Aufsichtsrechtliche Anforderungen an das Beschwerdemanagement - Umsetzung in der Finanzbranche

Univ.-Prof. Dr. Gerd Waschbusch, Foto: G. Waschbusch

Die Vorschriften für das Beschwerdemanagement in Banken wurden in den vergangenen Jahren systematisch verschärft. Mit positiven Folgen, wie die Autoren herausgefunden haben. Die Institute beschäftigen sich inzwischen sehr viel intensiver mit Kundenbeschwerden und fassen diese zum Großteil als Chance auf, die Kundenzufriedenheit zu erhöhen und Prozesse, Produkte und Dienstleistungen im eigenen Haus zu verbessern. Bei aller Anerkennung der wichtigen und richtigen Fortschritte muss man sich aber schon fragen, warum es dazu überhaupt erst regulatorischer Vorgaben bedurfte. (Red.)

„Zahl der Beschwerden über Banken steigt auf Rekordniveau“1), titelt Holger Schäfer im BaFin-Journal. Hierbei betreffen die von Kunden geäußerten Beschwerden die gesamte Bandbreite der von Banken angebotenen Produkte und Dienstleistungen. Als Hauptgründe für Beschwerden werden für das Jahr 2020 zumeist Probleme beim Zahlungsverkehr, im Kreditgeschäft oder bei der Führung von Giro- und Pfändungsschutzkonten genannt.

Vor allem hat aber auch die Coronavirus-Pandemie Schwachstellen in den internen Systemen von Banken aufgezeigt. So verzeichneten Kunden Ausfälle, Beeinträchtigungen und Wartezeiten beim Online-Banking aufgrund der gestiegenen Aufrufzahlen. Vornehmlich ältere Kunden klagten zudem über eine eingeschränkte Abwicklung von Bankgeschäften aufgrund der vorübergehenden Schließung von Filialen und Geschäftsstellen.2)

Corona-Virus-Pandemie legt Schwachstellen offen

Neben dem Gläubiger- und Funktionenschutz zählt zu den Zielsetzungen der Bankenaufsicht auch der Schutz der kollektiven Verbraucherinteressen.3) Gemäß § 4 Abs. 1a Satz 1 FinDAG hat die BaFin die Institute im Interesse der Verbrauchergesamtheit zu beaufsichtigen. Angesichts der in der Vergangenheit (stark) steigenden Zahl der Kundenbeschwerden sahen deshalb sowohl die europäischen als auch die deutschen Bankenaufsichtsbehörden einen Optimierungsbedarf im Bereich der Beschwerdebearbeitung von Kreditinstituten.4) Dementsprechend formulierte der Gemeinsame Ausschuss der Europäischen Aufsichtsbehörden (Joint Committee of the European Supervisory Authorities) bereits im Jahr 2014 Leitlinien zur Beschwerdeabwicklung im Bankwesen sowie im Wertpapierhandel.5) Daran anknüpfend wurden auf nationaler Ebene von der BaFin am 4. Mai 2018 im Rahmen des Gemeinsamen Rundschreibens BA, WA und VA 06/2018 Mindestanforderungen an das Beschwerdemanagement festgelegt.6)

Mit diesem Schreiben hat die BaFin die direkt an ein beaufsichtigtes Unternehmen gerichtete Beschwerde in den Vordergrund der Betrachtung gerückt.7) Die Anforderungen des Gemeinsamen Rundschreibens BA, WA und VA 06/2018 treten neben die Vorschriften des § 80 Abs. 1 Satz 3 WpHG i. V. m. Art. 26 der Delegierten Verordnung (EU) 2017/565. Die in diesen Rechtsvorschriften vorgesehenen Regelungen zur Bearbeitung von Beschwerden bei der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen und Wertpapiernebendienstleistungen werden von der BaFin durch das Rundschreiben 05/2018 (WA) – Mindestanforderungen an die Compliance-Funktion und weitere Verhaltens-, Organisations- und Transparenzpflichten (kurz: MaComp) näher konkretisiert.8)

Neudefinition und Erweiterung des Adressatenkreises

Das Gemeinsame Rundschreiben BA, WA und VA 06/2018 der BaFin zu den Mindestanforderungen an das Beschwerdemanagement, das die Leitlinien des Gemeinsamen Ausschusses der Europäischen Aufsichtsbehörden zur Beschwerdeabwicklung im Bankwesen umsetzt, wurde zuletzt Anfang 2020 aufgrund einer Überarbeitung der zugrunde liegenden Leitlinien des Gemeinsamen Ausschusses aktualisiert.

Diese Anpassung hatte eine Erweiterung des Adressatenkreises zur Folge, sodass das Rundschreiben sich nun unter dem Sammelbegriff „beaufsichtigte Unternehmen“ an alle in Deutschland tätigen CRR-Kreditinstitute, Zweigstellen von Unternehmen mit Sitz im Ausland i. S. v. § 53 Abs. 1 KWG, die das Einlagen- und das Kreditgeschäft betreiben, Zahlungsinstitute, E-Geld-Institute, Kapitalverwaltungsgesellschaften und Nichtkreditinstitute i. S. v. Art. 4 Abs. 10 der Wohnimmobilienkreditrichtlinie (Richtlinie 2014/17/?U) richtet.9)

Als Beschwerde wird in diesem Rundschreiben jede Äußerung der Unzufriedenheit definiert, „die eine natürliche oder juristische Person (Beschwerdeführer) an ein beaufsichtigtes Unternehmen im Zusammenhang mit dessen Erbringung einer nach dem KWG, ZAG oder KAGB beaufsichtigten Dienstleistung beziehunsgweise eines entsprechenden Geschäfts oder im Zusammenhang mit der Vergabe von Immobiliar-Verbraucherdarlehensverträgen i. S. v. § 491 Abs. 3 S. 1 BGB richtet“10). Aufgrund der gesonderten Regelungen für Wertpapierdienstleistungsunternehmen werden allerdings Dienstleistungen nach dem KWG, die zugleich Wertpapierdienstleistungen oder Wertpapiernebendienstleistungen nach dem WpHG darstellen, nicht vom Rundschreiben erfasst.11) Bei der Unzufriedenheitsäußerung eines Beschwerdeführers ist es derweil nicht zwingend erforderlich, dass von ihm der Begriff "Beschwerde" verwandt wird. Eine Beschwerde bedarf zudem keiner bestimmten Form.

Gemäß dem Gemeinsamen Rundschreiben BA, WA und VA 06/2018 ist für die beaufsichtigten Unternehmen Ausgangspunkt der Etablierung eines Beschwerdemanagements die gesetzlich verpflichtende Einrichtung einer ordnungsgemäßen Geschäftsorganisation.12) Diese hat die Einhaltung der von den beaufsichtigten Unternehmen zu beachtenden gesetzlichen Bestimmungen zu gewährleisten. Hierzu gehört auch, dass Beschwerden zuverlässig aufgenommen und ausgewertet werden. Dabei gewonnene Erkenntnisse über mögliche Versäumnisse und Unzulänglichkeiten im Geschäftsbetrieb müssen in das Risikomanagement einbezogen und von der Internen Revision berücksichtigt werden, um sie abstellen zu können.

Höhere Dokumentationspflichten

Zu diesem Zweck müssen sowohl Grundsätze als auch wirksame und transparente Verfahren für eine effiziente Beschwerdeabwicklung nicht nur implementiert, sondern auch dokumentiert werden. Hierbei ist der interne Informationsfluss über den aktuellen Beschwerdestand zu gewährleisten. Verantwortlich für den Beschluss, die Umsetzung und die Überwachung der Einhaltung dieser Grundsätze und Verfahren ist die Geschäftsleitung. Das beaufsichtigte Unternehmen muss darüber hinaus auf eine leicht zugängliche Weise, beispielsweise in einer Broschüre oder auf seiner Internetseite, über diese Verfahren informieren. Dies beinhaltet vor allem eine Erläuterung der Wege zur Einreichung einer Beschwerde, des Ablaufs des Beschwerdeverfahrens und der Möglichkeiten alternativer Streitbeilegungsverfahren.

Ergänzend dazu ist eine Beschwerdemanagement-Funktion einzurichten, die sicher stellt, dass "alle Beschwerden objektiv und angemessen im Einklang mit den Grundsätzen und Verfahren der Beschwerdebearbeitung untersucht werden"13) . Sie hat daneben mögliche Interessenkonflikte zu identifizieren und dafür Sorge zu tragen, dass es zu keinen Beeinträchtigungen der Beschwerdebearbeitung durch Interessenkonflikte kommt. 14)

Alle Beschwerden mitsamt Bearbeitungsstatus, getroffenen Maßnahmen und abschließenden Entscheidungen sind ohne unnötige Verzögerung in einem internen Beschwerderegister zu erfassen, welches elektronisch oder in einer anderen Form so zu führen ist, dass eine systematische Auswertung der Beschwerdefälle möglich ist.15) Hierbei ist das interne Beschwerderegister gegen sachlich nicht gebotene Änderungen zu schützen. Nachträgliche Änderungen müssen erkennbar sein. Es ist außerdem sicherzustellen, dass die zuständigen Mitarbeiter der beaufsichtigten Unternehmen, die zuständigen Prüfer sowie die BaFin ungehindert Einsicht in das interne Beschwerderegister nehmen können. Dies be deutet auch, dass die entsprechenden Unterlagen - vorbehaltlich abweichender gesetzlicher Vorgaben - mindestens fünf Jahre aufzubewahren sind. Eine fortlaufende Auswertung der Beschwerdefälle soll des Weiteren gewährleisten, dass wiederholt auftretende oder systematische Probleme sowie operationelle Risiken erkannt und erforderliche Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Daher ist jede Beschwerde unter anderem auf ihre Ursache und auf mögliche Auswirkungen auf andere Geschäftsbereiche hin zu analysieren.

Ein beaufsichtigtes Unternehmen ist dazu aufgefordert, eine Beschwerde ohne unnötige Verzögerung zu beantworten.16) Wird dem Kunden keine Antwort in der intern vorhergesehenen Frist gegeben, so muss das beaufsichtigte Unternehmen den Beschwerdeführer sowohl über die Gründe der Verzögerung als auch den voraussichtlichen Termin des Abschlusses der Beschwerdeprüfung informieren. Dem Beschwerdeführer müssen auf Anfrage stets Informationen über den Verfahrensstand zugänglich gemacht werden. Der Informationsaustausch hat dabei in einer unmissverständlichen Ausdrucksweise zu erfolgen.

Im Wege der Beschwerdebearbeitung müssen sämtliche relevanten Beweismittel und Informationen vom beaufsichtigten Unternehmen gesammelt und geprüft werden. Sollte ein beaufsichtigtes Unternehmen den Forderungen des Beschwerdeführers nicht vollständig nachkommen, so muss es seinen Standpunkt eingehend erläutern und dem Beschwerdeführer Möglichkeiten zur Aufrechterhaltung seiner Beschwerde darlegen, beispielsweise die Möglichkeit der Nutzung alternativer Streitbeilegungsverfahren. Das Bearbeitungsergebnis einer Beschwerde muss dem Beschwerdeführer in Papierform oder auf einem Datenträger mitgeteilt werden. Hiervon kann das beaufsichtigte Unternehmen abweichen, wenn der Beschwerdeführer ausdrücklich nur eine mündliche Antwort verlangt. Abweichend davon können mündliche Beschwerden auch nur mündlich beantwortet werden, wenn der Beschwerdeführer sein Einverständnis hierzu gibt.

Konkretisierung durch die MaComp

Die Beschwerdebearbeitung in Wertpapierdienstleistungsunternehmen im Sinne von § 2 Abs. 10 WpHG wird durch § 80 Abs. 1 Satz 3 WpHG i. V. m. Art. 26 der Delegierten Verordnung (EU) 2017/565 geregelt. Diese Anforderungen werden durch das Rundschreiben 05/2018 (WA) - Mindestanforderungen an die Compliance-Funktion und weitere Verhaltens-, Organisations- und Transparenzpflichten (MaComp) konkretisiert, das zuletzt am 15.07.2021 aktualisiert wurde,17) sodass für beaufsichtigte Unternehmen, die Wertpapierdienstleistungen oder Wertpapiernebendienstleistungen anbieten, sowohl das Rundschreiben zu den Mindestanforderungen an das Beschwerdemanagement als auch die Regelungen für Wertpapierdienstleistungsunternehmen Geltung besitzen.

Definitorisch und inhaltlich überlagern sich die Anforderungen der beiden Rundschreiben; allerdings bestehen für Wertpapierdienstleistungsunternehmen weitergehende und strengere Vorgaben als für beaufsichtigte Unternehmen, die keine Wertpapierdienstleistungen oder Wertpapiernebendienstleistungen anbieten.18) Die Anforderungen an das Beschwerdemanagement in den MaComp beziehen sich indessen nur auf diejenigen Beschwerden, die im Zusammenhang mit der Erbringung einer Wertpapierdienstleistung oder einer Wertpapiernebendienstleistung stehen.19)

So müssen Wertpapierdienstleistungsunternehmen zusätzlich jährlich einen Beschwerdebericht erstellen, der sich auf das abgelaufene Geschäftsjahr bezieht. In diesen Beschwerdebericht, der auf elektronischem Wege an die BaFin zu übermitteln ist, sind unter anderem die folgenden Angaben aufzunehmen: die Anzahl der Beschwerden, sowohl gesamt als auch aufgeschlüsselt insbesondere nach den einzelnen Wertpapierdienstleistungen, der Bearbeitungsstand der Beschwerden, die Beschwerdegründe unter Angabe der jeweiligen Fallzahlen, erfolgte Kulanzzahlungen, anhängige Gerichtsverfahren und Schlichtungsverfahren sowie personelle und organisatorische Konsequenzen aus den Beschwerdefällen.

Strengere Anforderungen an Wertpapierdienstleister

Des Weiteren werden für Wertpapierdienstleistungsunternehmen detailliertere Vorgaben für die Einbindung der Compliance-Funktion angeordnet. So hat die Compliance-Funktion Beschwerdedaten und deren Abwicklung zu prüfen, um sicherzustellen, dass alle Risiken und Probleme ermittelt und behoben werden.20) Die nach MaComp einzurichtende Beschwerdemanagementfunktion, die für die Prüfung von Beschwerden zuständig ist, kann hierbei auch von der Compliance-Funktion übernommen werden.21)

Eine weitere Verschärfung der Regelungen stellt die Verwendung des Wortes "unverzüglich" bei der Bestätigung von Beschwerdeeingängen dar,22) da dieser Begriff nach § 121 BGB legal als Ausführung ohne schuldhaftes Zögern definiert ist. Infolgedessen existiert diesbezüglich in den MaComp kein Auslegungsspielraum, so wie in der vergleichbaren Formulierung "ohne unnötige Verzögerung" in den Mindestanforderungen an das Beschwerdemanagement (Gemeinsames Rund schreiben BA, WA und VA 06/2018).23)

Die Gründe für diese verschärften Regelungen für Wertpapierdienstleistungsunternehmen liegen in dem erhöhten Risikopotenzial von Wertpapiergeschäften und den negativen Erfahrungen, die im Zuge der Finanzkrise der Jahre 2007/2008 gemacht wurden.24) Es bleibt abzuwarten, ob der wertpapieraufsichtsrechtlich geforderte Beschwerdebericht in Zukunft auch für diejenigen beaufsichtigten Unternehmen Relevanz besitzen wird, die keine Wertpapierdienstleistungen oder Wertpapiernebendienstleistungen erbringen.

Umsetzung der aufsichtsrechtlichen Anforderungen in der Praxis

Um die Auswirkungen der aufsichtsrechtlichen Vorgaben in der Praxis näher zu betrachten, wurden verschiedene Banken zu ihrem Umgang mit Beschwerden und den sich aus dem Gemeinsamen Rundschreiben BA, WA und VA 06/2018 ergebenden Implikationen befragt. Der Vergleich ausgewählter Banken hat gezeigt, dass Beschwerden in jedem Institut als Chance aufgefasst werden. Sie ermöglichen es, bestehende Prozesse zu optimieren und durch das gezielte Eingehen auf die Probleme der Kunden deren Zufriedenheit wiederherzustellen oder sogar zu verbessern. Allgemein wird von den befragten Banken in Kundenbeschwerden ein enormes Potenzial gesehen, sofern die Beschwerden professionell bearbeitet und ausgewertet werden. Es wurde ersichtlich, dass die Veröffentlichung des Gemeinsamen Rundschreibens BA, WA und VA 06/2018 zu den Mindestanforderungen an das Beschwerdemanagement in der Praxis als Gelegenheit genutzt wurde, die bisherigen Organisationsrichtlinien zum Beschwerdemanagement zu hinterfragen und an die neuen aufsichtsrechtlichen Anforderungen anzupassen. Zur Umsetzung der Anforderungen des Rundschreibens wurden interne Vorkehrungen getroffen sowie bestehende Verfahren zur Beschwerdebearbeitung überarbeitet beziehungsweise ergänzt.

Die Beschwerdemanagementfunktion wurde allerdings institutsindividuell in unterschiedlichen Bereichen angesiedelt. So erfolgte beispielsweise eine Integration der zentralen Beschwerdebearbeitung in die Compliance-Abteilung beziehungsweise eine Zuweisung in den Aufgabenbereich des Vorstandsstabs.

Die neuen Vorgaben wurden von den befragten Banken zudem zum Anlass genommen, neue digitale Softwarelösungen zur Beschwerdebearbeitung einzuführen. Diese Tools übernehmen als Beschwerdemanagementsysteme die Funktion des von der Aufsicht geforderten Beschwerderegisters. In diesen Tools werden alle Bearbeitungsschritte von der Erstaufnahme bis zur finalen Klärung der Beschwerde erfasst. Sie geben damit allen Beteiligten in der Bank sowie der BaFin die Möglichkeit einer Einsichtnahme und erlauben zusätzlich eine systematische und prozessbezogene Auswertung sämtlicher Beschwerden. Hierdurch können die Banken sowie die BaFin einen fundierten Gesamtüberblick über alle Beschwerden erlangen, sodass möglicherweise bestehende Problemfelder und interne Schwachstellen rechtzeitig identifiziert werden können.

Unpräzise Formulierung lässt Interpretationsspielraum zu

Betrachtet man die gesamte Thematik vor dem Hintergrund einer praktikablen Umsetzung, so erweist sich vor allem die unpräzise Formulierung der Beschwerdedefinition in den beiden Rundschreiben als (großes) Problem. In der Praxis führt die weit gefasste Beschwerdedefinition der BaFin bei der Einordnung aufsichtsrechtlich relevanter Beschwerden immer wieder zu Interpretations- und Diskussionsbedarf. Daraus resultierend hat jedes der befragten Institute für sich eine eigene Beschwerdedefinition in Anlehnung an die aufsichtsrechtlichen Anforderungen formuliert. Dies bietet den Banken jedoch gleichzeitig einen gewissen Interpretationsspielraum, ob eine eingegangene Beschwerde auch aufsichtsrechtliche Relevanz besitzt.

Ohnehin führt die Umsetzung der regulatorischen Anforderungen, unter anderem aufgrund der vorgesehenen ausführlichen Dokumentation, zu einem administrativen Mehraufwand. Ein solcher Mehraufwand ergibt sich auch aus dem in den Rundschreiben geforderten Hinweis auf außergerichtliche Streitbeilegungsverfahren, da Kunden von dieser Möglichkeit zunehmend Gebrauch machen. Zusammen mit den in den vergangenen Jahren in vielen anderen Bereichen bereits gestiegenen regulatorischen Anforderungen stellt dies die Banken vor zusätzliche Herausforderungen, die es auch unter Kostengesichtspunkten zu bewältigen gilt.

Das Beschwerdemanagement im Finanzsektor hat mit den neuen aufsichtsrechtlichen Anforderungen eine immense Aufwertung erhalten. Während die aufsichtsrechtlich verfolgte Vereinheitlichung der Systematik im Umgang mit Beschwerden zu einer gewissen Vergleichbarkeit und Transparenz bei den einzelnen beaufsichtigten Unternehmen führt, hat vor allem die weit gefasste aufsichtsrechtliche Definition des Beschwerdebegriffs in der Praxis Unsicherheiten und Probleme zur Folge. So wird zu Recht kritisiert, dass die beiden Rundschreiben trotz umfangreicher Erläuterungen an einzelnen Stellen zu unpräzise sind.25) Die sehr weit gefasste Beschwerdedefinition erlaubt aber auch einen institutsindividuellen Interpretationsspielraum. Für die beaufsichtigten Unternehmen ist gleichwohl mit der Umsetzung der aufsichtsrechtlichen Anforderungen ein erheblicher bürokratischer und personeller Mehraufwand verbunden.

Oftmals liegt der Fokus der beaufsichtigten Unternehmen nur auf den Belastungen, die durch das Beschwerdemanagement verursacht werden.26) Eine solche rein negative Betrachtung blendet allerdings die Chancen, die mit einer Beschwerdebearbeitung verbunden sind, aus. Ein systematisches Beschwerdemanagement sollte von den beaufsichtigten Unternehmen nicht nur wegen des regulatorischen Drucks durchgeführt werden, sondern vielmehr als ein wesentlicher Bestandteil ihres Qualitätsmanagements angesehen werden, das maßgeblich zur Bindung von Kunden beiträgt.27)

Verbesserung der Kundenbeziehung

Entsprechende Untersuchungen zur Kundenbindung nach einem Beschwerdefall kommen zu einer außergewöhnlichen Erkenntnis: Richtet ein Kunde eine Beschwerde an ein Unternehmen und wird diese zu seiner vollsten Zufriedenheit bearbeitet, so steigt die Zufriedenheit wieder an und das Kundenbindungsniveau nach dem Beschwerdefall liegt teilweise sogar über dem Niveau vor dem Beschwerdefall.28) Diese aus einer Beschwerde resultierende überdurchschnittlich hohe Kundenzufriedenheit wird auch als Beschwerde-Paradoxon bezeichnet.29) Die lukrativste Variante der Kundenbindung ist demgemäß die Verringerung der Unzufriedenheit von Kunden.30) So kann schon ein Rückgang der Unzufriedenheit um 5 Prozent eine Steigerung der Gewinne um 25 bis 85 Prozent herbeiführen.31)

Es kommt hinzu, dass mithilfe der Bearbeitung von Kundenbeschwerden Unternehmensmissstände sichtbar werden können.32) Kundenbeschwerden stellen eine kostengünstige Informationsquelle dar, spiegeln aktuelle Kundenbedürfnisse wider und zeigen konkrete Produkt- beziehungsweise Serviceerfahrungen auf.33) Hierdurch können bestehende Marktpotenziale erkannt werden.34) Beschwerden sind daher als eine Chance zu sehen, sich als Institut kontinuierlich zu verbessern und weiterzuentwickeln.

Aufsicht fördert Offenheit

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die aufsichtsrechtlich formulierten Anforderungen an das Beschwerdemanagement in der Finanzbranche einen offeneren und zum Teil einheitlicheren Umgang mit Beschwerden zur Folge haben. Sie leisten somit aus Sicht des einzelnen beaufsichtigten Unternehmens einen nicht zu unterschätzenden Beitrag sowohl zur Verbesserung der Kundenbeziehungen als auch zur Weiterentwicklung des eigenen Unternehmens - vorausgesetzt, die erfassten Beschwerdedaten erfahren nachgelagert eine hinreichende Berücksichtigung. Dieses Potenzial haben laut eigenen Aussagen auch die befragten Banken erkannt, weshalb ein effektives und effizientes Beschwerdemanagement losgelöst von aufsichtsrechtlichen Regelungen stets ein Ziel eines jeden beaufsichtigten Unternehmens sein sollte.

Fußnoten

1) Schäfer, Holger: Beschwerdemanagement bei der BaFin, BaFinJournal 3/2020, S. 18-21.

2) Vgl. zu den angeführten Beschwerdegründen BaFin: Jahresbericht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht 2020, abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/Downloads/DE/Jahresbericht/dl_jb_2020.pdf, S. 107-108, Stand: 16.07.2021.

3) Vgl. BaFin: Was macht die BaFin für Verbraucher?, abrufbar unter: https://www.bafin.de/DE/Verbraucher/BaFinVerbraucherschutz/BaFin/was_macht_die_bafin_node.html, Stand: 16.07.2021. Zu den Tätigkeitszielen der Bankenaufsicht in Deutschland vgl. ausführlich Bieg, Hartmut; Krämer, Gregor; Waschbusch, Gerd: Tätigkeitsziele der Bankenaufsicht in der Bundesrepublik Deutschland, in: Bankenaufsicht in Theorie und Praxis, hrsg. von Hartmut Bieg u. a., 5. Aufl., Frankfurt am Main 2021, S. 76-80. Zum kollektiven Verbraucherschutz als Ziel der Bankenaufsicht vgl. auch Waschbusch, Gerd: Stichwort "kollektiver Verbraucherschutz", in: Gabler Banklexikon (K-Z), hrsg. von Ludwig Gramlich u. a., 15. Aufl., Wiesbaden 2020, S. 1198-1199.

4) Vgl. Gemeinsamer Ausschuss der Europäischen Aufsichtsbehörden: Final Report on guidelines for complaints-handling for the securities (ESMA) and banking (EBA) sectors, abrufbar unter: https://www.esma.europa.eu/sites/default/files/library/2015/11/jc_2014_43_-_joint_committee_-_final_report_complaints-handling_guidelines.pdf, Stand: 16.07.2021; Gudat, Christian: Beschwerdemanagement als Wettbewerbsvorteil, abrufbar unter: https://www.bankingclub.de/news/compliance/beschwerdemanagement-als-wettbewerbsvorteil/, Stand: 16.07.2021; Neitzert, Anette: Die Beschwerdebearbeitung im Wertpapierdienstleistungsunternehmen, in: Handbuch Beschwerdemanagement, hrsg. von Anette Neitzert, 2. Aufl., Heidelberg 2019, Rz. 4-5.

5) Vgl. Bakertilly: Finanzbranche: Neue Anforderungen an das Beschwerdemanagement, abrufbar unter: https://www.bakertilly.de/news/detail/finanzbranche-neue-anforderungen-an-das-beschwerdemanagement.html, Stand: 16.07.2021.

6) Vgl. BaFin: Gemeinsames Rundschreiben BA, WA und VA 06/2018 - Mindestanforderungen an das Beschwerdemanagement, geändert am 23.01.2020, abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Rundschreiben/2018/rs_18_06_beschwerdemanagement_vbs.html, Stand: 16.07.2021.

7) Vgl. Schäfer, Holger (Fn. 1), S. 19-21. 8

) Vgl. BaFin (Fn. 6) i. V. m. BaFin: Rundschreiben 05/2018 (WA) - Mindestanforderungen an die Compliance-Funktion und weitere Verhaltens-, Organisations- und Transparenzpflichten - MaComp, geändert am 15.07.2021, abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Rundschreiben/2018/rs_18_05_wa3_macomp.html, Stand: 16.07.2021.

9) Vgl. BaFin (Fn. 6), Vorbemerkungen 1 i. V. m. A.4-6a.

10) BaFin (Fn. 6), B.8.

11) Vgl. hierzu sowie zu dem Nachfolgenden BaFin (Fn. 6), B.8.

12) Vgl. hierzu sowie zu dem Nachfolgenden BaFin (Fn. 6), C.9-13 sowie D.19.

13) BaFin (Fn. 6), C.14.

14) Vgl. BaFin (Fn. 6), C.14.

15) Vgl. hierzu sowie zu dem Nachfolgenden BaFin (Fn. 6), D.15-18.

16) Vgl. hierzu sowie zu dem Nachfolgenden BaFin (Fn. 6), D.22-25.

17) Vgl. BaFin (Fn. 6) i. V. m. BaFin (Fn. 8).

18) Vgl. hierzu sowie zu dem Nachfolgenden BaFin (Fn. 8), BT 12.2.

19) Vgl. BaFin (Fn. 8), BT 12.1.1 Nr. 1.

20) Vgl. BaFin (Fn. 8), BT 12.1.3. Nr. 4.

21) Vgl. BaFin (Fn. 8), BT 12.1.2. Nr. 6.

22) Vgl. BaFin (Fn. 8), BT 12.1.3. Nr. 10.

23) Vgl. BaFin (Fn. 6), D. 22.

24) Vgl. Hausstein-Teßmer, Oliver: Das Millionengrab der deutschen Kleinanleger, abrufbar unter: https://www.welt.de/finanzen/article2515362/Das-Millionengrab-der-deutschen-Kleinanleger.html, Stand: 16.07.2021.

25) Vgl. hierzu sowie zu dem Nachfolgenden Gudat, Christian (Fn. 4).

26) Vgl. Neitzert, Anette (Fn. 4), Rz. 36.

27) Vgl. Meffert, Heribert; Bruhn, Manfred: Beschwerdeverhalten und Zufriedenheit von Konsumenten, Die Betriebswirtschaft 4/1981, S. 597-601.

28) Vgl. Nink, Marco: Das Wohlwollen der Kunden zurückgewinnen, Die Bank 3/2010, S. 49-52.

29) Vgl. Lubritz, Stefan: Kundenzentrierte Unternehmensführung, Stuttgart 2019, S. 87.

30) Vgl. Jeschke, Kurt: Beschwerdemanagement - Grundlagen und Konzepte, in: Beschwerdemanagement in der Praxis, hrsg. von Frank Kukat, Düsseldorf 2005, S. 14.

31) Vgl. Reichheld, Frederick F. Sasser Jr.; William Earl: Zero defections: quality comes to services, Harvard Business Review 5/1990, S. 109-110.

32) Vgl. Fleig, Jürgen: Bedeutung des Beschwerdemanagements, https://www.business-wissen.de/hb/bedeutung-des-beschwerdemanagements/, Stand: 16.07.2021.

33) Vgl. Jeschke, Kurt (Fn. 30), S. 16.

34) Vgl. Homburg, Christian; Fürst, Andreas: Complaint Management Excellence, abrufbar unter: https://madoc.bib.uni-mannheim.de/42444/1/M073_Complaint%20Management%20Excellence.pdf, S. 1, Stand: 16.07.2021.

Unser besonderer Dank gilt Cécile Gläs, B. Sc. und Noemi Pirritano, B. Sc., beide Masterstudentinnen im Studiengang "Wirtschaft und Recht" an der Universität des Saarlandes, für ihre wertvollen Recherchearbeiten und Hinweise bei der Erstellung dieses Beitrags.

Univ.-Prof. Dr. Gerd Waschbusch , Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Bankbetriebslehre , Universität des Saarlandes
Dr. Sabrina Kiszka , Wissenschaftliche Mitarbeiterin , Lehrstuhl für Bankbetriebslehre, Universität des Saarlandes, Saarbrücken
Stefanie Valesca Hippchen , Masterstudentin im Studiengang Betriebswirtschaftslehre , Universität des Saarlandes

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