Bedeutung nachhaltiger Faktoren im Rating und Pricing

Prof. Dr. Konrad Wimmer, Foto: msg GillardonBSM AG

Die aktuelle vom Starkregen verursachte Hochwasserkatastrophe in Teilen Deutschlands zeigt, dass unzureichende Maßnahmen zum Klimaschutz auch vor unserer "Haustür" menschliche wie volkswirtschaftliche Konsequenzen haben können. Es gilt ökologische und ökonomische Faktoren intelligent zu verknüpfen. Die Autoren argumentieren für den Einbezug nachhaltiger Aspekte in die Beurteilung von Investitionsobjekten, wodurch sich ökonomische Fehlbewertungen in der Zukunft weitestgehend vermeiden ließen. Am Beispiel der Immobilienbewertung zeigen die Autoren auf, wie ökologische und ökonomische Kenngrößen Einfluss auf die Risikobewertung von Investitionsobjekten und den damit verbundenen Cashflow haben. In Zukunft würden bestehende Risikomodelle ohne eine Einbindung dieser Analysen ihre Fähigkeit verlieren, zutreffende Bonitätsbeurteilungen vorzunehmen, so die Autoren. (Red.)

Die Covid-19-Pandemie und ihre Folgen haben die Transformation der Gesellschaft und Wirtschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit auf den ersten Blick verzögert, wenn nicht gar gebremst. Auf der Tagesordnung fanden sich seit Anfang 2020 dringlichere Punkte. Auf den zweiten Blick stellt man jedoch fest, dass die Entwicklung Fahrt aufgenommen hat. Mehr noch: Die gewaltigen Finanzmittel, die die Politik investiert, um die wirtschaftlichen Pandemieeffekte zu mildern beziehungsweise zu kompensieren, fungieren als eine entscheidende Weichenstellung. Ziel muss es sein, die Finanzströme in erster Linie in nachhaltige Investitionsobjekte zu lenken. Nach der aktuellen starkregenbedingten Hochwasserkatastrophe Mitte Juli 2021 in NRW, Rheinland-Pfalz und im Süd-Osten Bayerns gilt dies erst recht für den notwendigen Wiederaufbau der Infrastruktur.

Erst Anfang Juli dieses Jahres veröffentlichte die Europäische Zentralbank zusammen mit dem ESRB (Europäische Ausschuss für Systemrisiken) die Studie "Climate-related risk and financial stability", in der auf das in Deutschland gestiegene Risiko für Überschwemmungen hingewiesen wird. Darauf müssen sich private Haushalte, Versicherungen und Banken vorbereiten. Circa 30 Prozent des Kredit-Exposures im Euroraum sind an nichtfinanzielle Unternehmen vergeben, die für mindestens einen physischen Risikotreiber ein hohes oder ein steigendes Risiko haben.

Folgen für Deutschland

Die Mitte Juni erschienene Klimawirkungs- und Risikoanalyse 2021 des Bundesumweltamtes für Deutschland (KWRA 2021) beschreibt die Klimarisiken bezogen auf Deutschland. Unter anderem nennt die Studie - leider fast wie eine Prophezeiung - Starkregen und damit verbundene Überschwemmungen, die Gebäude, Anlagen und Verkehrswege bedrohen. Der Analyse können auf Deutschland bezogen die prognostizierten Konsequenzen für die Bereiche naturnutzende Wirtschaftssysteme, naturferne Wirtschaftssysteme, natürliche Ressourcen, Infrastrukturen und Gebäude sowie Menschen und soziale Systeme mit und ohne Anpassungsmaßnahmen entnommen werden. Leider gilt zusammenfassend: "Klimawirkungen aus dem Systembereich 'Natürliche Systeme und Ressourcen' haben viel häufiger ausgehende Wirkbeziehungen, das heißt sie sind vorgelagert und wirken auf nachgelagerte Klimawirkungen in anderen Systembereichen ein. Mehr als die Hälfte aller ausgehenden Wirkbeziehungen entfallen auf diesen Systembereich."

Abbildung 1: Nachhaltigkeit als Bestandteil des (Firmenkunden-)Ratings Quelle: Wimmer/Ender (2020): Finanzwirtschaft und Nachhaltigkeit, FLF 2/2020, S. 22. Vgl. zum prinzipiellen Aufbau eines Kreditratings Initiative Finanzstandort Deutschland, Rating-Broschüre, o. J., S. 3; finanzstandort.de.

Eine klimapolitische Lösung, um die physischen Risiken des Klimawandels noch so weit wie möglich zu begrenzen, ist deshalb so schwer zu finden, da es sich beim Klima im wirtschaftswissenschaftlichen Sinn um ein öffentliches Gut handelt. Niemand kann vom Konsum dieses Produkts ausgeschlossen werden. Beim Konsum liegt eine Nichtrivalität vor. Das heißt, wenn Menschen unter guten klimatischen Bedingungen leben, steht anderen Menschen dadurch nicht unmittelbar weniger gutes Klima zur Verfügung.

Klassisches Marktversagen

Diese Eigenschaften des öffentlichen Guts Klima führen zu den seit vielen Jahrzehnten bekannten Fehlanreizen für die Marktakteure. Agieren die einzelnen Verbraucher finanzwirtschaftlich rational, so verursacht eine Anpassung an einen nachhaltigeren Lebensstil zunächst nur Kosten, denen "heute" unmittelbar kein finanzwirtschaftlicher Nutzen gegenübersteht. Dieser tritt, wenn überhaupt, erst in einer mehr oder weniger fernen Zukunft ein. Ökonomisch betrachtet haben die Marktakteure somit unter diesem Aspekt kaum einen Anreiz für ökologisches Handeln. Es liegt ein klassisches Marktversagen vor, da externe Effekte nicht entsprechend internalisiert werden: negative Auswirkungen ökonomischer Produktions- und Konsumentscheidungen zu Lasten Dritter bleiben bislang überwiegend ohne finanzielle Kompensation, obwohl die Produktion und der Konsum dieser Produkte durch den CO2 - beziehungsweise Methan-Ausstoß das Klima schädigen.

Oder kurzgefasst: Die Folgen des Klimawandels sind nicht im Flugticket oder im Fleischpreis enthalten. Neben dieser zeitlichen Dimension erschwert die räumliche Verteilung der Auswirkungen des eigenen Handelns die Lage, da diese erst einmal nicht im direkten Umfeld des Akteurs spürbar sein werden, sondern sich in entfernten Regionen abspielen. Die Konsequenzen des eigenen Handelns werden zeitlich und regional so verschoben, dass sie schlicht als nicht relevant eingestuft werden. Wie aber kann das klassische Marktversagen korrigiert werden?

Erstens kann ein Bewusstseinswandel in der Gesellschaft zur Ächtung nicht ökologischen Handelns führen. Dies verändert die rein finanzwirtschaftliche Rationalität zugunsten eines ganzheitlichen Rationalitätsbegriffs. Soweit erkennbar, findet dieser Prozess gerade bei der jüngeren Generation statt. Inwieweit dieser Prozess überhaupt zu einer Veränderung des Konsum- und Investitionsverhaltens führt und wie lange dieser Prozess dauert, um ökologische Wirkungen zu entfalten, ist schwer abschätzbar.

Zweitens können verbindliche staatliche Vorgaben in Form von Ge- beziehungsweise Verboten Verhaltensweisen verändern. Auf die Kreditvergabeentscheidung von Banken übertragen, dürften beispielsweise nicht grüne Investitionen nicht mehr durchgeführt werden. Derartige Vorgaben sind jedoch politisch kaum durchsetzbar und könnten als Bevormundung der Bevölkerung verstanden werden.

Drittens kann ökologisches (nicht ökologisches) Verhalten belohnt (bestraft) werden, zum Beispiel über günstigere (höhere) Preise. Auf die Kreditvergabeentscheidung von Banken übertragen wären beispielsweise nicht grüne Investitionen nur zu höheren Kreditzinsen finanzierbar, weil die Kreditgeber höhere Adressausfallrisiken einpreisen müssten. Dieser Weg hat den Vorteil, sehr schnell wirksam werden zu können. Die Lenkung über die Preisveränderung hat zudem den Vorteil, dass sie konform zu den marktwirtschaftlichen Prinzipien ist.

Seit Januar 2021 gibt es mit der neuen CO2 -Steuer in Deutschland ein staatliches Instrument, um externe negative Effekte, die bei der Emission von CO2 entstehen, zu internalisieren. Das heißt, die Kosten für zum Beispiel Benzin oder Heizöl steigen, was zu einem Marktgleichgewicht bei geringerem Konsum führen sollte. Durch die Einnahmen könnten die Leidtragenden der externen negativen Effekte entschädigt werden. Kritischen Studien zufolge ist der aktuelle Preis mit 25 Euro pro Tonne in 2021 jedoch zu niedrig, um bereits eine Lenkungswirkung zu entfalten. Immerhin ist dies der richtige Schritt, externe Effekte zu internalisieren. Eine vierte Möglichkeit, diesen Teufelskreis zu durchbrechen, bieten Innovationen und technischer Fortschritt. Diese müssen jedoch finanziert werden, was ebenfalls unmittelbar die Kreditvergabeentscheidung der Kreditinstitute betrifft. Die Finanzströme werden in die richtige Richtung gelenkt und daran zeigt sich der bedeutsame Einfluss der Finanzwirtschaft auf die Lösung des Klimaproblems.

Abbildung 2: Life-Cycle-Konzept Quelle: Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP, Abteilung Ganzheitliche Bilanzierung

Mehr noch: Durch die bewusste Annahme dieser neuen Rolle als konsequente Finanzierer nachhaltiger Investitionen entstehen für die Kreditinstitute neue Marktchancen durch die Anpassung ihres Geschäftsmodells. So können neue Kundengruppen erschlossen werden, neu gestaltete Produkte zu höheren Margen führen, aber auch Mitarbeiter gewonnen beziehungsweise gehalten werden. Institute, die diesen Weg beschreiten, generieren Wettbewerbsvorteile.

Banken mit Schlüsselposition

Die Kreditwirtschaft nimmt offensichtlich eine Schlüsselrolle bei der Transformation ein, da die Kreditvergabeentscheidung ausgezeichnet geeignet ist, zwischen - plakativ formuliert - grünen und grauen Investitionen zu selektieren. Seit 2019 wird dies verstärkt durch die deutsche und die europäische Bankenaufsicht betont. Auf das BaFin-Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken Ende 2019 für national beaufsichtigte Institute folgte im November 2020 die finale Version des "Leitfaden zu Klima- und Umweltrisiken" der EZB.

In diesem Leitfaden formuliert die EZB dreizehn Erwartungen an bedeutende, von der EZB direkt beaufsichtigte Institute im aufsichtlichen Dialog. Zum Beispiel sollen die Institute Klima- und Umweltrisiken in ihre Geschäftsstrategie aufnehmen und kurz-, mittel- sowie langfristige Auswirkungen auf ihr Geschäftsmodell analysieren. Das Rahmenwerk für den Risikoappetit und für das Risikomanagement soll explizit auch Klima- und Umweltrisiken enthalten. Zuständigkeiten für die Steuerung sollten entsprechend geregelt sein. Explizit erwähnt der Leitfaden auch den Kreditgewährungsprozess, bei dem in allen relevanten Stufen Klima- und Umweltrisiken einbezogen und überwacht werden sollen.

Daraus ergibt sich für den gesamten Kreditprozess ein Anpassungsbedarf. Instrumente zur Messung der Klima- und Umweltrisiken müssen bei den Banken entwickelt und neue Datenquellen integriert werden. Bereits seit 30. Juni 2021 sind die Leitlinien des Final Report on Guidelines on loan origination and monitoring in Kraft getreten. Durch die Leitlinien soll die Qualität der Neukredite bei europäischen Instituten gesteigert werden. Neben Vorgaben zum Konsumentenschutz und zur Geldwäschebekämpfung sollen gemäß Tz. 56 die Institute ESG-Faktoren (ESG = Environment, Social and Governance - Umwelt, Soziales und Unternehmensführung) und damit verbundene Risiken in ihre Strategien für den Kreditrisikoappetit, die Kreditrisikoneigung und das Kreditrisikomanagement sowie in ihre Strategien und Verfahren für das Kreditrisiko aufnehmen.

Außerdem sollen die Institute qualitative und quantitative Ziele fixieren, um die Vergabe ökologisch nachhaltiger Kredite zu fördern (Tz. 59). Außerdem sollen die mit ESG-Faktoren verbundenen Risiken des Kreditnehmers Eingang bei der Kreditvergabeentscheidung finden (Tz. 126, 146). Bei einem erhöhten ESG-Risiko ist das aktuelle Geschäftsmodell des Kreditnehmers eingehender zu analysieren, zum Beispiel in Bezug auf die tatsächlichen und geschätzten Treibhausgasemissionen und die voraussichtlichen Auswirkungen von ESG-Vorschriften auf die Finanzlage des Kreditnehmers (Tz. 149).

EU-Taxonomie nimmt Form an

Bei der Deklarierung einer Kreditvergabeentscheidung oder einer Wertpapieremission mit dem Etikett grün kommt es entscheidend darauf an, welche objektiven Kriterien gelten sollen. Die am 22. Juni 2020 rechtswirksam verabschiedete EU-Taxonomie ist als erster Meilenstein anzusehen. Ende April 2021 wurden für die beiden ersten Umweltziele der EU-Taxonomie "Klimaschutz" und "Anpassung an den Klimawandel" technische Evaluierungskriterien veröffentlicht, um anhand dieser konkret entscheiden zu können, ob eine Wirtschaftstätigkeit einen wesentlichen Beitrag zu den Umweltzielen leistet und die anderen Umweltziele nicht wesentlich negativ beeinträchtigt.

Parallel zur EU-Taxonomie wurde ein neuer Richtlinienvorschlag zur Nachhaltigkeitsberichtserstattung der Unternehmen (Corporate Sustainability Reporting Directive - CSRD) veröffentlicht. Dieser sieht eine Ausweitung der Berichtspflicht auf wesentlich mehr Unternehmen vor und schließt auch mittelständische Unternehmen mit ein. Des Weiteren soll der Nachhaltigkeitsbericht in den Lagebericht integriert werden und eine externe Prüfung verpflichtend werden. Aus Bankensicht ist eine Ausweitung der Nachhaltigkeitsberichterstattung weg von wenigen qualitativ gefüllten Seiten hin zu belastbarem Zahlenmaterial zu begrüßen, da Nachhaltigkeitsberichte so zu einer zentralen Datenquelle im Kreditvergabeprozess werden.

Am 23. Juni 2021 folgte die Veröffentlichung des EBA Report on Management and Supervision of ESG risks for Credit Institutions and Investment Firms, in dem Banken aufgefordert werden, Pläne zum Umgang mit Klimarisiken über einen strategischen Zeithorizont von zehn Jahren aufzustellen. ESG-Risiken müssen in die Geschäftsstrategie und das Risikomanagement aufgenommen werden. Banken sollen aufzeigen, wie ESG-Risiken bewältigt werden können und wie widerstandsfähig das Institut in verschiedenen Szenarien ist. Bezüglich der Methoden zur Messung der ESG-Risiken wird der EBA Report konkreter und schlägt drei Methoden, die Portfolio Alignment Method, die Risk Framework Method mit Klimastresstests und die Exposure Method, vor.

Mit der bereits zu Beginn erwähnten Studie der EZB und ESRB zu "Climate-related risk and financial stability" schließt sich der Kreis der aktuellen regulatorischen Entwicklungen. Die hohe Frequenz der relevanten Veröffentlichungen im ersten Halbjahr 2021 zeigt den vorhandenen Handlungsdruck auf.

Die Politik forciert auf allen Ebenen das Thema Sustainable Finance und ungeachtet (oder gerade wegen) der Covid-19-Pandemie wird am ursprünglichen Fahrplan festgehalten. Insbesondere die Taxonomie schafft hier Rechtssicherheit - insofern verbleibt an dieser Stelle, die ökonomische Bewertung eines Investitionsobjekts unter Nachhaltigkeitsbetrachtungen zu analysieren. Konventionelle Verfahren der Investitionsrechnung erweisen sich als unzureichend, um alle Aspekte der Nachhaltigkeit vollumfänglich zu bewerten.

Dies betrifft damit sowohl die Kreditvergabeentscheidungen der Banken (unzureichende Nachhaltigkeit als Ablehnungskriterium) als auch die Bewertung von Sicherheiten, etwa Immobilien im Zuge der Kreditvergabe. Sie erstreckt sich aber auf sämtliche zu bewertende Investitionsobjekte wie Fertigungsanlagen. Anpassungen in Bezug auf das Rating, das als Ergebnis die Ausfallwahrscheinlichkeit des Kreditnehmers angibt und damit unmittelbar im Sinne der obigen Ausführungen zur Bepreisung von Nachhaltigkeitsrisiken beiträgt, sind unverzichtbar.

Neben branchenspezifischen Faktoren sollten demnach im Rating bei der Kreditentscheidung durch zusätzliche quantitative und qualitative individuelle Faktoren die Nachhaltigkeit des Kreditnehmers beziehungsweise des zu finanzierenden Objekts berücksichtigt werden (vergleiche Abbildung 1). Damit ergeben sich unmittelbare und erhebliche Konsequenzen in Bezug auf die bereits dargestellte Kreditvergabeentscheidung. Beispielsweise sieht das Merkblatt der BaFin die Erstprüfung einer Transaktion mit einem Kunden beziehungsweise Investitionsobjekt auf Nachhaltigkeitsrisiken vor. Das heißt, möglicherweise sind die oben skizzierten Ratingsysteme in Bezug auf die quantitativen und qualitativen Kriterien zu erweitern, etwa durch Einbeziehung einer Ökobilanz, wie sie auch schon für die Immobilienbewertung ausgefeilt vorliegt.

Bezieht man Nachhaltigkeitsfaktoren nicht in die Investitionsbewertung ein, so kommt es auch zu einer systematischen Fehlbewertung der Marktpreise, wie sie sich aktuell etwa im Immobilienmarkt bilden. Ursache ist das bislang erfolgte Ausblenden oder die unzureichende Berücksichtigung der ESG-Faktoren, wie nachfolgend am Beispiel der Immobilienbewertung gezeigt wird. Gemeinsam mit dem Fraunhofer IBP (Institut für Bauphysik IBP) transformiert msg GillardonBSM AG ökologische Kennzahlen in monetäre Größen: Die Bonitätsbeurteilung in Form des Ratings und die Bewertung von Investitionsobjekten verbessern sich dadurch markant. Das Prinzip wird am Beispiel der Immobilienbewertung deutlich.

Vorteile der umfassenden nachhaltigen Bewertung

Will man sich einer umfassenden Bewertung von Immobilien widmen, so stellt sich unmittelbar die Frage nach dem CO2-Fußabdruck des Immobilienportfolios beziehungsweise des Bauvorhabens. Allgemeiner formuliert ist zu klären, welche ökologischen Ziele verfolgt werden, zum Beispiel in Bezug auf die Reduzierung des CO2- und Wasser-Fußabdrucks sowie des Energiebedarfs. Anschließend sind die ökonomischen Konsequenzen abzuleiten. Letztere hängen wiederum unmittelbar davon ab, welche Strategien hinsichtlich der Baustoffe beim Kauf-/ Bauvorhaben gewählt werden. Daher sind verschiedene Alternativen unter ökologisch-ökonomischen Aspekten zu vergleichen. Jeweils kommt es auf eine stringente Bewertung über den Lebenszyklus hinweg an, denn nur so wird "zu Ende gedacht" bewertet (vergleiche Abbildung 2).

Die Quantifizierung der Umweltwirkungen eines Gebäudes oder einer Immobilie erfolgt üblicherweise mit der Methode der Ökobilanz. Generell versteht man unter Ökobilanz den ökologischen Teil der Nachhaltigkeitsbewertung. Hierbei wird bewertet, welche Umweltwirkungen die genutzten hergestellten Produkte auf die Umwelt haben - über ihren gesamten Lebenszyklus, von der Entnahme der Ressourcen aus der Natur, über die Nutzung der Produkte bis hin zu ihrem Lebensende. Für ein Produktsystem sind dies zum Beispiel lebenszyklusbezogene Prozessketten-, Stoff- und Energiestromanalysen entlang des jeweiligen kompletten Lebenswegs. Die Ökobilanz nach DIN EN ISO 140408) und DIN EN ISO 140449) stellt ein geeignetes Instrument zur Analyse und Bewertung von Umweltauswirkungen von Produktsystemen dar und kann durch andere methodische Ansätze erweitert werden.

Abbildung 3: Einteilung des Gebäudelebenszyklus nach DIN EN 15804 Quelle: DIN EN 15804:2014-07: Nachhaltigkeit von Bauwerken - Umweltproduktdeklarationen - Grundregeln für die Produktkategorie Bauprodukte, Beuth Verlag, Berlin, 2014

Eine der größten Herausforderungen unserer Zeit ist zweifelsohne der Klimawandel. Damit einhergehen auch der verantwortungsvolle Umgang mit Ressourcen und die Vermeidung von anthropogenen Umweltproblemen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung. In der Ökobilanz werden aber über den Beitrag zum allgegenwärtigen Klimawandel hinaus weiter relevante Umweltproblemfelder adressiert, wie zum Beispiel der Wasserbedarf (Wasser-Fußabdruck, Water Footprint), der saure Regen (das heißt die Versauerung von Böden, Stichwort Waldsterben, Versauerungspotenzial), die Bildung von Sommersmog (bodennahes Ozon, fotochemisches Oxidantienbildungspotenzial) oder die Überdüngung von Gewässern (Eutrophierungspotenzial).

Zusammensetzung der Ökobilanz

Die Methodik der Ökobilanz wird angewendet, um ökologische Auswirkungen von Produktsystemen systematisch zu erfassen (Istzustand) und mit den Erkenntnissen gezielt Produkte weiterzuentwickeln und zu verbessern (Sollzustand). Des Weiteren können Produktalternativen unter ökologischen Gesichtspunkten miteinander verglichen werden, um für eine definierte Anwendung die ökologisch vorteilhafteste Alternative auszuwählen. Grundlage sind die Zusammenstellung und Bewertung der Inputs, Outputs und der potenziellen Umweltauswirkungen eines Produktsystems während seines gesamten Lebenszyklus.

Für produzierende Unternehmen spielt die Ökobilanz als Grundlage für politische Entscheidungsprozesse oder für das Marketing eine zunehmend große Rolle. Hinzu kommt, dass in einigen Ländern und Branchen bereits obligatorische Vorgaben für Umweltkennzahlen ausschreibungsrelevant für öffentliche Vergabeverfahren sind oder werden, wie zum Beispiel in Schweden oder Frankreich. Dies kann unter anderem auch den Einkauf von Bauprodukten in öffentliche Ausschreibungen für Bau und Infrastruktur betreffen.

Abbildung 4: Basis Risikoanalyse Quelle: Wimmer/Ender/Ilg (2021): Nachhaltige Bewertung von Investitionsobjekten, die bank 01/2021, S. 22

Neben der Anwendung etablierter und genormter Methoden werden aktiv neue methodische Ansätze zur Abbildung und Bewertung von Nachhaltigkeit entwickelt. Verstärkt rücken dabei auch die SDGs (Sustainable Development Goals) in den Fokus. Die Untersuchungen befassen sich dabei mit Fragen der Nachhaltigkeit, die für die Industriegesellschaft besonders relevant sind - Unternehmen müssen dies als wichtigen Teilbereich in ihre strategische Planung integrieren.

Im Bauwesen sind konkrete Leitfäden und detaillierte Handlungsanweisungen zur Erstellung von Ökobilanzen auf Produktebene gegeben. So stellen Umweltproduktdeklarationen (Environmental Product Declarations - EPD) eine Typ-III-Umweltdeklarationen dar und sind nach DIN EN ISO 1402510) genormt. Hier ist die Ökobilanz ein wesentlicher Bestandteil, und es erfolgt zur Qualitätssicherung eine Prüfung durch unabhängige Dritte. Diese Umweltproduktdeklarationen bilden dann eine Datengrundlage für die ökologische Gebäudebewertung und decken die Lebenszyklusphasen nach DIN EN 15804 ab.

Im Rahmen einer ökologischen Gebäudebewertung sind die Gebäudebestandteile (Gebäudeelemente, Bauprodukte, Baustoffe), die notwendigen Prozesse (Instandhaltung, Austausch, Verwertung, Recyclingpotenziale) und die Nutzung von Energie im Betrieb zu berücksichtigen. Diese werden anschließend mit Ökobilanzdaten verknüpft. Das Ergebnis ist die Ökobilanz eines Gebäudes. Diese Vorgehensweise ist bereits etabliert. Ein darauf aufbauender Schritt kann die Nachhaltigkeitszertifizierung eines Gebäudes sein. Für Gebäude kann dies beispielhaft anhand des DGNB-Systems erfolgen. Erfasst werden dabei für ein Gebäude die folgenden Themenfelder: ökologische Qualität, ökonomische Qualität, soziokulturelle und funktionale Qualität, technische Qualität, Prozessqualität und die Standortqualität. Damit sind die drei Säulen der Nachhaltigkeit sowie weitere gebäudespezifische Aspekte abgedeckt.

Die Ökobilanz eines Gebäudes kann neben der Umweltbewertung die Funktion eines Planungsinstruments zur Risikobeherrschung sehr gut unterstützen. Eine Softwarelösung für eine ökologische Bewertung von Gebäuden ist bereits verfügbar, die konsequente Verknüpfung mit Kennzahlen zu ökonomischen Implikationen sowie die Überführung in eine zukunftsweisende Bewertung des Investitionsobjekts erfolgt aktuell anhand eines prototypischen Tools, das das Autorenteam derzeit entwickelt.

Risikoquantifizierung mithilfe des Cashflow at Risk

Die Cashflow-Ermittlung des Investitionsobjekts, hier der Immobilie, basiert ebenfalls auf den Phasen des Gebäudelebenszyklus (Abbildung 3). Die ökonomische Bewertung erfolgt "klassisch" anhand der Investitionsrechnung (Kapitalwertmethode). Der Cashflow-Ermittlung liegt dabei eine Planungsrechnung zugrunde, die mit einer Risikoabschätzung versehen sein sollte. Hierzu kann auf das Cashflowat-Risk-Modell zurückgegriffen werden. Hierfür werden die einzelnen Risikotreiber bestimmt, die den Cashflow vom Erwartungswert abweichen lassen können. Die Simulation dieser einzelnen Risikofaktoren liefert eine diskrete Verteilung aller möglichen Cashflow-Werte innerhalb des Planungshorizonts. In Abhängigkeit von der Streuung der Risikotreiber entsteht entweder eine enge, dicht beieinanderliegende Verteilung oder eine weite, breit gestreute.

Bestimmt man auf dieser Verteilung die Quantile analog zum Value-at-Risk-Ansatz, so können mit dem Cashflow at Risk das Risiko quantifiziert und unterschiedliche Handlungsalternativen hinsichtlich ihres Risikos verglichen werden. Beispiele für Risikotreiber, die bei Immobilienbewertungen den Cashflow beeinflussen, lassen sich leicht finden: die Baukosten, die Vermietungserträge und die Wertentwicklung der Immobilie. Je nach ökologischer Ausgestaltung der Immobilie unterliegen diese Schwankungen, die mit dem Cashflow-at-Risk-Ansatz berücksichtigt werden. Daraus resultiert schließlich die plakative Aussage: Mit einer Wahrscheinlichkeit von (zum Beispiel) 99 Prozent liegt der Cashflow innerhalb der Planperiode nicht unter xy Millionen Euro.

Hierbei kommen Szenarien und Simulationen zum Einsatz, die eine Risikoabschätzung, zum Beispiel hinsichtlich der Baukosten, der Vermietungserträge, der Leerstandquoten und der Wertentwicklung der Immobilie, ermöglichen. Weitere Risikotreiber sind in Abbildung 4 dargestellt.

Unser marktwirtschaftliches System muss Nachhaltigkeitseffekte schnellstmöglich internalisieren, das heißt, dass die Preise der produzierten Güter die gesamte Wertschöpfungskette bis hin zu den möglicherweise erst weit in der Zukunft anfallenden Entsorgungs- und Recyclingkosten abbilden ("Life-Cycle-Costing"). Für die Bankwirtschaft ist dies ebenfalls eine zentrale Botschaft. Wertpapieranlageentscheidungen der Bankkunden sind immer enger mit der Forderung nach "Green Investments" verbunden - ohne aussagefähige Gesamterfolgsrechnung bleibt es bei der Gefahr, dass Bank wie Kunde dem "Green Washing" ausgeliefert sind.

Ähnliches gilt für Kreditvergabeentscheidungen: Hier muss die Bank letztlich das Geschäftsmodell des Kreditnehmers sowie den Kreditgegenstand beurteilen. Ohne monetäre Einbindung ökologischer Kennzahlen verlieren die bestehenden Ratingsysteme perspektivisch betrachtet ihre Fähigkeit, zutreffende Bonitätsbeurteilungen vorzunehmen. Wie aufgezeigt, würden Investitionsobjekte und Sicherheiten mit falschen Marktwerten versehen.

Bei der Kreditvergabe kommt es zu falschen Entscheidungen (Kreditgewährung ja/nein) und zu nicht verursachungsgerechten Kreditzinsen, da Nachhaltigkeitsrisiken nicht beziehungsweise unzureichend Eingang finden. Wie ausführlich dargestellt, ist die Ökonomie auf die naturwissenschaftliche Expertise angewiesen. Der Ökobilanz kommt dabei eine Schlüsselfunktion zu - liefert sie doch den ökologischen Teil der Nachhaltigkeitsbewertung, und zwar umfassend im Sinne des Life-Cycle-Konzepts.

Fußnoten

1) ECB/ESRB Project Team on climate risk monitoring (2021): Climate-related risk and financial stability, https://www.ecb.europa.eu/pub/pdf/other/ecb.climateriskfinancialstability202107~87822fae81.en.pdf

2) Umweltbundesamt (2021): Klimawirkungs- und Risikoanalyse 2021 für Deutschland, S. 117, https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/5750/publikationen/2021-06-10_cc_26-2021_kwra2021_kurzfassung.pdf

3) Bach, S., Isaak, N., Kampfmann, L., Kemfert, C., Wägner, N. (2020): Nachbesserungen beim Klimapaket richtig, aber immer noch unzureichend: CO2-Preise stärker erhöhen und Klimaprämie einführen, DIW aktuell, No. 27, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin; Eichenberger, R., Stadelmann, D. (2020): Die politische Ökonomik der Klimapolitik: So wird ein Land mit Kostenwahrheit zum Vorbild beim Klimaschutz. GAIA-Ecological Perspectives for Science and Society, 29(3), 148-153.

4) EZB (2020): Leitfaden zu Klima- und Umweltrisiken, https://www.bankingsupervision.europa.eu/ecb/pub/pdf/ssm.202011finalguideonclimate-relatedandenvironmentalrisks~58213f6564.de.pdf

5) EBA/GL/2020/06 (29/05/2020), https://www.eba.europa.eu/sites/default/documents/files/document_library/Publications/Guidelines/2020/Guidelines%20on%20loan%20origination%20and...

6) EU Kommission (2021): Nachhaltiges Finanzwesen und EU-Taxonomie: Kommission unternimmt weitere Schritte, um Geld in nachhaltige Tätigkeiten zu lenken, https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/ip_21_1804

7) EBA/REP/2021/18, https://www.eba.europa.eu/sites/default/documents/files/document_library/Publications/Reports/2021/1015656/EBA%20Report%20on%20ESG%20risks%20man... and%20supervision.pdf

8) DIN EN ISO 14040:2009-11: Umweltmanagement Ökobilanz - Grundsätze und Rahmenbedingungen, Beuth Verlag, Berlin, 2009.

9) DIN EN ISO 14044:2006-10: Umweltmanagement Ökobilanz - Anforderungen und Anleitungen, Beuth Verlag, Berlin, 2006.

10) DIN EN ISO 14025:2011-10: Umweltkennzeichnungen und -deklarationen - Typ III Umweltdeklarationen - Grundsätze und Verfahren, Beuth Verlag, Berlin, 2011.

11) DIN EN 15804:2014-07: Nachhaltigkeit von Bauwerken - Umweltproduktdeklarationen - Grundregeln für die Produktkategorie Bauprodukte, Beuth Verlag, Berlin, 2014. http://www.beuth.de/de/ norm/din-en-15804/195229515

12) Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen - DGNB e.V. http://www.dgnb.de

13) Gleißner/Just/Kamarás (2017): Simulationsbasierter Ertragswert als Ergänzung zum Verkehrswert. Zeitschrift für Immobilienökonomie 3/2017.

14) Wimmer/Ender/Sedlbauer/Ilg (2021): Rating, Kreditvergabeentscheidung und Pricing - wie Nachhaltigkeit und Ökobilanzen die Kreditpraxis verändern, in: Wimmer/Schlottmann, Banking im Wandel, Eigenverlag msgGillardon Bretten.

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Die Autoren danken Herrn Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Phys. Klaus Peter Sedlbauer, TU München, Dr. Stefan Albrecht und Matthias Fischer, Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP, für ihre wertvolle Unterstützung bei der Erstellung dieses Beitrags.

Manuela Ender , Executive Business Consultant , msgGillardon AG
Dr. Robert Ilg , Chief Engineer, Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP, Stuttgart
Prof. Dr. Konrad Wimmer , Executive Partner Research & Strategische Themen , msg for banking ag, Frankfurt am Main

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