Aufsätze

Der unbesicherte Geldmarkt - Blinddarm des Finanzsystems?

Der Geldmarkt ist in der Eurozone weitgehend ein reiner Interbankenmarkt, in dem sich Banken Kredite mit einer Laufzeit bis maximal zwölf Monaten einräumen. Man unterscheidet den besicherten und den unbesicherten Geldmarkt. Im Rahmen von besicherten Transaktionen werden marktfähige Wertpapiere gewissermaßen sicherungsübereignet. Genauer gesagt, die Kredit nehmende Bank verkauft ein Wertpapier gegen die Kreditsumme mit dem Versprechen, es nach der vereinbarten Frist zu einem vorher bestimmten Preis zurückzukaufen. Dieser entspricht dem Rückzahlungsbetrag plus Verzinsung. Solche Repo-Verträge sichern somit den Kreditgeber vor einem Kreditausfall. Denn im Falle dass der Kreditnehmer nicht zurückzahlen kann, bleibt der Kreditgeber ja immer noch im Besitz der marktfähigen Wertpapiere. Anders ist dies beim unbesicherten Geldmarkt. Hier erhält die Kredit gebende Bank keine Sicherheiten und erleidet folglich einen Kreditausfall, wenn die Kredit nehmende Bank nicht zurückzahlen kann.

Hohe Suchkosten

Das Kreditrisiko des Kreditgebers variiert also am unbesicherten Geldmarkt je nach individuellem Ausfallrisiko der Kredit nehmenden Bank. Demnach ist es für die Kredit gebende Bank von zentraler Bedeutung, dieses Gegenparteirisiko von möglichen Vertragspartnern individuell abschätzen zu können. Ein zentralisiertes und anonymisiertes elektronisches Handelssystem ist folglich für den unbesicherten Geldmarkt nicht geeignet, da die Vertragsparteien bilateral das Kreditrisiko schätzen und die Kreditkonditionen entsprechend anpassen müssen.1) Der unbe sicherte Geldmarkt ist daher noch weitgehend ein Over-the-Counter-Markt, in dem Banken dezentral nach einer Gegenpartei suchen und bilateral die Vertragskonditionen aushandeln. Diese Marktstruktur führt zu hohen Suchkosten. Eine Bank mit einem bestimmten Liquiditätsbedarf muss unter Umständen eine Vielzahl möglicher Vertragspartner kontaktieren, bevor sie eine Gegenpartei findet, die die gewünschte Liquidität anbieten und mit der sie sich auf beiderseits akzeptable Konditionen einigen kann.2)

Um diese Ineffizienzen einzudämmen, treten insbesondere große Banken mit bester Bonität häufig als Intermediäre oder Market Maker am unbesicherten Geldmarkt auf. Sie dienen als zentrale Anlaufstelle für andere Liquidität suchende und anbietende Banken. Wie beispielsweise Bank B in Abbildung 1 nehmen sie folglich nicht nur Kredit von Bank A auf, um ihren eigenen Liquiditätsbedarf zu decken, sondern auch, um diese Liquidität an andere Banken wie Bank C weiterzureichen. Aufgrund der dezentralen Struktur am unbesicherten Geldmarkt entstehen so unter Umständen lange Intermediationsketten, in denen viele Banken gleichzeitig Kreditgeber und Kreditnehmer sind.

Fragilität des unbesicherten Geldmarktes

Diese Struktur trägt in verschiedener Weise zur Fragilität dieses Marktes und damit des gesamten Finanzsystems bei. Zum einen führen die Intermediationsketten und die hiermit einhergehenden Kreditverflechtungen zu möglichen Dominoeffekten. Fällt etwa die Bank D aus und kann ihren Interbankenkredit an die Bank C nicht zurückzahlen, bedeutet dies einen Verlust für die Bank C. Übersteigt dieser die Risikotragfähigkeit der Bank C, wird hierdurch auch Bank C zahlungsunfähig und kann so ihren Kredit der Bank B nicht bedienen. Letztlich erleidet also auch Bank B einen Verlust und wird destabilisiert, was sich dann auch auf Bank A auswirken kann.

Aufgrund der dezentralen Marktstruktur kennen Banken nicht die Kreditrisiken, die ihre Kreditnehmer am Geldmarkt im Einzelnen selbst eingegangen sind. Dennoch bilden sie Erwartungen darüber, wie stark sie sich diesem systemischen Risiko durch eine neue Kreditvergabe am Geldmarkt aussetzen. Schätzen sie das Risiko solcher Kettenreaktionen sehr hoch ein, werden sie aus Angst vor Ansteckungseffekten selbst dann von einer Kreditvergabe absehen, wenn sie überschüssige Liquidität haben. Es kommt zu einer Austrocknung des unbesicherten Geldmarktes. Banken mit einem Liquiditätsengpass können diesen nicht mehr am unbesicherten Geldmarkt decken und kommen in Zahlungsschwierigkeiten.

Zum anderen hat aber diese Marktstruktur zur Folge, dass sich entlang der Intermediationsketten Kreditrisikoaufschläge akkumulieren. Bei ihrer Mittelaufnahme wird die Bank B der Bank A als Kompensation für das Kreditausfallrisiko eine Risikoprämie zahlen müssen. Diese geht in die Refinanzierungskosten der Bank B ein und dient als Kalkulationsgrundlage, wenn Bank B an die Bank C einen Kredit ausreicht. Zusätzlich zu ihren eigenen Refinanzierungskosten wird die Bank B aber auch von der Bank C eine angemessene Kreditrisikoprämie für deren Ausfallrisiko verlangen. Letztlich bedeutet dies, dass Bank D, wenn sie denn Kredit von der Bank C erhält, Refinanzierungskosten hat, die nicht nur ihre eigene Kreditrisikoprämie umfassen, sondern eben auch die Kreditrisikoprämie der Bank B und C. Insbesondere in Zeiten hoher Ausfallrisiken können so die Refinanzierungskosten am unbesicherten Geldmarkt prohibitiv hoch werden, was ebenfalls zum Austrocknen des Marktes beiträgt.3)

Relativer Bedeutungsverlust

Schaut man sich die Entwicklung des Transaktionsvolumens am unbesicherten Geldmarkt in Euroraum anhand des EZB Money Market Survey an, so zeigt sich in der Tat, dass seit Beginn der Finanzkrise 2008 die Transaktionsvolumina am unbesicherten Geldmarkt auf etwa ein Viertel gesunken sind (siehe Abbildung 2). Gleichzeitig war zwar das Transaktionsvolumen am besicherten Geldmarkt recht volatil, blieb aber weitgehend auf dem Niveau von 2008.

Aber der Bedeutungsverlust des unbesicherten Geldmarktes zugunsten des besicherten setzte nicht erst mit der Finanzkrise ein. Bereits seit Beginn des Surveys im Jahr 2000 verlor der unbesicherte Geldmarkt kontinuierlich an Bedeutung. Während sich das Volumen am besicherten Interbankenmarkt von 2000 bis 2007 in etwa vervierfachte, stieg der Handel am unbesicherten Geldmarkt gerade mal um etwas mehr als 50 Prozent. Neben den Effizienzvorteilen des Repo-Marktes, wie geringere Suchkosten und Kreditrisiken, war ein wesentlicher Faktor für diesen Wandel die sukzessive Verbesserung des Sicherheiten-Managements und die damit sinkenden Kosten besicherter Geldmarkttransaktionen.

Vor diesem Hintergrund stellt sich der unbesicherte Geldmarkt in der Eurozone heute in der Tat als Blinddarm des Finanz systems dar. Er ist vermeintlich von der Evolution des Finanzsystems überholt. Er ist scheinbar ineffizient und weitgehend redundant, birgt dabei aber große Ansteckungsrisiken für das gesamte Finanzsystem.

Marktdisziplin

Die bisherige Argumentation lässt eine zentrale Rolle des unbesicherten Geldmarktes völlig außer Acht - nämlich die, durch Marktdisziplin zu einer effizienten Allokation von finanziellen Mitteln und Risiken beizutragen. Denn anders als die besicherte Kreditvergabe setzten unbesicherte Kredite wichtige Anreize bei der Kreditvergabe. Nur wenn eine Bank einen Kreditausfall fürchten muss, wird sie alle Informationen, die sie hat und die sie sich beschaffen kann, nutzen, um das Ausfallrisiko einer Gegenpartei genau abschätzen zu können.

Nun verfügen Banken typischerweise am ehesten über Informationen, die eine präzise Abschätzung der Ausfallwahrscheinlichkeit ihrer Mitbewerber zulassen. Zudem sind sie am besten in der Lage, aus solchen Informationen eine präzise Einschätzung der Ausfallrisiken abzuleiten.4) Unbesicherte Interbankenkredite stärken somit die Anreize derjenigen Marktteilnehmer im Finanzsystem, die am effizientesten die Kreditwürdigkeit von Banken abschätzen können. Transparente und einfach verwertbare Bilanzwerte der Banken werden dann nicht als Sicherheiten in Interbankgeschäfte gebunden, sondern stehen vielmehr denjenigen Investoren als Sicherheiten zur Verfügung, die am wenigsten die Ausfallrisiken einer Bank abschätzen können, wie beispielsweise private Kleinanleger oder die Einlagensicherung. Der unbesicherte Geldmarkt ist somit ein wichtiges Korrektiv. Er stellt sicher, dass diejenigen im Finanzsystem mit den präzisesten Informationen, über die Reallokation von Mitteln entscheiden. So kann der Markt seine disziplinierende Rolle entfalten, und unsichere Banken werden besser als solche identifiziert, erhalten keinen Interbankenkredit oder müssen eine Risiko adäquate Prämie bezahlen. Finanzierungsmittel fließen somit zu ihrer bestmöglichen Verwendung.

Ein entscheidender Grund, warum Banken typischerweise am besten über ihre Mitbewerber informiert sind, ist dabei der unbesicherte Geldmarkt selbst. Denn die häufigen Geschäftsbeziehungen am Interbankenmarkt tragen zur Informationsbeschaffung bei. Mit jedem Kreditvertrag lernen die Vertragspartner mehr übereinander. So liefert beispielsweise der Zeitpunkt der Rückzahlung eine Indikation über das Liquiditätsmanagement des Kreditnehmers und über dessen alternative Möglichkeiten, sich Liquidität zu beschaffen. Zudem lohnt sich für eine Bank eine präzise Kreditrisikoeinschätzung über eine Gegenpartei umso mehr, je häufiger sie mit dieser am unbesicherten Geldmarkt interagiert. Gleichzeitig wird eine Bank einer anderen aber auch umso häufiger Kredit geben, je präziser der Gläubiger das Kreditrisiko des Schuldners einschätzen kann. Je intensiver die Kreditbeziehung zweier Banken, umso geringer ist die Unsicherheit und die hierfür erforderliche Risikoprämie. Eine genauere Kreditrisikoeinschätzung führt also auch zu häufigeren Transaktionen am Geldmarkt zwischen zwei Parteien.

Nun stellt sich allerdings die Frage, welche Rolle diese Überlegungen in der Realität spielen. Haben Banken tatsächlich präzisere private Informationen über das Ausfallrisiko ihrer Mitbewerber? Tragen etablierte Kreditbeziehungen am unbesicherten Geldmarkt dazu bei, dass Banken eine genaue Einschätzung des Gegenparteirisikos bekommen? Haben etablierte Kreditbeziehungen am Geldmarkt und damit private Informationen über Gegenparteirisiken tatsächlich einen Einfluss auf die Verfügbarkeit von Interbankenkrediten und den Preis, den eine Bank hierfür zahlen muss?

Eingespielte Geschäftsbeziehungen im Overnight-Market

Diese Fragestellungen wurden in verschiedenen Studien zu beleuchten versucht. Ein wesentliches Problem ist hierbei, die Verfügbarkeit von Daten. Da es wie erwähnt keine zentralisierte Marktstruktur mit einer elektronischen Börsenplattform oder Ähnliches gibt, werden Transaktionsdaten nicht zentral erfasst. Insofern erfordert es etwas Kreativität, diesen Fragen nachzugehen.

Eine Möglichkeit besteht beispielsweise darin, aus Großbetragszahlungsverkehrsdaten einen Datensatz von bilateralen Interbankkrediten zu generieren. So konnte für eine Studie auf Daten des Großbetragszahlungsverkehrssystem RTGSplus der Deutschen Bundesbank für den Zeitraum März 2006 bis November 2012 zurückgegriffen werden.5) RTGSplus war der deutsche Vorläufer des heutigen paneuropäischen Zahlungsverkehrssystems Target-2 und wurde von diesem im November 2007 ersetzt.

Diese Systeme erlauben Banken, Zentralbankgeld von ihrem Konto bei der Zentralbank auf das Konto einer anderen Bank zu überweisen. Da Transfers im Kundenauftrag und solche auf eigene Rechnung unterschieden werden können, lassen sich aus diesen Daten wie folgt Interbankkredite extrahieren: Beobachtet man eine glatte Transaktion am Tag 1 von Bank A an die Bank B beispielsweise über eine Million Euro und am Tag 2 einen Transfer über eine Million Euro plus einen kleinen Betrag X Euro von der Bank B zurück an die Bank A, so könnte es sich hierbei um Auszahlung und Rückzahlung eines Übernachtkredits handeln. Wenn nun der Betrag X Euro eine plausible Verzinsung nahe am Eonia, dem von der EZB ausgewiesenen Interbankenzinssatz für Tagesgeld, darstellt, dann handelt es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um einen Interbankenkredit.

Da die Zahlungsabwicklung von Repo-Geschäften über andere Zahlungsverkehrssysteme stattfindet, handelt es sich hierbei auch tatsächlich um unbesicherte Geldmarkttransaktionen. Mittels dieser Vorgehensweise konnten knapp 16 000 unbesicherte Interbankkredite zwischen 1100 unterschiedlichen Transaktionspartnern extrahiert werden.

Auswirkung etablierter Kreditbeziehungen

Abbildung 3 zeigt den volumengewichteten Zinssatz im Datensatz (dunkelblaue Linie) und trägt ihn gegen den Eonia (fette Line) ab. Das Verlaufsmuster ist nahezu identisch, allerdings mit einem strukturellen Bias von etwa zwei bis drei Basispunkten nach oben. Da in den Daten mehr Transaktionen zwischen kleineren Banken abgedeckt sind als im Eonia, erscheint auch dieser leichte Bias plausibel. Wie im Eonia zeigt sich auch in den Daten der Untersuchung eine deutlich höhere Volatilität nach dem Ausbruch der Finanzkrise. Auch diese Schwankungen werden aber exakt von den Daten erfasst. Insgesamt erscheint der extrahierte Datensatz also recht plausibel.

Um nun die Auswirkung etablierter Kreditbeziehungen zwischen zwei Banken und der damit einhergehenden präziseren Information über Kreditausfallrisiken zwischen häufigen Transaktionspartnern zu untersuchen, muss man zunächst den Begriff etablierter Kreditbeziehungen operationalisieren. Dazu wurden vier verschiedene Indikatoren konstruiert, von denen die ersten beiden rein die Häufigkeit der Interaktion und die beiden anderen eher die Intensität der etablierten Kreditbeziehung abbilden. Als reine Frequenzmaße werden genutzt:

1. Wie häufig hat die Bank A in den vergangenen 30 Tagen an die Bank B einen Kredit gegeben?

2. Wie häufig lässt sich ein umgekehrtes Kreditverhältnis beobachten? Wie oft hat also die Bank B an die Bank A in den letzten 30 Tagen einen Kredit vergeben?

Die Intensitätsmaße bilden ab:

1. Wie stark ist das Interbankenkreditportfolio der Bank A auf die Bank B konzentriert? Dies misst letztlich, wie stark das Interesse der Bank A tatsächlich sein sollte, das Ausfallrisiko der Bank B genau einzuschätzen.

2. Wie konzentriert ist die Interbankkreditaufnahme der Bank B auf die Bank A? Dies gibt Auskunft, wie abhängig Bank B von der Kreditvergabe der Bank A ist, und wie groß mögliche Margen für Bank A im Geschäftsverhältnis mit Bank B sind. Auch dies sollte die Anreize der Bank A einfangen, in eine präzisere Information zu investieren.

Kontrolle anderer Faktoren

Soll nun aber gemessen werden, wie stark sich etablierte Kreditbeziehungen auf die Verfügbarkeit und den verlangten Zins neuer Interbankenkredite niederschlagen, müssen natürlich andere Faktoren kontrolliert werden. Nur so lässt sich sicherstellen, dass der gemessene Einfluss nicht durch andere Faktoren getrieben wird, die mit den Maßen für etablierte Kreditbeziehungen korreliert sind, aber nicht die Auswirkung präziserer Informationen über Transaktionspartner reflektieren. So wird aus der Bankbilanzstatistik der Deutschen Bundesbank beispielsweise jeweils für Kreditnehmer und -geber die Bankbilanzsumme als Kontrollvariable für die Größe berücksichtigt, die Eigenkapitalquote als Indikator für die öffentlich bekannte Risikotragfähigkeit und die Laufzeitenkongruenz der Aktiva und Passiva als Maß für das langfristige Liquiditätsrisiko.

Des Weiteren werden die gehaltenen Reserven als Indikator für die Liquiditätssituation der jeweiligen Bank und die Schwankung der Reserven als Proxy für das Liquiditätsrisiko genutzt. Zudem wird die Korrelation der Liquiditätsrisiken zweier Transaktionspartner kontrolliert. Dies stellt sicher, dass etablierte Geschäftsbeziehungen nicht einfach Ergebnis dessen sind, dass zwei Banken typischerweise entgegengesetzten Liquiditätsbedarf haben, sich somit meist auf unterschiedlichen Marktseiten gegenüberstehen und alleine aus diesem Grund auch häufiger einander Kredit geben.

Um nun der Frage nachzugehen, ob etablierte Kreditbeziehungen zwischen Banken und die damit einhergehende genauere Einschätzung der Kreditrisiken einen Einfluss auf die Vergabe von neuen Interbankkrediten haben, wird die Wahrscheinlichkeit geschätzt, dass zwischen zwei Banken ein Interbankenkredit vergeben wird, mit den verschiedenen Maßen für etablierte Kreditbeziehungen sowie den verschiedenen Kontrollvariablen. Dabei zeigt sich, dass Bank A eher an Bank B einen Kredit vergibt, wenn sie dies in der Vergangenheit bereits häufiger getan hat, und wenn auch Bank B häufiger Bank A Kredit gewährt hat. Das heißt, auch die reziproke Transaktionshäufigkeit spielt offenbar eine wichtige Rolle.

Zudem hat aber auch die Intensität der Kreditbeziehung einen wichtigen Einfluss. Denn je stärker Bank B von der Interbankkreditvergabe von A abhängt, umso eher gewährt auch A einen neuen Kredit. Umso deutlicher sich Bank A in ihrer Kreditvergabe auf Bank B konzentriert, desto eher wird es auch erneut zu einem Kredit von A an B kommen. Insgesamt deuten damit die Ergebnisse darauf hin, dass eine häufigere und intensivere Kreditbeziehung am Interbankenmarkt zu einer besseren Kreditrisikoeinschätzung führt und damit die Bereitschaft zur Kreditgewährung erhöht. Etablierte Kreditbeziehungen sind somit wichtig für die Verfügbarkeit von Liquidität am Interbankenmarkt.

Einfluss auf den Zinssatz

Wie sieht es nun mit dem Effekt etablierter Kreditbeziehungen auf den Zinssatz aus? Um dem nachzugehen, wird - gegebenenfalls dass es zu einer Kreditvergabe kam - in einem nächsten Schritt der bilateral vereinbarte Zinssatz mittels der Bankcharakteristika und der Häufigkeit und Intensität der etablierten Kreditbeziehung geschätzt. Auch hier zeigt sich, dass etablierte Kreditbeziehungen einen großen Einfluss haben.

Banken, die sich häufiger wechselseitig Kredit geben, tun dies - unter sonst gleichen Bedingungen - zu einem günstigeren Zinssatz. Hat die Bank A der Bank B bereits in der Vergangenheit Kredit gegeben, wird sie einen neuen Kredit zu günstigeren Konditionen vergeben als eine Bank, die keine etablierte Kreditbeziehung hat. Hat die Bank B der Bank A in der Vergangenheit bereits Kredit gegeben, so wird die Bank A der Bank B auch vergleichsweise günstigere Konditionen geben. Ebenso zeigt sich, dass die Bank A von der Bank B einen niedrigeren Zins verlangen wird, wenn das Interbankkreditportfolio von A stärker auf B konzentriert ist.

Interessanterweise war mit Einsetzen der Finanzkrise dieser Effekt etablierter Kreditbeziehungen auf den Preis besonders stark. Dies unterstreicht die Interpretation, dass etablierte Kreditbeziehungen tatsächlich dazu beitragen, dass der Kreditgeber eine präzisere Einschätzung des Kreditrisikos hat. Denn mit Beginn der Finanzkrise nahm die Unsicherheit über Kreditrisiken am Geldmarkt massiv zu. Insofern hatten Kreditgeber mit einer etablierten Kreditbeziehung einen umso größeren Informationsvorsprung gegenüber dem Markt - hatten relativ gesehen also umso präzisere Informationen. Kreditnehmer mit etablierten Kreditbeziehungen mussten folglich eine umso geringere Risikoprämie zahlen. Dieser Effekt war durchaus auch ökonomisch bedeutsam. Denn mit Beginn der Krise verlangte ein Kreditgeber mit einer engen Kreditbeziehung in der Vergangenheit gut 13 Basispunkte weniger als ein Kreditgeber zu dem bislang keine Kreditbeziehung bestand.

Kreditbeziehungen im längerfristigen Interbankengeschäft

Nun mag man berechtigterweise einwenden, dass am Tagesgeldmarkt die Bedeutung privater Informationen über Gegenparteirisiken doch vergleichsweise gering sein dürfte, schließlich ist auch das Kreditrisiko aufgrund der sehr kurzen Laufzeit relativ klein. Längerfristige Interbankenkredite, bei denen dieser Effekt doch eine gravierendere Rolle spielen sollte, lassen sich aber mittels der dargestellten Methode nur mit großer Unschärfe aus Zahlungsverkehrsdaten extrahieren. Daher wurden in einer anderen Studie Daten der Millionenkredit-Evidenzstatistik der Bundesbank genutzt. Diese umfassen alle Kredite deutscher Banken unterschiedlichster Laufzeit mit einem Volumen von mehr als 0,5 Millionen Euro.6) Interbankenkredite sind typischerweise großvolumig und werden somit in dieser Statistik erfasst. Allerdings umfasst die Statistik nur die Volumina und nicht die vereinbarten Zinsen.

Um dennoch den Einfluss etablierter Kreditbeziehungen auf den Preis, den eine Bank für Liquidität zahlt, auch im Kontext dieser längerfristigen Kreditverflechtungen zu untersuchen, werden die Gebote der deutschen Banken in den Offenmarktoperationen der EZB genutzt. Bis Oktober 2008 wurden diese Operationen als Zinstender durchgeführt. Das heißt, Banken mussten die Zinssätze, die sie im Rahmen der Auktion für Liquidität boten, auch zahlen. Für den Europäischen Bankensektor insgesamt waren diese Hauptrefinanzierungsgeschäfte die wesentliche Quelle für Liquidität. Aus Einzelbankperspektive stellt der Interbankenmarkt natürlich eine alternative Möglichkeit der Liquiditätsbeschaffung dar. Die Zahlungsbereitschaft einer Bank für Liquidität in den Auktionen ist daher aber eine gutes Maß für ihre Opportunitätskosten der Liquiditätsbeschaffung im Interbankenmarkt.

Als Maß für die Intensität einer etablierten Kreditbeziehung am Interbankenmarkt wird der Anteil der Kreditvergabe des größten Kreditgebers einer Bank an den gesamten Interbankverbindlichkeiten der Schuldnerbank herangezogen. Die Diversifikation der Interbankenkreditbeschaffung einer Bank wird anhand der Zahl ihrer Gläubigerbanken im vergangenen Quartal gemessen. Unter Berücksichtigung einer Vielzahl von anderen Bankcharakteristika bezüglich Bilanzstruktur und Liquiditätsausstattung wird dann versucht, den Einfluss der etablierten Kreditbeziehungen auf den Preis, den Banken in den Auktionen für Liquidität zahlen, zu erklären.

Die Ergebnisse zeigen, dass Banken, die stark von einem Kreditgeber am Interbankenmarkt abhängig sind, aggressiver in den Offenmarktoperationen agieren. Sie bieten einen höheren Zins und zahlen im Durchschnitt damit mehr für Liquidität. Dagegen bieten Banken, die eine Mehrzahl von Kreditbeziehungen am Interbankenmarkt etabliert haben, weniger aggressiv und können ihren Liquiditätsbedarf damit günstiger in den Auktionen decken. Eine Vielzahl von etablierten Kreditbeziehungen macht es demnach für Banken einfacher, ihren Liquiditätsbedarf kostengünstig zu decken.

Selbstreinigung und Selbstheilung

Etablierte Kreditbeziehungen spielen am Geldmarkt sowohl im kurzfristigen als auch im langfristigen Segment offenbar eine wichtige Rolle. Sie beeinflussen die Verfügbarkeit und den Preis von Liquidität. Häufigere und intensivere Kreditbeziehungen führen zu einer präziseren Einschätzung des Gegenparteirisikos. Diese private Information geht in die Kreditentscheidung ein und schlägt sich im Zinssatz nieder. Eine zu starke Konzentration auf einen Kreditgeber kann dabei aber auch zu einer Abhängigkeit führen, die es dem Gläubiger erlaubt, eine Marge zu extrahieren. Dennoch folgt aus diesen Ergebnissen, dass der unbesicherte Geldmarkt tatsächlich die Marktdisziplin fördert.

Neueren medizinischen Erkenntnissen zufolge ist das Lymphgewebe des Blinddarms durchaus zur besseren Immunabwehr des Körpers wichtig. Unter Berücksichtigung dieser neueren Erkenntnisse mag der unbesicherte Geldmarkt nun tatsächlich der Blinddarm des Finanzsystems sein. Von ihm gehen sicherlich hohe Risiken aus. Er ist aber nicht redundant, sondern kann wesentlich zur Selbstreinigung und Selbstheilung des Finanzsystems beitragen.

Die massiven Interventionen der EZB zur Stützung des Bankensektors gleichen in diesem Zusammenhang allerdings einer Blinddarmoperation. Sie haben zu einer Disintermediation des Geldmarktes geführt oder zumindest beträchtlich dazu beigetragen. Die Allokation und Reallokation von Liquidität findet weitgehend über die Bilanz des ESZB und nicht mehr durch direkte Transaktionen zwischen Banken statt. Dies hat die Marktdisziplin, die vom unbesicherten Geldmarkt ausgeht, ausgehebelt. Vor dem Hintergrund der Finanzkrise und der Notwendigkeit stabilisierend einzugreifen, ist dies sicher eher ein "Collateralschaden" und - sofern zeitlich begrenzt - nachrangig zu betrachten.

Problematischer ist allerdings, dass durch die Interventionen das Funktionieren dieses Marktes nachhaltig gestört wurde. Durch die Disintermediation wurden etablierte Kreditbeziehungen gekappt und neue am Entstehen gehindert. Da etablierte Kreditbeziehungen aber für die Funktionsfähigkeit des unbesicherten Geldmarktes offenbar wichtig sind, wird dieser Markt auch von alleine nicht wieder reibungslos funktionieren. Um die marktdisziplinierende Wirkung dieses Marktes wieder sicherzustellen, muss die EZB folglich aktiv für das Wiederanspringen des unbesicherten Geldmarktes sorgen. Sie kann mit einem Ausstieg aus den massiven Interventionen und den Festzinstendern mit Vollzuteilung nicht warten, bis der unbesicherte Geldmarkt von sich aus wieder zur Normalität zurückgefunden hat.

Literatur

Ashcraft, A. B. und Duffie, D. (2007). Systemic illiquidity in the federal funds market. The American Economic Review, 97(2), 221-225

Bräuning, F. und Fecht, F. (2012). Relationship Lending in the Interbank Market and the Price of Liquidity. Deutsche Bundesbank Diskussionspapier 22/2012 Craig, B., Fecht, F. und Tümer-Alkan, G. (2013). The Role of Interbank Relationships and Liquidity Needs. Deutsche Bundesbank Diskussionspapier, Im Erscheinen

Duffie, D., Gârleanu, N., und Pedersen, L. H. (2005). Over-the-counter markets. Econometrica, 73(6), 1815-1847

Fecht, F., Reitz, S. und Weber, P. (2013). Is funding liquidity risk a priced factor in unsecured moneymarket transactions?, mimeo

Rochet, J.-C. und Tirole, J. (1996). Interbank lending and systemic risk. Journal of Money, Credit and Banking, 28(4), 733-762

Fußnoten

1) Die italienische e-Mid-Plattform ist eines der wenigen Beispiele für ein zentralisiertes elektronisches System zur Anbahnung von unbesicherten Interbankkrediten. Banken können hierauf ihr Liquiditätsangebot oder ihren Liquiditätsbedarf nebst gewünschten Konditionen zentral öffentlich machen. Die tatsächlichen Konditionen werden dann aber erst in einem zweiten Schritt bilateral ausgehandelt. Insbesondere in der Krise erwies sich dieses System aber als wenig robust, da Banken weniger Interesse hatten, ihren tatsächlichen Liquiditätsbedarf oder ihr tatsächliches Liquiditätsangebot transparent zu machen, als vielmehr das System strategisch zu nutzen.

2) Duffie et al. (2005) modellieren diesen Zusammenhang theoretisch. Ashcraft und Duffie (2007) liefern empirische Evidenz, dass Suchkosten am US-amerikanischen Geldmarkt eine wesentliche Rolle spielen.

3) In einem aktuellen Papier zeigen Fecht, Reitz und Weber (2013), dass in der Tat ein wesentlicher Market Maker am unbesicherten Euro-Geldmarkt Veränderungen in seiner individuellen Kreditrisikoprämie zu einem Großteil überwälzt und entsprechend die Zinsen auf vergebene Interbankenkredite anpasst werden.

4) Ein formales Modell zu diesem Argument findet sich bei Rochet und Tirole (1996).

5) Bräuning und Fecht (2012).

6) Craig, Fecht und Tümer-Alkan (2013).

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