Aufsätze

Das Wachstum im Kaukasus: Chancen entdecken

Die sich vom Schwarzen bis zum Kaspischen Meer erstreckte Kaukasus-Region mit deren drei Staaten Armenien, Aserbaidschan und Georgien - wo das antike Königreich Kolchis, die Heimat des Goldenen Vlieses lag - ist den meisten Europäern nur flüchtig bekannt. Liegend zwischen drei Großmächten, Russland, der Türkei und dem Iran, waren die kaukasischen Länder jedoch wegen ihrer wichtigen Transitlage beziehungsweise ihres Reichtums an Bodenschätzen für ihre Nachbarn immer ein Leckerbissen. Erst 1991 nach Jahrhunderten fremder Herrschaft erlangten die Staaten mit dem Zerfall der Sowjetunion die Unabhängigkeit wieder. Heute, nach einer schweren Phase wirtschaftlicher Stagnation und politischer Kataklysmen, wird in den Ländern eine rasche Entwicklung beobachtet, die ausländische Investoren, vor allem aus den Grenzstaaten, aber auch allmählich aus Europa heranzieht. Die steigernde Öl- und Erdgasförderung in Aserbaidschan und die neuen BTCsowie Südkaukasus-Pipelines1) werden in der Zeit der wachsenden Energienachfrage für die Lukrativität der kaukasischen Region auch in der Zukunft sorgen.

Wirtschaftswachstum trotz politischer Spannungen

Der Zusammenbruch der UDSSR brachte in die kaukasischen Republiken nicht nur die Souveränität, sondern auch eine tiefe wirtschaftliche Krise, die durch nationale Konflikte wesentlich verschärft wurde. 1990 erklärten sich Südossetien und 1992 Abchasien von Georgien für staatlich unabhängig, was zum Ausbruch eines Bürgerkriegs führte, in dessen Folge zirka 260 000 Georgier aus den Regionen fliehen mussten. Bis heute lehnen beide Regionen die georgische Hoheit ab. In Aserbaidschan sorgt ein Gebiet, Bergkarabach, seit 1991 für eine Auseinandersetzung mit Armenien. Über 100 000 Armenier und zirka 850 000 Aserbaidschaner wurden durch den Konflikt zu Flüchtlingen.2)

Die politischen Unruhen spiegelten sich in der Wirtschaftssituation wider: Anfang der neunziger Jahre lag das BIP in den Kaukasusstaaten weit unter dem Niveau von 1989, die Inflation erreichte 1994 in Armenien 4 962 Prozent und in Georgien sogar 15 606 Prozent, die Arbeitslosenquote betrug allein in der georgischen Hauptstadt Tiflis zirka 40 Prozent. Erst seit 1995/1996 wendete sich die Lage mit Unterstützung des Auslands in einem beeindruckenden Tempo zum Besseren. Bereits im Jahre 2000 stieg das BIP in Aserbaidschan und Armenien jeweils um 11,1 und 5,9 Prozent. Als Resultat einer erfolgreichen Geldwährungspolitik ging die Inflation in jedem der Länder mächtig zurück und betrug in Georgien lediglich 4,1 Prozent; in Armenien sanken sogar die Preise um 0,8 Prozent.3)

Besonders intensiv entwickelt sich die Wirtschaft des Kaukasus in den letzten drei Jahren. Das BIP wächst jährlich im Durchschnitt in Aserbaidschan um 30,3 Prozent, in Armenien und Georgien jeweils um 12 und 9,7 Prozent. Nach dem Wachstumstempo des BIP, das über dem GUS-Durchschnitt liegt und den BIP-Zuwachs in Zentral- und Südosteuropa4) wesentlich überholt, gehören die kaukasischen Staaten zu den am stärksten wachsenden Regionen der Welt (siehe Abbildung 1). Die außergewöhnlich hohen Wachstumsraten der aserbaidschanischen Volkswirtschaft sind vor allem der expandierenden Ölindustrie zu verdanken, deren Anteil am BIP 2007 zirka 63 Prozent ausmachte und auch in der Zukunft hoch bleiben wird. Der Staat erwartet in den nächsten 20 Jahren reichliche Einnahmen vom Ölexport in Höhe von rund 200 Milliarden US-Dollar. Ohne Ölkomponente stieg das BIP 2007 in Aserbaidschan um 11,3 Prozent.

Bausektor als treibende Kraft

Die treibende Kraft des BIP-Zuwachses in Armenien stellt in den letzten Jahren der Bausektor dar, der überwiegend durch die Geldtransfers von der im Ausland lebenden armenischen Diaspora finanziert wird. 2007 wurden zirka 812 Millionen Euro (13 Prozent des BIP) ins Land transferiert. Auch in Georgien spielen die Geldüberweisungen eine bedeutende Rolle für die Wirtschaft (2007: 353,3 Millionen Euro - rund fünf Prozent des BIP). Der zweite wichtige Faktor, der dem BIP-Wachstum in Georgien dient, sind ausländische Direktinvestitionen, deren Volumen in 2007 um 56 Prozent zunahm und 1,13 Milliarden Euro (16 Prozent des BIP) betrug. Der Anteil des Privatsektors am BIP liegt im Kaukasus bei etwa 75 Prozent. Der Wirtschaftssektor befindet sich überwiegend im Privateigentum. Lediglich in Aserbaidschan bleiben noch viele Schlüsselunternehmen vor allem der Ölindustrie unter staatlicher Patronage.5)

Trotz des raschen Wachstumstempos wird die Entwicklung im Kaukasus durch politische Spannungen mit starkem nationalen Hintergrund wesentlich gebremst. Fehlende beziehungsweise politisch erschwerte Beziehungen zwischen Armenien und seinen Nachbarn, der Türkei und Aserbaidschan, sowie die zwischen Georgien und Russland beeinträchtigen den bilateralen Handel und erhöhen das politische Risiko für potenzielle Investoren.

Bankensysteme des Kaukasus

Der Bankensektor stellt in allen drei kaukasischen Staaten einer der am weit entwickelten Zweige der Wirtschaft dar und ist in Armenien durch 22 Geschäftsbanken, in Aserbaidschan und Georgien durch jeweils 46 und 19 Banken repräsentiert. Die ausländische Beteiligung am Bankkapital belief sich 2007 in Georgien auf 66 Prozent und in Armenien auf 58 Prozent. In Aserbaidschan dominieren staatseigene Banken. Der Auslandsanteil am Bankkapital lag 2006 bei 36 Prozent. Die Bankenmärkte aller drei Länder sind durch hohe Konzentration gekennzeichnet. 77 Prozent der Aktiva, 83 Prozent des Kredit- und 81 Prozent des Einlagenvolumens des armenischen Bankensektors entfielen Ende 2007 auf die zehn größten Banken, wobei vier davon über 45 Prozent der Aktiva und 50 Prozent des Kreditvolumens verfügten. Auf die größte Bank Aserbaidschans "International Bank of Azerbaijan", die sich bis heute im Staatseigentum befindet, entfielen 2006 rund 47 Prozent der Aktiva und 44 Prozent aller Kredite des nationalen Bankensystems.

Im Jahre 2007, genauso wie im Vorjahr, wuchsen die kaukasischen Bankensektore stark weiter. Die Gesamtaktiva der Banken stiegen in den Ländern im Durchschnitt um 59 Prozent, das Kapital nahm um 57 Prozent zu, die Kredite an Unternehmen und Privatpersonen sowie deren Einlagen stiegen um je 76 und 41 Prozent (siehe Abbildung 2). Die im Vergleich zur Eurozone vier- bis siebenfach höheren Zuwachsraten sind einerseits auf den gesamtwirtschaftlichen Aufstieg in der Region und andererseits auf einen großen Nachholbedarf zurückzuführen. Trotz des Wachstums bleiben das Geschäftsvolumen sowie die Kapitalgröße der Banken verglichen mit dem BIP noch weit unter dem westeuropäischen Niveau. Wenn 2007 das Verhältnis des Kreditvolumens der Banken zum BIP in den Euroländern 114 Prozent betrug, belief es sich beispielsweise in Georgien lediglich auf 28 Prozent, wobei es das beste Ergebnis unter allen drei Staaten war. Angesichts der tendenziell dynamischen Entwicklung der kaukasischen Wirtschaft soll jedoch dieser Rückstand eher als Steigerungspotenzial für die Zukunft betrachtet werden.

Seit 2006 erlebt der Kaukasus einen Kreditboom. Auch im Jahr 2007 erwiesen sich Konsum- und Hypothekenkredite als Motor für ein robustes Wachstum des Bankgeschäfts. Die durch das steigernde Einkommen erhöhte Kaufkraft der Haushalte einerseits und deren Erwartungen eines weiteren Anstiegs von Immobilienpreisen6) andererseits führten zu einer ständigen Nachfrage nach Krediten. Als Resultat stiegen 2007 die Hypotheken- und die Konsumkredite in Armenien um je 125 und 81 Prozent, in Georgien nahmen beide Kreditarten um 45 und 115 Prozent jeweils an Volumen zu. Der Zuwachs von Krediten an Haushalte betrug in Aserbaidschan im Jahresverlauf 96 Prozent.

Angewiesen auf ausländisches Kapital

Dem starken Anstieg des Kreditvolumens stand jedoch eine wenig expansive Zunahme von Einlagen gegenüber, die 2007 im Durchschnitt bei etwa 41 Prozent lag. Die große Diskrepanz zwischen den herangezogenen Einlagen und den herausgegebenen Krediten löste bei den kaukasischen Banken Liquiditätsengpässe aus und machte sie auf das ausländische Kapital angewiesen. In Aserbaidschan führte es dazu, dass die Vergabe von bestimmten Hypothekenkrediten (mit Zinsvergünstigung) sogar temporär eingestellt wurde. Ein weiteres Problem, mit dem sich Banken im Kaukasus schon seit Langem konfrontieren müssen, sind ein immer noch schwaches Vertrauen zur Nationalwährung und ein hoher Dollarisierungsgrad (Georgien, Ende 2007: 65 Prozent). Der Anteil von Einlagen in Nationalwährung am gesamten Einlagenvolumen lag 2007 in Aserbaidschan bei 53 Prozent und in Georgien lediglich bei 34 Prozent. Auch Kredite in Fremdwährung wurden bis vor Kurzem stärker gefragt und machten beispielsweise Ende 2007 in Georgien 69 Prozent des Kreditportfolios aus.

Hohen Einnahmen aus dem Zinsgeschäft verdanken die kaukasischen Banken ihre gute Profitlage. In Aserbaidschan waren Anfang 2008 die Zinssätze für Kredite an Haushalte (21 Prozent) um 8,5 Punkte höher als die Zinssätze für herangezogene Einlagen (12,47 Prozent). In Armenien betrug die Marge 13,4 Punkte. In Georgien wurden Ende 2007 die Konsumkredite in Nationalwährung mit 24 bis 35,5 Prozent verzinst.

Großen Wert wird von den Zentralbanken der Kaukasusstaaten auf die Bankaufsicht gelegt. Die bankaufsichtlichen Normen basieren auf internationalen Standards und Empfehlungen des Basler Komitees, wobei vor allem in Armenien an der Einführung von Basel II bereits gearbeitet wird. Nationale Einlagensicherungssysteme wurden in den letzten Jahren in Armenien und Aserbaidschan aufgebaut.7)

Chancen und Risiken

Die rapid wachsende Wirtschaft des Kaukasus, die günstige Transitlage in Vorderasien sowie die reichen Öl- und Erdgasbestände in Aserbaidschan locken in die Region immer mehr ausländische Investoren an. Einzelartige Landschaften, hundert Jahre alte historische Städte und warmes Klima schaffen auch gute Prämissen für das Tourismusgeschäft. Im Zeitraum 1989 bis 2006 flossen in Armenien und Georgien Direktinvestitionen in Höhe von je 1,6 und 3,3 Milliarden US-Dollar zu. In die Wirtschaft Aserbaidschans wurden im selben Zeitraum 9,4 Milliarden US-Dollar aus dem Ausland investiert. Nach der Meinung der EBRD wurden in den letzten Jahren die besten Voraussetzungen für den Zufluss ausländischer Investitionen in Armenien geschaffen, die sich 2007 verdoppelten und 600 Millionen US-Dollar erreichten. Das Investitionsklima Georgiens wird auch als sehr günstig eingeschätzt, was sich 2007 durch zahlreiche Investmentprojekte mit ausländischer Beteiligung bestätigte.8)

Wenn in Aserbaidschan überwiegend in die Ölindustrie investiert wird, fließt das ausländische Kapital in Armenien und Georgien in den Bankensektor. Anfang 2008 befanden sich 14 von 19 georgischen Banken im ausländischen Mehrheitsbesitz. In Armenien kontrollierte das Ausland zur selben Zeit zwölf von 22 Banken. Besonders aktiv sind im Kaukasus Banken aus den Nachbarländern und der GUS (siehe Abbildung 3). Die russische VTB-Bank sowie die kasachische Bank Turan Alem sind in allen drei Republiken vertreten. Auch Banken aus der Türkei und dem Iran sind in der Region weit präsent. Nach dem Beitritt Armeniens und Georgiens zur WTO können ausländische Banken in den Ländern ihre Filialen eröffnen. Dies machte bereits die türkische Ziraat Bank in Georgien.

Das Interesse der westeuropäischen Banken an den Kreditinstituten des Kaukasus war bis heute relativ begrenzt. Der größte Marktplayer Osteuropas, die Raiffeisenbank, ist zurzeit nur am Kapital einer armenischen Bank mit lediglich 20 Prozent beteiligt. Der deutsche Bankensektor wird im Kaukasus durch die Pro-Credit Bankengruppe stolz repräsentiert, die in Armenien und Georgien das Bankgeschäft sehr aktiv betreibt. Die KfW Bankengruppe hält kleine Anteile an einigen kaukasischen Banken und finanziert diverse Entwicklungsprojekte in den Ländern. In Aserbaidschan beteiligte sich die Sparkassen- Finanzgruppe mit 8,3 Prozent an der Bank Respublika.9)

Nach Einschätzungen von EBRD-Experten wird sich die Wirtschaft des Kaukasus in den nächsten Jahren weiterhin expansiv entwickeln. Dies bestätigen auch die Marktanalysen der Raiffeisen Zentralbank (RZB), die für die europäischen GUS-Länder bis 2010 ein durchschnittliches jährliches Wachstum des BIP in Höhe von etwa 5,3 Prozent vorhersagt. Aufgrund der tendenziell ähnlichen Entwicklung in der GUS können diese Prognosen auch auf die Länder des Kaukasus ausgedehnt werden, wobei in Aserbaidschan wegen einer steigernden Ölförderung noch höhere Wachstumsraten zu erwarten sind. Im Bankensektor der GUS sollten laut der RZB bis 2016 die Gesamtaktiva der Banken und deren Kreditvolumen jährlich im Durchschnitt um 20 Prozent zunehmen, wobei 2016 das prognostizierte Verhältnis der Gesamtaktiva zum BIP 99 Prozent erreichen sollte.10)

Hoher Korruptionsgrad

Dennoch verfügt der Kaukasus nicht nur über ein hohes Wachstumspotenzial mit attraktiven Renditechancen, sondern er verbirgt in sich auch große Risiken. Abgesehen von der politischen Unstabilität in der Region stellt noch ein hoher Korruptionsgrad ein wesentliches Hindernis für westeuropäische Investoren dar. Als hoch korrumpiert wurde von der Transparency International vor allem die Wirtschaft Aserbaidschans eingestuft: 2007 nahm das Land den 150. Platz unter 180 untersuchten Ländern an. Die beste Einstufung unter den Kaukasus-Staaten bekam Georgien mit Rang 79 (Armenien: Rang 100).11)Trotz aller Risiken wagen jedoch immer neue ausländische Unternehmen, die kaukasische Erde zu betreten und profitieren reichlich davon.

Fußnoten

1) Die Baku-Tiflis-Ceyhan-Pipeline (BTC) wurde 2005 in Betrieb genommen. Durch die BTC wird das Öl vom Kaspischen Meer hin zur türkischen Mittelmeerküste transportiert. Die Südkaukasus-Pipeline (SCP) ist eine Erdgas-Pipeline, die von Baku über Tiflis nach Erzurum (Türkei) verläuft. Vergleiche Saller, W./Maitre, P. (2008), Seite 106; http://www.bp.com.

2) Siehe dazu die Länderinformationen des Auswärtigen Amts unter www.auswaertiges-amt.de.

3) Vergleiche EBRD (2005), Seiten 12 ff.

4) Zentraleuropa (ZE): Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn. Südosteuropa (SOE): Bulgarien, Rumänien, Kroatien, Albanien, Bosnien und Herzegowina, Makedonien, Serbien und Montenegro.

5) Vergleiche zu dem Kapitel EBRD (2007), Seiten 35 ff. sowie statistische Bulletins und Jahresberichte der nationalen Zentralbanken des Kaukasus, online. 6) In der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku stiegen die Immobilienpreise auf Neubauwohnungen im Laufe 2007 um 37 Prozent. Vergleiche Bundesagentur für Außenwirtschaft (2008), abgerufen am 3. Juli 2008.

7) Vergleiche zu dem Kapitel statistische Bulletins und Jahresberichte der nationalen Zentralbanken des Kaukasus, online; EBRD (2007), Seiten 98 bis 105 und 134 bis 137; EZB (2008), Seiten S10 f.; Raiffeisen Zentralbank (2007), Seiten 85 f.

8) Vergleiche EBRD (2007), Seiten 41, 98 und 134.

9) Siehe dazu statistische Bulletins der nationalen Zentralbanken des Kaukasus, online; Webseiten der nationalen Geschäftsbanken; banks.am (2008), abgerufen am 1. Juli 2008; economics.apa.az (2008), abgerufen am 1. Juli 2008.

10) Vergleiche EBRD (2007), Seiten 98 bis 103 und 134 f.; Raiffeisen International (2007), Seiten 20 bis 22; Raiffeisen Zentralbank (2008), Seiten 4 f.

11)Vergleiche Transparency International (2008), Seiten 297 bis 302.

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