Digitales Zentralbankgeld - pro und contra

Prof. Dr. Oliver Read, Foto: O. Read

Angetrieben durch die allgemein zunehmende Digitalisierung und Vorstöße privater Anbieter wie Facebook denken die Notenbanken weltweit vermehrt über die Einführung von sogenanntem digitalen Zentralbankgeld nach. Vorteilen wie dem verbesserten Zugang zu Finanzdienstleistungen für Unternehmer und Verbraucher oder einem jederzeitigen Einblick in die Zahlungsströme für Zentralbanken und Finanzaufsicht stehen Risiken wie Gefahren für die Finanzstabilität oder ein Verlust der Anonymität gegenüber. Entsprechend kontrovers werden die Diskussionen geführt. Auch aufseiten der Banken, deren Rolle sich in einer digitalisierten Welt des Geldes ebenfalls verändern würde. Angesichts der enormen Herausforderungen gehen die Autoren nicht davon aus, dass das Eurosystem kurz- bis mittelfristig selbst und unmittelbar Zentralbankkonten für jedermann anbietet oder einen digitalen Euro- Token emittiert. Sie erwarten vielmehr eine Fortsetzung der bewährten Zusammenarbeit zwischen Zentralbanken auf der einen sowie Geschäftsbanken und spezialisierten Dienstleistern auf der anderen Seite. (Red.)

Die Welt des Geldes ist in Bewegung geraten. Vor einem Jahr kündigte ein Unternehmenskonsortium um Facebook an, eine Digitalwährung namens Libra für eine weltweite Nutzerbasis und mit dem Versprechen einer stabilen Wertentwicklung (Global Stablecoin) einführen zu wollen. Daraus ist bis heute nichts geworden und die Initiatoren mussten ihre Pläne grundlegend als Libra 2.0 überarbeiten. Allerdings, der Geist ist aus der Flasche. Den Zentralbanken droht in ihrem ureigenen Aufgabengebiet der Geldpolitik direkte Konkurrenz aus dem privaten Sektor.

Damit ist dem Libra-Projekt gelungen, was die bekannteste mittlerweile mehr als zehn Jahre umlaufende Kryptowährung Bitcoin nicht erreichen konnte. Die Digitalisierung des Geldwesens hat einen ungeahnten Schub erhalten. Dem können sich die vorher sehr zögerlichen Notenbanken der großen Volkswirtschaften nicht weiter entziehen. Sie beschäftigen sich nun ernsthaft mit der Option, sogenanntes digitales Zentralbankgeld (Central Bank Digital Currency, CBDC) einzuführen.

Geld kann alles sein, was die drei Geldfunktionen (Tauschmedium, Recheneinheit, Wertaufbewahrungsmittel) erfüllt. In den aktuellen Geldsystemen der Fiatwährungen existieren zwei Arten von Geld nebeneinander, nämlich Zentralbankgeld und Geschäftsbankengeld. Ersteres geben die Zentralbanken in Form von Bargeld und Reserven (Einlagen der Geschäftsbanken auf ihren Konten bei der Zentralbank) aus. Mit den Reserven begleichen die Geschäftsbanken Forderungen und Verbindlichkeiten untereinander und gegenüber der Zentralbank.

Abbildung 1: Die traditionelle Welt des Geldes Quelle: O. Read/S. Schäfer

Von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen kann außer dem Staat und den Geschäftsbanken niemand ein Konto bei der Zentralbank unterhalten. Private Haushalte und Unternehmen können Zentralbankgeld daher nur als Bargeld nutzen. Den größten Teil ihrer Zahlungen wickeln sie jedoch nicht bar ab, sondern indem sie über ihre Einlagen auf Girokonten bei den Geschäftsbanken (Giralgeld) verfügen. Das Giralgeld schaffen die Geschäftsbanken selbst durch Kreditvergabe. Es stellt den Anspruch des Kontoinhabers dar, sich seinen Kontostand bar auszahlen zu lassen, das heißt das Giralgeld in Zentralbankgeld umwandeln zu können. Sowohl für die Reserven als auch für das Giralgeld erfolgen Verbuchung und Verfügung mittlerweile digital. Digitales Geld existiert also längst. Analoges Geld ist nur das Bargeld, welches physisch gehalten und physisch übertragen wird (Abbildung 1).

Dies wirft die Frage auf, welchen Mehrwert digitales Geld stiften kann. Hier hilft der Blick auf drei besondere Eigenschaften einiger Kryptoassets: Dezentralität der Bereitstellung und Verwaltung, Einsatz moderner Verschlüsselungsverfahren sowie Programmierbarkeit.

Digitalisierung des Geldwesens

Kryptowährungen wie Bitcoin wurden - erstens - als Anwendung der Distributed Ledger Technology konzipiert und somit als dezentrales Gegenmodell zu Fiatwährungen, deren Wert einzig auf dem Vertrauen in Notenbanken und Kreditinstituten basiert. Bitcoin-Einheiten werden nach einem vorgegebenen Algorithmus bis zu einer bestimmten Höchstmenge von Teilnehmern des Netzwerks geschürft und auf den Computern aller Bitcoin-Nutzer in der sogenannten Blockchain dezentral verbucht.

Um in einem solchen komplexen dezentralen System Fehler und Betrug zu verhindern, kommen - zweitens - kryptographische Verfahren zum Einsatz. Daher rührt die Bezeichnung als Kryptowährung. Eine dritte besondere Eigenschaft digitaler Assets ist die Möglichkeit der Programmierbarkeit. Einzelne Einheiten des Kryptoassets können mit einem kleinen Programm beziehungsweise Algorithmus versehen werden, der Zahlungen auslöst, sobald bestimmte Bedingungen erfüllt sind (Smart Contracts). Im Internet of Things werden technische Geräte direkt miteinander kommunizieren und mithilfe des programmierbaren Geldes auch unmittelbar Bezahlvorgänge abwickeln können.

Digitales Zentralbankgeld würde zwischen den beiden Welten des Geldes stehen. Einerseits wäre die Notenbank als zentrale Instanz für seine Ausgabe und Steuerung verantwortlich. Andererseits könnte die Notenbank das digitale Zentralbankgeld so konzipieren, dass Vorteile der Dezentralität, Verschlüsselung und Programmierbarkeit zur Geltung kommen.

Ein Bezahlvorgang mit digitalem Zentralbankgeld am Point of Sale würde wie die bereits verbreiteten mobilen und Online-Bezahlverfahren erfolgen. Für die Endnutzer weitestgehend unerheblich wäre, ob das digitale Zentralbankgeld objekt- oder kontenbasiert implementiert wäre. Betrachtet man Geld als Objekt, so ist dessen Wert auf einem dezentralen, lokalen Objekt (Token) abgespeichert. Am Beispiel eines Bezahlvorgangs am Point of Sale kann der Zahlungspflichtige seine Schuld für die empfangene Leistung beim Bezahlen direkt - durch Übergabe des Objektes - begleichen. Voraussetzung dafür ist, dass der Zahlungsempfänger das Objekt für echt, und damit werthaltig, hält. Ein weiterer Austausch von Informationen ist in diesem Fall ebenso verzichtbar wie die Einschaltung einer dritten Partei. Die Transaktionsbeteiligten können anonym bleiben.

Diese Bedingungen erfüllt historisches Warengeld (Muscheln, Zigaretten) ebenso wie Bargeld. Auch Kryptoassets können als Zahlungsobjekte verstanden werden. Die Übergabe und Echtheitsprüfung erfolgen elektronisch zwischen der Wallet (elektronische Brieftasche) des Zahlungspflichtigen und derjenigen des Zahlungsempfängers. Eine Zahlung mit objektbasiertem digitalem Zentralbankgeld könnte man sich so vorstellen, dass der Käufer einer Ware per Smartphone seine Wallet am Point of Sale zu einer Zahlung auf die Wallet des Verkäufers veranlasst. Die Bezahlung ist erfolgt, sobald die Wallet des Verkäufers das digitale Zentralbankgeld als echt identifiziert und in Empfang genommen hat.

Digitales Zentralbankgeld für jedermann

Die Einführung eines kontenbasierten digitalen Zentralbankgeldes hingegen würde implizieren, dass die Endnutzer selbst bei der Zentralbank Girokonten unterhalten dürfen beziehungsweise, dass diese Konten von den Geschäftsbanken verwaltet werden. Zahlungen würden erfolgen wie bei der Zahlung mit Giralgeld, durch Zugriff auf ein Kontoguthaben und Übertragung auf das Konto des Zahlungsempfängers. Die Schuld des Zahlungspflichtigen ist erst getilgt, wenn der Betrag auf dem Konto des Zahlungsempfängers eingegangen ist.

Als Nächstes wäre zu klären, ob kontenbasiertes digitales Zentralbankgeld nur für Kreditinstitute oder auch für private Haushalte und Unternehmen (mit einem wie auch immer definierten Bezug zur Jurisdiktion der Notenbank) angeboten werden und ob es verzinst oder unverzinst sein soll. Unverzinstes digitales Zentralbankgeld für Kreditinstitute muss nicht weiter betrachtet werden, weil es unverzinsten Reserven (auf neuer technologischer Grundlage) entspräche, die Verzinsung der Reserven aber ein wichtiger Ansatzpunkt für die Geldpolitik ist. Digitales Zentralbankgeld nur für Kreditinstitute würde in der verzinsten Variante den derzeitigen Reserven entsprechen und damit keine Neuerung mit sich bringen. Das wäre bei dem digitalen Zentralbankgeld für jedermann anders.

Digitales Zentralbankgeld für jedermann gibt es schon in der physisch-analogen Variante - als Bargeld. Die elektronisch-digitale Variante unterscheidet sich davon in zweierlei Hinsicht: Zum einen könnte man das (kontenbasierte) digitale Zentralbankgeld verzinsen, zum anderen ist es bequemer, insbesondere bei sehr hohen und sehr niedrigen Beträgen. Unverzinstes digitales Zentralbankgeld für jedermann wäre nichts anderes als eine elektronische Variante des Bargeldes. In seiner verzinsten Form würde es jedoch eine echte Innovation darstellen, denn abhängig von den Rahmenbedingungen (auch mit negativem Zins denkbar) könnte die Zentralbank hier mit ihrer Zinspolitik erstmals direkt auf private Haushalte und Unternehmen einwirken. Dies würde der Geldpolitik neue Wege eröffnen.

Verfechter einer noch expansiveren Geldpolitik bemängeln seit Langem die effektive Zinsuntergrenze von null. Zinssenkungen in den negativen Bereich hinein drohen wirkungslos zu verpuffen, weil die Wirtschaftssubjekte ihr Finanzvermögen bar halten können. Mit digitalem Zentralbankgeld könnte der negative Zins direkt in den Wallets der privaten Haushalte und Unternehmen greifen. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass es kein Bargeld mehr gibt beziehungsweise dieses kaum noch genutzt wird. Digitales Zentralbankgeld für jedermann würde zudem das sogenannte Helikoptergeld, also die Versorgung der Realwirtschaft mit Zentralbankgeld ohne Zwischenschaltung der Banken, möglich machen und den Zentralbanken Echtzeit-Einblick in die Zahlungsströme geben. Geldpolitik und Finanzaufsicht könnten davon profitieren. Alles in allem könnte digitales Zentralbankgeld mit deutlich mehr Einflussmöglichkeiten für die Zentralbanken verbunden sein.

Die Befürworter des digitalen Zentralbankgeldes versprechen sich von dessen Einführung jedoch nicht nur eine effektivere Geldpolitik, sondern auch einen effizienteren Zahlungsverkehr, einen breiteren Zugang zu Finanzdienstleistungen sowie einen besseren Start in die digitalisierte Wirtschaft.

Mehr Zugang zu Finanzdienstleistungen

Der Zahlungsverkehr ist zum Teil noch ineffizient insbesondere bei grenzüberschreitenden Überweisungen. Das betrifft nicht nur die sogenannten Remittances, also die Überweisungen von Gastarbeitern in ihre Herkunftsländer (bei denen es sich oft um Schwellen- beziehungsweise Entwicklungsländer handelt). Auch zwischen Industrieländern können Zahlungen Tage in Anspruch nehmen und einen einstelligen Prozentsatz an Gebühren kosten. Digitales Zentralbankgeld könnte den Zahlungsverkehr zudem nicht nur kostengünstiger, sondern auch stabiler machen, insbesondere in Zeiten finanzieller Anspannung.

Derzeit bezahlen die privaten Haushalte und Unternehmen weitgehend mit Giralgeld, also durch Zugriff auf ihre Girokonten bei Kreditinstituten. Dieser Zugriff könnte in Krisenzeiten gestört sein, wenn Bank Runs drohen und einzelne Banken keine Überweisungen mehr vornehmen können oder dürfen. Dies zeigt ganz generell, dass den privaten Haushalten und Unternehmen jenseits des immer mehr an Bedeutung verlierenden Bargeldes der Zugriff auf Zentralbankgeld und damit eine stabile Bezahlmöglichkeit zur Verfügung stehen sollte.

Über derartige Überlegungen mit Bezug auf den Krisenfall hinaus bringt die sinkende Bedeutung des Bargeldes das Thema Finanzielle Inklusion auf die Tagesordnung. In Schweden beispielsweise kann in großen Teilen der Wirtschaft nur noch bargeldlos bezahlt werden. Dadurch fällt es Bevölkerungskreisen ohne Girokonto zunehmend schwer, am Geschäftsleben teilzunehmen. Smartphones sind dort aber durchaus verbreitet, sodass vielen derjenigen ohne Bankkonto dennoch der Zugriff auf eine Wallet mit digitalem Zentralbankgeld möglich wäre. Es ist kein Zufall, dass die Schwedische Reichsbank zu den Vorreitern bei der Einführung von digitalem Zentralbankgeld zählt.

Ein großer Vorteil des Bargeldes ist, dass es Anonymität beim Bezahlen ermöglicht. Damit digitales Zentralbankgeld ein in diesem Sinne vollwertiger Ersatz für Bargeld sein kann, müsste es ebenfalls Anonymität gewährleisten. Dies stößt jedoch an seine Grenzen, wenn das staatliche Interesse an der Bekämpfung von Geldwäsche und Steuerhinterziehung berührt wird. Nicht umsonst sind Barzahlungen in vielen Ländern nur bis zu einem bestimmten Betrag ohne Identifikation der Transaktionsteilnehmer erlaubt.

Über praktische Fragen hinaus steht die strategische Frage im Raum, ob die Zentralbanken der großen Volkswirtschaften am Rand stehen können, wenn die Welt des Geldes infolge der Digitalisierung völlig neu vermessen wird. Skalen- und Netzwerkeffekte spielen im digitalen Bereich eine besondere Rolle. Nicht nur das Konsortium um Facebook, sondern auch die chinesische Zentralbank (People's Bank of China, PBoC) sind diesbezüglich bereits weit vorangeschritten. Die USA und die Eurozone könnten hier ins Hintertreffen geraten und laufen Gefahr, technologisch abgehängt zu werden.

Dies könnte sich negativ auf die Stellung der jeweiligen Fiatwährungen als Welt-Reservewährungen auswirken. Die westlichen Währungsräume könnten in eine Situation geraten, in der die dortigen privaten Haushalte und Unternehmen einen Großteil ihrer Bezahlvorgänge an der Fed beziehungsweise der EZB vorbei über alternative Plattformen abwickeln. Der jeweilige Plattformbetreiber hätte dann zudem einen tiefen Einblick in die Transaktionen der Wirtschaftssubjekte und damit in die Mikrostruktur der Wirtschaft.

Drohende Disintermediation des Finanzsystems

Allen Vorteilen zum Trotz ist die Diskussion über digitales Zentralbankgeld weiter vielfach von Vorsicht und Skepsis geprägt. Denn digitales Zentralbankgeld widerspricht der Grundkonstruktion unseres Geldsystems; seine Einführung hätte daher nur schwer abschätzbare Auswirkungen auf die Finanzstabilität und die Wirkungsweise der Geldpolitik. Im Zentrum der Überlegungen steht dabei die mögliche Disintermediation des Finanzsystems.

Wenn private Haushalte und Unternehmen Liquidität nicht mehr als Einlagen auf Girokonten, sondern als digitales Zentralbankgeld in Wallets halten, büßen die Kreditinstitute ihre spezifische Rolle im geldpolitischen Transmissionsmechanismus ein. Sie würden dann nicht mehr in dem Ausmaß wie zuvor als Intermediäre zwischen Sparern und Investoren stehen; auch ihre geldpolitische Mittlerfunktion als Geschäftspartner der Zentralbanken, deren zins- und kreditpolitische Entscheidungen die Geschäftsbanken über ihre eigenen Einlage- und Kreditkonditionen an die Realwirtschaft transportieren, würde deutlich reduziert. Was das für die Geldpolitik und die Finanzstabilität bedeuten würde, ist nur schwer abzuschätzen.

Abbildung 2: Varianten des digitalen Zentralbankgeldes Quelle: O. Read/S. Schäfer

Den Extremfall der Disintermediation stellt der Bank Run im Krisenfall dar. Das Umwandeln von Girokonto-Guthaben in digitales Zentralbankgeld dürfte leichter sein als das Abheben von Bargeld - ebenso wie die anschließende sichere Verwahrung der abgehobenen Summen. Bank Runs könnten daher in der digitalisierten Welt des Geldes wahrscheinlicher werden. Die Befürworter von digitalem Zentralbankgeld wenden wiederum ein, dass die Entwicklungen der Geld- und Bezahltechnologie ohnehin auf eine Disintermediation hinauslaufen. Die Frage ist dann nur noch, ob diese Disintermediation von außen aufgezwungen wird - beispielsweise von Libra oder der People's Bank of China - oder man die Entwicklung selbst in der Hand hat. Digitales Zentralbankgeld wäre eine Möglichkeit, ein wirklich sicheres System (im Sinne einer Unabhängigkeit von privaten, teils zersplitterten Systemen) aufzubauen, was der Stabilität des Finanzsystems dienen würde.

Zusammenarbeit zwischen Zentralbanken und Geschäftsbanken

Die Deutsche Bundesbank und die EZB haben der Digitalisierung des Geldwesens lange zurückhaltend gegenübergestanden. Die diesbezüglichen Veröffentlichungen waren analytisch-beobachtender Natur ebenso wie die Reden der führenden Vertreter des Eurosystems. Einen Wendepunkt stellt hier die Anhörung der neuen EZB-Präsidentin Christine Lagarde im Dezember 2019 vor dem Wirtschaftsausschuss des Europäischen Parlaments dar. Sie betonte zwar die Risiken digitalen Zentralbankgeldes, hob aber ebenso die Chancen hervor und zeigte sich dessen möglicher Einführung gegenüber grundsätzlich offen. Im Januar 2020 veröffentlichte ein ranghoher EZB-Mitarbeiter ein Arbeitspapier, in dem er mögliche Wege zu einer Digitalwährung auslotete. Damit scheint das Eurosystem einen Weg beschreiten zu wollen, auf dem andere Zentralbanken mit der Implementierung konkreter Pilotprojekte schon deutlich weiter vorangekommen sind.

Es ist jedoch kurz- und mittelfristig nicht realistisch, dass das Eurosystem selbst und unmittelbar Zentralbankkonten für jedermann anbietet oder einen digitalen Euro-Token emittiert. Dafür müssten die EZB beziehungsweise die nationalen Notenbanken in das Massengeschäft der Kreditinstitute, Kreditkartenunternehmen und Zahlungsdienstleister mit mehreren hundert Millionen Kunden eintreten und die erforderlichen personellen und technischen Kapazitäten aufbauen. Vielmehr dürfte ein Mischsystem entstehen, das die bewährte Zusammenarbeit zwischen Zentralbanken auf der einen sowie Geschäftsbanken und spezialisierten Dienstleistern auf der anderen Seite widerspiegelt: eine Public-Private-Partnership, in der das Eurosystem für Kernfunktionen direkt verantwortlich zeichnet, den Großteil der operativen Umsetzung - insbesondere wenn es um den Kontakt mit den Endkunden geht - aber den Geschäftspartnern aus der Finanzbranche überlässt.

Eine solche Public-Private-Partnership wurde im vergangenen Jahr in einem vielbeachteten Diskussionspapier des Internationalen Währungsfonds vorgeschlagen. Demnach könnten private Anbieter synthetisches digitales Zentralbankgeld (Synthetic CBDC) auf den Markt bringen. Dabei würde es sich um Token handeln, die gegen Bar- beziehungsweise Giralgeld an die Endnutzer ausgegeben werden (sogenannte Stablecoins). Die Emittenten dieser Token könnten Konten bei der Zentralbank eröffnen und müssten die Token vollständig mit Zentralbankgeld absichern. Jeder Token könnte gegen Rückzahlung des eingezahlten Geldes zurückgegeben werden. Hinter jedem Token im Wert von einem Euro stünde dann ein Zentralbankguthaben des Emittenten in Höhe von jeweils einem Euro. Die Ausgabe der Token und Abwicklung der Zahlungen würde voll in der Hand privater Anbieter liegen, das Eurosystem würde die entsprechende Sicherheit beisteuern.

Fußnoten

1) Vergleiche Arner, D. et al. (2020), S. 21ff., sowie Read, O./Schäfer, S. (2020).

2)Vergleiche für einen Überblick Adrian, T./Mancini-Griffoli, T. (2019), S. 2ff, sowie Bitkom (2020), S. 5ff.

3) Vergleiche Radia, A./Thomas, R. (2014), Jakab, Z./ Kumhof, M. (2015) sowie Deutsche Bundesbank (2017).

4) Vergleiche Bank of England (2020), S. 9/10.

5) Vergleiche Bank of England (2020), S. 42 sowie Bitkom (2020), S. 6f.

6) Vergleiche Mancini-Griffoli, T. et al. (2018), S. 7.

7) Vergleiche Bank of England (2020), S. 47 sowie Mancini-Griffoli, T. et al. (2018), S. 8f.

8) Vergleiche Bitkom (2020), S. 8.

9) Vergleiche Bank of England (2020), S. 38ff. sowie Bitkom (2020), S. 8.

10) Für einen Literaturüberblick zum Zusammenhang zwischen Geldpolitik und digitalem Zentralbankgeld vergleiche Beniak, P. (2019). Vergleiche zudem Bank of England (2020), S. 36ff. sowie Bitkom (2020), S. 13ff.

11) Vergleiche Bank of England (2020), S. 16ff.

12) Vergleiche Bitkom (2020), S. 11 und Mancini-Griffoli, T. et al. (2018), S. 19.

13) Vergleiche Mancini-Griffoli, T. et al. (2018), S. 16.

14)Vergleiche Klein, M. et al. (2020), S. 45f., Mancini-Griffoli, T. et al. (2018), S. 10 sowie Bitkom (2020), S. 9 u. 17.

15) Vergleiche Bitkom (2020), S. 14 u. 19.

16)Vergleiche Bank of England (2020), S. 35f., Mancini-Griffoli, T. et al. (2018), S. 21ff. sowie Bitkom (2020), S. 16.

17) Vergleiche Klein, M. (2020), S. 44f. sowie Mancini-Griffoli, T. et al. (2018), S. 25ff.

18) Vergleiche Mancini-Griffoli, T. et al. (2018), S. 24f.

19) Vergleiche zum Beispiel ECB Crypto-Assets Task Force (2019), Deutsche Bundesbank (2019), S. 48-50, und Weidmann, J. (2019).

20) Vergleiche Lagarde, C. (2019).

21) Vergleiche Bindseil, U. (2020).

22) Vergleiche Auer, R. et al. (2020), Arner, D. et al. (2020), S. 28ff. sowie Boar, C. et al. (2020).

23) Vergleiche Arner, D. et al. (2020), S. 45ff.

24) Vergleiche Adrian, T./Mancini-Griffoli, T. (2019), S. 12ff.

Ein umfassendes Literaturverzeichnis zu diesem Beitrag finden Sie hier.

Prof. Dr. Oliver Read CFA, Professor für Finanzierung und Prodekan, Hochschule RheinMain, Wiesbaden
 
Prof. Dr. Stefan Schäfer Volkswirtschaftslehre/Makroökonomik, Hochschule RheinMain, Wiesbaden
Prof. Oliver Read , CFA, Professor für Finanzierung und Prodekan, Hochschule RheinMain, Wiesbaden
Prof. Dr. Stefan Schäfer , Volkswirtschaftslehre/Makroökonomik , Hochschule RheinMain, Wiesbaden

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