Aufsätze

Die technischen Systeme der Banken im Lichte der Marktkrise vom Sommer 2007

Krisenhafte Erscheinungen an den Finanzmärkten und im Bankensystem sind regelmäßig wiederkehrende Phänomene und insofern gewöhnlich. Die Auslöser sind variantenreich und umfassen Rohstoff-Verknappungen, technologische Innovationen bis hin zu Anpassungsentwicklungen nach Niedrigzinsphasen. Die Ablaufmechanismen derartiger Krisenphasen wurden häufig analysiert. Spätestens seit dem "Schwarzen Montag" im Oktober 1987 wird hierbei auch der Einfluss von Computer-Systemen regelmäßig kritisch gewürdigt. Auch im Zuge der "Subprime-Krise" im Juli/ August 2007 kam es wieder zu Kritik an automatisiert gesteuerten Investmentgesellschaften (SPV, Anlagevehikel).

Technik und Rendite

Automatische Steuerung komplexer Systeme ist aber nicht nur auf einige SPVs und Quant-Fonds beschränkt. Die meisten Akteure an den Finanzmärkten gingen in den letzten Jahren in immer stärkerem Maße dazu über, technische Systeme zur Steuerung ihrer Geschäfte zu nutzen. Die Dispositionen sowohl im Handels- als auch im Kundengeschäft wurden stark automatisiert. Standardisierte Methoden und Systeme bilden die Steuerungsgrundlage des Handelns der Finanzmarktakteure. Auf dieser Basis werden unter anderem auch zunehmende Informations- und Prüfungsanforderungen der Finanzaufsicht gedeckt. Interne Steuerungssysteme der Banken sind hochautomatisiert und wurden durch die Bankengesetzgebung legalisiert. Dieser Kreislauf beschäftigt heute eine komplette Branche an Software-Anbietern, Systemhäusern, Aufsichtsämtern, IT- und Methodenabteilungen sowie sonstigen Spezialisten.

Die Frage nach den Effekten dieser Technisierung im Finanzwesen drängt sich auf. Welche Rolle spielt die Automatisierung von dispositiven Aufgaben im Finanzdienstleistungsbereich auf Unternehmens- und Branchenebene? Können Finanzmarktakteure mit hohem Technisierungsgrad unabhängig vom Marktumfeld höhere oder stabilere Renditen erzielen? Oder führt eine hohe Automatisierung über eine Gleichschaltung des Verhaltens und eine Zyklusverstärkung letztendlich zu geringeren Renditen?

Die Wirkung der modernen Steuerungssysteme ist insbesondere im Lichte der Marktkrise vom Sommer 2007 bedeutend geworden. Die Krise kündigte sich an, als im Juli 2007 die Spreads für Anleihen mit überdurchschnittlichem Risiko anzuziehen begannen. Im August kam es dann völlig unerwartet zu massiven Preisveränderungen. Dies löste Folgewirkungen auf einer Vielzahl von Märkten aus, sodass letztlich selbst der Geldmarkt tangiert wurde. Der Verlauf der Krise offenbarte ein fundamentales Misstrauen der Marktteilnehmer in die mathematischen Modelle, mit denen Risiken - insbesondere bei ABS - gemessen wurden. Das Vertrauen in die Risikosteuerungssysteme der Banken und Fonds verschwand. Es kam zum Zusammenbruch einer Reihe von Fonds und Banken. In Deutschland traf es mit der IKB und der Sachsen-LB zwei Banken, die, wie die Geschäftsberichte zeigen, moderne Risikosteuerungsverfahren nach Basel II, die ab Jahresende 2007 für alle Banken verbindlich werden, eingeführt hatten.

Wirkung automatisierter Steuerungssysteme in der Krise

Es stellt sich die allgemeine Frage, welche Rolle automatisierte Steuerungssysteme, die mittlerweile nahezu im gesamten Finanzgewerbe zu finden sind, für die Entwicklung von Märkten insbesondere in Krisen spielen. Diese Frage wurde in einem 2004 begonnenen Forschungsprojekt des Center for Financial Studies Saxony an der TU Chemnitz untersucht. Dazu wurde eine elektronische Modellbank aufgebaut, in welche die in Banken heute verwendeten automatisierten Steuerungsmechanismen implementiert wurden. Im Rahmen von Simulationsläufen wurde nun diese Modellbank mit realen Marktdaten konfrontiert.

Unter anderem wurde untersucht, wie sich Banken in eher ruhigen Marktphasen verhalten und wie sie sich in volatilen und krisenhaften Situationen gebärden. Auf diese Weise konnte festgestellt werden, wie Banken im Zeitablauf auf Marktentwicklungen reagieren. Dabei konnten wichtige Parameter beziehungsweise Ausgestaltungsmerkmale der Bank geändert werden. Es ließ sich zeigen, wie mehr oder weniger Automatisierung, wie bestimmte mathematische Algorithmen, bestimmte Erfolgskennzahlen das Verhalten der Bank beeinflussen. Daraus konnten dann Wirkungen auf der Gesamtmarktebene abgeschätzt werden.

Die erste Phase des Projektes wurde im Frühjahr 2007 abgeschlossen. Im Folgenden werden einige der Ergebnisse dargestellt, die im Lichte der Marktturbulenzen des Sommers 2007 besonders interessant erscheinen. Grundsätzlich ist die Modellbank aber offen für jedwede weitere Untersuchung.

Zuschaltung einer risikoadjustierten Gesamtbanksteuerung

Den Aufbau der Modellbank zeigt die Abbildung. Details zur Modellbank finden sich in Krotsch (2005) und Hintergründe zur Industrialisierung der Banken in Riese (2005). Im Folgenden werden die Begriffe "industrialisiert", "technisiert", "automatisiert" synonym verwendet. Sie umschreiben die modernen Systeme, die Banken in der Risiko- und Ertragssteuerung einsetzen und damit ganz oder teilweise menschliche Dispositionsaufgaben ersetzen, wie zum Beispiel automatisierte Analyseverfahren für die Anzeige und Verarbeitung von Marktinformationen, Positionsführung von gehandelten Instrumenten, Limit-Auslastungsanzeigen, automatische Kreditwürdigkeitsprüfungen mittels Entscheidungssystemen, selbst errechnete, interne Ratings, modellgestützte Anzeigen von Arbitragemöglichkeiten und Vorschläge für Hedging-Transaktionen sowie umfangreiche Portfolio-Optimierungsalgorithmen.

Zusätzlich kann eine risikoadjustierte Gesamtbanksteuerung in der Modellbank zugeschaltet werden, die gleichsam als Königsdisziplin der Risiko- und Ertragssteuerung gilt.1) Verbleibende menschliche Dispositionsaufgaben können in der Modellbank unter Verwendung von zum Beispiel Präferenzfunktionen und verhaltenswissenschaftlichen Erkenntnissen zugeschaltet werden.

Es zeigt sich: Finanzmarktakteure mit hohem Technisierungsgrad der Steuerung - reagieren bei auftretenden Marktschocks übertrieben risikoavers und damit zyklusunterstützend, - reduzieren ihre Diversifikation in Schockphasen und erhöhen damit die Wirkung von Krisen in Einzelmärkten, - schalten das Verhalten mehrerer Marktteilnehmer gleich und unterstützen eine zyklusverstärkende Wirkung, - multiplizieren die Wirkung menschlicher Verhaltensanomalien durch den Einsatz und die Parametrisierung von automatischen Dispositionsverfahren.

Im Einzelnen können diese Wirkungen wie folgt auf bestimmte Komponenten der automatisierten Steuerungssysteme zurückgeführt werden.

In volatilen Marktumfeldern verhalten sich Banken mit automatisierter Steuerung sehr stark risikoavers, was mit den Risiko-Er-trags-Kennziffern, die viele Banken verwenden (wie Raroc), zu tun hat. Der Nenner dieser Kennziffern entpuppt sich in volatilen Marktphasen als eigentlicher Treiber des Bankenverhaltens - nicht der Zähler. Er lässt sich in volatilen Marktphasen durch Übergang zu risikoärmeren Geschäften deutlich reduzieren. Das heißt, die Bank, die eine Raroc-Maximierung betreibt, agiert vorsichtig und reduziert das Risikopotenzial. Solange es nicht zu zyklusverstärkenden Effekten (gleichgerichtetes Verhalten vieler Akteure) kommt, ist das ein durchaus vernünftiges Verhalten. Die Bank geht Risiken schneller als die frühere - menschlich disponierte - Bank aus dem Weg. Dies kann aber bis hin zur Aufgabe ganzer Geschäftsfelder gehen, was aus Gründen der Fixkostenremanenz letztlich doch unvorteilhaft ist. Das risikoaverse Verhalten reduziert insofern Ertragspotenziale unnötig.

In krisenhaften Marktumfeldern kommt es zu einem Marktdruck aus zwei Gründen: zum einen gehen Banken aus den Geschäftsfeldern heraus, die in der Krise nicht mehr ertragreich sind (Zähler). Zum anderen reduzieren sie in mehreren Geschäftsfeldern das Geschäftsvolumen, weil über den Marktzusammenhang vieler Teilmärkte die Volatilität vieler Finanztitel ansteigt und sich die Risiko-Ertrags-Werte in vielen Bereichen verschlechtern (Nenner).

Es lassen sich folgende Ratschläge ableiten: In der Ausgestaltung automatischer Dispositionsverfahren ist darauf zu achten, dass die verstärkte Risikoaversität, die aus der Verwendung von Risiko-Ertrags-Kennziffern wie dem Raroc folgt, nicht zu einer drastischen Einschränkung der Geschäftspotenziale führt. Dazu kann den Banken geraten werden, die Konsequenzen eventuell neu eingeführter automatischer Steuerungsverfahren auf die Geschäftspolitik durch Simulationen, die nicht nur einzelne Geschäftsarten umfassen, sondern die Gesamtbank einbeziehen, zu erkennen und zu verstehen.

Es gibt einen Konflikt zwischen absoluten Ergebniszielen und den typischen Zielgrößen der Risk-Return-Steuerung, der sich bei Banken mit hohem Technisierungsgrad der Steuerung auswirkt. Auf der Basis solcher Simulationen sollten dann die Steuerungssysteme justiert werden. Zusätzlich kann ein aktives Management von Risiken3) dazu dienen, die Balance zwischen Risikotragfähigkeit und Geschäftspotenzialen wiederherzustellen.4)

Weniger Diversifikation bei Automatisierung der Steuerung

In Bezug auf den wichtigen Faktor der Diversifikation trägt die Automatisierung der Steuerung zu einer überraschenden Entwicklung bei: Automatisiert gesteuerte Banken verringern die Diversifikation. Automatische Steuerungssysteme führen also zu einem geringeren Diversifikationsgrad des Geschäftsportfolios.

Der Grund liegt darin, dass es auf Basis der gegebenen Marktdaten - es wurde hier mit realistischen Marktdaten als Inputwerten gerechnet - überhaupt nur in wenigen Perioden zu gemischten Geschäftsportfolios kommen kann, da es meist bestimmte Titel oder ganze Geschäftsfelder gibt, die viel mehr als andere zur Zielerreichung beitragen. Man muss bedenken, dass es zu einem breit diversifizierten Portfolio nur dann kommen kann, wenn bei moderaten Korrelationskoeffizienten die Portfoliobestandteile in etwa gleiche Ertragsraten haben oder bei stark abweichenden Ertragsraten die Korrelationskoeffizienten sehr gering bis negativ sind. Tatsächlich sind die Diversifikationseffekte zwischen den Geschäftsarten aber längst nicht so stark wie intuitiv vielleicht vermutet, sodass eine Bank mit hohem Technisierungsgrad der Steuerung schon bei mäßigen Ertragsratendifferenzen dazu neigt, bestimmte Titel und Geschäftsfelder sehr stark positiv und andere Geschäftsfelder negativ zu gewichten.

Dieses Ergebnis erscheint kontraintuitiv, denn man hätte erwarten können, dass eine Automatisierung der Disposition zu granulareren und diversifizierteren Allokationen führt als bei einer traditionellen Bank. Die genauere Kenntnis (das heißt genauere Berechnung) der Portfolioeigenschaften durch die technisierte Bank bewirkt jedoch das genaue Gegenteil: Die Bank zieht sich aus bestimmten Portfoliopositionen nicht nur teilweise, sondern sogar gänzlich zurück.

Rückzug aus bestimmten Portfoliopositionen

Zwar wirken eine erhöhte Portfolio-Granularität5) und Diversifikation für sich genommen risikomindernd und sind insofern vorteilhaft. Aber diese positiven Effekte von Diversifikation werden von Ertragsratendifferenzen der Geschäftsarten überkompensiert. Die Bank mit automatisierter Steuerung diversifiziert nicht, sondern wendet sich ertragsstarken Geschäftsarten zu. Es kommt zu einseitigen Allokationen der knappen Mittel.6) Vereinfacht gesprochen wirkt sich die Technisierung nicht dahingehend aus, dass die Bank besser diversifizierte Portfolios sucht, sondern dahingehend, dass sie sich gezielt genau die Geschäftsarten und Titel heraussucht, die vergleichsweise hohen Ertrag bei üblichem beziehungsweise geringem Risiko bringen.

Mit diesen Simulationsergebnissen lassen sich die Konsequenzen einiger Phänomene an realen Märkten erklären: Die vielen modischen Trends an den Finanzmärkten, oftmals hervorgerufen durch das Verhalten der Nichtbanken (plötzliche Vorlieben, plötzliche Ängste), führen dazu, dass es immer wieder Geschäftsarten gibt, deren Ertragsraten sich deutlich von denen anderer Geschäftsarten unterscheiden, was in der automatisierten Banksteuerung zu einseitigen Allokationen führt. Die technisierte Bank konzentriert sich auf die jeweils attraktiven Geschäftsfelder und fährt die anderen zurück. Dies stellt vielleicht einen Beitrag zur Erklärung von beobachtbaren, problematischen Anti-Diversifikationseffekten in der Bankpraxis dar.7)

Optimale Länge der Datenhistorie

Die Schlussfolgerung lautet daher folgendermaßen: In der Ausgestaltung automatischer Dispositionsverfahren sollten besser balancierte Steuerungsansätze verwendet werden. Es müssen zusätzliche Nebenbedingungen gefunden und installiert werden, die verhindern, dass die automatischen Steuerungssysteme die Diversifikation zu stark zurückschrauben. Eine ausschließliche Orientierung an Zielgrößen wie dem Raroc ist nicht zu empfehlen.

Die Länge der verfügbaren Datenhistorie hat große Auswirkungen auf das Bankenverhalten - aber weder sehr lange, noch eher kurze Historien sind eindeutig vorteilhaft. Die automatische Dispositionsentscheidung setzt einen Bestand an historischen Daten voraus, der ausgewertet werden kann. Dies wirft die Frage auf, wie lang die Datenhistorie sein sollte. Es zeigt sich, dass sowohl kurze als auch lange Datenhistorien Nachteile haben. Wir haben Simulationen für stabile und volatile Marktszenarien durchgeführt.

In stabilen Marktszenarien ist die Verwendung langer Datenhistorien nachteilig. Hier führt die Beachtung von gegebenenfalls sehr seltenen beziehungsweise länger zurückliegenden Wertverlusten zu einem übertrieben stark risikoaversen Verhalten. Die Bank stellt sich auf ein Risiko ein, das es "früher einmal" gegeben hat, für die nächste Zukunft aber vielleicht doch eher unwahrscheinlich ist.

In plötzlich auftretenden volatilen Marktszenarien (wie die Krise im Sommer 2007) wirkt sich dagegen eine lange Datenhistorie vorteilhaft aus. Die Bank agiert insgesamt vorsichtiger (siehe oben) und steht deshalb beim plötzlichen Auftreten von Phasen hoher Volatilität bereits "auf der richtigen Seite".8) In der Konsequenz ergibt sich Folgendes: Die Entscheidung über die optimale Länge der verfügbaren Datenhistorie ist wichtig und ist nicht automatisierbar. Sie muss von einem menschlichen Entscheider getroffen werden. Es handelt sich um eine der wichtigsten Entscheidungen überhaupt, die selbstverständlich auf Vorstandsebene zu fällen ist. Sich aggressiv um Marktanteile bemühende Banken werden versuchen, die Länge der Datenhistorie flexibel zu handhaben: In stabilen Marktumfeldern müssen sie sie reduzieren, um ein unnötig risikoaverses Verhalten zu vermeiden.

Zyklusverstärkung durch automatisierte Steuerung?

Unter Marktzyklen wird in der Simulation der Wechsel von Phasen normaler Volatilität und Phasen sehr hoher Volatilität an den Finanzmärkten verstanden. Solche Phasenwechsel stellen für jede Bank eine besondere Herausforderung dar. Es stellt sich dabei die Frage, wie mehr oder weniger automatisierte Banken auf derartige Phasenwechsel reagieren. Außerdem wurde untersucht, ob Banken mit ihren Reaktionen die Phasenwechsel selbst beeinflussen und dabei eher verstärkend oder abschwächend wirken. Als Maß für die Bankreaktionen wurden zum einen die Veränderungen in den Geschäftsportfolios der Bank, zum anderen die Veränderung des Raroc von Periode zu Periode beobachtet. Es ergab sich Folgendes:

Banken, die ihre Systeme mit einer relativ kurzen Lernhistorie und einer geringen Optimierungstiefe9) ausstatten, reagieren sehr schnell und sehr heftig auf Volatilitätsänderungen der Inputmärkte. Das Portfolio wird mit dem Beginn volatiler Phasen, das heißt mit dem Beginn von Krisen, sehr schnell - überschießend10) - risikoavers umgestaltet und die Bank somit vor Verlusten geschützt - dies ist die Logik, der auf historischen Daten basierenden Steuerungsalgorithmen. Im Verlauf der volatilen Phase korrigiert die Bank dann ihr übertriebenes Verhalten teilweise wieder, indem sie sich sukzessive dem optimalen Punkt nähert, und lässt Risiken entsprechend wieder zu. Das Bankergebnis schwankt über die Marktphasen hinweg in relativ geringem Maße, weil die Bank schnell reagiert. Nimmt man aber gleichgerichtetes Verhalten mehrerer Banken hinzu, kann das schnelle Reagieren zu einem Aufschaukeln von Marktpreisen und entsprechenden prozyklischen Bankenreaktionen führen.

Banken, die ihre Systeme mit einer relativ langen Lernhistorie und einer hohen Optimierungstiefe ausstatten, reagieren demgegenüber zu Beginn einer Phase erhöhter Volatilität vergleichsweise wenig und stellen ihr Verhalten nur graduell um. Hierfür verantwortlich ist sowohl die lange Lernhistorie als auch die hohe Optimierungstiefe. Erstere bewirkt, dass auch extreme Risiken (aus weit zurückliegenden Zeiten) ohnehin dauerhaft im Portfolio berücksichtigt sind. Letztere bewirkt, dass sich die Bank mit dem Aufkommen neuer Daten "fein" an diese anpasst und keine überschießenden Reaktionen produziert.

Alles zusammengenommen führt eine lange Lernhistorie in Verbindung mit einer hohen Optimierungstiefe am Beginn einer volatilen Phase zu einer unvollkommenen Anpassung an die tatsächliche Risikosituation der nächsten Zeit. Die Bank erleidet deshalb in der Anfangszeit einer volatilen Phase Verluste. Hält die volatile Phase eine gewisse Zeit an, dann stellt sich die Bank aber konsequenter als die traditionell mit Limitsystemen arbeitende Bank darauf ein, was - bei risikoaverser Ziel-/Nutzenfunktion - bei länger anhaltenden volatilen Phasen zu einer sehr starken Einschränkung der riskanten Geschäftsarten führt. Die Bank wählt bei anhaltend hoher Volatilität extrem risikoarme Portfolios, was die Erträge der Bank einerseits sicherer macht, andererseits aber auch absolut senkt (nur sicherer Geschäfte, kein Risikoaufschlag).

Kompromiss aus Risikobegrenzung und Wahrung von Ertragschancen

Betrachtet man die Bankenbranche als Ganzes und unterstellt einen hohen Technisierungsgrad der Steuerungsverfahren in der Branche, dann kann die starke Reaktion der Banken hin zu sicheren Portfolios im Verlauf einer Schockphase die Marktzyklen verstärken. Ein Bankensystem, dass überwiegend aus Banken besteht, die einem hohen Automatisierungsgrad der Steuerung implementiert haben, könnte also dazu neigen, im Verlauf einer Krise stark prozyklisch zu agieren. Verwendet das Bankensystem Automatismen mit langer Lernhistorie, dann gibt es weniger prozyklische Effekte in der ersten Phase der Krise, was ein Aufschaukeln verhindert.

Allerdings bedeutet ein solches Verhalten auch, das in der Zeit vor der Krise ein für die dann herrschenden Marktverhältnisse zu risikoaverses Portfolio gehalten wird, was Wettbewerbern von außerhalb des Bankensystems Chancen bietet, in den Markt einzutreten.

In der Konsequenz kann man folgende Schlüsse ziehen: Eine zu lange Datenhistorie sowie eine zu große Feinheit der Optimierungsalgorithmen sind nicht vorteilhaft, wenn hin und wieder mit Volatilitätsschocks gerechnet werden muss. Die Bank muss eine Parametereinstellung ihrer automatischen Prozesse suchen, die einen sinnvollen Kompromiss aus Risikobegrenzung, Wahrung von Ertragschancen und einer Vermeidung prozyklischer Effekte der Geschäftspolitik ergeben.

Die Steuerungsalgorithmen und Computersysteme, die von Banken verwendet werden, befinden sich in einem ständigen Weiterentwicklungsprozess. Es gibt eine Technologie, die jeweils "State of the Art" ist, und sukzessive bei allen Banken eingeführt wird. Insofern kommt es zu einer Gleichschaltung des Bankenverhaltens durch Verwendung ähnlicher Systeme.

Speziell in der Analysefunktion der Banksteuerung kann dies auch heute bereits nachgewiesen werden; es wird von "Herdenverhalten" der Händler gesprochen,11) das eine ihrer Ursachen in gleichartigen Informationsbeschaffungs- und Analysesystemen hat. Mit zunehmendem Technisierungsgrad könnten bei einer ähnlichen Parametrisierung von Routinen über Geschäftsfelder und Banken hinweg jeweils ähnliche Geschäfte und Risiken von den Banken gesucht werden, wogegen andere Geschäftsfelder von allen Banken gemieden werden. Der Markt könnte sich dadurch zunehmend polarisieren. In der Folge kann es zu Parallel- und Sekundärmärkten kommen, an denen die von den Banken vernachlässigten Segmente von anderen Finanzinstitutionen (zum Beispiel Hedgefonds) bearbeitet werden.

Es ergeben sich folgende Empfehlungen: Da an der branchenweiten, mehr oder weniger einheitlichen Einführung und Verwendung bestimmter Technologien, die als 'State of the Art' gelten, in Zukunft wahrscheinlich wenig zu ändern sein wird, können sich Banken gegen die Nachteile gleichartiger Systeme nur über eine intelligente Parametrisierung schützen. Sie dürfen die Parametrisierung ihrer Systeme nicht autonom, das heißt unabhängig von anderen Banken vornehmen, sondern müssen die Wechselwirkungen mit der vermuteten - Parametrisierung ähnlicher Systeme bei anderen Banken beachten. Die Parametrisierung sollte prominent in der Prozesslandschaft und der Aufbauorganisation der Bank verankert werden. Nur in Ausnahmefällen können auch bewusste Eigenentwicklungen helfen, die Gleichschaltung zumindest abzuschwächen.

Es ist empfehlenswert, dass die Aufsichtsbehörden regelmäßig Untersuchungen zum Stand der Parametrisierung der Systeme bei den wichtigsten Marktteilnehmern vornehmen.

Potenzierte Verhaltensfehler durch automatisierte Dispositionsverfahren

Die Automatisierung der Dispositionsentscheidung führt zwar zu einer weitgehenden Eliminierung des Faktors Mensch in der einzelnen Dispositionsentscheidung, es kommt insgesamt jedoch zu einer systemischen Multiplikation der menschlichen Verhaltensanomalien bedingt dadurch, dass irgendjemand die Einstellung der Parameter des Steuerungssystems vornehmen beziehungsweise darüber entscheiden muss. Automatisierte Systeme funktionieren nur im Betrieb automatisch. Vorher muss ein menschlicher Entscheider die Prozeduren festlegen und die Parameter einstellen.

Bei der Festlegung der Parameter können sich die bekannten Verhaltensanomalien und sonstige Entscheidungsfehler ebenso auswirken wie bei der nicht-automatisierten, singulären Bankdisposition. Sie haben aber bei der automatisierten Bank potenzierte Wirkungen, da sich eine einmal vorgenommene Einstellung auf eine Vielzahl von Fällen auswirkt. Insofern wirkt die Subjektivität des Menschen weiterhin, bei Banken mit automatisierter Steuerung nur auf einer höheren Ebene. Fehlentscheidungen durch Funktionsträger bei der Festlegung von Prozeduren und Parametern können wesentliche negative Konsequenzen nach sich ziehen.12) Beispiele hierfür sind die Zentralisierung der Definition von Musterportfolios im Asset Management oder die Kritik an der Kalibrierung der Gewichtungsfaktoren im IRB-Ansatz durch den Basler Ausschuss.13)

Bei den Simulationen lässt sich feststellen, dass es in einer technisierten Bank eine Vielzahl von Algorithmen und Parametern gibt, die sehr weit reichende Auswirkungen auf das Bankenverhalten haben. Entscheidungen von derartiger Wichtigkeit wurden traditionell fast nur auf Vorstandsebene getroffen. Es ist zu vermuten, dass heute noch längst nicht über alle wichtigen Parameter und Algorithmen automatischer Verfahren auf Vorstandsebene entschieden wird.

In der Konsequenz ist zu empfehlen, umfassende personelle und organisatorische Prüfmechanismen für die Parametereinstellung und Parameteränderung aufzubauen. Die Festlegung von Limiten und anderer Hilfsmittel zur Begrenzung von Risiken und Steuerung muss auf eine hohe Entscheidungsebene verlagert werden. Zusätzlich kann daran gedacht werden, den automatischen Ablauf von Prozeduren so häufig wie möglich erneut zur Disposition zu stellen, um die möglichen kumulativen Fehlerwirkungen einzelner Entscheidungen zu verringern.

Prozyklische Effekte vermeiden

Die in den letzten Jahren zu beobachtenden Tendenzen zur automatisierten Disposition bei Finanzmarktakteuren zeigen deutlich messbare Auswirkungen auf deren Verhalten in wechselnden Marktphasen. Es kann zu erheblichen nachteiligen Effekten auf Unternehmens- und Marktebene kommen. Grundsätzlich ist kein systematisch risikofreudigeres Verhalten durch Automatisierung auszumachen. Vielmehr agieren diese Banken häufig sogar betont risikoavers. Bei starken Ertragsdifferenzen verschiedener Geschäftsfelder wird Druck erzeugt, Geschäfte in bestimmten Geschäftsfeldern auszuweiten. Es kann zu einseitigen Portfolios der Banken kommen.

Die Entscheidung über die optimale Länge der einzubeziehenden Datenhistorie sollte sorgfältig und bewusst gefällt werden. In stabilen Marktumfeldern darf der Zeitraum nicht zu lang gewählt werden, weil sonst die Bank über eine zu starke Risikoaversion erhebliches Ertragspotenzial verschenkt. Bei neuen Assetklassen sollte der Zeitraum jedoch lang genug sein, um überhaupt sinnvoll Parameter extrahieren zu können. Finanzmarktakteure müssen Parametereinstellungen für ihre automatischen Prozesse suchen, die einen sinnvollen Kompromiss aus Risikobegrenzung, Wahrung von Ertragschancen und einer Vermeidung prozyklischer Effekte der Geschäftspolitik ergeben.

Alle Meinungsaussagen geben die aktuelle Einschätzung des Verfassers/der Verfasser wieder und stellen nicht notwendigerweise die Meinung der aktuellen Arbeitgeber der Verfasser dar.

Literaturverzeichnis

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Fußnoten

1) Für eine vergleichende Analyse der im deutschsprachigen Raum im Einsatz befindlichen Banksteuerungsverfahren vgl. Grimmer, J. U., 2003.

2) Krotsch, S., 2005.

3) Vgl. hierzu zum Beispiel Kuritzes, A., 1998.

4) Vgl. insbesondere zu potenziellen Auswirkungen der Basel II-Ansätze: Elschen, R., Seite 24.

5) Zu Risiko-Effekten der Portfolio-Granularität vgl. Wilkens, M./Baule, R./Entrop, O., 2001.

6) Die geringe Anzahl der im Portfolio befindlichen Positionen wirkt im Modell ebenfalls limitierend.

7) Vgl. Hornblower Fischer, 2000; vgl. Elschen, R., 2002, Seite 26.

8) In diesem Zusammenhang kann auch die Kritik an Basel II hinsichtlich der unzureichenden Berücksichtigung von Konjunkturschwankungen interpretiert werden. Banken haben bei Verwendung von einfachen Ansätzen lediglich die Möglichkeit, einen höheren Eigenkapitalpuffer vorzuhalten, um konjunkturellen Schwankungen zu begegnen. Dies verstärkt jedoch die negativen Selektionseigenschaften von Basel II. Bei Verwendung des fortgeschrittenen IRB-Ansatzes können auch beliebige Instrumente in die Risikoberechnung einbezogen werden (zum Beispiel Kreditderivate). Aufgrund der zentralen Bedeutung der Datenarchivierung und -auswertung bei der automatisierten Banksteuerung sollten also automatisierte Verfahren erst dann freigeschaltet werden, wenn eine genügend lange Datenhistorie vorliegt und ausgewertet werden kann. Vgl. Elschen, R., 2002, Seite 31. Elschen weist zusätzlich auf mögliche ertragssteigernde Effekte von internen Ratingansätzen hin. So würden dadurch bessere Kundeninformationen aufgebaut, die für Akquisitions- Zwecke genutzt werden könnten.

9) Unter Optimierungstiefe versteht man allgemein die Fähigkeit (Prozess) und Genauigkeit (Verfahren, Rechenleistung) zur umfassenden Verarbeitung interner und externer Marktdaten und der Extraktion von Inputparametern für automatisierte Steuerungsverfahren.

10) Überschießend deshalb, weil Banken, die relativ grobe Systeme verwenden (geringe Optimierungstiefe), also Systeme, welche die Daten nicht mit letzter Genauigkeit, die einen sehr hohen Rechenaufwand erfordern würde, auswerten, nicht den optimalen Handlungspunkt treffen. Die Systeme berechnen Lösungen, die über das Ziel hinausschießen.

11)Vgl. Bieta, V./Milde, H., 2005.

12) Vgl. Bieta, V./Milde, H., 2005. "Fachleute berichten, dass heutzutage praktisch kein Händler eine Wertpapiertransaktion durchführt, ohne zuvor die "F9"-Taste gedrückt zu haben [... die das Optimalportfolio in Sekundenschnelle aktualisiert]." Alle Handelnden gehen von ähnlichen exogen gegebenen Verteilungsfunktionen und historischen Daten aus - Verhaltensrisiken durch Herdeneffekte werden systematisch ignoriert. Bieta/Milde schlagen Modelle der Spieltheorie zur Behebung dieser Defizite vor.

13) Vgl. Elschen, R., 2002, Seite 32.

14) Vgl. Christl, J., 2005, Rösch, D., Mitigating procyclicality, 2002, Bundesverband deutscher Banken, 2003.

Dr. Cornelius Riese , Co-Vorstandsvorsitzender, DZ BANK AG, Deutsche Zentral-Genossenschaftsbank, Frankfurt am Main
Prof. Dr. Friedrich Thießen , Professur für Finanzwirtschaft und Bankbetriebslehre, Technische Universität Chemnitz
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