E-Yuan: China führt bald digitales Zentralbankgeld ein

Prof. Britta Kuhn, Foto: Hochschule RheinMain

Die chinesische Zentralbank, People's Bank of China (PBoC), wird aller Voraussicht nach noch in diesem Jahr eine eigene digitale Währung ausgeben, den digitalen Renminbi oder E-Yuan. Anwendungsversuche mit Zigtausend Nutzern und immer mehr namhaften Unternehmen laufen bereits in mehreren Städten des Landes. Verglichen mit anderen großen Volkswirtschaften prescht China damit beim Thema Central Bank Digital Currency (digitale Zentralbankwährung), kurz CBDC, weit nach vorne, so die Autorin. Hintergrund dieses Pionierdaseins sei allerdings der Konkurrenzdruck durch Zahlungsdienstleister wie Alipay oder WeChat, deren beherrschende Stellung im Inland die Dezimierung des Bargelds weiter fördere. Auch Kryptowährungen wie Bitcoin oder Diem würden den umfassenden Kontrollanspruch im zentral gelenkten Wirtschaftssystem Chinas untergraben. Der Renminbi solle daher diese Kontrolle zurückgewinnen. (Red.)

"Central Bank Digital Currency", kurz CBDC, gehört zu den Topthemen der Finanzwelt. Die People's Bank of China (PBoC) wird den digitalen Renminbi, der offiziell e-CNY heißt, voraussichtlich 2022 landesweit starten. Verglichen mit anderen großen Volkswirtschaften ist China hier also mit Abstand am weitesten. Chinas Zentralbank will den inländischen Zahlungsverkehr mit Endkunden, also das Retail Payment, im digitalen Zeitalter bequem, sicher, preiswert, inklusiv und datenschutzfreundlich gestalten. Schon vor der Corona-Pandemie hat die Bevölkerung nämlich kaum noch mit Bargeld bezahlt (23 Prozent aller Transaktionen beziehungsweise 16 Prozent des Volumens) und überwiegend mit dem Smartphone (66 Prozent aller Zahlungen beziehungsweise 59 Prozent der Summe).

Vielen Menschen im ländlichen Raum fehlt aber der Zugang zum digitalen Zahlungsverkehr und die Kosten des Bargeldverkehrs sind recht hoch. Private Kryptowährungen wie Bitcoin eignen sich nach Ansicht der People's Bank of China (PBoC) zudem nicht als Bargeldersatz. Wegen ihres spekulativen Charakters würden sie die Stabilität der Finanzmärkte und Gesellschaft bedrohen. Selbst globale Stablecoins kommerzieller Anbieter seien für das internationale Währungssystem riskant. Chinas digitales Zentralbankgeld werde keinen dieser Nachteile aufweisen und außerdem inklusiv wirken. Denn mit dem e-CNY könnten künftig sämtliche Einwohner, aber auch Reisende aus dem Ausland, im Inland grundlegende Finanzdienstleistungen nutzen, ohne ein Bankkonto zu eröffnen.

Abbildung 1: Entwicklungsschritte des digitalen Renminbi Quelle: B. Kuhn nach PBoC (vgl. Fußnote 1), S. 1 und S. 13 ff.

Im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr will sich Chinas Notenbank an internationalen Kooperationen zu digitalem Zentralbankgeld beteiligen, soweit insbesondere ihre geldpolitische Souveränität nicht darunter leidet. Zu diesem Zweck tauscht sie sich umfassend mit internationalen Organisationen wie dem Financial Stability Board, der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, dem Internationalen Währungsfonds und der Weltbank aus. Die PBoC kooperiert speziell mit Hongkong und Singapur und erforscht eigene Pilotprogramme. Mehrfach betont die PBoC in ihrem Whitepaper jedoch, dass der e-CNY bisher für den inländischen Markt konzipiert sei.

Die chinesische CBDC soll über ein zweistufiges Verfahren in den Markt gelangen: Die Zentralbank werde es an autorisierte Vermittler und weitere kommerzielle Finanzdienstleister emittieren. Diese würden es an die Endkunden weiterreichen. Weitere Finanzdienstleister könnten sich unter bestimmten regulatorischen Bedingungen dem digitalen Zahlungssystem anschließen. Bei ihrer Auswahl solle der Markt eine entscheidende Rolle spielen.

Die Notenbank will den e-CNY entlang seines gesamten Lebenszyklus kontrollieren, indem sie ein zentralisiertes Management-Modell mit einem zweistufigen Betriebssystem kombiniert: Statt mit einer dezentralen Blockchain werde der digitale Renminbi ausschließlich von der Zentralbank geschaffen. Die angeschlossenen Finanzinstitute würden lediglich digitale Geldbörsen (Wallets) für Individuen und Firmen ausgeben und verwalten. Dabei dürften sie gemeinsame Apps und mobile Endgeräte für ihre Kundschaft entwickeln. So entstünden für die Endnutzer vielfältige Lösungen. Smart Contracts sollen beispielsweise dafür sorgen, dass automatisch gezahlt wird, sobald die hinterlegten Bedingungen erfüllt sind.

Ergänzung oder Ersatz des Bargelds?

Kleinere Beträge könnten künftig auch ohne Internet oder Mobilfunknetz von Smartphone zu Smartphone überwiesen werden. Diese Geldbörsen könnten genutzt werden, ohne dass den autorisierten Finanzinstituten die Nutzeridentität bekannt sei. Für größere digitale Transaktionen ließen sich diese Wallets dergestalt "aufwerten", dass die jeweilige Bank ihre Inhaber namentlich kenne. Es werde persönliche und Firmen-, über- und untergeordnete, Software- und Hardware-Wallets geben. Die Finanzintermediäre dürften jedem Kunden unterschiedliche Wallet-Typen und -Höhen zuweisen sowie individuelle Tages- und Transaktionsobergrenzen festlegen. Maßgeblich dafür wäre die Güte der persönlichen Identifizierungsinformationen. Die PBoC bezeichnet ihre technische Lösung als "distributed and platform-based design". Kleine Geldtransfers blieben anonym, größere könne die Zentralbank zur Bekämpfung illegaler Geschäfte wie Geldwäsche oder Terrorfinanzierung verfolgen. Sie betont, dass sich der e-CNY damit stark von privaten Kryptowährungen unterscheide und die Notenbank gleichzeitig weniger Informationen sammeln werde als bisherige Anbieter im Zahlungsverkehr.

Laut der chinesischen Notenbank wird der E-Yuan die digitale Fassung des Flatgeldes, also der chinesischen Scheine und Münzen, darstellen. Wie Bargeld sei er unverzinst und böte alle Geldfunktionen, diene also als Recheneinheit, gesetzliches Zahlungsmittel und der Wertaufbewahrung. Im Gegensatz zu privaten Lösungen im Zahlungsverkehr seien Transaktionen in e-CNY genauso gebührenfrei wie mit herkömmlichem Bargeld. Beide würden koexistieren, solange physisches Bargeld noch nachgefragt werde. Der digitale Renminbi verschärfe auch nicht die Gefahr von Bank Runs, die darin liegen könnten, dass sich Buchgeld auf Geschäftsbankkonten leichter in digitales als in Bargeld tauschen ließe. Denn die PBoC steuere umfassend gegen, unter anderem durch die zweistufige Ausgabe der Digitalwährung, Höchstgrenzen für unterschiedliche Wallets, Big-Data-Analysen und Risikomonitoring.

Bereits seit 2014 erforscht Chinas Zentralbank, wie ein digitaler Renminbi aussehen könnte (siehe Abbildung 1). Längst laufen umfangreiche Pilotstudien in wichtigen Regionen der Volksrepublik. Schon seit 2017 nehmen große Banken, Telekommunikationsdienstleister und Internetfirmen daran teil. Im Vorfeld der Olympischen Winterspiele 2022 testete die PBoC dabei auch viele technische Lösungen, die von den Versuchsteilnehmern als inklusiv und bequem wahrgenommen wurden. Sie reichen von Offline-Transaktionen per Smartphone bis zu Handschuhen mit Zahlungsfunktionen, die weder Telefon noch Bankkonto benötigen.

Die Vorteile des e-CNY lassen sich aus offizieller chinesischer Sicht wie folgt zusammenfassen: Im Gegensatz zu privaten Kryptowährungen sei er wertstabil und gefährde nicht die Stabilität des Finanzsystems. Anders als private Zahlungsplattformen ermögliche er kostenlose und (teilweise) anonyme Transaktionen ohne Bankkonto oder Smartphone. Gleichzeitig bewahre er die Vermittlerrolle des Kreditwesens. Eine Disintermediation drohe mit ihm nicht.

Aus unabhängiger Sicht stellen sich Chinas Ziele etwas anders dar. Die Regierung will vor allem die inländische Bedeutung privater Kryptowährungen und Zahlungsdienstleister eindämmen. Der Renminbi soll die Kontrolle zurückbekommen. Zu diesem Zweck untersagte Chinas Staatsführung bereits sämtliche Zahlungen mit Kryptowährungen. Es bleibt die Konkurrenz vonseiten Alipay und WeChat Pay. Beide zusammen wickelten schon vor der Pandemie 94 Prozent aller mobilen Geldtransfers in China ab, wobei 86 Prozent aller Konsumenten mobile Zahlungssysteme nutzten und es 851 Millionen Smartphone-Eigentümer gab. Wäre der E-Yuan aber auch geeignet, den inländischen Zahlungsverkehr zu verbessern, wie es offiziell heißt? Dafür spricht erstens, dass er im Gegensatz zu Alipay und WeChat Pay mit einem Kontrahierungszwang ausgestattet wäre. Zweitens würde er auf deren Zahlungsplattformen gleichermaßen funktionieren, während sich die beiden Platzhirsche nicht gegenseitig unterstützen. Drittens könnte er bei kleineren Beträgen mangels Internet-, Mobilfunknetz- und Bankkonto-Erfordernis die finanzielle Inklusion verbessern. Viertens müssten die Händler keine Transaktionsgebühren wie an das private Duopol abführen. Weitere Vorteile ergäben sich im Vergleich zu Barzahlungen.

Abbildung 2: Die internationale Bedeutung des Renminbi (in Prozent) Quelle: European Central Bank, The international role of the euro, June 2021, S. 4.

Verdrängung privater Zahlungsmöglichkeiten

Geldgeschäfte per E-Yuan hätten allerdings auch Nachteile. Private Zahlungsplattformen würden zugunsten staatlicher Einflussnahme zurückgedrängt. Ein geringerer Eingriff läge darin, sie stärker zu regulieren oder Anreize zu schaffen, politische Ziele wie finanzielle Teilhabe zu erreichen. Zumal Alipay und WeChat Pay bereits daran arbeiten, in ländlichen Regionen elektronische Zahlungen für jedermann anzubieten. Daneben führte gerade Alipay die QR-Code-Technologie ein. Sie ermöglicht ebenfalls, ohne Internetverbindung und Mobilfunknetz bargeldlos zu bezahlen. Ein Bankkonto bleibt allerdings nötig. Bei Überweisungen per e-RMB könnte demgegenüber die Zentralbank bei Bedarf jede noch so kleine Transaktion nachvollziehen. Dies würde nicht nur illegale Geschäfte eindämmen, sondern auch den Überwachungsstaat weiter ausbauen. Auffällig oft wiederholt das Whitepaper der PBoC zudem, dass es sich beim e-CNY um den "sichersten Vermögenswert in China" handele, der zudem über einen "intrinsischen Wert" verfüge. Was genau macht ihn so sicher und werthaltig? Die Staatsführung könnte die digitale Währung jederzeit abschaffen oder inflationieren. Genau darin liegt bekanntlich das Grundproblem von Fiatgeld. Schließlich würde der E-Yuan Chinas Finanzsystem nur sicherer machen, wenn die Kunden lediglich geringe Mengen halten dürften. Eine derart niedrige Höchstgrenze wäre umgekehrt nicht in der Lage, den Zahlungsverkehr per Girogeld-Konto über Alipay und WeChat Pay einzudämmen.

Chinas Währung erreicht bis heute nicht ansatzweise die internationale Relevanz des US-Dollars (siehe Abbildung 2). Insbesondere von einer stabilen Reservewährung ist sie trotz anderslautender Prognosen noch weit entfernt. Denn die chinesischen Finanzmärkte sind bis heute wenig liquide, Kapitalverkehr und Wechselkurse unterliegen umfassenden Kontrollen und das Land gilt nicht als sicherer Hafen in Krisenzeiten. Um die internationale Rolle des Renminbi zu stärken, kommt es weniger auf den Zahlungsverkehr an, der durch CBDC eventuell verbessert würde. Vielmehr müsste China bessere Rahmenbedingungen für ausländische Direktinvestitionen schaffen. Dafür wären unter anderem Eigentumsrechte und politische Transparenz nötig.

Im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr dürfte der E-Yuan private Kryptowährungen in den Partnerländern der Belt and Road Initiative zurückdrängen. Diese oftmals fragilen Staaten unterhalten enge wirtschaftliche und politische Kontakte zur Volksrepublik, manchen fehlen etablierte Finanzsysteme und der mobile Zahlungsverkehr dominiert. Ihre Bevölkerung bietet damit beste Voraussetzung, um an Chinas elektronischen Bezahlsystemen teilzunehmen. Daneben ist die PBoC seit Februar 2021 Mitglied des "mCBDC Bridge Project", das grenzüberschreitende Transfers mit digitalem Zentralbankgeld voranbringen will. Neben der Volksrepublik nehmen Hongkong, Thailand und die Vereinigten Arabischen Emirate daran teil.

Zentralisierte Datensammlung

Digitales Zentralbankgeld funktioniert grundsätzlich objekt- oder kontenbasiert. Im ersten Fall kann anonym bezahlt werden, indem das Objekt, also eine Art Wertmarke ("Token"), übergeben wird. Der Token ist dezentral gespeichert, zum Beispiel auf einem Smartphone oder einer Geldkarte. Die elektronische Geldbörse des Zahlungsempfängers identifiziert den Token unverzüglich als echt, also wie bei der Übergabe von Bargeld. Im zweiten Fall unterhält die Bevölkerung unmittelbar bei der Notenbank Konten oder Geschäftsbanken verwalten diese Konten. China plant nun ein Mischsystem, das größere Endkundenzahlungen kontenbasiert und kleinere objektbasiert abwickelt. Im Innenverhältnis zwischen Notenbank und Kreditinstituten ist die PBoC darüber hinaus für das Clearing der e-CNY zuständig. Traditionelles Zentralbankgeld verrechnen Geschäftsbanken dagegen dezentral miteinander.

Anders als bei einer Blockchain mit ihren dezentralen Hauptbüchern schafft in Chinas geplantem System allein die Zentralbank digitales Geld. Die autorisierten Finanzdienstleister der zweiten Stufe entwickeln lediglich die Kunden-Wallets und führen damit Überweisungen durch. Bis Mitte 2021 gehörten die sechs größten staatlichen Banken und zwei Internetbanken dazu. Haben diese offiziellen Partner eine e-CNY-Geldbörse eröffnet, können Kunden damit aber auch bei anderen Finanzdienstleistern Geschäfte abwickeln. Die zweite Stufe muss die gesamte technische und organisatorische Infrastruktur gegenüber dem Kunden aufbauen. Das kostet zwar Geld, bietet dafür aber Marktanteile zulasten von Alipay und WeChat Pay.

Durch den Verzicht auf die Blockchain-Technologie lassen sich wesentlich mehr Transaktionen pro Sekunde (TPS) abwickeln. Schon im Dezember 2019 erreichte Chinas CBDC testweise bis zu 220 000 TPS. Zum Vergleich: Diem kam noch im Januar 2021 auf durchschnittlich rund 3 TPS, Bitcoin erreicht in der Regel gut 5 TPS. Daneben bleibt die Zentralbank technologisch neutral, was eine technische Weiterentwicklung im Wettbewerb der beteiligten Kreditinstitute gestattet. Schon bis Anfang 2020 waren mehr als 80 Patente in Verbindung mit dem E-Yuan angemeldet. Dazu gehört beispielsweise, dass sich sein Angebot automatisch an Zinsänderungen anpasst oder dass die Bevölkerung ihre digitale Geldbörse direkt mit dem Bankkonto verbinden kann. Gleichzeitig sorgt die Zentralbank dafür, dass die technischen Lösungen der zweiten Stufe miteinander vereinbar bleiben.

Vor- und Nachteile gegenüber Bargeld

Der Verzicht auf die Distributed-Ledger-Technologie (DLT) könnte dazu führen, dass die technologischen Innovationen rund um den E-Yuan überschaubar bleiben. Vor allem aber sammelt die Zentralbank noch mehr Informationen als Alipay und WeChat Pay, die bisher "nur" sämtliche Daten ihrer eigenen Plattform auswerten können. Die PBoC erhält dagegen die Möglichkeit, die gesamte Historie jeder digitalen Geldeinheit nachzuvollziehen, also auch der ohne Bankkonto genutzten e-CNY. Sie wird nicht nur eine Datenbank zur Emission der e-CNY betreiben, sondern auch drei Zentren zur Registrierung, Authentifizierung und Analyse. Das Authentifizierungszentrum wird unter anderem jede Transaktion zwischen jedem Zahlungsgeber und -empfänger identifizieren. Beide werden ihr namentlich bekannt sein - egal, wie klein die übertragene Geldmenge ist. Das Analysezentrum untersucht anschließend "anomale" Zahlungsvorgänge, ist für das gesamte Risikomanagement zuständig und kennt jeden Kunden genau. Unklar ist zwar noch, inwieweit andere Regierungseinheiten auf die umfassenden Informationen zugreifen werden. Die "managed anonymity" des PBoC-Whitepapers steht jedoch glasklar für "null Anonymität".

Wie der herkömmliche Renminbi ist der e-RMB als unverzinste Zentralbank-Verbindlichkeit und gesetzliches Zahlungsmittel geplant. Gegenüber Bargeld könnte er bei sehr großen und sehr kleinen Zahlungen Vorteile bieten. Daneben sänken die Lager- und Risikokosten, die Überweisungskosten und -zeiten zwischen Banken und die öffentlichen Lasten für die Bargeldbereitstellung und -verwaltung. Kriminelle Handlungen nähmen ebenfalls ab, gerade vonseiten lokaler Regierungsvertreter.

Die finanzielle Inklusion insbesondere der Landbevölkerung könnte umgekehrt profitieren. Im Jahr 2017 hatten nämlich noch 24 Prozent der erwachsenen weiblichen beziehungsweise 16 Prozent der männlichen Chinesen kein Bankkonto.

Das Zentralbank-Whitepaper verschweigt allerdings, dass digitale Bargeld-Surrogate negative Nominalzinsen in beträchtlicher Höhe ermöglichen würden, um gegebenenfalls die Konjunktur zu stimulieren. Bei Bargeld besteht nur wenig Spielraum für solche Strafzinsen beziehungsweise "Verwahrentgelte". In einem Umfeld negativer Renditen müsste der digitale Renminbi also noch schneller als konkurrierende Anlageoptionen an Wert verlieren, um nicht doch als Wertaufbewahrungsmittel gehortet zu werden. Aus Zentralbanksicht läge hier ein großer Vorteil gegenüber Bargeld, den die chinesische Bevölkerung allerdings umgekehrt als Nachteil auslegen könnten. Die offizielle Argumentation, ein zinsloser E-Yuan sei für den Zahlungsverkehr attraktiver als für die Wertaufbewahrung, gilt demnach gesichert nur in einem Umfeld positiver Renditen. Da schließlich selbst kleine Wallets nicht völlig anonym arbeiten, unterscheidet sich der e-CNY deutlich von Bargeld.

Abbildung 3: Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit Quelle: B. Kuhn

Schrittweise Einführung

Wie jedes Großprojekt treibt die chinesische Regierung auch den E-Yuan seit Jahren systematisch voran. Dank zahlreicher und vielfältiger Feldversuche lernen die Entscheidungsträger frühzeitig aus Fehlern, anstatt direkt den großen Wurf zu lancieren, der anschließend aufwendig repariert werden muss oder wegen Untauglichkeit ganz von der Bildfläche verschwindet. Die durchorganisierte Pilotierung des digitalen Zentralbankgeldes fördert daneben die Akzeptanz des e-CNY in Wirtschaft und Gesellschaft, auch dank staatlicher Geldgeschenke.

Chinas Praxistests starteten in Shenzhen, Suzhou, Xiong'an, Chengdu und den Austragungsorten der Olympischen Winterspiele rund um Beijing. Diese Regionen sind wichtige Handelszentren, technologisch weit vorangeschritten und Vorbilder für Chinas städtische Entwicklung. Phase 2 erweiterte die Experimentierzone um Shanghai, Hainan, Changsha, Xi'an, Qingdao und Dalian. Inzwischen nehmen Standorte in weiten Teilen Chinas an den Großversuchen teil, die auch inhaltlich stark erweitert wurden. Im Oktober 2020 organisierte und finanzierte zum Beispiel Shenzhens Lokalregierung eine Lotterie, deren Gewinner ihre e-CNY in mehr als 3 000 Geschäften eines bestimmten Stadtteils ausgeben durften. Eine doppelt so große Lotterie richtete im August 2021 die staatliche Bank of Communications mit der E-Commerce-Plattform JD.com in Shanghai und dem nahegelegenen Suzhou aus. Die Gewinner durften die digitalen Renminbi im stationären örtlichen Einzelhandel oder auf JD.coms Online-Plattform ausgeben. Bürger aus Shanghai konnten ihr digitale Geldbörse außerdem erstmals im auswärtigen Suzhou einsetzen. Weitere Experimente dürften die Anwendungsmöglichkeiten und technischen Lösungen des E-Yuan auf praktisch alle Lebensbereiche und Marktteilnehmer ausdehnen.

Viele Fragen zum digitalen Yuan sind derweil noch offen oder unbekannt. Dazu gehört beispielsweise seine genaue Regulierung oder sein konkreter Schutz vor Hackern.  Ganz zu schweigen von der Emissionshöhe insgesamt und je Bürger, der Grenze für kontofreie Zahlungen und den Zugriffsrechten auf die Datenschätze. Es ist lediglich damit zu rechnen, dass Chinas CBDC spätestens nach den Olympischen Winterspielen startet.

Zusammengefasst sei, worum es beim digitalen Renminbi offiziell und tatsächlich geht. Schon im siebten Jahrhundert existierte in China besichertes Papiergeld. Auch das erste Fiatgeld entstand dort. Kublai Khan, Dschingis Khans Enkel, führte dieses ungedeckte Papiergeld im 13. Jahrhundert als gesetzliches Zahlungsmittel ein - inklusive drohender Todesstrafe für Gläubiger, die es nicht akzeptieren wollten.

Nun schickt sich China als erste große Volkswirtschaft an, dieses Bargeld durch eine weitere Innovation zu verdrängen, die dem Staat noch mehr Spielräume eröffnet.

Fußnoten

1) Die Zusammenfassung der Zentralbanksicht beruht in diesem Beitrag durchweg auf dem offiziellen Whitepaper der PBoC, Working Group on E-CNY Research and Development of the People's Bank of China, Progress of Research & Development of E-CNY in China, Juli 2021. Synonyme der Literatur für den e-CNY, die dieser Artikel nutzt: E-Yuan, e-RMB, digitaler Yuan, digitaler Renminbi, digitales Zentralbankgeld, Chinas CBDC.

2) Z.B. Prasad, E. S., The future of money. How the digital revolution is transforming currencies and finance, Cambridge, London 2021; Deutsche Bank, Digital yuan: what is it and how does it work?, URL: https://www.db.com/news/detail/20210714-digital-yuan-what-is-it-and-how-does-it-work (letzter Abruf: 24.11.2021); Carnap, K. v., Technology control is changing hands: The undercurrents of China's new digital money, MERICS short analysis, 9.11.2020, URL: https://merics.org/en/short-analysis/technology-control-changing-hands-undercurrents-chinas-new-digital-money (letzter Abruf: 24.11.2021).

3) Brooke, S., China Makes Cryptocurrency Transactions Illegal: An Explainer, 21.10.2021, URL: https://www.china-briefing.com/news/china-makes-crypto-currency-transactions-illegal-an-explainer/ (letzter Abruf: 24.11.2021).

4) ChinaPower, How Will a Central Bank Digital Currency Advance China's Interests? China Power Project, Center for Strategic & International Studies, URL: https://chinapower.csis.org/china-digital-currency/ (letzter Abruf: 24.11.2021).

5) Sun, J., Reflections on the Latest e-CNY Pilot Test in China, in: Journal of Asia-Pacific and European Business, Vol. 1 (2021), S. 23-27, S. 24.

6) Jiang, J. C., Lucero, K., Background and Implications of China's Central Bank Digital Currency: E-CNY, März 2021, S. 7 ff.

7) Prasad, Fußnote 2, S. 84 ff.

8) Prasad, Fußnote 2, S. 307 ff.; Kärnfelt, M., The digital Yuan will only lend a minor boost to internationalization of the currency, MERICS short analysis, 16.11.2020, URL: https://merics.org/en/short-analysis/digital-yuan-will-only-lend-minor-boost-internationalization-currency (letzter Abruf: 24.11.2021).

9) Jiang/Lucero, Fußnote 6, S. 16 f.

10) BIS Innovation Hub, Inthanon-LionRock to mBridge. Building a multi CBDC platform for international payments, September 2021, S. 6 ff.

11) Read, O., Schäfer, S., Digitales Zentralbankgeld - pro und contra, in: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, 73. Jg. (2020), S. 1205-1208, S. 1206.

12) Jiang/Lucero, Fußnote 6, S. 5.

13) Deutsche Bank, Fußnote 2.

14) Kshetri, N., The Economics of Central Bank Digital Currency, in: IEEE Computer, 54. Jg. (2021), S. 53-58, Table 2.

15) Prasad, Fußnote 2, S. 252 f.

16) Carnap, Fußnote 2. Siehe auch Prasad, S. 252 oder Deutsche Bank, beide Fußnote 2.

17) Lu, L., Chen, H., Digital Yuan: The Practice and Regulation of China's Central Bank Digital Currency (CBDC), in: Journal of International Banking and Financial Law, 36. Jg. (2021), S. 601-603, S. 602.

18) Jiang/Lucero, Fußnote 6, S. 6 f.

19) Read/Schäfer, Fußnote 11, S. 1206.

20) Lu/Chen Fußnote 17, S. 602; Sun, Fußnote 5, S. 24.

21) The World Bank, Universal Financial Access 2020: China, URL: https://ufa.worldbank.org/en/country-progress/china (letzter Abruf: 24.11.2021).

22) Vgl. z.B. Rogoff, K. S., The curse of cash. How large-denomination bills aid crime and tax evasion and constrain monetary policy, Princeton, Oxford 2017.

23) Prasad, Fußnote 2, S. 254.

24) Sun, Fußnote 5, S. 24.

25) Lu/Chen, Fußnote 17, S. 603; Jiang/Lucero, Fußnote 6, S. 17 ff.

26) Deutsche Bank, Fußnote 2.

27) Prasad, Fußnote 2, S. 3 f.

Prof. Britta Kuhn , VWL und International Economics, Hochschule RheinMain, Wiesbaden

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