Aufsätze

Wertschöpfung im Verbund ein Führungsthema

Der genossenschaftliche Finanzverbund ist mit seinen rund 15 000 Bankstellen näher am Kunden als die meisten Wettbewerber. Seine aus Dezentralität erwachsene unternehmerische Souveränität und seine kompetente Präsenz in lokalen und regionalen Märkten verleihen ihm Anerkennung und Wertschätzung bei 16 Millionen Mitgliedern und 30 Millionen Kunden. Dass diese Präsenz vor Ort ein hoch geschätzter und offenkundiger Wettbewerbsvorteil ist, scheint auch die Konkurrenz (wieder) zu entdecken. So war die Bankgesellschaft Berlin mit ihren 60 Filialen einer deutschen Großbank immerhin fast 700 Millionen Euro wert.

Und auch eine der weltweit größten Finanzgruppen verstärkt wieder ihr Filialgeschäft und eröffnet allein in Großbritannien 50 neue Zweigstellen. Die Filiale erlebt offenbar eine Renaissance - eine Entwicklung, in der sich der Finanzverbund erneut bestätigt finden kann. Doch mit der wachsenden Filialpräsenz der konkurrierenden Institute nimmt der Wettbewerbsdruck am viel beschriebenen Point of Sale zwangsläufig weiter zu. Die genossenschaftliche Gruppe ist gut beraten, sich vor diesem Hintergrund ihrer Besonderheiten und Stärken bewusst zu sein und sie weiter auszubauen.

Komparative Vorteile nutzen statt Me-too-Strategie verfolgen

Rückblick und aktuelle Beobachtungen zeigen, dass der Verbund belebende Impulse benötigt. In durchaus wichtigen Segmenten wurden Marktanteile verloren. Und die zukünftige Entwicklung wird es nicht leicht machen, die Marktanteile wieder zurückzugewinnen. Auch für den Finanzverbund wird es im sich weiter verschärfenden Wettbewerb entscheidend darauf ankommen, die eigenen komparativen Vorteile konturenstark herauszuarbeiten, selber weitaus stärker aus ihnen zu schöpfen und sie letztlich zum Nutzen der Mitglieder und Kunden wirkungsvoll zu entfalten.

Hierzu muss die genossenschaftliche Bankengruppe eine Kernfrage überzeugend beantworten: Welche Alleinstellungsmerkmale kennzeichnen unseren Verbund? Welche Merkmale sind es, die ihn aus Sicht der Kunden - und nur darauf kommt es an attraktiv machen? Für die genossenschaftliche Bankengruppe kann die Antwort nur lauten: Dezentralität und Kundennähe sind jene Besonderheiten, die sie auszeichnen. Es gilt, diese genossenschaftlichen Stärken mit den modernen und breit gefächerten Leistungen eines starken Verbundes zu verknüpfen und durch unternehmerisches Handeln vor Ort noch wirkungsvoller am Markt zu nutzen.

Geringes Risiko von Fehlentscheidungen

Würden der Verbund sich dagegen in Aufbau und Ablauf solchen Strukturen nähern, die denen eines Konzerngebildes ähneln, entspräche dies einer Me-too-Strategie. In einem stagnierenden Markt, in dem die Produkte und Leistungen relativ austauschbar sind, wäre dies wohl kaum eine Erfolg versprechende Strategie. Der genossenschaftliche Verbund würde damit im Übrigen wesentliche Eckpfeiler seiner Identität aufgeben.

Zu den Wesensmerkmalen der genossenschaftlichen Bankengruppe zählen neben der regionalen Verwurzelung vor allem die kurzen Entscheidungswege vor Ort. Sie sind Resultat der rechtlichen und weitestgehend auch wirtschaftlichen Autonomie der Primärbanken; diese Autonomie ist aus guten Gründen ja auch ausdrücklich in der Präambel der Satzung des BVR fixiert. Es ist die lokale und regionale Autonomie, die den genossenschaftlichen Finanzverbund elementar von einem Bankkonzern unterscheidet.

Im Konzern können strategische Entscheidungen gewissermaßen "overnight" getroffen werden. Hinsichtlich der Schnelligkeit ist dies sicher oftmals ein Vorteil, hinsichtlich der Qualität nicht unbedingt. Dies zeigt der Blick auf nicht wenige strategische Kapriolen, die auch der deutsche Bankenmarkt erlebt hat. Strategischen Entscheidungen im Finanzverbund geht immer eine intensive Diskussion und Willensbildung in den zuständigen Gremien voran. Durch diese intensive Abstimmung mit den Entscheidungsträgern im Verbund und den Verbundgremien ist das Risiko wesentlicher Fehlentscheidungen eher gering. Dieser bedeutende Vorzug geht allerdings - das gilt es einzuräumen - zulasten der Geschwindigkeit.

Andererseits ist es dem Finanzverbund in den zurück liegenden Jahrzehnten durch Kontinuität, Berechenbarkeit und Verlässlichkeit gelungen, seine Position im bundesdeutschen Finanzdienstleistungsmarkt zu behaupten und partiell auch auszubauen. Mit einer umfassenden Produktpalette, effizienten Vertriebswegen und weithin anerkannter Kompetenz zeigt er sich modern und leistungsfähig aufgestellt - eine wichtige Voraussetzung für erfolgreiches Agieren in den Märkten der Zukunft.

Es zählt aber zu den Aufgaben der genossenschaftlichen Gruppe, die Effizienz des Verbundsystems weiter zu verbessern. Neben der Beachtung betriebswirtschaftlicher Aspekte geht es dabei entscheidend auch um eine Fortentwicklung und Belebung "kultureller" Merkmale. Und damit rücken Fragestellungen rund um die Führungsthematik ins Betrachtungsfeld.

Verbund-Kultur ein Wertschöpfungsfaktor

Wie in jedem Unternehmen so existiert auch im genossenschaftlichen Finanzverbund gewissermaßen eine "Unternehmenskultur". Dieser Begriff aus der Betriebswirtschaftslehre ist in Deutschland erst in den achtziger Jahren in den Mittelpunkt theoretischer und praxisorientierter Untersuchungen der Erfolgsfaktoren von Unternehmen gerückt. Maßgebend waren die Erkenntnisse, dass die Gründe für Unternehmenserfolg weniger in den so genannten "harten" Faktoren, wie Strukturen, Finanzkennziffern oder Produktqualität, als vielmehr in den "weichen" Faktoren, wie Qualität der Zusammenarbeit, Kooperationsfähigkeit und gemeinsame Vertrauensbasis, zu finden sind.

Wenn man sich diesem Tatbestand nicht verschließt und Unternehmenskultur, kurz: das gelebte gemeinsame Wertesystem, als wesentlichen Einflussfaktor für Unternehmenserfolg akzeptiert, stellt sich für uns die Frage, wie im genossenschaftlichen Finanzverbund damit umgegangen wird. Diese Frage ist für die Bankengruppe auch deshalb von herausragender Bedeutung, weil der Verbund auf Freiwilligkeit, Autonomie und Dezentralität aufbaut.

Für eine solche gemeinsame "Unternehmung" wie den Finanzverbund gilt mehr als für andere, dass in hohem Maße Überzeugungsarbeit zu leisten ist, um Akzeptanz für die Umsetzung gemeinsam als notwendig erachteter Entscheidungen zu erreichen. Mit den involvierten Entscheidungsträgern partnerschaftlich und in einem Verantwortungsbewusstsein, das über das eigene Haus hinausreicht, die Entscheidungsprozesse schlank, effektiv, effizient und zugleich verbindlich zu gestalten - das ist die zentrale Herausforderung. Das strategische Ziel lautet: Durch zentrale Maßnahmen den dezentralen Erfolg fördern und so gemeinsam Erfolg haben.

In diesem Zusammenhang geht es nicht um die Frage von "Zentralität oder Dezentralität", sondern es geht um die Frage, was aus Kosten- und Effizienzgründen zentral zu liefern und bereitzustellen ist, um die jeweilige Bank vor Ort dabei zu unterstützen, im Wettbewerb zu bestehen und erfolgreich zu sein. Dabei ist nicht allein an Produkte zu denken, wie sie insbesondere von den Verbundunternehmen zur Verfügung gestellt werden, sondern zunehmend auch an zentrale Dienstleistungen, die die Volksbanken und Raiffeisenbanken bei der Bewältigung der enormen administrativen Anforderungen unterstützen, wie beispielsweise Transaktionsaufgaben, MiFID oder auch Controlling- und Abwicklungsfunktionen.

In allen Bereichen der Wirtschaft und damit auch im Bankensektor vollziehen sich die Veränderungsprozesse in immer rasanterem Tempo bei gleichzeitig enorm zunehmender Komplexität. Das hat auch weit reichende Konsequenzen für die Arbeitsteilung im Finanzverbund. Weitergehende Formen der Arbeitsteilung sind aber letztlich eine elementare Voraussetzung für den Erhalt von Dezentralität und Autonomie vor Ort. Verlagerungen weg von der Ortsbank und hin zu zentralen Verbundunternehmen schaffen aber gerade bei komplexen Sachverhalten neue Formen der Abhängigkeit. Hier schließt sich der Kreis zu einer der wichtigsten Komponenten von Unternehmenskultur, der gemeinsamen Vertrauensbasis.

Vertrauen als Erfolgsfaktor des Finanzverbunds stärken

Im Rahmen der modernen Ansätze der Unternehmensführung gewinnt Vertrauen, von manchen als antiquiert belächelt, einen Stellenwert, den es in der traditionellen Betriebswirtschaftslehre bisher nicht hatte. Auch heute ist in der Praxis das Vertrauen oft nur eine schmückende Vokabel in kunstvoll formulierten Unternehmensgrundsätzen oder Festreden.

Zugleich wird aber die Bedeutung von Vertrauen als ein ökonomisches Asset für die unternehmerische Praxis zunehmend erkannt. Denn delegieren wird man natürlich nur, wenn die Überzeugung besteht, sich auf den Partner auch verlassen zu können. Dafür brauchen wir Vertrauen, und zwar nicht als "Feel-good-factor", sondern als ökonomischen Wert. Nur so wird eine möglichst reibungslose und fruchtbare Zusammenarbeit überhaupt erst ermöglicht.

Fredmund Malik vom renommierten schweizerischen Management-Zentrum St. Gallen geht von lediglich sechs Grundsätzen wirksamer Führung aus - einer davon ist Vertrauen1). Die Wirkungszusammenhänge zwischen Vertrauen und der Wahrnehmung von Chancen werden im Folgenden kurz skizziert.

- Vertrauen ist schlicht und einfach die Grundlage für Partnerschaft und Zusammenarbeit. Das bedeutet dann auch Verzicht auf kurzfristige eigene Vorteile zugunsten gemeinsamer, langfristig besserer Ergebnisse.

- Mit steigendem Vertrauensniveau steigen auch Ausmaß und vor allem Qualität der ausgetauschten Informationen.

- Meinungen werden offener miteinander ausgetauscht, daraus resultieren kreativere und robustere Lösungen. Zugleich reduziert sich das Konfliktpotenzial.

- Der aktuelle Informationsstand der jeweiligen Partner ist in der Regel unvollständig oder wird zumindest als unvollständig wahrgenommen. In einer Vertrauenskultur kann dennoch konstruktiv gearbeitet werden. "Der Vertrauende setzt sich also willentlich über einen Mangel an Informationen hinweg und reduziert Komplexität letztlich durch Zutrauen in zweckgerichtetes, wünschbares Handeln und Entscheiden."2) Dadurch reduziert sich zugleich der Aufwand zur gegenseitigen Kontrolle wie dies bei unbekannten Vertragspartnern typischerweise der Fall ist.

Eine Vorleistung

Vertrauen darf jedoch keineswegs mit übersteigertem Harmoniestreben oder kritiklosem "Sich-aufeinander-Verlassen" verwechselt werden. Das wäre naiv. Vielmehr geht es darum, Vertrauenskapital auf allen Ebenen des Finanzverbundes - also sowohl horizontal zwischen den Verbundinstitutionen und den Primärbanken untereinander als auch vertikal zwischen Primärstufe und dem so genannten Oberbau - aufzubauen. Es geht dabei letztlich um Selbstverständlichkeiten, mit den Worten Maliks um "elementare Manieren"3) im Umgang miteinander, mit dem Ziel, gemeinsam Erfolg zu erreichen. Vertrauen ist Kapital, in das es zu investieren gilt.

Vertrauen ist dabei immer eine Art von Vorleistung und damit auch mit dem Risiko der Enttäuschung verbunden. Eine "Vertrauensorganisation" wie der Finanzverbund stellt eben hohe Anforderungen an die Akteure. Den mit "Misstrauenskulturen" verbundenen Verschleiß von Ressourcen kann sich der Finanzverbund immer weniger leisten. Es darf daher nicht allein um die fachliche Kompetenz von Entscheidungsträgern gehen - die sollte selbstverständlich sein - sondern auch um das, was sich mit Glaubwürdigkeit, emotionaler Belastbarkeit und sozialer Kompetenz verbindet.

Neues Führungsverständnis

Die Kataloge der Schlüsselqualifikationen für Führungskräfte sind zahlreich, umfangreich und beinhalten viel Wünschenswertes. Die Praxis zeigt, dass Führungskräfte so verschieden sind, wie die Menschen nur verschieden sein können. Insofern ist die Frage nach dem "idealen Manager" eher akademischer Natur. Ein Trend in diesem Zusammenhang zeichnet sich allerdings ab.

Angesichts des hinlänglich beschriebenen Wandels reicht eine Erweiterung der traditionellen Denkweise nicht mehr aus. Erforderlich ist darüber hinaus eine neue Grundhaltung, ein neues Führungsverständnis.

Der Manager der Zukunft ist nicht der alleinige Macher oder Beherrscher, der alles im Griff hat. Ein Blick hinter die Fassaden enttarnt ein solches Bild ohnehin als Mythos. Denn in der Realität erfolgen gerade in Großunternehmen mit tief gestaffelten Hierarchien, vermeintlich straffer Organisation und vielen Regeln auch zahlreiche unkontrollierbare und damit nicht beherrschbare Prozesse. Der Manager der Zukunft muss in der Rolle des Kultivators und Katalysators seine Aufgabe darin sehen, Orientierungen und Impulse zu vermitteln, mit unvermeidbaren Konflikten konstruktiv umzugehen sowie rechtzeitig Störungen im Prozessverlauf zu erkennen, um dann konsequent zu handeln.

Gerade in Verbundsystemen wie dem genossenschaftlichen Finanzverbund darf nicht in Kategorien wie Über- oder Unterordnung gedacht werden. Werden einsame Entscheidungen "top-down" durchgesetzt, führt dies über kurz oder lang zur Erosion eines erfolgreichen Geschäftsmodells.

"Alles Gescheite ist schon gedacht worden"

- dieser Gedanke Goethes gilt auch sehr generell für die Führung von Unternehmen. So hat bereits vor zirka 2 500 Jahren Laotse ein Verständnis von Führung formuliert, das auch heute noch hochmodern ist und das sowohl auf der Ebene des gesamten Finanzverbundes als auch auf der Ebene der einzelnen Unternehmen unserer Gruppe Kultur prägend sein sollte: "Ein Führer ist am besten, wenn man kaum weiß, dass es ihn gibt. Nicht so gut, wenn man ihm gehorcht oder zujubelt. Am ärgsten, wenn man ihn verachtet. (...) Doch von einem guten Führer, der wenig spricht, wenn sein Werk getan, sein Ziel erreicht ist, werden Alle sagen: Wir haben es selbst getan."

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