Cryptocurrencies oder digitale Zentralbankwährungen?

Michael Altenburg, Foto: Studio Ecker

In dem vorliegenden Beitrag befasst sich der Autor mit der Rolle von Kryptowährungen und digitalen Zentralbankwährungen im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr, aber auch mit dem Wettstreit des Westens mit China um die ökonomische Vorherrschaft. Zunächst wägt er die Vor- und Nachteile der Kryptowährungen ab. So könne die "Krypto-Manie" eine ernsthafte Gefahr für schwache Volkswirtschaften sein, wie das Beispiel der Türkei zeige. Dafür habe dadurch in weniger entwickelten Regionen Afrikas und Asiens die finanzielle Inklusion schneller vonstattengehen können. China treibe die Einführung eines digitalen Renminbi auch für den grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr voran, da diese eine totale Datenüberwachung ermögliche. Bei den westlichen Zentralbanken erkennt Altenburg eine zurückhaltendere Haltung bei der Einführung digitaler Zentralbankwährungen. Er rechnet mit einer Lösung mit einer oder mehreren digitalen Zentralbankwährungen, weniger mit einem interoperablen Kryptoansatz. (Red.)

"Über Fortschritte im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr" hatte die Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen bereits in ihrer Ausgabe vom 15. Dezember 2020 berichtet. Ein halbes Jahr später haben sich die Rahmenbedingungen markant verändert. Dabei können Entwicklungen im politischen Bereich von solchen in den Finanzmärkten unterschieden werden, wobei zwischen ihnen zugleich unübersehbare Wechselbeziehungen bestehen.

Im politischen Bereich ist als wichtigstes Ereignis des vergangenen halben Jahres wohl der bis zuletzt unsichere Wahlsieg von Joe Biden über Donald Trump in den US-Präsidentschaftswahlen anzusehen. Aufgrund dieser Ungewissheit hatte die EU-Kommission frühzeitig ein umfassendes Investitionsabkommen mit China auf den Weg gebracht. Die Eckpunkte dieses Abkommens wurden von der Kommission am 30. Dezember 2020 veröffentlicht. Zu diesem Zeitpunkt war der Wechsel von Biden zu Trump zwar schon absehbar, aber noch nicht förmlich bestätigt und vollzogen. In dem Abkommen zwischen China und der EU ist ein wesentlicher Eckpunkt die Verständigung auf gemeinsame Industriestandards, um einer Blockierung des Marktzugangs durch unterschiedliche Standards vorzubeugen. Trump war eher an einseitigen US-Standards gelegen, um amerikanische Exporte zu fördern und chinesische Importe zu erschweren.

Eine zumindest leichte Modifikation dieser "America first"-Politik im Sinne traditioneller amerikanischer Europaverbundenheit war also zur Jahreswende 2020 absehbar. Die Kommission hat gleichwohl nicht auf die Amtsübernahme von Biden gewartet, womöglich um sich einen Vorteil gegenüber der amerikanischen Konkurrenz im Chinageschäft zu sichern. Da die amerikanische Verhandlungsmacht im Vergleich zu jener der EU wesentlich größer ist, hätte ein Abwarten auf die Position der neuen US-Administration Vorteile bringen können. Damit ist jetzt nicht mehr ohne Weiteres zu rechnen, da die Kommission insofern amerikanischen Goodwill verspielt hat und im Chinageschäft ohne die USA nicht stark genug sein dürfte, eigene Standards zu setzen.

Dramatische Entwicklungen im Finanzmarkt

Geoffrey Moore hat in seinem Klassiker von 1997 zur Rivalität im Technologiewettbewerb den drastischen, aber passenden Ausdruck vom "Gorilla Game" geprägt. In einem solchen hat sich die EU durch ihren voreiligen Profilierungsversuch vorab in eine Verliererposition manövriert. Ähnliches könnte sich bei den weiteren Abstimmungsbemühungen um interoperable Standards im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr ergeben, bei denen die Europäische Zentralbank schon zuvor eher nur die Rolle eines bloßen Beobachters und nicht die eines Regelsetzers eingenommen hatte. Die beiden "Gorillas" sind China und die USA, und wie das Ringen zwischen ihnen ausgeht, scheint noch nicht ausgemacht. Ob es überhaupt zu einer Ratifizierung des Comprehensive Agreement on Investment (CAI) zwischen China und der EU durch das Europaparlament und die Regierungen der Mitgliedsländer kommen wird, ist inzwischen eher unsicherer geworden, da sich über Fragen der Verletzung von Menschenrechten und Grundsätze der Rechtstaatlichkeit nicht nur im Europaparlament, sondern auch in der Biden-Administration seit der Jahreswende eine deutlich kritischere Position gegenüber China durchgesetzt hat, die inzwischen bis zur offenen Androhung eines militärischen Schlagabtausches um die territoriale Integrität von Taiwan eskalierte.

Dramatische Entwicklungen hat es im vergangenen halben Jahr auch im Finanzmarkt gegeben, nämlich neue Rekordhöhen insbesondere für Tech-Aktien und einen Boom in Cryptocurrencies. Die Einschränkungen durch die Anti-Covid-Maßnahmen haben dem Trend hin zu mehr Digitalisierung in allen Lebensbereichen einen ungeahnten Schub verliehen, der aufgrund Niedrigstzinsen und hoher Liquidität durch staatliche Stimuli auch substanzielles Investoreninteresse nach sich zog. Die Kehrseite dieser Entwicklung waren erste Sorgen über inflationäre Risiken angesichts der sehr expansiven Geldpolitik, gegen die eine zumindest teilweise Absicherung durch Anlage in Cryptocurrencies Sinn zu machen scheint. Eine Folge war die Verdreifachung des Kurses von Bitcoin in den vier Monaten zwischen Mitte Dezember 2020 und Mitte April 2021. Es hat inzwischen den Anschein, dass sich nicht nur der exzentrische Tesla Unternehmer Elon Musk und seinesgleichen bei Bitcoin engagiert haben, sondern auch institutionelle Anleger, die nicht kurzfristig spekulieren, sondern auf eine langfristige Wertabsicherung setzen. Dass daneben weiter auch Day Trader und Zocker unterwegs sind, kann angesichts der sensationellen Preisentwicklung als sicher angenommen werden. Insgesamt blieb die Marktverfassung aber instabil. Nach dem Höchststand Mitte April brach Bitcoin im Laufe des darauf folgenden Monats Mai wieder um mehr als 50 Prozent ein, wobei mitspielte, das an dem extrem hohen Elektrizitätsverbrauch beim Mining zunehmend Anstoß genommen wird, der den ganzer Länder wie Holland oder der Philippinen übertrifft.

Bitcoin als Gefährdung für Volkswirtschaften

Selbst geringfügige externe Erschütterungen könnten daher eine allgemeine Negativspirale auslösen. Dass die Bitcoin-Manie auch eine ernsthafte Gefährdung schwächerer Volkswirtschaften mit sich bringen kann, zeigte sich etwa in der Türkei, wo Anlagen in Bitcoin die inflationäre türkische Lira zu verdrängen drohen. Die türkische Zentralbank hat entsprechende regulatorische Gegenmaßnahmen angekündigt, auch um sich häufenden Betrugsversuchen einen Riegel vorzuschieben. Deren Durchsetzung wird nicht leicht sein. Hier stehen also berechtigte private Bedürfnisse und Begehrlichkeiten zum Teil in direktem Gegensatz zum staatlichen Souveränitätsanspruch.

Auf der positiven Seite schlägt gleichzeitig zu Buche, dass Fintech-Apps für Zahlungen per Mobiltelefon in hinsichtlich ihrer Finanzstruktur weniger entwickelten Regionen Afrikas und Asiens die weitgehende finanzielle Einbeziehung auch lediglich dünn besiedelter Zonen ermöglicht haben. Dieses Überspringen der traditionellen Entwicklung von Finanzstrukturen durch regulatorisch kaum erfasste private Player behindert allerdings auch den Ausbau von Sicherheitsvorkehrungen durch einen staatlichen Lender of Last Resort. Damit korrespondiert der Albtraum westlicher Banker von einer drohenden Substitution des Kreditgeschäfts durch Fintech-Apps.

Selbst das Due Diligence schwierigerer Schuldnerrisiken ist jedenfalls den großen Tech-Plattformen ohne Weiteres möglich, die über alle relevanten Daten ihrer Online-Kunden verfügen. Erhebliche Skalenzuwächse und Effizienzgewinne bei den globalen Plattformen koinzidieren aus politischer Sicht mit einer zunehmenden Fragmentierung und Unübersichtlichkeit durch marginale, nicht immer legale Player. Erpressungen mit Lösegeldzahlungen in Bitcoin haben zugenommen. Besonders spektakulär war die Lahmlegung des größten amerikanischen Ölpipelinesystems durch die Hacking Gruppe Darkside mit vermutetem russischem Hintergrund. Die Colonial Pipeline Company zahlte am 8. Mai 2021 als Lösegeld 75 Bitcoins im Gegenwert von 4,4 Millionen US-Dollar.

Ablösung des US-Dollars als strategisches Ziel

Einschneidende Ankündigungen aus China lassen sich unter anderem auch als Reaktion auf derartige Entwicklungen interpretieren. Die am 11. März 2021 endende Jahresversammlung des chinesischen Volkskongresses verabschiedete einen ambitionierten 140 Seiten umfassenden Fünfjahresplan, in dem der weltweit wirtschaftliche, technologische und militärische Hegemonialanspruch unverblümt bekräftigt wurde. Bei grundlegenden globalen Herausforderungen wie dem Klimawandel besteht gleichwohl weiter anhaltende Bereitschaft zum Austausch und zur Abstimmung, welche aber regelmäßig mit dem Versuch verbunden ist, bereits im Vorfeld vollendete Tatsachen zu schaffen. Im Hinblick auf den internationalen Zahlungsverkehr steht deswegen die Ablösung des US-Dollars als internationale Leitwährung strategisch im Vordergrund. Und zwar kompromisslos und unter voller Kontrolle der kommunistischen Partei Chinas.

Wie kompromisslos das nicht nur gemeint ist, sondern auch praktiziert wird, musste Jack Ma, der Gründer der chinesischen Internet-Handelsplattform Alibaba und des mit ihr verbundenen Zahlungssystems Ant erleben. Jack Ma hatte gewagt, Kritik am Führungs- und Kontrollanspruch der Kommunistischen Partei Chinas zu äußern. Beijing stoppte darauf die geplante gleichzeitige 37 Milliarden US-Dollar schwere Börseneinführung von Ant an den Börsen von Shanghai und New York.

Dann folgten Ordnungsstrafen gegen Alibaba, Tencent und eine dritte Online-Plattform wegen unterlassener Einholung von Genehmigungen für die Übernahme kleiner Konkurrenzunternehmen durch die State Administration for Market Regulation (SAMR). Im Januar 2021 forderte schließlich die chinesische Zentralbank (People's Bank of China, PBoC) eine Verschärfung der Antimonopolbestimmungen der SAMR für private Zahlungsverkehrsdienstleister wie Alipay/Ant und Wechat Pay. Und im April wurde Alibaba gezwungen, die Online-Handelsaktivitäten (bei denen die detaillierten Kundendaten generiert werden) strikt und komplett von den bloßen Zahlungsfunktionen bei Ant zu trennen, deren frühere Kombination zu entscheidenden Wettbewerbsvorteilen gegenüber den (in China überwiegend staatlichen) Banken geführt hatte. Außerdem wurde der Betrieb von Kryptobörsen unter strengen Strafandrohungen verboten.

Bei Licht besehen handelt es sich also nicht so sehr um einen Schlag lediglich gegen Alibaba, sondern um einen grundsätzlichen Kampf um die Kontrolle der Daten oder genauer - um die Macht. Denn: data is power. Und in China liegen Macht und deren totale Kontrolle bei der Partei. Und so soll es nach Vorstellung von Xi Jinping auch bleiben.

Totaler Datenzugriff für umfassende Datenkontrolle

Für die von der People's Bank of China forcierte Einführung eines digitalen Renminbi auch im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr steht der totale Datenzugriff und die umfassende Datenkontrolle im Vordergrund. Und China verschafft sich für seine Initiative über die Belt-and-Road-Initiative bereits beachtliche Marktanteile und damit indirekt auch politischen Einfluss in den erwähnten strukturell weniger entwickelten Regionen Asiens, Afrikas, Lateinamerikas und Teilen Europas.

Am schärfsten wird diese Entwicklung wohl noch von den privaten Wettbewerbern, also von den großen westlichen Tech-Plattformen verfolgt wie Google, Amazon, Facebook, Apple und Microsoft, aber auch von Paypal, Citigroup, Mastercard et cetera, die politisch intensiv zugunsten weniger stark staatlich regulierter Ansätze werben. Als stärkstes Argument wird von ihnen gern der private Datenschutz im Gegensatz zu totaler State Surveillance herausgestellt. Aber auch die Praxis der privaten Datenoligopolisten ist weder über den Verdacht von Überwachung, Gängelung und Missbrauch noch über das Risiko von Hackings erhaben. Auch die US-Behörden haben daher inzwischen eine deutlich schärfere regulatorische Aufsicht und Kontrolle des mittlerweile über 1,5 Billionen US-Dollar großen Kryptomarktes angekündigt, um Geldwäsche, Erpressungen und Anlegerbetrug effektiver zu unterbinden.

Die westlichen Zentralbanken und ihre Koordinationsinstitution, die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIS), haben im Vergleich zur PBoC allerdings erheblich weniger Macht und Entscheidungsspielraum. Vorläufig beobachten und analysieren sie, und die BIS hat ein Innovation Hub in Basel eingerichtet, an dem diverse Testprojekte, auch unter Einbeziehung der PBoC, laufen. Konkrete Empfehlungen wurden jedoch noch nicht ausgesprochen, Entscheidungen noch nicht getroffen. Für Juli wird von der EZB die Bekanntmachung eines Digital-Euro-Projektes erwartet.

Westen in Sachen Transparenz mit Vorsprung vor China

Angesichts des auch praktisch schon jetzt enormen chinesischen Vorsprungs wird es im internationalen Zahlungsverkehr daher wohl eher auf eine oder mehrere CBDC (Central Bank Digital Currency) Lösungen herauslaufen als auf einen interoperablen Kryptoansatz, wobei man nur hoffen kann, dass der private Datenschutz dabei nicht vollkommen unter die Räder kommt.

Zum zwar unverzichtbaren, aber heiklen Zusammenspiel des öffentlichen mit dem Privatsektor hat Cass Sunstein das grobe Bild vom "Gorilla Game" in einem Paper kürzlich weiter differenziert und etwas subtilere, aber nicht weniger skeptische Überlegungen angestellt. Anders ausgedrückt: Im Unterschied zur eindeutigen staatlichen Übermacht gegenüber selbst noch den größten privaten Playern in China schien im Westen das Übergewicht der Macht zuletzt bereits zu den oligopolistischen Tech-Plattformen hin zu kippen. Wenn sich in diesem Geflecht partikularer Privatinteressen mit regulatorischen Zielsetzungen am Ende das Gemeinwohl durchsetzen soll, kann das nur von einem schärferen politischen Augenmerk auf die Fragwürdigkeit intransparenter, demokratisch nicht legitimierter Interessenvermischungen erwartet werden.

Hinsichtlich Transparenz, gesellschaftlicher Adaptionsfähigkeit und Durchlässigkeit für innovatives Denken behauptet der Westen weiterhin einen wesentlichen Vorsprung vor der diskursfeindlichen Parteiherrschaft Chinas. Es besteht also weder für die EU noch die USA Veranlassung, im vereinten Wettstreit mit China nachzulassen.

Fußnoten

1) https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/FS_20_2544

2)Miao Wei, Minister für Industrie und Informationstechnik von 2010 bis August 2020 und weiterhin Spitzenberater des Zentralkomitees, erklärte im März 2021, dass China noch 30 Jahre brauchen werde, ehe es sich eine weltweite wirtschaftliche Spitzenposition sichern könne: https://www.aljazeera.com/economy/2021/3/8/china-30-years-away-from-being-manufacturer-of-great-power

3)Vgl. den Cambridge Bitcoin Electricity Consumption Index: https://cbeci.org/cbeci/comparisons

4)Dieser und ähnliche Erpressungsvorgänge wurde durch die Blockchain-Analyse-Gruppe Elliptic aufgedeckt. Siehe deren Blogpost vom 15. Mai 2021: https://www.elliptic.co/blog/elliptic-follows-bitcoin-ransoms-paid-by-darkside-ransomware-victims

5)Diesbezüglich kann OMFIF als Vorreiter angesehen werden, also das sich leicht irreführend so nennende Official Monetary and Financial Institutions Forum.

6)Vgl. Interview der FT mit Michael Hsu, dem im Mai neu ernannten Comptroller of the Currency: https://www.ft.com/content/a2c13ce0-6e66-4751-aa65-6c668d303101?emailId=60b3f06cc8d11a00045c2d7f&segmentId=ce31c7f5-c2de-09db-abdcf2fd624da608

7)https://www.bis.org/about/bisih/about.htm

8)Vgl. BIS Paper Nr. 115 vom März 2021: Multi-CBDC arrangements and the future of cross-border payments; https://www.bis.org/publ/bppdf/bispap115. pdf

9)Siehe Sunstein, Cass R., Interest-Group Theories of Regulation: A Skeptical Note, April 18, 2021). Available at SSRN: https://ssrn.com/abstract=3829993

Michael Altenburg , Luzern, Schweiz
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