Aufsätze

Zeitwertkonten - vom Talent zum Erfolgsmodell

Mit der Einführung von Zeitwertkonten können Unternehmen aus personalwirtschaftlicher Sicht zwei wesentliche Ziele verfolgen. Einerseits kann Problemen aufgrund der zu erwartenden demografischen Entwicklung entgegengewirkt werden, andererseits wird mit Zeitwertkonten eine attraktive Möglichkeit zur individuellen Lebensarbeitszeitgestaltung für die Belegschaft geschaffen. Gerade vor dem Hintergrund der Erhöhung des Regelrentenalters auf 67 Jahre und dem Auslaufen der Förderung der Altersteilzeit Ende 2009 ist der potenziell hohe Stellenwert von Zeitwertkonten für Mitarbeiter und Arbeitgeber unumstritten. Neben der Möglichkeit, die Wertguthaben für Freistellungen unmittelbar vor dem Ruhestand (voll oder gleitend) zu nutzen, können diese grundsätzlich auch für sonstige Erwerbsunterbrechungen wie beispielsweise Pflegezeiten, Elternzeiten, berufliche Qualifizierungsmaßnahmen oder ein Sabbatical Jahr verwendet werden.

"Zeit-Wertpapier" als Vorbild

Über lange Jahre galt das Konzept als "ewiges Talent" - bestechend die Argumente für eine betriebliche Implementierung, vergleichsweise zögerlich allerdings die Verbreitung in Betrieben und Unternehmen. Eines der ersten Zeitwertkonten in Deutschland war das Ende der neunziger Jahre aufgelegte Zeit-Wertpapier der Volkswagen AG (VW). Grundlage für die Einführung der Zeitwertkonten bei VW war das eigens geschaffene und 1998 in Kraft getretene "Gesetz zur sozialversicherungsrechtlichen Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen" (Flexi-Gesetz). Arbeitnehmer konnten auf Grundlage dieses Gesetzes geleistete, aber noch nicht vergütete Arbeitsstunden ansammeln, ohne hierfür zum Zeitpunkt der Einbringung Steuern oder Sozialversicherungsabgaben abführen zu müssen. Weitere Unternehmen folgten.

Zielsetzung des produzierenden Gewerbes war bei der Einführung häufig die "reine" Arbeitszeitflexibilisierung: mit Hilfe dieses Instrumentes ließ sich bei guter Auftragslage vorarbeiten und bei Eintrübung des konjunkturellen Umfeldes die auf den Zeitwertkonten angesammelten Guthaben wieder abbauen und somit oftmals betriebsbedingte Kündigungen vermeiden. Andere Unternehmen nutzten das Konzept weniger zur Mittelfrist-Steuerung als vielmehr als Menüoption in bestehenden Systemen zur Entgeltverwendung. Im Vordergrund stand primär der Ausbau individueller Gestaltungsmöglichkeiten der "work-lifebalance" im "war for talent". Ihren Durchbruch erfuhren Wertkontensysteme erst mit der systematischen Integration in den tarifpolitischen Instrumentenkoffer.

Bestes Beispiel hierfür ist sicherlich der Tarifvertrag "Lebensarbeitszeit und Demografie" der im Rahmen des Chemietarifpakets 2008 zwischen den Tarifvertragsparteien vereinbart wurde. Der Tarifvertrag verfolgt das Ziel, durch zukunftsfähige Rahmenregelungen eine nachhaltige und vorausschauende Personalpolitik zu ermöglichen. Diese berücksichtigt zum einen die Bedürfnisse der Unternehmen nach veränderten Personalstrukturen sowie die Interessen der Beschäftigten nach alters- und leistungsgerechten Arbeitsbedingungen sowie flexiblen Übergangsformen in den Ruhestand. Seit 2010 stellen Arbeitgeber pro Tarifarbeitnehmer und Jahr einen Betrag in Höhe von (anfänglich) 300 Euro in einem betrieblichen Demografiefonds zur Verfügung. Die Verwendung des Demografiebetrages kann von Arbeitgeber und Betriebsrat im Rahmen einer freiwilligen Betriebsvereinbarung auch für die Bezuschussung von Langzeitkonten definiert werden.

Start mit statischen Modellen

Systemkomponenten eines typischen Wertkontenmodells sind personalpolitische Ausgestaltung, Administration, Insolvenzsicherung und die (Kapital-)Anlage individueller Beiträge. Erstgenannte drei Komponenten waren in den frühen Jahren der betrieblichen Implementierung im Fokus jeder Diskussion - standen sie doch für Komplexität und Kosten. Die "Veranlagung" stand bei der Einführung entsprechender Modelle in großen Unternehmen am Ende der Wertschöpfungskette in einem schwierigen Prozess mit vielen Mitwirkenden. Zielsetzung war in der Regel und vorrangig eine Verzinsung der Guthaben oberhalb des Gehaltstrends. Je nach Involvierungsgrad und Interessenlage begünstigter Entscheidungsträger, Finanzabteilungen, Arbeitnehmervertretungen und Finanzdienstleister konnte das Ergebnis höchst unterschiedlich ausfallen.

Die Arbeitsgemeinschaft Zeitwertkonten e. V. hatte bereits im Jahr 2008 eine Umfrage unter Anbietern von Anlagekonzepten zur Rückdeckung von Verpflichtungen aus Wertkontenmodellen durchgeführt. Die Studie ließ den Schluss zu, dass die zum Einsatz kommenden Anlagekonzepte in der Regel sehr flexibel ausgerichtet waren, über eine durchschnittliche Aktienquote von etwa 30 Prozent verfügten und überwiegend fondsbasiert waren.

Häufig anzutreffen waren sogenannte "statische Life-cycle-Modelle": Individuelle Beiträge wurden durch einen Administrator altersabhängig auf verschiedene Publikumsfonds mehrerer Assetklassen (Aktien, Renten, Geldmarkt) verteilt. Determinante für die Verteilung war allein das Alter des Teilnehmers - jedes Jahr wurde die Aufteilung neuer Beiträge konservativer, bereits angespartes Kapital wurde entsprechend umgeschichtet. Vereinbarungen, die den Mitarbeitern eine Auswahlmöglichkeit unter verschiedenen Anlageoptionen gaben, waren eher die Ausnahme, Versicherungslösungen stark unterrepräsentiert und Garantiefondskonzepte nahezu nicht existent.

Werterhalt der Beiträge

Am 1. Januar 2009 traten mit dem "Gesetz zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen" (Flexi-II-Gesetz) zahlreiche Änderungen im Bereich Zeitwertkonten in Kraft. Besonders gravierend waren die mit diesem Gesetz eingeführten Vorschriften zur Kapitalanlage der Wertguthaben sowie die neu aufgenommene und an den Arbeitgeber gerichtete Verpflichtung, den Werterhalt der Beiträge zum Zeitpunkt der planmäßigen Inanspruchnahme zu garantieren. So wurden Wertkonten grundsätzlich den Vorschriften des SGB IV zur Anlage der Mittel von Versicherungsträgern unterworfen (§§[80]ff SGB IV).

Danach sind Wertguthaben wenigstens so anzulegen und zu verwalten, dass ein Verlust ausgeschlossen erscheint, ein angemessener Ertrag erzielt wird und ausreichend Liquidität gewährleistet ist (§ 80 Abs. 1 SGB IV). Strittig ist bis heute die Anwendbarkeit des § 83 SGB IV, der aus detaillierten Vorschriften und einer Positivliste für die Anlage von Rücklagen besteht. Wesentliche Instrumente, die zum Beispiel für die produktgeberseitige Erstellung einer Garantie zwingend erforderlich sind, fehlen - so die Kritiker.

Konkret wurde weiterhin geregelt, dass die Anlage in Aktien oder Aktienfonds nur bis zu einer Höhe von 20 Prozent zulässig ist. Diese Begrenzung kann bei einer Beschränkung des Verwendungszweckes auf eine ruhestandsnahe Freistellung oder entsprechender Regelung in einem Tarifvertrag allerdings angehoben werden. Außerdem ist zum Zeitpunkt der planmäßigen Inanspruchnahme des Wertguthabens ein Mittelrückfluss mindestens in Höhe der eingebrachten Beiträge zu gewährleisten.

Schub für neue Lösungsansätze

Zu Recht ging die Branche von einem Paradigmenwechsel aus. Die Einschränkungen bedeuteten das "Aus" für eine Kapitalanlage im Stile US-amerikanischer 401k-Versorgungswerke: verpflichtet allein dem Interesse und dem individuellen Risikoprofil des Sparers, unreguliert und "frei", effizient, vor allem aber: zu 100 Prozent auf Rechnung und Risiko des Arbeitnehmers. Gemutmaßt wurde, dass

- bestehende Systeme in Anbetracht des mit einer völligen Neuausrichtung der Kapitalanlage verbundenen Aufwandes beitragsfrei und "ruhend" gestellt würde;

- angedachte Projekte vor dem Hintergrund der einseitigen Verlagerung von Risiken auf den Arbeitgeber beziehungsweise eine risikoarme und damit in ihrer Attraktivität stark reduzierte Verzinsung aufgegeben würden;

- Anbieter vor allem aus der Investmentfondsbranche sich vor dem Hintergrund schwindender Absatzchancen für margenstarke Produkte (zum Beispiel Aktien) zurückziehen würden.

"Gewinner" von Flexi-II (so die Annahme) würden die Anbieter von Versicherungsprodukten sein - entweder in Form klassischer Lebensversicherungen oder sogenannter Kapitalisierungsprodukte. Asset Manager würden sich darauf einstellen müssen, dass sich das Anforderungsprofil der Arbeitgeber an eine fondsbasierte Lösung durch das Flexi-II-Gesetz in zwei wesentlichen Punkten ändern würde. Die Nachfrage nach Anlagemöglichkeiten, die über eine explizite Beitragsgarantie des Anbieters verfügten, sowie die Verwendungszwecke "Vorruhestand" und "sonstige Erwerbsunterbrechungen" individuell abdeckten, würde steigen.

Moderne Fondslösungen durchaus wettbewerbsfähig

Manche der geäußerten Erwartungen sind während der letzten 18 Monate eingetreten, viele allerdings sind es nicht. Tatsächlich aufgegeben haben ihre Modelle vergleichsweise wenige Arbeitgeber. Bei diesen wird es sich zumindestens teilweise um Adressen gehandelt haben, die einem eingeschränkten Kreis gut verdienender Führungskräfte eine Ansparmöglichkeit unter den Regularien der Entgeltumwandlung ohne die besonderen Spielregeln der betrieblichen Altersvorsorge anbieten wollten.

Weitgehend ausgeblieben ist der drastische Einbruch bei investmentfondsbasierten Lösungen nach Inkrafttreten des Flexi-II-Gesetzes. Zwar waren versicherungsbasierte Lösungen aufgrund der in der Praxis üblichen Garantieverzinsung dieser Produkte und ihres vergleichsweise geringen Implementierungsaufwandes zunächst begünstigt, allerdings vermochte es die Investmentfondsbranche durch die Neukonzeption von Produkten und Strategien wieder attraktive Alternativen zu den Garantieprodukten der Versicherungswirtschaft zu etablieren.

Garantien mit Rendite

So existieren heute Fondslösungen in Form moderner Laufzeitfonds, die eine individuell auf das Risikoprofil einzelner Alterskohorten zugeschnittene Kapitalanlage ermöglichen und dabei gleichzeitig über eine Garantie eines Finanzinstituts gewährleisten, dass zu einem bestimmten Ablauftermin mindestens die eingezahlten Beiträge zur Verfügung stehen. Neben dem Ziel, die Wertguthaben somit vor Spekulationsverlusten zu schützen, verfolgt das Kapitalanlagekonzept das insbesondere für den Mitarbeiter nicht weniger bedeutsame Ziel, eine attraktive Rendite zu erwirtschaften. Solche Konzepte umfassen regelmäßig eine Fondsfamilie aus vielen einzelnen Fonds, die jeder für sich ein eigenes Ablaufdatum haben.

So kann bei der Wahl der Kapitalanlage genau der Fonds ausgewählt werden, bei dessen Ablaufdatum das angesparte Kapital benötigt wird. Jüngere Mitarbeiter können aufgrund des längeren Anlagehorizontes höhere Risiken tragen als ältere Mitarbeiter, die gegen Ende der Beschäftigung gegen Schwankungen am Kapitalmarkt geschützt werden müssen.

Die Funktionsweise der von einer Kapitalanlagegesellschaft übernommenen Werterhaltungsgarantie lässt sich anhand folgenden Beispiels erläutern. Die eingebrachten Beiträge werden in eine Sicherheits- und eine Renditekomponente zerlegt. Da der heute in einen Laufzeitfonds 2041 eingebrachte Beitrag in Höhe von 100 Euro in 30 Jahren garantiert werden soll, wird dieser Betrag mit dem aktuellen Marktzins abgezinst. Der Barwert von 40 Euro stellt somit die Sicherheitskomponente dar, deren Wertentwicklung beispielsweise über eine Investition in Staatsanleihen europäischer Staaten bester Bonität gewährleistet werden kann.

Um neben dem Sicherheitsaspekt auch dem Grundsatz der angemessenen Rendite Rechnung zu tragen, wird der für die Garantie zum Freistellungstermin nicht benötigte Teil des Beitrags von 60 Euro in renditeorientierte Wertpapiere, wie Aktien oder Aktienfonds investiert. Darüber hinaus bieten Finanzinstitute über eine sogenannte "Höchststandsicherung" zur planmäßigen Inanspruchnahme eine größere Sicherheit bereits während der Laufzeit, was beispielsweise bei vorzeitigem Ruhestand von Vorteil sein kann.

Nach einem ähnlichen Prinzip funktionieren neue Fondslösungen mit Garantie für Sabbaticalfreistellungen. Bei diesen Modellen wird jedoch die Aktienquote auf maximal 20 Prozent beschränkt, und die Garantie wird in der Regel "nur" zu bestimmten Stichtagen gewährt, um eine Investition von Teilen der Einzahlungen in Aktien überhaupt erst zu ermöglichen. Alternativ bietet sich für Sabbaticallösungen natürlich nach wie vor die Investition in einen Banksparplan mit täglicher Verfügbarkeit oder einen Geldmarktfonds mit Garantie des Finanzdienstleisters an.

Zeitwertkonten als geeignetes Instrument etabliert

Gerade in Anbetracht der demografischen Entwicklung und des damit verbundenen Fachkräftemangels haben sich Zeitwertkonten als geeignetes Instrument etabliert, um flexibel auf das konjunkturelle Umfeld reagieren zu können sowie qualifizierte Mitarbeiter zu motivieren und an das Unternehmen zu binden. Die Struktur der Anlagen in Wertguthaben wurde durch das Flexi-II-Gesetz neu definiert - ausgewogene Risiko- und Ertragschancen ermöglichen nunmehr die Planbarkeit der Lebensarbeitszeit besser als je zuvor.

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