Digital Farming - die Landwirtschaft im technologischen Wandel

Dr. Horst Reinhardt, Foto: Landwirtschaftliche Rentenbank

Die Entwicklungsstufen der Industrie von der Nutzung der Wasser- und Dampfkraft bis hin zur jüngsten Stufe der Digitalisierung und Vernetzung prägt auch den Sektor der Landwirtschaft. Von voll digitalisierten, vernetzten Traktoren und Erntemaschinen zur Steuerung und Kontrolle der Produktion bis hin zur möglichst lückenlosen Rückverfolgbarkeit landwirtschaftlicher Produkte durch die Verbraucher reicht das vom Autor skizzierte Spektrum bereits praktizierter oder absehbarer Neuerungen. Einer aktuellen Befragung nach zeigt sich die Branche durchaus aufgeschlossen für den Einsatz neuer Technologien, hat aber bei allen Sympathiebekundungen der Politik für die Digitalisierung den Blick auf die Wirtschaftlichkeit nicht verloren. Rechtlicher Regelungsbedarf wird bei der Nutzung der aus den landwirtschaftlichen Betrieben gewonnenen Daten gesehen (Red.)

"Das Internet ist nur ein Hype!" Kein geringerer als Microsoft-Mitgründer und Harvard-Abbrecher Bill Gates kam im Jahr 1993 zu dieser "niederschmetternden" Erkenntnis und verordnete seinen Mitarbeitern deshalb, sich erst einmal um andere, vermeintlich wichtigere Dinge zu kümmern. Heute sind rund 4 Milliarden Menschen und damit mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung "online". Damit ist der digitale Wandel in vollem Gang und verändert alle Bereiche der Wirtschaft und Gesellschaft.

Vier Entwicklungsstufen der Industrie

Noch vor wenigen Jahrzehnten war diese sogenannte Industrie 4.0, die die Umstellung von analogen auf digitale Prozesse verkörpert, kaum vorstellbar. An der Schwelle zum 19. Jahrhundert spielte die Frage, wie viele industrielle Revolutionen es noch geben würde, keine Rolle. Heute ist eine historische Betrachtung möglich und die einzelnen Entwicklungsstufen der Industrie lassen sich gut nachzeichnen.

Die erste industrielle Revolution (Industrie 1.0) begann mit der Wasser- und Dampfkraft um 1800. Die Dampfmaschine führte in vielen Bereichen zu einer Mechanisierung und Automatisierung. Auch in der Landwirtschaft fand die Dampftechnik in Form von Dampfpflügen in der Bodenbearbeitung Anklang. Die zweite industrielle Revolution (Industrie 2.0) war eng mit der Entwicklung der Elektrizität verknüpft. Diese beschleunigte den technischen Fortschritt und initiierte eine steigende Prozessautomatisierung. Das erste Fließband in der Fleischproduktion im Jahr 1870 war dafür charakteristisch.

In den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts fand der Übergang zur dritten und bislang vorletzten Industrierevolution statt. IT-gesteuerte Maschinen und Informationstechnologie fanden mehr und mehr Eingang in die Betriebsabläufe der Unternehmen. Heute steht die Wirtschaft am Beginn der vierten Revolution. Der Fokus der Industrie 4.0 liegt insbesondere auf der Digitalisierung, Vernetzung und Weiterentwicklung früherer analoger Techniken. Nicht nur in der Industrie, sondern auch im privaten Umfeld gibt es zunehmend digitale Veränderungen, wie beispielsweise Smart-Home-Steuerungen.

Eine Vorreiterrolle bei der Digitalisierung nimmt die Landwirtschaft ein. Hier rollen bereits nahezu voll digitalisierte, vernetzte Traktoren und Erntemaschinen autonom über den Acker. Sie stellen ihre Daten in der Farm-Management-Software für die Landwirte direkt aufbereitet bereit. Ausgestattet mit entsprechender Software können Landwirte bereits mehrere Einsatzmaschinen per Cloud-Computing gleichzeitig verfolgen und koordinieren.

Landwirtschaft als Vorreiter der Digitalisierung

Sowohl in der Pflanzenproduktion als auch in der Tierhaltung leisten innovative digitale Technologien wesentliche Beiträge, um die steigende Nachfrage nach hochwertigen Lebensmitteln bei gleichzeitiger Ressourcenschonung zu decken. Damit können Landwirte beispielsweise das Tierwohl, den Gesundheitsstatus der Tiere oder auch die Nährstoffversorgung auf dem Feld digital überwachen und verbessern.

Eine repräsentative Umfrage der Rentenbank zur Digitalisierung in der Landwirtschaft macht deren Bedeutung deutlich. Dabei wurden 401 Landwirte und Landwirtinnen aus Deutschland im dritten Quartal 2018 zur Digitalisierung in der Landwirtschaft befragt. 80 Prozent der Befragten erachten die Digitalisierung in der Landwirtschaft als sinnvoll beziehungsweise sehr sinnvoll (Abbildung Seite 27).

Weltweiter Volumenanstieg von Risikokapital in der Landwirtschaft

Eine Studie der Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO) zeigt, dass innovative Lösungen für die Landwirtschaft unerlässlich sind. So muss die landwirtschaftliche Produktion um zwei Drittel ansteigen, um 2050 die Weltbevölkerung versorgen zu können. Hierfür stehen aktuell weltweit noch 1,4 Milliarden Hektar Ackerland zur Verfügung. Doch allein für die zunehmende Urbanisierung werden hiervon bis zum Jahr 2030 zirka 30 Millionen Hektar Ackerland verloren gehen. Daher steht neben der Erhöhung der Produktivität der landwirtschaftlichen Produktion besonders die Effizienzsteigerung in den Lieferketten im Fokus.

So schätzt die FAO, dass ein Drittel der weltweiten Nahrungsmittelproduktion auf dem Weg zum Verbraucher verloren geht oder verschwendet wird. Das entspricht 1,3 Milliarden Tonnen Nahrungsmittel pro Jahr. Als Konsequenz sind Innovationen und Technologien erforderlich, die die Präzision der Landwirtschaft erhöhen und die Verluste in den Lieferketten reduzieren.

Dieses Marktpotenzial sehen auch Investoren, die Start-ups mit innovativen Geschäftsideen für die Landwirtschaft mit Risikokapital (Venture Capital) versorgen. Das zeigt der weltweite Volumenanstieg von Risikokapital, der in Agtech-Start-ups investiert wurde.

Innovationsförderung im Fokus

Neben Risikokapital sind Fördermittel eine bedeutende Finanzierungsquelle für Start-ups. Dementsprechend spielt die Landwirtschaftliche Rentenbank eine wichtige Rolle für die Branche. Denn die Förderung von Innovationen in der Agrarwirtschaft und im ländlichen Raum steht seit jeher im Fokus der Bank. Dabei wird der gesamte Innovationsprozess von der Entwicklung über die Markteinführung bis hin zur flächendeckenden Anwendung in der Praxis gefördert.

Hierfür werden zum einen von der Rentenbank aus dem Zweckvermögen des Bundes Zuschüsse für innovative Entwicklungen bereitgestellt. Zum anderen wird die Innovationsförderung auch durch das Anfang 2014 gestartete Rentenbank-Programm "Forschung für Innovationen in der Agrarwirtschaft" gestärkt. Start-ups sind wichtige Innovationstreiber für die Agrarwirtschaft und den ländlichen Raum.

Investitionen der Landwirte in digitale Technologien

So wurde beispielsweise im Jahr 2018 mit der Kuhdo GmbH ein Start-up gefördert, das Milcherzeuger bei der Milchpreisabsicherung mit einer Web-App unterstützt. Die Software ermöglicht Vergleiche zwischen Kostendaten des Betriebs und aktuellen Absicherungsmöglichkeiten über Milchkontrakte. Darüber hinaus bietet die Rentenbank in Zusammenarbeit mit dem Frankfurter Gründerzentrum Tech-Quartier ein Gründer-Boot camp für Start-ups an, die innovative Lösungen für die Herausforderungen der Agrarwirtschaft liefern. Im Dezember 2018 durchliefen 13 junge Gründer eine Woche intensiver Workshops zur Unternehmensführung und standen im persönlichen Austausch mit Industrieexperten. Die Gründer konnten so ihre Geschäftsmodelle mit Start-up-Fachleuten und erfahrenen Agrarunternehmern diskutieren und verbessern.

Für Landwirte müssen die neu entwickelten digitalen Lösungen möglichst intuitiv sein. Denn die meisten Landwirte sind klassische Autodidakten. Sie erlernen den Umgang mit digitalen Lösungen am liebsten in der Praxis. Das zeigt die Befragung der Rentenbank.

Nicht nur Investitionen in Melkroboter belegen, dass die Landwirte die Vorteile der Digitalisierung bereits erkannt haben und nutzen. Rund ein Fünftel der Befragten haben bereits in digitale Technologien wie beispielsweise Farm-Management-Systeme oder sensorische Tierüberwachungssysteme investiert oder planen, dies kurzfristig zu tun.

Daneben verdeutlicht die Umfrage, dass insbesondere bei der Rückverfolgbarkeit der Produkte Vereinfachungen durch die Digitalisierung zu erwarten sind. Darin waren sich 78 Prozent der befragten Landwirte einig.

Ähnlich deutlich ist das Bild bei den Themen Dokumentationspflicht und Ressourcenschutz. Demnach sehen 70 Prozent respektive 67 Prozent der Befragten positive Effekte der Digitalisierung auf die Prozessdokumentation (Farm-Management-Systeme) und eine umweltschonendere Produktion.

Hindernisse auf dem Weg zum digital vernetzten Kuhstall

Obwohl vier Fünftel der befragten Landwirte digitale Technologien wie Management- und Tierüberwachungssysteme als sinnvoll bis sehr sinnvoll erachten, gibt es verschiedene Hindernisse, die ihre Anwendung erschweren und Investitionen hemmen. Viele Landwirte nennen die hohen Investitionskosten als größtes Hemmnis für die Implementierung digitaler Technologien. Dabei wird die fragliche Wirtschaftlichkeit digitaler Technologien als großes Risiko.

Große Bedenken hegen die befragten Landwirte auch beim Thema "Datensicherheit" und der möglichen Offenlegung betrieblicher Daten. Der "gläserne Betrieb" rückt stärker ins Bewusstsein. Knapp 20 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebsleiter sehen in dem Verlust von Daten ein mögliches Hemmnis bei der Digitalisierung. Wie aus der Umfrage hervorgeht sind es insbesondere die jüngeren gut ausgebildeten Landwirte, die beim Thema "Datensicherheit" eine große Unsicherheit verspüren.

Auch die Breitbandversorgung und die Netzabdeckung beim Mobilfunk auf dem Land werden als Hindernisse bei der Digitalisierung angesehen. Knapp 40 Prozent der Landwirte gaben in einer Umfrage des Deutschen Bauernverbands (DBV) an, dass eine mangelhafte Breitbandversorgung ein entscheidendes Hemmnis für die Digitalisierung der Landwirtschaft darstelle.

Digitalisierung als Chance

Die Befragung der Rentenbank zeigt, dass über die Hälfte der befragten Unternehmer die Digitalisierung als Chance begreift. Insbesondere sehen Landwirte mit einem Tierhaltungsbetrieb oder einem abgeschlossenen Hochschul- oder Universitätsstudium positive Effekte in der Digitalisierung.

Allerdings glauben 8 von 10 der befragten Landwirten, dass durch die Digitalisierung der Strukturwandel, also der Rückgang der Anzahl landwirtschaftlicher Betriebe in Deutschland, beschleunigt wird. Nach Einschätzung der Landwirte führt die Digitalisierung nicht zu einer erhöhten Wettbewerbsfähigkeit kleinerer Betriebe. Immerhin jeder zweite Landwirt verbindet mit der Digitalisierung ein zukünftig besseres Verhältnis zum Verbraucher.

Neue Informationen für Verbraucher

Welche technologischen Neuerungen werden in Zukunft die Landwirtschaft prägen? Unabhängig von der Betriebsgröße erwartet eine große Mehrheit der Befragten (80 Prozent), dass die automatische Datenerfassung im Jahr 2028 in der Landwirtschaft am verbreitetsten sein wird. Die ersten innovativen Landwirte erproben bereits entsprechende Technologien. Verbraucher wünschen sich eine lückenlose Rückverfolgbarkeit von Produkten.

Das sehen auch die Landwirte: 69 Prozent erwarten, dass im Jahr 2028 die Verbraucher die Produkte digital zurückverfolgen, bewerten und weiterempfehlen können. Durch den Einsatz von Sensoren und vernetzten Maschinen kann den Verbrauchern so eine Fülle von informations- und wissensbasierten Daten bereitgestellt werden. Dagegen werden den befragten Landwirten zufolge futuristische Technologien wie Augmented Reality über Datenbrillen (28 Prozent) oder Vertical Farming (11 Prozent) nur eine geringe Verbreitung erfahren.

Digitale Technologien bieten vielfältige Win-win-Potenziale. Denn ihr Einsatz kann nicht nur die Profitabilität der Betriebe steigern, sondern gleichzeitig auch das Tierwohl, die Tiergesundheit, die Ressourceneffizienz und den Umweltschutz verbessern. Deshalb bietet die Rentenbank eine Vielzahl von Förderinstrumenten an, um Investitionen in digitale Technologien, Innovationen und einzelbetriebliche Ideen zu unterstützen.

Die richtigen Rahmenbedingungen setzen

Allerdings brauchen die Landwirte für Investitionen in die Digitalisierung ihrer Betriebe nicht nur ein günstiges finanzielles Umfeld, sondern auch die richtigen rechtlichen Rahmenbedingungen. Insbesondere in Bezug auf das Dateneigentum bestehen gegenwärtig Regelungslücken, die zu Unsicherheiten führen.

So ist es beispielsweise durchaus denkbar, dass ein Teil der Wertschöpfung von den Betrieben auf große, zentral agierende Akteure übergeht, die auf die Datenauswertung spezialisiert sind. Diese könnten dann als "Gehirn" der Betriebe agieren, während die einzelnen Betriebe nur noch als "Muskel" die zentral getroffenen Entscheidungen umsetzen.

Um die Vielfalt der landwirtschaftlichen Produktion zu erhalten und eine stärkere Konzentration auf wenige große Akteure zu vermeiden, ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Landwirte selbst über die Nutzung der auf ihren Betrieben gewonnenen Daten entscheiden können.

Dr. Horst Reinhardt Sprecher des Vorstands der Landwirtschaftlichen Rentenbank, Frankfurt am Main
Dr. Horst Reinhardt , Sprecher des Vorstands der Landwirtschaftlichen Rentenbank

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