Direct-to-Consumer - das Damoklesschwert der Finanzbranche

Jörg Bollow Foto: J. Bollow

Die digitale Transformation macht einen überflüssig: den Intermediär. Neue Technologien wie die Blockchain sollen helfen, Vermittler und die damit verbundenen Kosten aus dem Spiel zu nehmen. Der Autor geht der Frage nach, ob Kreditinstitute als Intermediär zwischen Kunde und Produkt damit langsam überflüssig werden. Der Konsument nimmt mittlerweile eine immer aktivere Rolle im Wirtschaftsgeschehen ein, als eben nur zu konsumieren. Als Schlüssel für einen nachhaltigen Umgang mit der Digitalisierung sieht er das Ausloten der Möglichkeiten zur Prozessoptimierung und Kostenreduktion. Gleichzeitig aber müsse man den Blick für die neuen Geschäftsmodelle oder Leistungsmerkmale schärfen, die die Digitalisierung ermöglicht und eventuell sogar benötigt. (Red.)

Die Blockchain - kein anderer Trendbegriff wird in diesen Tagen häufiger von Podiumsbühnen gepredigt. Joachim Albersmann, Partner bei Pricewaterhouse Coopers, sieht ein neues Betriebssystem für das Internet heraufdämmern. Und Ingo Rübe, der gemeinsam mit dem Burda-Verlag das Start-up Botlabs Anfang dieses Jahres ins Leben rief, hofft darauf, dass die Blockchain dafür sorgt, dass große Monopolisten wie Amazon, Google oder Airbnb in ihre Schranken verwiesen werden und die Netzneutralität wiederhergestellt wird. Kein Privatunternehmen soll bestimmen, was die Infrastruktur des Internets leistet und was nicht. De facto setzen die Internetriesen heute die Standards und fahren dank ihrer schieren Größe so viele Skalenerträge ein, dass sie ihre Marktstellung damit absichern können.

Blockchain

Die Blockchain ist nichts anderes als eine gut verschlüsselte Datenbank. Sie liegt nicht auf einem zentralen Rechner, sondern residiert gleichzeitig auf allen beteiligten Computern. Das macht sie so fälschungssicher. Jede Transaktion, die dort hinterlegt wird, ist klar nachvollziehbar. Das sorgt zwar nicht unmittelbar für mehr Rechtssicherheit, denn es bedarf eines exekutiven Systems, das die Blockchain als Beweismittel nutzt. Aber die Transparenz des Systems wirkt disziplinierend auf die Marktteilnehmer.

Doch was hat die Blockchain mit dem Kreditwesen zu tun? Jede Menge. Joachim Albersmann ist Spezialist für Energiemärkte und er sieht erhebliches Potenzial in "Smart Contracting". Das sind dynamische Verträge, die in der Blockchain hinterlegt werden. Und sie werden eingesetzt, um zum Beispiel die Haushalte in einer Straße zu vernetzen. Produziert ein Haushalt Energieüberschüsse durch eine Fotovoltaik-Anlage, so kann er diese Überschüsse seinen Nachbarn verkaufen. Direkt, ohne Mittelsmann und ohne Gebühren.

Die Blockchain ist, wenn sie funktioniert, in Software gegossenes Vertrauen. Die klassische Vermittlerrolle eines lokalen Energieunternehmens wird ersatzlos gestrichen. Das britische Start-up tZero ist beispielsweise gerade dabei, eine Sicherheitsarchitektur für das Anlagewesen auf Blockchain-Basis zu entwickeln. Eine erste Überprüfung durch die britische Börsenaufsicht hat man im August bestanden.

Die Blockchain ist nur ein Beispiel von vielen, aber ein sehr markantes. Was für kleine Energie-Kommunen funktioniert, lässt sich natürlich auch auf Peer-to-Peer-Lending anwenden, also auf die private Kreditvergabe, wie sie das Düsseldorfer Unternehmen Auxmoney anbietet. Auch PSD2 und die damit verbundene Aufhebung des exklusiven Zugriffs auf Kontoinformationen dienen letztlich dazu, die Einstiegshürden für Drittanbieter zu senken. Zahlungen können ohne den Intermediär Bank abgewickelt werden und die Bank verliert im schlimmsten Fall den Kundenkontakt. In sehr vielen disruptiven Geschäftsmodellen, die aus der Internetökonomie gewachsen sind, geht es darum, alte Vermittlungsstrukturen aufzubrechen. Airbnb vermittelt Zimmer zwischen Privatpersonen. Das Unternehmen ist in vielen Regionen zum Herausforderer der klassischen Hotellerie geworden, ohne ein einziges Bett zu besitzen. Analog gilt das für den Fahrdienst Uber, der hierzulande zwar vom Gesetzgeber künstlich in Schach gehalten wird, in den USA aber die Westküste längst dominiert.

Kampf den Vermittlern

Beide Modelle profitieren von einem wichtigen Trend der letzten zwanzig Jahre, dem Prosumer. Das ist ein Konsument, der eine aktivere Rolle im Wirtschaftsgeschehen einnimmt, als eben nur zu konsumieren. Er bietet auch an. Plattformen wie Ebay markierten den Anfang. Der Markt für Gebrauchtwaren eröffnete Konsumenten ein viel größeres Absatzgebiet als zum Beispiel der lokale Flohmarkt. Ein interessantes Beispiel für die Aufwertung der Eigenleistung des Endkunden liefert auch Ikea. Vor fünfzig Jahren hat das Unternehmen begonnen, die Endmontage der Möbel auf den Kunden zu übertragen. Was vordergründig wie reines Discounting wirkt - also das Sparen von Prozesskosten in der Lieferkette - hat einen komplett neuen Markt eröffnet. Möbel sind zum Modeaccessoire geworden, weil der Kunde weiß, dass er viele Möbel bei Ikea sofort mitnehmen und im eigenen Pkw transportieren kann. Da nimmt man auch den abgebrochenen Fingernagel bei der Endmontage in Kauf.

Der Kunde von heute verkauft selbst, bietet Fahrleistungen an, vermietet seine Einliegerwohnung und natürlich erledigt er seine Bankgeschäfte selbst. Die Bankenbranche hat Jahre daran gearbeitet, die Voraussetzungen für die Abschaffung eines Teils der eigenen Wertschöpfung aufzubauen. Wer Onlinebanking beherrscht, für den ist der Wechsel zu einer reinen Onlinebank ein Kinderspiel. Und wer nach 1995 geboren ist, denkt bei online nicht mehr an den PC, sondern nur noch an das Smartphone. Und schon zeigt sich die Erfolgsgeschichte von N26 nicht mehr als anekdotisches Kuriosum, sondern als ganz logische Entwicklung.

Anbieter wie Robin Hood, die sich auf die Fahne geschrieben haben, mehr Menschen Zugang zu den Kapitalmärkten zu eröffnen, werben explizit damit "das überflüssige Fett" aus dem Vermittlungsprozess abgesaugt zu haben. Das Londoner Unternehmen Revolut kombiniert gleich eine Handvoll "neuer" Dienste mit ihrem kostenlosen Girokonto. Darunter auch den Umtausch in Kryptowährungen, also zum Beispiel Bitcoin, oder Peerto-peer-Lending.

Chancen der Veränderung

Das Schreckgespenst der Disruption treibt dieser Tage viele Banker nach Kalifornien. Dort besuchen sie Start-ups und die großen digitalen Platzhirsche und werden Zeuge davon, dass die Kraft der Disruption noch viel mehr Energie freisetzt, als in Europa bislang ankommt. In San Francisco werden die Pendlerbusse von Google oder Facebook, die die Mitarbeiter zur Arbeit bringen sollen, von Demonstranten angegriffen. Die Digitalwirtschaft schmort so stark im eigenen Saft, dass man ganz übersehen hat, dass die Pazifik-Metropole mit massiven sozialen Verwerfungen zu kämpfen hat.

Die digitale Transformation verändert die Menschen in ihrem Konsum und Arbeitsverhalten und sie verändert Strukturen. Die Antwort auf die digitale Transformation kann nie eine hysterische Digitalisierung sein. Es geht um eine strategisch adäquate Reaktion auf dieses veränderte Konsum- und Arbeitsverhalten. Ob die Reaktion digital erfolgt oder ob die Digitalisierung von Backend-Prozessen dazu führt, dass der Banker besser berät und ein Institut hier einen analogen Vorteil aufbaut, bei dem die Onlinebank nicht mitgehen kann, steht auf einem anderen Blatt. Blickt man in Branchen, die im Transformationsprozess schon deutlich weiter sind, so findet man genauso viele Unternehmen, welche die Digitalität als Kernkompetenz nach außen manifestieren, etwa in der Automobilindustrie, wie es Unternehmen gibt, die ganz andere Wege gehen, etwa einen Ausbau der Beratungs- und Serviceleistung im Handel.

Apropos Handel: Der erste ganz analoge Buchladen, den Amazon in Seattle eröffnete, hat einen geradezu verstaubten Retrocharme. Er hat eine "Seele". Gleichzeitig wird die Zusammensetzung des Sortiments von Algorithmen gesteuert, die genau wissen, was wie viele Kunden in den nächsten Tagen kaufen werden.

Die Digitalstrategie

Genau hier liegt der Schlüssel für einen nachhaltigen Umgang mit der Digitalisierung. Es gilt, die Möglichkeiten zur Prozessoptimierung und Kostenreduktion auszuloten. Gleichzeitig aber muss man den Blick für die neuen Geschäftsmodelle oder Leistungsmerkmale schärfen, die die Digitalisierung ermöglicht und eventuell sogar benötigt. Dieser Blick richtet sich nicht nur auf die Prozesse selbst, sondern vor allem auf deren Grundlage, die Daten. Die Finanzbranche hat traditionell eine hohe Expertise im Umgang mit Daten im jeweiligen Anwendungssegment. Das gilt für den Privatkredit und dessen Absicherung ebenso wie beim Firmendarlehen und der zugehörigen Bewertung eines Investitionsvorhabens. Das gilt für die Anlageberatung gleichsam wie im Marketing. Die unterschiedlichen Segmente des Instituts operieren weitgehend autark. Hier stehen die sprichwörtlichen Silos einer virtuosen Nutzung der gesammelten Daten im Weg. Längst beschäftigen sich etwa Start-ups mit der semantischen Analyse von Social Media, um herauszufinden, ob ein Nutzer zeitnah einen Konsumkredit benötigt. Natürlich entsteht bei solchen Analysen kein absolutes Wissen, aber es ergeben sich Wahrscheinlichkeiten. Nutzt der Banker diese, so wechselt er die Rolle, vom reaktiven Dienstleister zum aktiven Partner.

In der Praxis arbeitet das Marketing mit der Social-Media-Analyse und der Privatkundenbetreuer mit seinem Customer-Relationship-Management-System (CRM). Beide wissen heute natürlich, dass in den Datenpools der anderen Abteilungen spannendes Wissen existiert und sie fordern das auch im Einzelfall ab. Eine systematische oder gar automatisierte Aufbereitung der Datensignale erfolgt nur in den seltensten Fällen. Und die ist auch nicht trivial. Allein die Konsolidierung der Datenbasis ist ein technisch aufwendiger Prozess, der im Kreditwesen von umfassender Regulation eingeschränkt wird. Außerdem hat die Öffentlichkeit eine hohe Sensibilität für das Thema Datenschutz entwickelt.

Aber diese Konsolidierung ist alternativlos, sonst zieht man auf Dauer immer den Kürzeren gegenüber Unternehmen, die von Beginn an mit einer Datenstrategie an den Markt gehen und ihre Datenbasis, die Erhebungs- und Verarbeitungskanäle entsprechend ausgerichtet haben. Es ist eine Transformation der kleinen Schritte. In der Regel beginnt sie bei der Zentralisierung der Stammdaten. Schon auf dieser Ebene entstehen Effizienzgewinne, wenn zum Beispiel Dubletten aussortiert oder durch eine Schematisierung der Datenstruktur beim nächsten Mailing weniger Fehler ausgeworfen werden.

Wandel der Verfahren

Der wohl wichtigste Schritt in der Datenstrategie folgt danach. Es geht um den Wandel vom reaktiven zu proaktiven Verfahren. Die gelebte Praxis des "next best offer", die bislang das klassische Upselling bestimmt, wird ersetzt durch datengestützte Vorhersagemodelle, die einen höheren Grad an Präzision und Granularität ermöglichen. Solche Modelle können nur automatisiert berechnet werden. Sie liefern nur "Trefferwahrscheinlichkeiten" und führen somit stets eine Fehlerquote mit sich. Würde der Banker solche Angebote von Hand zusammenstellen, wäre der Aufwand ungleich höher und jedes Angebot, das nicht angenommen wird, ein echter Kostenfaktor.

Der Banker würde sich zu Recht vor allem auf die aussichtsreichsten Angebote konzentrieren und genau deren Auswahl basiert auf einem Datenmodell. Dieses Modell verändert sich in hoher Geschwindigkeit, da sich die Menge an verfügbaren Datenpunkten exponentiell erhöht. Jeder Besuch der Website, jeder Kommentar in einem Forum, jeder Produktkauf kann relevant sein für die Passgenauigkeit zum Beispiel eines Finanzierungsangebots. Wie aber nähert man sich einem solchen Modell angesichts der Masse an verfügbaren Daten, wenn man die Erfolgschancen nicht im Vorfeld abschätzen kann? Hier greift die Leistungsfähigkeit der Künstlichen Intelligenz (KI) an. "Unser Algorithmus ist leidenschaftslos", kommentiert ein KI-Forscher eines großen Hamburger Versandhauses. "Er findet auch Korrelationen, mit denen wir niemals gerechnet hätten."

Künstliche Intelligenz als Lösung

Die KI kann enorm große Datenmengen in kurzer Zeit analysieren. Sie wird mit einem Basisdatensatz trainiert. Der "Trainer" - ein erfahrener Datenanalyst - gibt vor, was ein gutes und was ein schlechtes Ergebnis ist, und fortan rechnet die KI selbstständig und optimiert sich (Machine Learning) anhand der Güte des gewünschten Ergebnisses. Solche Modellrechnungen lassen sich bequem in sogenannten Datenlaboren simulieren. Diese operieren mit einem Teil der verfügbaren realen Daten und schätzen die Leistungsfähigkeit von entsprechend berechneten Angeboten ab. Daten aus externen Quellen werden testweise zugefügt und nur dann behalten, wenn sich das Ergebnis verbessert.

Das Ganze passiert in einer Sandbox. Das ist eine isolierte Umgebung, die unmittelbar keine Auswirkung auf das operative Geschäft hat. Erst wenn die Wahrscheinlichkeit eines positiven Ergebnisses sehr hoch ist, rollt man das Angebotsmodell in das operative Geschäft aus. Und selbst dort kann noch eine Testphase eingearbeitet werden, indem nur ein Teil der Kunden das Angebot erhält. Das Marketing kennt solche Prozesse im digitalen Alltag unter dem Begriff A/B-Testing. Im Handel operieren derartige Modelle zum Beispiel im Bereich Dynamic Pricing, also der Anpassung von Preisen an Tageszeiten, Regionen oder sogar Benutzungsszenarien. Es wird Zeit, dass diese Form agiler Vorgehensweise auch in das operative Geschäft Einzug erhält. Nur bitte mit möglichst wenig Risiko.

Kundenbedürfnisse ändern sich

Was für die Angebotskommunikation gilt, gilt gleichsam für die Risikobewertung. Start-ups wie Kreditech nutzen Big Data zur Berechnung der Ausfallwahrscheinlichkeit. Und dafür gibt es einen Markt, selbst im vermeintlich gut versorgten Europa. Pricewaterhouse Coopers hat berechnet, dass in Großbritannien gut ein Viertel der potenziellen Kunden mit Krediten unterversorgt sind, weil standardisierte Bewertungssysteme es nicht erlauben, ihnen überhaupt ein Angebot zu machen. Bei Kreditech hingegen ist der individuelle Zins ein Vektor der Ausfallwahrscheinlichkeit, deren Berechnung sich zum Beispiel auch auf Analysen von Social Media stützt.

Und es können auch ganz einfache Erkenntnisse aus der Datenanalyse sein, die Quick Wins in Aussicht stellen. Bei der UBS in der Schweiz hat man festgestellt, dass ein Großteil der Anrufer im Callcenter vor allem eines wissen will: den Kontostand. Durch die Installation eines automatisierten Antwortsystems mit einem Bot konnten die Servicekosten drastisch reduziert werden. Es wird deutlich, dass Digitalisierung und Automatisierung vor allem eines tun, nämlich die Reise des Kunden und dessen Bedürfnisse zu ändern. Wer Kosten im Service spart, kann dies dazu einsetzen, individuellere Beratungsleistung anzubieten, um sich von den Self-Service-Modellen der Start-ups zu unterscheiden. Denn das klassische Institut, das versucht, den schnellen und agilen Gründern auf deren ureigenem Terrain nachzulaufen, wird scheitern.

Jedes Institut muss seine ganz eigene Strategie entwickeln, um mit der Digitalisierung der Prozesse und der Kundenreise umzugehen. Im Kern geht es um mehr Passgenauigkeit zwischen Bank und Kunde; um mehr Relevanz. Und längst nicht jeder Kunde präferiert auf Dauer die digitale Selbstbedienung. Die Kunden können sehr genau unterscheiden, welchen Teil der Wertschöpfung sie wie in Anspruch nehmen wollen. Für den Einzelhandel ergab eine aktuelle Umfrage, dass eine deutliche Mehrheit auch der jüngeren Kunden das Einkaufen im Laden als angenehmeres und sozialeres Erlebnis würdigt. Automatisierte Läden ohne Personal sind für die meisten ein Horrorszenario, das Ersetzen der Kassen durch digitale Bezahlformen trifft dagegen auf viel Zustimmung. Bezahlen würden die Kunden dabei am liebsten mit Pay pal. Auch das sollte man wissen.

Jörg Bollow Executive Director Marketing DACH, Bisnode Deutschland GmbH, Darmstadt
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