Direct Listing - der Spotify-Börsengang als Blaupause?

Philipp Melzer Foto: CMS Deutschland

Vor nicht einmal zwölf Jahren ist in Schweden das Start-up Spotify gegründet worden. Inzwischen bietet das stark wachsende, aber immer noch defizitäre Unternehmen weltweit in vielen Ländern einen Musik-, Hörspiel- und Videostreamingdienst an. Welche Entwicklung es in den vergangenen Jahren genommen hat, lässt sich exemplarisch an der Marktbewertung von rund 26,5 Milliarden US-Dollar absehen, die es Anfang April dieses Jahres bei seiner Erstnotierung an der New York Stock Exchange erzielen konnte - auch wenn es seit dem Börsenstart in den ersten beiden Monaten durchaus beachtliche Kursschwankungen gab. Als bemerkenswert stufen Beobachter in jedem Falle die Art der Direktplatzierung ein, mit der die Aktie an den Markt kam. Der Autor beschreibt das Verfahren des Börsendebüts, sieht dieses aber stark an diesen besonderen Fall eines Newcomers mit hohem Bekanntheitsgrad geknüpft und will es keinesfalls als neues Patentrezept zur Vermeidung von Investmentbankgebühren bei Börsengängen verstanden wissen. (Red.)

Anfang April hat der Musikstreaming- Dienst Spotify an der New York Stock Exchange sein Börsendebüt gegeben. Dabei hat Spotify auf eine vorbörsliche Platzierung von Aktien verzichtet. Drei Investmentbanken wurden als "Financial Advisors" mit der Begleitung der Direktnotierung betraut. Obwohl diese drei Investmentbanken sicher einen Großteil der im Wertpapierprospekt ausgewiesenen Beratungskosten von 35 Millionen US-Dollar vereinnahmt haben dürften, liegen die Kosten der Transaktion doch deutlich unter denen, welche ein Vorgehen nach traditionellem Muster ausgelöst hätten.

Entsprechend groß war auch das Medienecho auf die neuartige Transaktionsstruktur. Ob der klassische Börsengang ausgedient habe oder ob zumindest eine belastbare, kostengünstige Alternative dazu gefunden worden sei, waren zwei der viel diskutieren Fragen. Als Börsenvehikel hat Spotify eine luxemburgische S.A. gewählt. Auf die Ausgabe von neuen Aktien hat das schwedische Unternehmen ganz verzichtet. Erlöse sind dem Musikstreaming-Dienst im Rahmen des Börsengangs daher nicht zugeflossen. Auch die Aktien der Altaktionäre wurden nicht in außerbörslichen Transaktionen vor Aufnahme des Börsenhandels bei institutionellen Investoren platziert.

Verzicht auf Roadshow

Vorgesehen war vielmehr, dass die Altaktionäre ihre Aktien, soweit sie diese nicht behalten wollten, nach Aufnahme des Börsenhandels über die Börse veräußern. Spotify verzichtete ferner auf eine Roadshow bei institutionellen Investoren. Stattdessen fand am 15. März 2018 ein sogenannter "Investor Day" statt. Hierbei handelte es sich um eine zweistündige Präsentation, die live ins Internet übertragen und anschließend auf der Website von Spotify zum Abruf vorgehalten wurde.

Der Börsenprospekt von Spotify beschreibt die Veräußerung von 31 Prozent der Aktien als Gegenstand des Angebots. Aufgrund der zu kurzen Haltedauer dieser Aktien durch die Aktionäre konnten sich diese nicht auf eine Ausnahme von der Prospektpflicht nach US-Recht verlassen. Die Halter der übrigen 69 Prozent der Aktien hatten diese bereits so lange gehalten, dass sie die Aktien aufgrund der entsprechenden Ausnahmeregelung verkaufen konnten, ohne dass hierfür ein Prospekt erforderlich war. Der chinesische Internetgigant Tencent, der neun Prozent der Aktien hält, hat sich in einer "Lock-Up"-Vereinbarung verpflichtet, seine Aktien bis ins Jahr 2020 hinein nicht zu verkaufen.

Kein Anhaltspunkt für den Börsenpreis

Ohne vorherige Platzierung ist regelmäßig zweifelhaft, ob bei Aufnahme des Börsenhandels ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage entsteht. Vor Aufnahme des Börsenhandels war im Fall Spotify nicht bekannt, wie viele der 91 Prozent der Aktien, die keiner Veräußerungsbeschränkung unterlagen, "auf den Markt geworfen" werden würden.

Ohne Vorabplatzierung zu einem bestimmten Preis pro Aktie fehlte auch ein Anhaltspunkt für den Börsenpreis. Dieser war grundsätzlich dem freien Spiel von Angebot und Nachfrage ausgesetzt, wobei beides schwer kalkulierbar war. Dem Wertpapierprospekt ließ sich diesbezüglich als Indikation lediglich entnehmen, dass die Aktien von Spotify im Jahr 2017 innerhalb einer sehr breiten Spanne von 37,50 US-Dollar bis 125 US-Dollar und im Jahr 2018 in einer etwas engeren Spanne von 90 US-Dollar bis 132 US-Dollar in außerbörslichen Transaktionen gehandelt worden waren.

Unter anderem um das Problem eines fehlenden Referenzwerts zu adressieren, hatte die New York Stock Exchange ihre Regeln zur Bestimmung des ersten Börsenkurses mit Wirkung zum Februar 2018 geändert. Durch die Änderung wurde es einem der drei "Financial Advisors", Morgan Stanley, ermöglicht, den ersten Kurs auf der Basis vorbörslicher Orders festzulegen. Hierbei wurde ein Preis von 132 US-Dollar pro Aktie bestimmt. Der erste Kurs, zu dem tatsächlich börslich gehandelt wurde, lag bei 165,90 US-Dollar pro Aktie. Nachdem der Börsenkurs teilweise bis auf zirka 169 US-Dollar gestiegen war, beendete das Papier den ersten Handelstag bei zirka 149 US-Dollar. Insgesamt waren am ersten Handelstag gut 30 Millionen Aktien gehandelt worden. Seither bewegt sich der Aktienkurs in einer Spanne von zirka 144 US-Dollar und 170 US-Dollar und notiert zum 10. Mai 2018 bei zirka 158 US-Dollar. Man kann also von einer erfolgreichen Kapitalmarkttransaktion sprechen (Abbildung).

Im Fall Spotify ist das Handelsdebüt aus zwei Gründen gelungen: Großaktionäre haben untereinander Absprachen getroffen, wer wann wie viele Aktien veräußert. Und noch wichtiger: Die weltweite Bekanntheit von Spotify hat dafür gesorgt, dass das Angebot an Aktien im Börsenhandel auf ausreichend Nachfrage traf.

Lässt sich das Modell Spotify auf Deutschland übertragen?

Auf die hiesige Börsenlandschaft lässt sich das Modell Spotify nur übertragen, wenn einige Voraussetzungen gegeben sind:

1. Der Emittent benötigt keine Erlöse aus dem Börsengang.

2. Es muss bereits vor Börseneinführung eine ausreichende Streuung der Aktien im Publikum gegeben sein, da die Börsenaufnahme ansonsten bereits an den diesbezüglich geltenden rechtlichen Anforderungen scheitert. Eine Zulassung zum Handel im regulierten Markt einer deutschen Wertpapierbörse erfordert zum Beispiel gemäß § 9 Absatz 1 Satz 2 der Börsenzulassungsverordnung eine Streuung von 25 Prozent der Aktien im Publikum.

3. Der Verkauf von Altaktien durch Altaktionäre über die Börse muss auf ausreichend Nachfrage stoßen.

Eher die Ausnahme

Insbesondere diese letzte Anforderung dürfte ohne die Einschaltung einer Investmentbank, die bei institutionellen Investoren die Aufgabe hat, kräftig die Werbetrommel zu rühren, nur ganz selten erfüllt sein. Börsengänge von weltweit bekannten und gefragten Unternehmen wie Google oder Spotify sind nun einmal eher die Ausnahme. Erfolgt eine reine Börsennotierung ohne Platzierung und ohne ausreichende Nachfrage über den Börsenhandel, führt die Marktenge des Handels häufig zu Preisverwerfungen. Die mangelnde Liquidität wird größere institutionelle Investoren bereits davon abhalten, sich mit der Aktie überhaupt nur zu beschäftigen. Es droht, jedenfalls auf kurze bis mittlere Sicht, ein Mauerblümchendasein an der Börse.

Darüber hinaus gilt es zu beachten, dass ein Emittent, der am regulierten Markt einer deutschen Börse (an der Frankfurter Wertpapierbörse unterteilt sich dieser für Aktien in den "Prime Standard" und den "General Standard") notiert werden will, eine Wertpapierhandelsbank braucht. Diese beantragt gemeinsam mit dem Emittenten die Börsenzulassung und übernimmt die Verantwortung für Richtigkeit und Vollständigkeit des Wertpapierprospekts. Dies erfordert eine Einbeziehung der Bank in den Prozess, die bereits über die Rolle der Banken im Fall Spotify hinausgeht. So wird eine solche Bank zum Beispiel eine umfassende Due Diligence-Prüfung des Emittenten vornehmen, um sich gegen Haftungsrisiken abzusichern.

Das Vorgehen von Spotify hat in deren speziellen Fall, soweit sich das bislang abschätzen lässt, gut funktioniert. Man sollte sich aber davor hüten, das Modell Spotify als neues Patentrezept zur Vermeidung von Investmentbankgebühren zu propagieren. Es eignet sich nur in wenigen, gesondert gelagerten Fällen.

Philipp Melzer Rechtsanwalt und Partner, Wirtschaftskanzlei CMS in Deutschland, Frankfurt am Main
LinkedIn

Weitere Artikelbilder

Noch keine Bewertungen vorhanden


X