Die Aktienkäufe der Bank of Japan - ein Vorbild für die EZB?

Gerhard Wiesheu, Foto: Bankhaus Metzler

Viele Zentralbanken kaufen Aktien, zum Beispiel aus dem Ausland, um mit dem Ertrag ihre Devisenreserven zu verbessern. Geldpolitische Ziele sind damit jedoch nicht verbunden. Die Bank of Japan, kurz BoJ, hatte sich allerdings vor einigen Jahren - angesichts einer schwachen Konjunktur, niedriger Aktienkurse und eines starken Yen - dazu entschlossen, neue Wege auszuprobieren und die Grenzen ihrer Möglichkeiten auszutesten. So leitete die BoJ gezielt Aktienankaufprogramme ein, um den Konkurs mehrerer angeschlagener Großunternehmen zu verhindern. Die BoJ kaufte aber überwiegend nur an Tagen mit fallenden Aktienkursen. Sie dämpfte damit laut dem Autor Kursverluste und reduzierte so die Volatilität. Seiner Meinung nach haben die Aktienkäufe der BoJ verstärkt Unternehmensinvestitionen ausgelöst. Daher sei auch für die EZB überlegenswert, dem Beispiel der BoJ zu folgen, um der Investitionszurückhaltung europäischer Unternehmen entgegenwirken zu können. (Red.)

Die Zeit seit der Finanzmarktkrise 2007/2008 zeigt eindrücklich die Grenzen der Geldpolitik auf: Wenn der Leitzins als Steuerungsinstrument ausfällt, können die Zentralbanken nur noch ihre Bilanz als Steuerungsgröße verwenden, indem sie Wertpapiere auf den Finanzmärkten kaufen. Geld direkt in die Wirtschaft pumpen - das können sie nicht. Das kann nur die staatliche Finanzpolitik. Die Bank von Japan (BoJ) ging unter allen großen Zentralbanken den größten Schritt, diese neuen Grenzen auszutesten.

Im Oktober 2010 beschloss die BoJ ein Programm zum umfassenden Ankauf von Wertpapieren, und als Teil dessen begann die Zentralbank schon im Dezember 2010 mit dem Ankauf von Aktien in Form von Exchange Traded Funds (ETFs). Ursprünglich sollten die ETF-Käufe nur vorübergehend sein und bis Ende 2011 auslaufen. Die Obergrenze für die ausstehenden ETF-Käufe wurde dabei auf 450 Milliarden Yen festgelegt. Im März 2011 verlängerte die BoJ jedoch das temporäre Kaufprogramm bis Ende Juni 2012 und erhöhte die Obergrenze für ausstehende ETF-Käufe auf 900 Milliarden Yen. Bis Oktober 2012 wurde der Zeitrahmen für die ETF-Käufe noch drei weitere Male auf letztendlich Dezember 2013 verlängert und die Obergrenze auf 2,1 Billionen Yen angehoben.

Einsatz geldpolitischer Instrumente

Als die BoJ im April 2013 im Rahmen der "ersten Säule der Abenomics" ein neues umfangreiches Programm der geldpolitischen Lockerung "Quantitative and Qualitative Monetary Easing (QQE)" auflegte,

verlor das alte Programm automatisch seine Gültigkeit. Das Aufheben der zeitlichen Begrenzung und das Vergrößern des ETF-Kaufvolumens katapultierte QQE in komplett neue Dimensionen. Die Käufe bis zu diesem Zeitpunkt in Höhe von 1,6 Billionen Yen sollten nun jährlich um 1 Billion Yen erweitert werden. Und das war noch nicht das Ende, denn die BoJ verdreifachte die jährlichen ETF-Käufe im Oktober 2014 auf 3 Billionen Yen. Ab Juli 2016 wurde der jährliche Betrag der ETF-Käufe auf 6 Billionen Yen erhöht. Im März 2020 beschloss die BoJ in Reaktion auf die Covid-19-Pandemie, die Zielvorgabe bei 6 Billionen Yen zu halten, jedoch abhängig von der Wirtschaftsentwicklung ein Maximalvolumen von 12 Billionen Yen zuzulassen. Seit März 2021 werden von der BoJ keine regelmäßigen Aktienkäufe mehr angestrebt - nur "in Zeiten erhöhter Marktinstabilitäten" soll auf dieses Instrument zu rückgegriffen werden (siehe Abbildung 1).

Abbildung 1: Zeitstrahl der ETF-Käufe der Bank of Japan Quellen: Bank of Japan, Metzler; Stand: 31.5.2021

Auch andere Zentralbanken kaufen Aktien. Prominent sind hierbei die Schweizer Nationalbank und die israelische Zentralbank. Beide Zentralbanken kaufen jedoch nur ausländische Aktien mit dem Ziel, den Ertrag ihrer Devisenreserven zu verbessern. Geldpolitische Ziele sind damit nicht verbunden. Laut Nobuyuki Saji, Chefvolkswirt bei Nissei Asset Management, musste die BoJ ab dem Jahr 2010 angesichts einer schwachen Konjunktur, niedriger Aktienkurse und eines starken Yen alle verfügbaren geldpolitischen Instrumente einsetzen - also auch den Kauf von Aktien, um den Konkurs mehrerer angeschlagener Großunternehmen zu verhindern. Es war also ein Notfall, der diese ungewöhnliche Maßnahme erzwang. Interessanterweise setzte aber erst Ende 2012 eine Erholung japanischer Aktien und eine Abwertung des japanischen Yen ein, als Shinzo Abe zum neuen Premierminister gewählt wurde. Das wirtschaftspolitische Programm der Abenomics mit seinen drei Säulen weckte damals die Erwartungen der Finanzmarktakteure, dass die Geldpolitik substanziell gelockert wird, was im April dann auch mit dem "Quantitative and Qualitative Monetary Easing"-Programm geschah.

Keine makroökonomischen Effekte

Intuitiv würde man erwarten, dass es zu merklichen Kurseffekten kommt, wenn ein neuer Akteur wie die japanische Zentralbank mit potenziell unbegrenzter Liquidität am Aktienmarkt als Käufer auftritt. Tatsächlich war das aber nicht der Fall. Die Gründe dafür lassen sich anhand eines Beispiels erläutern (siehe Abbildung 2):

Abbildung 2: Unterschiedliche Angebot-Nachfrage-Kurven (in Prozent) Quelle: Metzler; Stand: 31.5.2021

Unternehmen A ist schon lange am Markt etabliert und wächst stetig mit einem moderaten Tempo. Die Finanzmarktakteure können somit das Unternehmen gut bewerten und haben eine klare Vorstellung, dass ein Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 15 angemessen ist. Steigt das KGV, gibt es sofort eine große Zahl von Verkäufern. Bei einem KGV von 17 wollen sogar alle Anleger verkaufen. In diesem Fall lösen die Aktienkäufe der BoJ keine Kursgewinne aufgrund einer steigenden Bewertung aus, da es immer genug Verkäufer gibt, um den Kurs im Verhältnis zu den Gewinnen stabil zu halten. Die Verkäufer der Aktien haben aber eine Portfolio-Reallokation von Aktie A zu Cash vollzogen. Da der neue Cash ein Teil der Ersparnisse ist, dürfte es einfach auf der Bank liegengelassen werden, und makroökonomische Effekte bleiben aus.

Gewinnschätzungen gestiegen

Es hätte aber auch anders kommen können - hierfür ebenfalls ein Beispiel: Unternehmen B ist dagegen ein Technologieunternehmen mit großem Wachstumspotenzial. Anleger haben somit große Probleme, das Unternehmen zu bewerten, und nur wenige sind bereit, auch bei hohem KGV zu verkaufen. Die Anleger glauben nämlich fälschlicherweise, dass ein Kursanstieg auf die Käufe von besser informierten Investoren zurückzuführen ist und daher das große Potenzial der Aktie widerspiegelt. Es handelt sich hier um einen Markt mit vielen spekulationsfreudigen Anlegern. In diesem Fall würden die Käufe der BoJ für erhebliche Kursgewinne und für eine deutlich höhere Bewertung der Aktie B sorgen. Das Unternehmen B könnte nun den hohen Aktienkurs für Übernahmen oder Kapitalerhöhungen nutzen, um so rapide intern und/oder extern zu wachsen. Ein Beispiel dafür aus der jüngeren Geschichte ist Tesla.

Ein Blick auf die Kursentwicklung des MSCI Japan seit 2010 zeigt einen Zuwachs von mehr als 100 Prozent, der jedoch allein von der Gewinnentwicklung japanischer Unternehmen getragen wurde (siehe Abbildung 3). So stiegen die Gewinnschätzungen in diesem Zeitraum um etwa 140 Prozent. Das KGV sank dagegen sogar um 15 Prozent. Offensichtlich haben die Anleger am japanischen Aktienmarkt eine genaue Vorstellung des angemessenen Bewertungsniveaus, sodass die Käufe der BoJ keinen Effekt auf die Bewertung hatten. Auch ein Blick auf die Ex-ante-Risikoprämie japanischer Aktien zeigt ein ungewöhnlich hohes und stabiles Niveau von mehr als 7 Prozent seit 2010. Die BoJ konnte somit die Aktienkurse in Japan nicht künstlich nach oben treiben und folglich keine Verringerung der Aktienrisikoprämie erreichen, die für Unternehmen einen Anreiz geschaffen hätte, die Investitionsausgaben im Sinne des "Tobins Q" zu erhöhen.

Abbildung 3: Stabile Bewertung trotz Aktienkäufe der Bank of Japan Quellen: Refinitiv Datastream, Metzler; Stand: 31.5.2021

Ironischerweise kann eine Geldpolitik der Aktienkäufe nur dann einen Rückgang der Aktienrisikoprämie bewirken, wenn spekulationsfreudige Anleger das Geschehen am Aktienmarkt dominieren. Damit sind auch die mit den Aktienkäufen von Zentralbanken verbundenen Risiken offensichtlich. Es droht eine Fehlallokation von Kapital.

Die japanische Zentralbank kaufte seit 2010 überwiegend nur an den Tagen mit fallenden Aktienkursen (siehe Abbildung 4). Der Medianwert lag dabei bei einem Verlust von 0,5 Prozent des Topix morgens zur Eröffnung gegenüber dem Vortagesschlusskurs. Sie dämpfte damit Kursverluste und reduzierte so die Volatilität.

Abbildung 4: Bank of Japan kaufte überwiegend an Tagen mit fallenden Eröffnungskursen (in Prozent) Quellen: Refinitiv Datastream, Bloomberg, Metzler; Stand: 30.6.2021

"Animal Spirit" am Kapitalmarkt

Ein Rückgang der Volatilität ist allerdings erst seit April 2013 zu beobachten - einhergehend mit dem merklich größeren Kaufvolumen von Aktien. Von Januar 2000 bis März 2013 betrug die durchschnittliche Handelsspanne zwischen Tageshöchstkurs und Tagestiefstkurs des Topix etwa 1,14 Prozent. Seit April 2013 ist ein Rückgang auf durchschnittlich nur noch 0,89 Prozent zu beobachten. Auch fiel die durchschnittliche tägliche Volatilität über diesen Zeitraum von Tagesschlusskurs zu Tagesschlusskurs von 22,4 Prozent auf 19,5 Prozent.

Interessanterweise scheint die geringere Volatilität und die Sicherheit, dass immer ein großer Käufer im Hintergrund bereitsteht, die "Animal Spirits" am japanischen Kapitalmarkt belebt zu haben. So wurden Unternehmen am Kapitalmarkt deutlich aktiver: Seit 2013 verdoppelte sich die Zahl der Unternehmen, die eine Kapitalerhöhung durchführten oder einen Börsengang wagten. Auch stieg das Transaktionsvolumen von Unternehmensübernahmen (M&A) um mehr als 30 Prozent von durchschnittlich 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr auf 150 Milliarden US-Dollar pro Jahr über diesen Zeitraum (siehe Abbildung 5). Die positive Stimmung an den Börsen scheint sich sogar auf Privatplatzierungen von Unternehmen übertragen zu haben, deren Zahl sich im genannten Zeitraum verdreifachte. Überwiegend kleinere und mittlere Unternehmen nutzten dabei die besseren Finanzierungsbedingungen.

Abbildung 5: Belebung der Kapitalmarktaktivitäten von Unternehmen Quelle: Goldman Sachs; Stand: 31.12.2020

Steigende Unternehmensinvestitionen

Damit einhergehend belebten sich seit 2013 die Investitionsausgaben der Unternehmen. Zwischen 2000 und 2012 verzeichnete die japanische Wirtschaft ein Wirtschaftswachstum von durchschnittlich nur 0,75 Prozent pro Jahr (siehe Abbildung 6). Im Trend fallende Unternehmensinvestitionen waren dabei ein Belastungsfaktor, der das Wachstum um durchschnittlich 0,3 Prozentpunkte pro Jahr reduzierte. Von 2013 bis 2019 beschleunigte sich das Wirtschaftswachstum auf etwa 1,0 Prozent pro Jahr - maßgeblich getrieben von im Trend steigenden Unternehmensinvestitionen mit einem durchschnittlich positiven Wachstumsbeitrag von 0,4 Prozent pro Jahr. Es ist natürlich unmöglich zu berechnen, wie stark die Aktienkäufe im Vergleich zu den anderen geldpolitischen Maßnahmen der Bank von Japan zu diesem Erfolg beigetragen haben. Eine Studie von Ryuzo Miyao, Professor an der Universität Tokio, und Tatsuyoshi Okimoto vom Forschungsinstitut RIETI bestätigt auf Basis einer umfangreichen quantitativen Analyse, dass sich die unorthodoxen Maßnahmen (inklusive der Aktienkäufe) der BoJ positiv auf das Wirtschaftswachstum und die Inflation ausgewirkt haben.

Abbildung 6: Signifikante Trendwende der Unternehmensinvestitionen Quellen: Refinitiv Datastream, Metzler; Stand: 31.12.2019

Auf den zweiten Blick scheinen die Aktienkäufe der Bank von Japan also durchaus positive makroökonomische Auswirkungen gehabt zu haben. Wie erläutert, dürften diese positiven Effekte bestehen bleiben, auch wenn die BoJ ab diesem Fiskaljahr nicht mehr stetig Aktien kauft, sondern nur in Zeiten erhöhter Marktinstabilitäten. Es scheint für die Firmen ausreichend zu sein, zu wissen, dass im Hintergrund ein großer potenzieller Käufer steht, der stabilisierend interveniert.

BoJ mittlerweile Anteilseigner vieler Unternehmen

Dennoch wirft dieses innovative geldpolitische Instrument einige Fragen auf. Das enorme Kaufvolumen von insgesamt 36,2 Billionen Yen hat dazu geführt, dass die BoJ mittlerweile zu einem großen Anteilseigner mehrerer japanischer Unternehmen geworden ist. Laut einem Report von Nikkei aus dem Jahr 2019 war die Zentralbank infolge der ETF-Käufe größter Shareholder von 23 Unternehmen - und für knapp 50 Prozent der in Tokio gelisteten Unternehmen zählt sie zu den Top Ten der Shareholder. Auch wenn die BoJ aus Gründen der Unabhängigkeit auf die Ausübung der Stimmrechte verzichtet oder sie an jene Trust-Banken abtritt, die auch für die Durchführung der ETF-Käufe zuständig sind, so könnte sich die dadurch geänderte Investorenstruktur auf die Unternehmensführung auswirken. Darüber hinaus muss zumindest langfristig auch über mögliche Exit-Strategien nachgedacht werden. Die BoJ wird den ETF-Bestand nicht einfach verkaufen können, ohne dadurch den japanischen Aktienmarkt stark zu belasten. Die beiden meistdiskutierten Optionen betreffen den Verkauf des Bestands an den staatlichen Pensionsfonds (GPIF) zu Kostenbasis und den ermäßigten Verkauf an die japanische Bevölkerung, ähnlich wie in Hongkong im Jahr 1998. Beide Optionen hätten jedoch den Nachteil, dass sie die Portfolioallokation - entweder des GPIF oder von Haushalten - nachhaltig verändern könnten.

Ein Vorbild für die EZB?

Auch die Eurozone war in den vergangenen Jahren durch eine Schwäche der Unternehmensinvestitionen geprägt. Ohne dynamisch wachsende Investitionsausgaben der Unternehmen wird es keinen tragfähigen Aufschwung in der Euro zone geben und damit keine Normalisierung der Inflation und der Zinsen. Derzeit ruhen die Hoffnungen auf dem Wachstumsimpuls der staatlichen Investitionen im Rahmen des "Next EU Generation Funds" sowie auf dem Impuls der Wiedereröffnung der europäischen Wirtschaft nach der Pandemie. Sollten die Unternehmensinvestitionen trotzdem anhaltend zur Schwäche neigen, wäre es tatsächlich für die EZB überlegenswert, dem Vorbild der BoJ zu folgen. Wichtig wird es dabei sein, dass die EZB die Erwartungen so prägt, dass sie nur eine Reduktion der Volatilität und somit einen geordneten Handel an den Börsen anstrebt und keine künstlichen Kurssteigerungen.

Fußnoten

1) Differenz zwischen Gewinnrendite und realer Rendite 10-jähriger Staatsanleihen, wobei die Gewinnrendite die Inverse des Kurs-Gewinn-Verhältnisses ist.

2) Das "Tobins Q" wird ermittelt, indem man den Marktwert eines Unternehmens (Börsenwert plus Verbindlichkeiten) durch die Wiederbeschaffungskosten aller Vermögensgegenstände teilt (nicht zu verwechseln mit den steuer- oder handelsrechtlichen Buchwerten). Wenn diese Kennzahl größer als 1 ist, bedeutet dies, dass das Unternehmen an der Börse zu einem höheren Wert gehandelt wird als die Summe seines Vermögens beträgt. Damit besteht ein Anreiz für das Unternehmen zu investieren.

3) Ryuzo Miyao & Tatsuyoshi Okimoto, 2017, "The Macroeconomic Effects of Japan's Unconventional Monetary Policies," Discussion papers 17065, Research Institute of Economy, Trade and Industry (RIETI)

Gerhard Wiesheu , Präsident , Frankfurt Main Finance e.V., Frankfurt am Main

Weitere Artikelbilder

Noch keine Bewertungen vorhanden


X