Carbon Footprints sind nicht gleich Carbon-Risiken

Prof. Dr. Marco Wilkens, Foto: Universität Augsburg

Die Bekämpfung des Klimawandels hat höchste gesellschaftliche Relevanz. Im Rahmen der Fridays-for-Future-Bewegung demonstrieren zehn -tausende Schülerinnen und Schüler auf der gesamten Welt für den Klimaschutz. Darüber hinaus existieren zahlreiche Initiativen, die für eine Berücksichtigung des Klimawandels auch bei Kapitalanlagen plädieren. Um die Klimawirkungen einer Kapitalanlage abzuschätzen, werden allerdings meist nur die historischen CO2 -Emissionen von beispielsweise Aktiengesellschaften (Carbon Footprints) betrachtet. Das BMBF Projekt Carbon Risk Management (CARIMA) zeigt darüber hinaus die mit den Finanzanlagen verbundenen Carbon-Risiken und -Chancen in finanzwirtschaftlicher Hinsicht auf. Dieser Beitrag verdeutlicht, dass man von den Carbon Footprints eines Unternehmens nicht einfach auf die Carbon-Risiken einer Aktie dieses Unternehmens schließen kann, sondern die Kennzahl Carbon Beta hinzuziehen sollte. (Red.)

Der Klimawandel hat deutlich spürbare Auswirkungen auf die Menschheit. Um eine weitere Erderwärmung zu verhindern, wurde mit dem Kyoto Protokoll von 1997 der Transitionsprozess der Wirtschaft hin zu einer emissionsarmen Ökonomie angestoßen. Der dafür aktuell wichtigste Meilenstein ist das Pariser Klimaabkommen im Jahr 2015. Hier haben sich 196 Staaten auf die Begrenzung der globalen Erwärmung auf deutlich unter 2 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter verständigt (Vereinte Nationen, 2015). Dieses Ziel soll vor allem durch die Reduktion von Treibhausgasemissionen erreicht werden.

Die Europäische Union (EU) hat sich daher zum Ziel gesetzt, die Emissionen bis 2030 um 40 Prozent im Vergleich zu 1990 zu verringern (EU, 2015). Dies hat zur Folge, dass Unternehmen ihre Geschäftstätigkeiten dekarbonisieren müssen, um weniger CO2 auszustoßen. Jedoch verläuft der Transitionsprozess weltweit zurzeit unterschiedlich: Während Deutschland die CO2-Emissionen im Jahr 2018 um 4,5 Prozent verringern konnte, erhöhte sich der Ausstoß in China um 2,5 Prozent. Insgesamt stiegen die weltweiten CO2-Emissionen 2018 um 1,7 Prozent (IEA, 2018). Um diesem Trend entgegenzuwirken, werden weitere klimapolitische Maßnahmen diskutiert, zum Beispiel die Einführung einer CO2 -Steuer und die Verknappung von Emissionszertifikaten in Emissionshandelssystemen. Diese zielen darauf ab, die CO2 -Emissionen deutlich zu verringern und den Transitionsprozess der Wirtschaft zur Green Economy weiter zu beschleunigen.

Diese Veränderungen in der Klimapolitik wirken sich stark auf die Unternehmen weltweit aus. Zahlreiche Unternehmen sind aufgrund des technologischen Wandels und der Abkehr von fossilen Rohstoffen neuartigen Risiken ausgesetzt, wie es beispielsweise auch die Diskussion über die Höhe und die Relevanz der "Stranded Assets" zeigt. Folglich stellt der Transitionsprozess ein erhebliches Risiko für Investoren und ihre Kapitalanlagen in Unternehmen dar. Dieses Risiko ist vor allem mittel- und langfristig relevant, darüber hinaus ist es systematischer Natur und kann somit nicht durch Diversifikation reduziert und eliminiert werden.

Neuartige Risiken für die Unternehmen

Diese im Weiteren als "Carbon-Risiken" bezeichneten Risiken umfassen alle positiven und negativen Auswirkungen auf Unternehmenswerte, die sich aus der Unsicherheit des Transitionsprozesses der Wirtschaft in Richtung einer grünen Wirtschaft ergeben, einschließlich aller politischen, technologischen und regulatorischen Risiken. Wichtig ist es, bereits an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass diese Carbon-Risiken potenziell alle Unternehmen betreffen, insbesondere sehr "braune", aber auch sehr "grüne" Unternehmen. Diese Carbon-Risiken sind daher bei allen Investitionsentscheidungen zu berücksichtigen.

Um die Klimaziele zu erreichen, sind die Finanzmittelflüsse mit dem Ziel einer emissionsarmen Ökonomie in Einklang zu bringen (Vereinte Nationen, 2015). Die Kennzahl Carbon Footprint (und Carbon-Intensität) ist mit Blick auf die angestrebte Reduktion des CO2 -Ausstoßes von Unternehmen zweifellos die zentrale Kennzahl. Letztlich müssen die Kapitalgeber die Green Economy durch die Bereitstellung von neuem Kapital für klimaschonende Projekte, notwendige Transitionstechnologien und nachhaltige Geschäftsmodelle finanzieren. In diesem Kontext sollen die Kapitalbewegungen von klimaschädlichen "braunen" zu klimaschonenden "grünen" Unternehmen dazu führen, dass klimabelastende Geschäftsmodelle zukünftig weniger profitabel sind und umgekehrt.

Carbon Footprints für die erste Einschätzung

Vor diesem Hintergrund veröffentlichte die EU einen Aktionsplan, um den jährlichen Investitionsbedarf von 180 Milliarden Euro zur Erreichung der Klimaziele der EU sicherzustellen (EU, 2018). Eine Maßnahme ist hier die Bereitstellung qualitativ hochwertiger Klimainformationen von Unternehmen für Investoren und zugleich die Entwicklung nachhaltiger Benchmarks für Kapitalanlagen (EU, 2018). Des Weiteren hat die EU eine Taxonomie erarbeitet, die eine Klassifizierung von ökonomischen Aktivitäten als nachhaltig ermöglicht (EU, 2019). Neben zahlreichen weiteren öffentlichen Initiativen beschäftigen sich auch privatwirtschaftliche Organisationen, wie zum Beispiel die Task Force on Climate-related Financial Disclosure (TCFD), mit der Frage, welche Informationen von Unternehmen und Vermögensverwaltern offengelegt werden sollten, um Kapitalflüsse klimaeffizient zu steuern.

Die TCFD schlägt beispielsweise für Aktien portfolios vor, einen wertgewichteten Durchschnitt der Carbon Footprints (weighted average carbon intensity) zu berechnen (TCFD, 2017). Als Carbon Footprint wird der größenbereinigte direkte und indirekte CO2 -Ausstoß (siehe GHG Protocol, 2015) eines Unternehmens ( i) in einem Jahr ( t) verstanden.

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Die sehr einfache Berechnung von Carbon Footprints ermöglicht Investoren eine erste Einschätzung darüber, wie "braun" oder "grün" die jeweilige Kapitalanlage ist. Sehr häufig wird diese Kennzahl aber auch zur Abschätzung des finanzwirtschaftlichen Risikos herangezogen, das sich aus den Unsicherheiten des Transitionsprozesses der Wirtschaft zur Green Economy ergibt (Carbon-Risiko). Das kann allerdings zu einer erheblichen Fehleinschätzung des Carbon-Risikos führen. So besitzen beispielsweise auch Banken hohe Carbon-Risiken durch die Finanzierung von emissionsintensiven Unternehmen, obwohl sie selbst nur sehr geringe Mengen CO2 ausstoßen.

Risikomanagement mit Carbon Beta

Aufgrund der recht begrenzten Aussagekraft der Carbon Footprints für Carbon-Risiken, bedarf es einer anderen Kennzahl zur Quantifizierung von Carbon Risiken, die nach Möglichkeit auch zum Management dieser Risiken eingesetzt werden kann. Dafür wurde im Rahmen eines zweijährigen BMBF-Projektes das Carbon-Risiko-Management-Konzept Carima entwickelt. Es basiert im Wesentlichen auf der Idee, die sich aus den Erwartungen des Transitionsprozesses der Wirtschaft resultierenden Schwankungen der Aktienkurse zu nutzen, um die klimabezogenen Risiken und Chancen für Finanztitel und Portfolios abzuschätzen. Das Carima-Konzept kann für zahlreiche Zielsetzungen und über verschiedene Anlageklassen hinweg ohne Verwendung fundamentaler Daten angewendet werden.

Bisher werden Carbon-Chancen und -Risiken für einzelne Unternehmen und gesamte Industrien über verschiedene Ansätze der Fundamentalanalyse abgeschätzt. Häufig wird so versucht, die Abhängigkeit der Unternehmenswerte von externen Faktoren zu quantifizieren, wie zum Beispiel in Abhängigkeit von der Entwicklung der CO2 Zertifikatspreise oder der potenziellen Einführung einer CO2-Steuer. Solche Überlegungen und Einschätzungen werden regelmäßig auch von professionellen Aktienanalysten im Rahmen von Unternehmensbewertungen durchgeführt und bei Kauf- und Verkaufsentscheidungen einbezogen. Sie beeinflussen daher auch laufend die Kurse von Aktien.

Folglich spiegeln sich die Einschätzungen der Analysten bezüglich der erwarteten Entwicklung des Transitionsprozesses der Wirtschaft hin zu einer Green Economy in den sich ständig ändernden Aktienkursen wider. Die auf dem Wandel des Transitionsprozesses basierenden Veränderungen der Aktienkurse sind somit ein guter Indikator für die Carbon-Risiken und -Chancen. Insofern setzt der kapitalmarktorientierte Ansatz von Carima die Anwendung der fundamentalen Ansätze der Aktienanalyse seitens der vielen Aktienanalysten der Welt voraus.

Das zentrale Maß zur Quantifizierung der Carbon-Risiken über das Carima-Konzept ist das Carbon Beta. Das Carbon Beta lässt sich unter Verwendung eines öffentlich zur Verfügung gestellten Carbon-Risiko-Faktors BMG (Brown-Minus-Green) über eine einfache lineare Regression berechnen. Dafür wird hier beispielhaft das weit verbreitete Vier-Faktormodell von Carhart (Carhart, 1997) um den Carbon-Risiko-Faktor BMG erweitert:

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Die zentrale Idee von Faktormodellen besteht darin, die Renditen von Aktien und damit auch deren Risiken in verschiedene Komponenten zu zerlegen. Eine dieser Komponenten ist die Sensitivität der Aktienrenditen auf unerwartete Veränderungen des Transitionsprozesses der Wirtschaft in Richtung der Green Economy. Das so für eine Aktie oder ein Aktienportfolio ermittelte Carbon Beta i bmg spiegelt die jeweilige aggregierte Abschätzung der Carbon-Risiken aus Sicht des Kapitalmarktes wider. Folglich besteht ein wesentlicher Vorteil des Carima-Konzepts darin, dass sich die Carbon-Risiken und -Chancen des Transitionsprozesses der Wirtschaft in Richtung einer Green Economy sehr einfach über Renditezeitreihen von Aktien und Aktienportfolios und ohne detaillierte klimarelevante Informationen über die jeweiligen Unternehmen abschätzen lassen. Weitere Informationen zum Carbon Beta finden sich im wissenschaftlichen Paper "Carbon Risk" von Görgen et al. (2019) und im Carima-Handbuch von Wilkens et al. (2019).

Carbon Footprint und Carbon Beta können divergieren

Abbildung 1 zeigt die Unterschiede zwischen Carbon Footprints und Carbon-Risiken anhand der Ergebnisse einer umfangreichen Analyse von über 2 000 Unternehmen auf.

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Für diese Analyse wurde für alle Unternehmen, die zwischen 2010 und 2016 ihre CO2 -Emissionen an das Carbon Disclosure Project (CDP) berichtet haben, sowohl der Carbon Footprint als auch das Carbon Beta berechnet. Anschließend wurden diese Unternehmen anhand dieser beiden Kennzahlen in (10-Prozent)-Dezile sortiert. Aus der Abbildung ergibt sich zum Beispiel, dass 182 Unternehmen (in der Abbildung rechts unten) einen Carbon Footprint im Bereich der 10 Prozent höchsten Carbon Foootprints aller Unternehmen und zugleich ein Carbon Beta im Bereich der 10 Prozent höchsten Carbon Betas aller Unternehmen aufweisen. Diese 182 Unternehmen gehören also zugleich zu den 10 Prozent "dreckigsten" Unternehmen (Carbon Footprint) und den 10 Prozent "riskantesten" Unternehmen bezüglich einer Beschleunigung des Transitionsprozesses der Wirtschaft in Richtung einer grünen Ökonomie.

Wenn die Carbon Footprints die Carbon-Risiken gut widerspiegeln würden, lägen die Unternehmen nach beiden Kennzahlen tendenziell in den gleichen Dezilen und somit auf der in der Abbildung abgetragenen Diagonalen. Das ist aber, wie aus der Abbildung klar hervorgeht, nicht der Fall. Folglich kann bei einer isolierten Betrachtung der Carbon Footprints eines Unternehmens nicht zwangsläufig auf dessen Carbon-Risiko, gemessen als Carbon Beta, geschlossen werden.

Einbeziehung beider Risikomaße in die Anlageentscheidung

Die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Carbon Footprints und Carbon-Risiken werden in einer zweiten Analyse für einzelne Sektoren genauer untersucht. Dafür werden erneut für alle Unternehmen beide Kennzahlen berechnet und die Unternehmen zusätzlich in zwölf Sektoren eingeteilt. Dann wird für jeden Sektor der durchschnittliche Carbon Footprint und das durchschnittliche Carbon Beta berechnet. Abbildung 2 zeigt die nach den Carbon Footprints im Uhrzeigersinn sortierten Ergebnisse für die jeweiligen Industrien.

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Es zeigt sich beispielsweise, dass in den emissionsintensiven Sektoren wie "Grundstoffe", "Nicht erneuerbare Energien" und "Versorgungsbetriebe" auch die höchsten Carbon-Risiken zu beobachten sind, dieses sich aber nicht eins zu eins in der Höhe der Carbon Footprints widerspiegelt. So hat der Sektor "Versorgungsbetriebe" die höchsten Carbon Footprints, aber nur das dritthöchste Carbon Beta. Ähnliches gilt für den Sektor "erneuerbare Energien", der insgesamt betrachtet das niedrigste Carbon Beta, aber den siebthöchsten Carbon Footprint aufweist. Die größte Diskrepanz der beiden Kennzahlen ist im Sektor "Finanzdienstleister" zu erkennen. Hier treten vor allem durch die Finanzierung von emissionsintensiven Unternehmen und Projekten hohe Carbon-Risiken auf, obwohl in diesem Sektor direkt nur sehr wenig CO2 ausgestoßen wird. Somit sind insbesondere auch Banken und Versicherungen von unerwarteten Veränderungen des Transitionsprozesses der Wirtschaft betroffen, was bei einer isolierten Betrachtung von Carbon Footprints nicht erkennbar ist.

Zusammenfassend ist zu empfehlen, sowohl Carbon Footprints als auch Carbon Betas in die Beurteilung von Kapitalanlagen einzubeziehen. Nur so können Investoren ihre Kapitalanlagen nachhaltig ausrichten und zugleich die Carbon-Risiken aufgrund des Transitionsprozesses der Wirtschaft hin zur Green Economy quantifizieren und managen.

Literaturverzeichnis

EU (2015): Intended Nationally Determined Contribution of the EU and its Member States.

EU (2018): Financing Sustainable Growth. EU Action Plan.

EU (2019): Taxonomy Technical Report.

Görgen, Maximilian; Jacob, Andrea; Nerlinger, Martin; Riordan, Ryan; Rohleder, Martin; & Wilkens, Marco (2020): Carbon Risk.

IEA (2019): Global Energy & CO2 Status Report. The latest trends in energy and emissions in 2018.

Ramelli, S.; Wagner, A. F.; Zeckhauser, R. J.; Ziegler, A. (2018): Stock Price Rewards to Climate Saints and Sinners: Evidence from the Trump Election. National Bureau of Economic Research Working Paper 25310. TCFD (2017): Recommendations of the Task Force on Climate-related Financial Disclosure.

Vereinte Nationen (2015): Framework Convention on Climate Change FCCC/CP/2015/L.9/ Rev.1 Adoption of the Paris Agreement.

Wilkens, Marco; Görgen, Maximilian; Jacob, Andrea; Nerlinger, Martin; Ohlsen, Henrik; Remer, Sven; Wagner, Bernd (2019): Carbon Risiken und Financed Emissions von Finanztiteln und Portfolios - Quantifizierung, Management und Reporting auf der Basis von Kapitalmarktdaten.

Prof. Dr. Marco Wilkens Inhaber des Lehrstuhls für Finanz- und Bankwirtschaft, Universität Augsburg
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Martin Nerlinger Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Lehrstuhl für Finanz- und Bankwirtschaft, Universität Augsburg
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Jonas Zink Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Lehrstuhl für Finanz- und Bankwirtschaft, Universität Augsburg
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Martin Nerlinger , Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Lehrstuhl für Finanz- und Bankwirtschaft, Universität Augsburg
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