urteilsfindung an das LG zurück. Aus den Urteilsgründen lassen sich unter anderem die folgenden für die Bankpraxis wichtigen Kernpunkte herausstellen und objektivieren.

"Vermögensnachteil" i. S. § 266 StGB grundsätzlich erst nach Kreditauszahlung: In der Regel trete bei einer Untreue durch Kreditvergabe ein Vermögensnachteil für die Bank frühestens ein, wenn deren durch Auszahlung des Kredits eintretende Vermögensminderung einerseits und ihr Rückzahlungsanspruch andererseits in einem wirtschaftlichen Missverhältnis zueinanderstehen. Das sei regelmäßig der Fall, wenn Kreditvertragsschluss und Auszahlung nach unzureichender (oder im Ergebnis unbefriedigender) Bonitätsprüfung erfolgt seien und dies zu einer Gefährdung der Rückzahlung über das allgemeine Kreditrisiko hinaus geführt habe.

Das LG hatte hier - nach Meinung des BGH unzutreffend - angenommen, dass der Vermögensnachteil der WestLB bereits durch einen sechs Monate vor dem Kreditvertrag erteilten "Commitment Letter" (an Bedingungen geknüpfte, die Bank noch nicht unwiderruflich verpflichtende Absichtserklärung) eingetreten sei und es daher bei der Frage des vorsätzlichen Handelns des Angeklagten auf diesen Zeitpunkt ankomme. Der BGH fordert aber bei einer - vom Regelfall abweichenden - Annahme eines "Zeitpunkts vor Kreditauszahlung" für den Vermögensnachteil der Bank eine nähere Darlegung und Begründung, die das LG hier unterlassen hatte.

Im Übrigen hielt der BGH für mindestens missverständlich, die "schadensgleiche Vermögensgefährdung" dem in § 266 StGB maßgeblichen Begriff des "Vermögensnachteils" gleichzustellen, wie es herkömmlich geschehe. Allenfalls die Rückzahlung des Kredits sei gefährdet, während durch seine Auszahlung das Vermögen der kreditgebenden Bank unmittelbar in dieser Höhe vermindert, nicht etwa nur schadensgleich gefährdet werde. Insoweit stelle sich allein die Frage, ob hierdurch ein Vermögensnachteil i. S. § 266 StGB deshalb nicht eintrete, weil der Minderung ein gleichwertiger Anspruch auf Rückzahlung oder eine ohne Schwierigkeiten verwertbare und den Anspruch voll deckende Sicherheit als "ausgleichende Vermögensmehrung" gegenüberstehe. Vor diesem gedanklichen Hintergrund werde die - in der Rechtspraxis streitige - Frage bedeutungslos, ob für § 266 StGB der bedingte Vorsatz hinsichtlich des Eintritts einer Vermögensgefährdung ausreiche, oder ob der Täter zusätzlich die konkrete Gefahr des endgültigen Vermögensverlustes sehen und auch dessen Realisierung innerlich "billigen" müsse.

Vorsatzformen und ihre Merkmale

Zur regelmäßig im Mittelpunkt von Strafverfahren wegen Untreue durch Kreditvergabe stehenden Frage des vorsätzlichen Handelns formulierte der BGH als Grundsatz: Kennt der Täter bei Kreditgewährung die Pflichtwidrigkeit seines Handelns sowie die den Minderwert des Rückzahlungsanspruchs begründenden Umstände und weiß er, dass dieser nach allgemeinen Bewertungsmaßstäben als minderwertig angesehen wird, liegt direkter Vorsatz (dolus directus) vor, auch wenn er als Täter diese Umstände selbst anders bewertet. Rechnet der Täter dagegen "nur" mit Umständen, die seine Pflichtwidrigkeit und eine Minderwertigkeit des Rückzahlungsanspruchs begründen, und nimmt er diese billigend in Kauf, liegt "bedingter Vorsatz" (dolus eventualis) vor, der für den Schuldvorwurf indessen ausreicht. In beiden Fällen solle nach Meinung des BGH keine - ihn von vorsätzlicher Schuld entlastende - Rolle spielen, wenn der Täter glaube oder hoffe, dass der Kredit letztlich dennoch zurückgezahlt werde. Die spätere tatsächliche Schadensentwicklung sei dann nämlich nur noch für das zu verhängende Strafmaß von Bedeutung.

"Pflichtverletzung" durch Unterlassung umfassender Informationsbeschaffung: Der BGH warf dem LG vor, seine Feststellungen zur Pflichtverletzung des Angeklagten durch Unterlassen einer klassischen Unternehmensanalyse seien widersprüchlich und lückenhaft. Sie würden keine tragfähige Grundlage für eine Entscheidung über dessen Vorsatz nach dem vorgenannten rechtlichen Maßstab bilden. Zutreffend sei das LG indessen im Ansatz davon ausgegangen, dass bei der generell risikobehafteten Kreditvergabe durch Entscheidungsträger der Bank eine Pflichtverletzung im Sinne § 266 StGB nur dann zu bejahen sei, wenn die Risiken und Chancen der Kreditvergabe nicht auf der Grundlage umfassender Informationen sorgfältig abgewogen wurden. Wenn allerdings die - weit zu ziehenden - Grenzen des unternehmerischen Entscheidungsspielraums, innerhalb dessen die Risikoabwägung durchzuführen sei, durch Verstöße gegen die banküblichen Informations- und Prüfungspflichten überschritten würden, mithin das Verfahren der Kreditgewährung fehlerhaft sei, liege eine Pflichtverletzung vor, die zugleich einen Missbrauch der Vermögensbetreuungspflicht aus § 266 I StGB begründe.

Somit würden - und das ist ein entscheidender Kernsatz des Urteils - Handlungs- und Beurteilungsspielräume der Entscheidungsträger nur auf der Grundlage sorgfältig erhobener, geprüfter und analysierter Informationen bestehen. Der im Einzelfall erforderliche und daher gebotene Umfang der Verschaffung von Informationen hänge auch davon ab, welches Risiko dem Entscheidungsträger insoweit grundsätzlich gestattet sei. Bei einem Großkredit seien insbesondere die in § 18 Satz 1 KWG normierten Pflichten, wie das Verlangen nach Offenlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Kreditnehmers, von Bedeutung. Gegebenenfalls seien auch Wirtschaftsprüfer-Berichte und/oder von ihnen testierte Jahresabschlüsse zu analysieren. Bei der Kreditvergabe zur Erschließung neuer Geschäftsfelder oder neuer Geschäftsideen müsse sich der Entscheidungsträger für die erforderliche Risikoanalyse eine breite Entscheidungsgrundlage verschaffen. Der BGH führte aus und begründete das ausführlich, dass dem LG-Urteil nicht zu entnehmen sei, ob das Verhalten des Angeklagten diesen Maßstäben genügt habe.

Das LG Düsseldorf wird nun das Verfahren in neuer Hauptverhandlung wieder aufrollen und sich mit den zahlreichen Versäumnissen befassen müssen, die der BGH aufgezeigt hat. Unabhängig davon, ob das LG erneut zu einem Freispruch des Angeklagten oder zu seiner Verurteilung kommt (denkbar ist freilich auch ein sogenannter "deal", der das Verfahren beenden würde), ist damit zu rechnen, dass der BGH erneut als Revisionsgericht wird entscheiden müssen. Sein - dann wohl endgültiges - Urteil wird wesentlich davon abhängen, ob das LG unangreifbar feststellen kann, dass der Angeklagte bis zu der die WestLB bindenden Kreditbewilligung und -auszahlung alles für eine nach Gesetz und Banküblichkeit stringente Kreditprüfung getan beziehungsweise veranlasst hat und aufgrund dessen zu der objektiv nachvollziehbaren Einschätzung kommen durfte, mit der Kreditbewilligung keine unvertretbare und von den inhaltlichen Vorgaben des KWG gravierend abweichende Pflichtverletzung im Sinne des § 266 StGB zu begehen. Er musste, mit anderen Worten, nach umfassender Kreditprüfung zu der Erkenntnis kommen, dass zwar durch Auszahlung des zu bewilligenden Kredits das Vermögen seiner Bank "vermindert" wird, dass dem aber aufgrund der Bonität des Kreditnehmers und/oder aufgrund der vereinbarten Sicherheiten ein wirtschaftlich "gleichwertiger" Rückzahlungsanspruch gegenübersteht.

"Nutzanwendung" für die Kreditpraxis

Jeder objektivierbare Zweifel an dieser "Gleichwertigkeit" führt den Entscheidungsträger zwangsläufig in die Gefahr, das Ungleichgewicht und damit die erkannte Ausfallgefahr "billigend" hinzunehmen und sich so dem Vorwurf (vorsätzlicher) Untreue auszusetzen. Wenn er die Gefahr in der Erwartung, dass sie an der Bank letztlich vorübergehe, sie also "missbilligend" hinnimmt, kann das zu einer juristischen Diskussion über die Abgrenzung von bedingtem Vorsatz zu "bewusster Fahrlässigkeit" führen, deren Ausgang für ihn ungewiss ist. Wer sich von solcher Gefahrenzone fernhalten will und daher eine mit Restrisiko behaftete Kreditbewilligung versagt, steht damit allerdings in der Regel vor dem neuen Dilemma, mit dem Risiko des Kredits auch die Gewinnchancen aus dem Geschäft an seiner Bank vorübergehen zu lassen (und dafür möglicherweise Vorwürfe aus der anderen Richtung zu bekommen! ). Dieses "Dickicht", in dem die Kreditvorstände und andere Entscheidungsträger von Banken agieren müssen, ist deren generelles und typisches Berufs- und Karriererisiko. Jeder muss sich auf seine Weise darin zurecht und den richtigen Weg möglichst an § 266 StGB vorbei finden.

Fußnoten

1) ZIP - Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 2009, Seite 1854 (Heft 39 vom 25. September 2009).

2) BGH Urteil vom 13. August 2009 - 3 StR 576/08.

Dr. Claus Steiner , Rechtsanwalt, Wiesbaden
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