Covid-19-Bekämpfung - zwischen Rettung von Leben und Bedrohung der Wirtschaft

Michael Altenburg, Foto: Studio Ecker

Der Autor befasst sich in diesem Beitrag mit der Frage nach der richtigen Strategie im Umgang mit der Corona-Pandemie. Er bezieht sich dabei auf eine Studie aus Großbritannien, die großen Einfluss auf die Entscheidungen der Politik entfaltet habe. Die Studie stellt zwei Strategien vor: Abbremsen (mitigation) oder Abblocken (supression). Die Politik habe sich in weiten Teilen für die radikalere Supression Strategy entschieden. Altenburg hält sogar weiterhin einen Überbietungswettbewerb der Politiker mit radikalen Maßnahmen für denkbar. Er erwartet dann allerdings wachsenden Widerstand aus der Bevölkerung, insbesondere mit zunehmender Dauer der Maßnahmen und vor allem in der jungen Generation, die einen negativen Einfluss auf ihre Bildungschancen befürchten könnte. In dem zunehmenden Lockdown der Wirtschaft sieht er zudem eine ökonomisch existenzielle Bedrohung für den gesamten Euroraum. (Red.)

Eine Studie des renommierten britischen Imperial College vom 16. März 2020 mit einer Diskussion von Strategien zur Minderung der Covid-19-Sterblichkeit und Vermeidung von Überbeanspruchungen des Gesundheitswesens durch nichtpharmazeutische Maßnahmen hatte weltweit und auf der Stelle durchschlagende Folgen.* Fast alle von der Corona-Pandemie betroffenen Länder führten umgehend strikt einschränkende Maßnahmen zur Reise- und Verkehrsmobilität ein wie zum öffentlichen Leben mit der Zielsetzung einer Minimierung individueller Sozialkontakte.

Die Wirtschaft, die schon zuvor empfindliche Einbußen als Folge zerrissener internationaler Lieferketten hinzunehmen hatte, erleidet nun zusätzlich teilweise Stilllegungen ihrer Produktions- und Handelstätigkeit, angefangen vom großen international verflochtenen Konzern bis hinunter zum Einzelhandel und den selbstständigen Berufen. Gaststätten, Hotels, Museen, Theater, Schulen, Universitäten wurden ebenfalls vorerst geschlossen. Daraus resultierende Einnahmeausfälle sollen durch gigantische Zuführungen von Liquidität überbrückt werden.

Schuldenbremse spielt plötzlich keine Rolle mehr

Man kann sich angesichts des krassen Szenenwechsels nur die Augen reiben, wenn selbst in Ländern wie Deutschland und der Schweiz, die vor Kurzem noch auf ihre schwarze Null im Haushalt oder auf die Schuldenbremse in der Verfassung stolz waren, nunmehr finanzielle Flutung ohne großes Hinsehen und in parteienübergreifender Einigkeit zur ersten Devise wurde.

Ein näherer Blick in die eingangs zitierte epidemiologische Studie des Imperial College macht die abrupte Kehrtwende verständlicher. Sie enthält eine Modellsimulation zum weiteren Verlauf der Covid-19-Epidemie.

Dabei geht die Studie von der Erfahrung aus, das ein Impfstoff gegen einen neu auftretenden Virus kaum innerhalb von 18 Monaten entwickelt, getestet und massenhaft gegen weitere Infektionen eingesetzt werden kann. Dasselbe gilt für die medikamentöse Behandlung von mit Covid-19 bereits Erkrankten. Da das neue Virus erst gegen das Jahresende 2019 auftauchte, ist es eher weniger wahrscheinlich, dass ein neuer Impfstoff oder ein einschlägiges Medikament noch im Verlauf dieses Jahres verfügbar werden.

Die Modellsimulation geht weiter von dem inzwischen bekannten typischen Krankheitsverlauf bei Covid-19 aus, der in schweren Fällen insbesondere bei älteren Kranken von großen Atembeschwerden begleitet wird, die eine Unterbringung in Intensivstationseinrichtungen mit zusätzlicher Beatmung erfordern. Sowohl Intensivstationseinrichtungen wie Beatmungsgeräte stellen somit einen wesentlichen Engpassfaktor dar, da eine angemessene Behandlung bei zu raschem Ansteigen der Infektionen nicht mehr gewährleistet wäre. Dazu kommt eine dann zu befürchtende Vernachlässigung sonstiger Notfälle und andauernde Überlastungen und daraus resultierende unzumutbare Entscheidungszwänge beim Gesundheitspersonal.

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, warum sich die Modellsimulation des Imperial College im Wesentlichen auf die Frage konzentriert, durch welche Strategien die exponentielle Ausbreitung von Covid-19 bis zum Zeitpunkt einer allgemeinen Verfügbarkeit eines geeigneten Impfstoffs, beziehungsweise einschlägiger Medikamente so stark abgebremst oder sogar abgeblockt werden kann, dass ein sonst drohender Kollaps des Gesundheitswesens vermieden werden kann.

Im Ergebnis unterscheidet die Modellstudie zwei grundsätzliche Strategien, nämlich Abbbremsen, mitigation strategy, und Abblocken, suppression strategy, sowie Misch- und Zwischenformen der beiden. Sie kommt zum Ergebnis, dass bloßes Abbremsen die wie erwiesen sehr rasche Verbreitung des Covid-19 nicht so effektiv bewirken kann, dass die zu erwartende Anzahl von Krankheitsfällen durch die zur Verfügung stehenden Kapazitäten im Gesundheitswesen auch nur entfernt aufgefangen werden könnte.

Große Bedrohung der Wirtschaft im Euroraum

Insofern hat sich auch die politische Diskussion schon vor der offiziellen Veröffentlichung der Modellstudie immer rascher und energischer in Richtung einer strikten Unterdrückungsstrategie bewegt, die in einigen Ländern bereits zu totalen Ausgangssperren mit nur wenigen Ausnahmegenehmigungen und mit hohen Bußandrohungen im Fall einer Zuwiderhandlung führten. Politischer oder auch gesellschaftlicher Widerstand hiergegen, abgesehen von einer überwiegend gedankenlosen Nachlässigkeit im Befolgen etwa der hygienischen Verhaltensmaßregeln, war überraschend gering. Im Gegenteil, wohl auch aus Angst vor der Bedrohung durch eine tödliche Seuche wuchs rasch eine bemerkenswerte Bereitschaft zur Einhaltung selbst drastischer Auflagen.

Damit verbunden ist natürlich die Erwartung, dass das alles dann auch helfen und nicht zu lange dauern möge. Gerade in dieser Beziehung hat die Unterdrückungsstrategie indessen einen entscheidenden Nachteil: Ein kurzfristiges Abblocken weiterer Ansteckungen ist bei rigoroser Umsetzung zwar möglich und verheißt bei einer Inkubationszeit des Virus von nicht länger als 14 Tagen auch eine anschließend absehbare Aufhebung schärferer Restriktionen.

Gerade das Gelingen der Unterdrückungsstrategie hat aber auch die Folge, dass nur ein kleiner Teil der betreffenden Bevölkerung mit dem Virus infiziert und daher in der Folge gegen ihn immunisiert bleibt. Das erneute Ausbrechen einer weiteren Infektionswelle bleibt indessen wahrscheinlicher als bei einer lascheren und schon gar bei überhaupt keiner Mitigationsstrategie, bei welcher die Katastrophe plötzlich und gegebenenfalls ungebremst über die Bevölkerung hereinstürzen würde, dann aber auch vorüber und vorbei wäre (siehe Abbildung).

Vorerst ist kaum vorstellbar, dass in Verantwortung stehende Politiker die Suppression Strategy infrage stellen werden. Im Gegenteil kann man sich einen Wettbewerb im gegenseitigen Überbieten mit immer strengeren Auflagen vorstellen. Wenn danach aber deutlich werden sollte, dass deren Andauern nicht eine Angelegenheit von nur ein oder zwei Monaten ist, sondern vielleicht von einem halben Jahr oder sogar doppelt so lange mit nur kurzen Intervallen weniger scharfer Restriktionen dazwischen infolge eines vorübergehenden Absinkens der Ansteckungen, dürfte sich zunehmend gesellschaftlicher wie politischer Widerstand bemerkbar machen.

Dieser könnte besonders stark auch von der jüngeren Generation artikuliert werden, die im plötzlich zwangsweise nur noch online Lernen und Studieren eine unzumutbare Beeinträchtigung ihrer Ausbildungschancen und Berufsaussichten sehen könnte.

Der zunehmende Lockdown auch wirtschaftlicher Aktivitäten ist ein weiteres dorniges Kapitel mit existenziellem Bedrohungspotenzial für den gesamten Euroraum. Die Wirtschaft braucht Berechenbarkeit und Planungssicherheit und lässt sich nicht eben mal so wie per Knopfdruck an- und ausschalten. Adaptive Suppressionsstrategien in Anpassung an sukzessive Infektionsverläufe, welche die Modellstudie meint, sich vorstellen zu dürfen, wären kaum durchsetzbar.

Man kann daher nur hoffen, dass der Covid-19-Impfstoff früher als der bisherigen Erfahrung gemäß verfügbar werden wird.

Fußnote

* https://www.imperial.ac.uk/media/imperial-college/medicine/sph/ide/gida-fellowships/Imperial-College-COVID19-NPI-modelling-16-03-2020.pdf

Michael Altenburg Partner MAF Group, Luzern, Schweiz
Michael Altenburg , Luzern, Schweiz

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