The Great Demographic Reversal

Goodhart, C./ Pradhan, M.: The Great Demographic Reversal. Ageing Societies, Waning Inequality and an Inflation Revival. Palgrave Macmillan, 2020, Hardcover, 280 Seiten, 26,74 Euro, ISBN 978-3-030-42656-9

Wohl kein Buch erzielte unter Volkswirten in den vergangenen Monaten mehr Aufmerksamkeit als "The Great Demographic Reversal" von Charles Goodhart und Manoj Pradhan. Goodhart war Professor für Banking and Finance an der London School of Economics. Der schon 85-Jährige ist in Ökonomenkreisen wesentlich bekannter als sein Coautor, der das unabhängige makroökonomische Forschungsinstitut "Talking Heads Macro" gründete.

Die Kernthese des englischsprachigen Buches lautet: Der Deflationsdruck der vergangenen Jahrzehnte ist vorbei. Bevölkerungsentwicklung und Globalisierung werden zu dauerhafter Inflation führen. Die Autoren wiederholen ihre Argumentation mehrfach. In den vergangenen rund 30 Jahren habe die globale demografische Entwicklung und die weltwirtschaftliche Integration Chinas sowie Osteuropas Deflationseffekte verursacht. Denn es hätten dadurch zahllose zusätzliche Arbeitskräfte zur Verfügung gestanden. Beide Effekte würden sich aber in den nächsten Jahrzehnten umkehren: Die Weltbevölkerung altere und die Globalisierung gehe zurück. Folglich käme es zu Preissteigerungen auf Güter-, Arbeits- und Kapitalmärkten. Die Pandemie beschleunige diesen Inflationsdruck zusätzlich.

Demografie bringt Inflation

Goodhart und Pradhan belegen ihre Botschaft reichhaltig und wohlstrukturiert. Eine schnelle Übersicht über sämtliche Aussagen ermöglicht das erste Kapitel. Im Weiteren finden sich viele langfristige Ländervergleiche, die informativ und bestens visualisiert sind. Dazu gehören zum Beispiel die Entwicklung der Preise für Güter und Staatsanleihen in reichen Ländern seit dem Jahr 1980 beziehungsweise 1960 (S. 5 und 7), der weltweiten Fertilität und Lebenserwartung seit 1955 (S. 42) oder der Arbeitsmarktintegration 55- bis 65-Jähriger in Abhängigkeit von den Pensionszahlungen (S. 154).

Die Autoren sind unter anderem davon überzeugt, dass die kurzfristigen Realzinsen niedrig bleiben werden, die langfristigen Realzinsen aber steigen dürften. Interessant ist auch, dass sie den Fall Japan anders als die Mainstream-Ökonomie einschätzen. Diese prognostiziert für westliche Volkswirtschaften (bisher) einen ähnlich dauerhaften Deflationsdruck, wie ihn die japanische Wirtschaft seit Jahren erleidet.

Ausbildung hochqualifizierter Arbeitskräfte maßgeblich

Goodhart und Pradhan halten dagegen: Im Wesentlichen habe die betagte Bevölkerung Japans die fehlenden heimischen Arbeitskräfte jahrzehntelang über die globale Arbeitsteilung kompensieren können. Diese Strategie sei dem Westen aber künftig verschlossen. Denn Indien und Afrika würden zwar demografisch wachsen, nicht aber ökonomisch. Was die Verfasser also im Klartext sagen: Solange es nicht gelingt, die vielen jungen Menschen dieser beiden (Sub-)Kontinente zu hochqualifizierten Arbeitskräften auszubilden, werden die weltweiten Löhne trotz Bevölkerungsexplosion steigen.

Sicher hätte es weniger Seiten bedurft, um die spannende Kernthese zu vermitteln: Zum Beispiel durch Verzicht auf Nebenthemen wie Demenz (Kapitel 4) oder wachsenden Populismus (Kapitel 7). Daneben blähen identische Abbildungen, die doppelt verwertet werden, das Buch unnötig auf. Wer aber verstehen will, warum die Zeit niedriger Inflationsraten dauerhaft vorbei sein dürfte, findet hier überzeugende Argumente.

Prof. Britta Kuhn , VWL und International Economics, Hochschule RheinMain, Wiesbaden
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