Dax: Das Gesicht der Börse wird 30

Hauke Stars Foto: Deutsche Börse

Über 120-mal täglich berichten Medien live von der Frankfurter Wertpapierbörse in alle Welt. Ein Index ist dabei fast immer im Spiel: der Dax, der wichtigste deutsche Aktienindex. Als Barometer für die heimische Wirtschaft und als Benchmark für eine Vielzahl von Finanzprodukten zählt er zu den weltweit wichtigsten Börsenindizes. 1988 wurde er aus der Taufe gehoben, am 1. Juli 2018 feiert der Dax nun seinen 30. Geburtstag. Doch gerade einmal rund 16 Prozent der Deutschen sind direkt oder indirekt an der Börse investiert, das findet die Autorin zu wenig. Deshalb fordert sie eine nationale Strategie zur finanziellen Bildung und steuerliche Anreize beim Kauf und Verkauf von Wertpapieren. (Red.)

Zwei Innovationen der deutschen Finanzbranche haben Frankfurt zweifelsfrei zu einer Spitzenposition an den internationalen Kapitalmärkten verholfen: Xetra, das vollelektronische Handelssystem, und der deutsche Blue-Chip-Index Dax. Während Xetra im vergangenen Jahr 20 Jahre alt geworden ist und mit neuer Technologie modernisiert wurde, blicken wir in diesem Jahr bereits auf 30 Jahre Dax zurück. Der Index bildet seit 1988 die Aktienkurse der 30 größten und umsatzstärksten Unternehmen an der Frankfurter Wertpapierbörse ab und steht wie kein anderer Indikator für die Leistung der Wirtschaft in Deutschland. Als Leitindex zeigt er ein aktuelles und zugleich repräsentatives Bild des deutschen Aktienmarkts.

Einheitlichen Standard gesetzt

Dieses einheitliche Bild gab es nicht immer. Es gab zwar viele Indizes, aber die verschiedenen Verlagshäuser, Banken und Regionalbörsen hatten zumeist ihre eigenen, um die tägliche Entwicklung an den Aktienmärkten abzubilden. Erst der Dax-Index setzte durch seine Popularität einen einheitlichen Standard.

Als sein "Erfinder" gilt Frank Mella, seinerzeit Redakteur bei der Börsen-Zeitung. Mellas Verleger bat ihn 1987, einen Index für den Finanzplatz zu entwickeln. Weil ihn das 30-seitige Exposé überzeugte, stellte es der Verleger gleich einigen Banken-Experten vor - mit sehr positivem Feedback. Diese Gespräche wurden die Grundlage für das, was später Dax heißen sollte. Entwickelt wurde der Index dann gemeinsam von der Frankfurter Wertpapierbörse, also dem Börsenträger aus dem die heutige Deutsche Börse AG hervorging, der Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Wertpapierbörsen und der Börsen-Zeitung. Den passenden Namen bekam der Dax von Manfred Zaß, dem späteren Vorstandsvorsitzenden der Deka Bank und langjährigen Aufsichtsratsmitglied der Deutsche Börse AG.

Der neue Standard-Index löste auch ein weiteres Problem: Bis in die 80er Jahre wurden die Indizes in Frankfurt nur einmal am Tag berechnet - und zwar nach Handelsschluss. Und nicht alle nutzten dieselben Kurse als Grundlage. Der Dax war hingegen ein Realtime-Index und wurde von Beginn an alle 60 Sekunden berechnet. Das war ein wichtiger Baustein für seinen Erfolg, als er am 1. Juli 1988 mit 1 163,52 Punkten eingeführt wurde. Wer heute auf die schwarz-weiße Kurstafel am Frankfurter Börsenparkett blickt, sieht eine fünfstellige Zahl vor dem Komma. Die Richtung, die der Index in den vergangenen drei Jahrzehnten eingeschlagen hat, ist damit eindeutig. Es ging nach oben, trotz gelegentlicher Rückschläge wie etwa durch die Dotcom-Blase, "9/11" oder die Finanzkrise. Gerade die Rückschläge haben aber eines bewiesen: In all den Jahren war der Dax immer auch ein Spiegel internationaler Geschichte und Ereignisse. Euphorie, Rückschläge, Trends, Krisen und Ruhephasen - all das ist an der historischen Dax-Kurve gut abzulesen.

Kein Einzelkind

Aus dem Dax sind bis heute zahlreiche weitere Indizes entstanden - und dazu gehören nicht nur die bekannten Geschwister wie M-Dax, S-Dax und Tec-Dax. Insgesamt zählen zur Dax-Familie heute über 3 500 Indizes. Darunter sind Vergleichs- und Strategieindizes wie auch Indizes für festverzinsliche Wertpapiere. Von Beginn an sollte der Dax aber kein alleinstehender Index sein, sondern auch als Underlying für internationale Finanzprodukte zum Einsatz kommen, insbesondere im Terminhandel. Die Bilanz nach 30 Jahren lässt sich sehen: Allein 2017 wurden 368 548 strukturierte Produkte auf den Dax-Index emittiert. An der Terminbörse Eurex wurden 2017 insgesamt 6,7 Billionen Euro in Dax-Futures umgesetzt. Und das global verwaltete Vermögen in Dax-ETFs beläuft sich mittlerweile auf über 17 Milliarden Euro.

Insbesondere die rasante Entwicklung von Exchange Traded Funds (ETF) hat die Indexwelt stark angetrieben und für Anleger "investierbar" gemacht. Denn die Passivfonds ermöglichen es jedem Typ von Anleger, einfach, transparent und flexibel in einen Index wie den Dax zu investieren. Das macht sie zu den erfolgreichsten Börsenprodukten der vergangenen Jahrzehnte. Und das obwohl sie noch recht jung sind: Erst im April 2000 wurden die europaweit ersten ETFs in den Xetra- Handel aufgenommen. Die stetig zunehmende Liquidität im Handel hat zu deutlich geringeren Transaktionskosten für Investoren und Händler geführt. Die impliziten Transaktionskosten liegen heute durchschnittlich unter sechs Basispunkten bei den liquidesten Aktien-ETFs. Bluechip-ETFs auf den Dax oder den Euro Stoxx 50 zählen zu den liquidesten Instrumenten überhaupt im Xetra-Handel und übertreffen damit sogar regelmäßig die meistgehandelten Einzelwerte im Dax.

Der Siegeszug von ETFs hat dieses Segment der Deutschen Börse rasant anwachsen lassen. Xetra ist bis heute der führende Börsenplatz und damit Referenzmarkt für ETFs in Europa. Das ETF-Fondsvermögen auf Xetra lag 2000, zum Ende des ersten Handelsjahres, bei gerade einmal 0,4 Milliarden Euro. Per Ende 2017 erreichte es die Rekordmarke von 527,1 Milliarden Euro. Auch die Produktauswahl hat mit über 1 280 ETFs von mehr als 20 Emittenten einen Höchststand erreicht - damit bietet die Deutsche Börse übrigens europaweit die größte Auswahl an börsennotierten ETFs.

Chancen für Privatanleger

Auch wenn der weitaus größte Teil der Assets von institutionellen Investoren stammt, nutzen immer mehr private Anleger ETFs als Standard-Investment zur privaten Geldanlage. Über Sparpläne sind schon ab 20 Euro im Monat diversifizierte Investments zu günstigsten Konditionen möglich. Insbesondere im derzeitigen Niedrigzinsumfeld werden breit gestreute ETFs von Verbraucherschützern regelmäßig empfohlen. Auch das Dax-Renditedreieck des Deutschen Aktieninstituts zeigt in beeindruckender Weise, dass ein Aktienanleger bei geringem Zeitaufwand in der Regel einen hohen Ertrag erwirtschaften kann, wenn er auf eine ausreichende Streuung und eine langfristige Ausrichtung achtet: Historisch betrachtet brachte ein Investment in den Dax-Index bei einem Anlagehorizont von über 15 Jahren immer positive Renditen.

Natürlich ist das Dax-Renditedreieck kein Garant für eine ertragreiche Geldanlage in der Zukunft. Es zeigt jedoch eindrücklich, dass selbst die ungünstigsten Zeitpunkte für ein Dax-Investment in der Vergangenheit zu keinem bösen Erwachen führten. Wer zum Beispiel Ende 2007 eingestiegen ist, also kurz vor der Lehman-Pleite, hat bis heute eine durchschnittliche jährliche Rendite von fünf Prozent erzielt. Auch wer von der Dotcom-Blase überrascht wurde, ist längst wieder "im Plus" und die Anlage lässt Sparbuch oder Tagesgeld hinter sich. Das liegt nicht zuletzt an den immer neuen Rekorddividenden, die die 30 Konzerne ausschütten und die im Dax als Performance-Index enthalten sind.

Doch leider geht diese positive Entwicklung an den meisten Deutschen spurlos vorüber. Mit Blick auf die demografische Entwicklung und der damit verbundenen Belastung der staatlichen Rente sollten Aktien aber ein wesentlicher Bestandteil der Altersvorsorge sein, um die Versorgungslücke zu schließen. Gerade einmal rund 16 Prozent der Deutschen sind direkt oder indirekt an der Börse investiert. Zwar gab es zuletzt wieder eine etwas positivere Entwicklung, von Entwarnung kann aber keine Rede sein. Andere Länder sind Anlegern in Deutschland weit voraus, insbesondere in den USA, in Großbritannien oder in Skandinavien ist die Aktienkultur wesentlich ausgeprägter.

Sicherheitsbedürfnis als dominierender Faktor

Im Kern gibt es ein großes Problemfeld, das wir angehen müssen: Die Deutschen nutzen die Renditechancen der Aktie kaum, weil sie eine große Scheu vor dieser Anlageform haben. Laut dem aktuellen Ergo Risiko-Report geben zwar vier von zehn Befragten an, dass sich mit Aktien in den vergangenen zehn Jahren das meiste Geld erwirtschaften ließ. Trotzdem dominiert bei der Geldanlage das Sicherheitsbedürfnis der Deutschen. Eine aktuelle Allensbach-Umfrage kommt sogar zu dem Ergebnis, dass Deutsche mehr Angst vor einer neuen Finanzkrise haben als vor Einbrechern. Und das, obwohl es der deutschen Wirtschaft zehn Jahre nach der Finanzkrise blendend geht.

Das liegt nun eben auch daran, dass Deutschland beim Thema Finanzwissen ein Entwicklungsland ist. Nur wer grundlegende Regeln der Geldanlage wie das Verhältnis von Risiko zu Ertrag oder den Zinseszinseffekt versteht, neigt viel ausgeprägter dazu, langfristig Vermögen aufzubauen und so seinen Lebensstandard im Alter zu sichern. Natürlich kann das auch mittels Beratungsangeboten geschehen, aber grundsätzlich müssen wir größer denken: Wir brauchen eine nationale Strategie zur finanziellen Bildung, wie es sie auch in anderen Ländern gibt, beispielsweise in den Niederlanden oder in Australien. Denn fehlendes Wissen ist nicht nur aus vermögenspolitischer, sondern auch aus wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Perspektive kritisch zu sehen. Deshalb müssen alle Beteiligten Aufklärungsarbeit leisten und dabei an einem Strang ziehen: Banken und Börsen, Regulatoren und Politik, Wissenschaft, Verbände und Bildungsverantwortliche.

Ein dritter Aspekt ist, dass die breite Bevölkerung auch über Anreizmechanismen an den Kapitalmarkt herangeführt werden muss. Dazu gehören vor allem steuerliche Anreize. So sollte die Spekulationsfrist wieder eingeführt werden. Nach Ablauf einer solchen Frist sollten Veräußerungsgewinne, die beim Verkauf von Wertpapieren anfallen, steuerfrei sein - bis 2008 war das in Deutschland Usus und bis heute gilt das noch für andere Investitionen wie zum Beispiel für Immobilien. So könnte wieder ein Anreiz für den langfristigen Vermögensaufbau geschaffen werden. Heute wird zwar immer wieder von der Politik betont, dass auch privat für das Alter vorgesorgt werden soll, die Gewinne werden dann aber zum Zeitpunkt des Verkaufs voll besteuert - das passt nicht so recht zusammen.

Anreizmechanismen in der Praxis

Deutlich weiter ist zum Beispiel Italien: Für individuelle Sparpläne, die unter der Bezeichnung "PIR" firmieren, müssen Anleger keine Steuern auf ihre Gewinne zahlen, sofern sie das Geld für fünf Jahre anlegen. 70 Prozent der Gesamtsumme müssen dabei in Aktien italienischer Unternehmen oder Unternehmen mit einer festen Betriebsstruktur in Italien fließen. Ziel des italienischen Gesetzgebers ist es, den einheimischen Mittelstand bei der Finanzierung zu unterstützen. Und die Strategie geht auf, denn 2017 wurden rund 10 Milliarden Euro in PIR-Fonds angelegt. Das Produkt muss sicherlich nicht eins zu eins in Deutschland eingeführt werden - aber es ist doch clever, dass die italienische Regierung Anreize schafft, um ihre Unternehmen zu fördern, während allzu oft deutsche Unternehmensgewinne ins Ausland fließen.

Das gilt auch für die Gewinne der Dax-Konzerne, denn deren Anteile liegen zu über 50 Prozent in den Händen von ausländischen Investoren. Dabei bietet uns ein starker Leitindex wie der Dax beste Voraussetzungen, um für das Alter vorzusorgen. Denn er ist und bleibt definitiv das bekannteste Gesicht der Börse. Ihn verbinden die Deutschen mit dem Finanzmarkt, an ihm lesen sie die Entwicklung unserer Wirtschaft ab - und ob beruflich oder privat, viele von uns sind direkt oder indirekt mit dem Dax und seinen Unternehmen verbunden.

Hauke Stars Vorstand Deutsche Börse AG, Bereich Cash Market, Pre-IPO & Growth Financing, sowie Vorsitzende der Geschäftsführung der Frankfurter Wertpapierbörse, Frankfurt am Main
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