Erste EuroSTR-Produkte und EuroSTR-basierte Term Rates

Prof. Dr. Oliver Read, Foto: O. Read

Laut den Autoren kam die Reform der Benchmark-Zinssätze in der Eurozone im vergangenen Jahr voran. Erste €STR-Produkte wurden bereits gehandelt, doch bleibe das Marktvolumen noch überschaubar. Dabei dürfe Eonia bald nicht mehr als Referenz-Zinssatz verwendet werden, ab 3. Januar 2022 solle nur noch €STR veröffentlicht werden. In der Diskussion befinden sich aber noch die Methoden zur Berechnung. Die Befragten einer Konsultation haben sich laut Beißer/Read dabei klar für eine Forward-Looking-Methode ausgesprochen. Schon bald sei mit einer täglichen Publikation von Compounded €STR Term Rates zu rechnen. Dieser Beitrag der Autoren wurde in zwei Teile aufgeteilt. Der zweite Teil wird voraussichtlich im April 2021 veröffentlicht und sich mit den Euribor-Fallbacks befassen. Dabei wird es um Fallback-Lösungen für Kassaprodukte und Derivate gehen, die sich auf (Hybrid) Euribor auf der Basis €STR-basierter Term Rates beziehen. (Red.)

Im Jahr 2020 kam die Reform der Benchmark-Zinssätze in der Eurozone weiter voran. Nachdem im Oktober 2019 der Eonia Nachfolger €STR erstmals quotiert und veröffentlicht wurde, werden erste €STR-basierte Produkte gehandelt. Allerdings sind die Handelsvolumina noch überschaubar, die Marktliquidität gering. Die Ableitung einer €STR-basierten Zinsstruktur mit einem zukunftsorientierten Ansatz auf Basis von Preisquotierungen wird somit erschwert. Eine vergangenheitsorientierte Alternative wäre die Ermittlung einer Compounded €STR Term Rate, die aus historischen €STR-Zinssätzen berechnet werden kann.

Im Februar 2018 teilte der Eonia-Administrator EMMI mit, keine Überarbeitung des Referenzzinses Eonia anzustreben. Schon zuvor hatten im Herbst 2017 die belgische Aufsichtsbehörde Financial Services and Markets Authority (FSMA), die European Securities and Markets Authority (ESMA), die Europäische Zentralbank (EZB) und die Europäische Kommission angekündigt, eine neue Arbeitsgruppe zu bilden, deren Ziel es unter anderem ist, die Entwicklung eines neuen risikolosen Referenzzinses voranzutreiben. Die Working Group on Euro Risk-Free Rates (WG-ERFR), die sich aus 21 Kreditinstituten sowie nicht stimmberechtigten Beobachtern wie zum Beispiel einigen Aufsichtsbehörden zusammensetzt, nahm im Februar 2018 ihre Arbeit auf. Im September 2018 schlug die WG-ERFR vor, Eonia durch den neuen von der EZB administrierten und auf Basis von Daten des Money Market Statistical Reportings ermittelten Zins €STR zu ersetzen. €STR spiegelt die Übernacht-Refinanzierungskosten von Banken der Eurozone am unbesicherten Geldmarkt wider.

Abbildung 1: Einführung des Eonia-Nachfolgers EuroSTR Quelle: O. Read/J. Beißer

Im Unterschied zur interbank lending rate Eonia ist €STR eine wholesale borrowing rate und liegt damit unterhalb des Eonia. Bei der Ermittlung des €STR werden nicht nur Zinssätze von Interbanken-Transaktionen, sondern auch Zinsen auf Einlagen von anderen Marktteilnehmern wie beispielsweise Investmentfonds berücksichtigt. Am 2. Oktober 2019 wurde €STR erstmals auf Basis der Meldung von 32 Banken und 432 Transaktionen des Vortages von der EZB ermittelt und ein Wert von minus 0,549 Prozent publiziert.

Eonia-Verwendung bald nicht mehr erlaubt

Eonia darf bald nicht mehr als Referenzzins verwendet werden. Neugeschäft sollte daher künftig auf €STR basieren, insbesondere Neugeschäft mit einer Laufzeit über 2021 hinaus. In einer Übergangsphase bis Ende 2021 wird Eonia noch parallel zum €STR nach einer modifizierten Methodik ermittelt. Seit 2. Oktober 2019 wird Eonia als €STR zuzüglich eines fixen Spreads von 8,5 Basispunkten bestimmt. Der erste so ermittelte Eonia belief sich auf minus 0,549 Prozent plus 0,085 Prozent = minus 0,464 Prozent. Ab 3. Januar 2022 soll dann nur noch €STR veröffentlicht und verwendet werden (Abbildung 1).

Die WG-ERFR hat bei ihrem Treffen im April 2018 eine Untergruppe 2 gegründet, die sich mit Term Rates befassen sollte. Einerseits sollten Fallback-Lösungen für Euribor untersucht werden, andererseits eine Methode zur Ermittlung einer Zeitstruktur risikoloser Zinssätze in Euro als Fallback-Lösung für Euribor-basierte Kontrakte identifiziert werden. Im Dezember 2018 veröffentlichte die WG-ERFR ein Konsultationspapier zur Ermittlung einer €STR-basierten Zinsstruktur.

Term Rates einer €STR-Zinsstruktur können entweder vergangenheitsorientiert (Backward-Looking-Ansatz) oder zukunftsorientiert (Forward-Looking-Ansatz) bestimmt werden.

- Beim Backward-Looking-Ansatz werden die Term Rates berechnet, indem man die historisch beobachteten Overnight-Zinssätze als Grundlage für eine Compounded €STR Term Rate heranzieht. So wird zum Beispiel die Compounded €STR Term Rate für 12 Monate durch Aufzinsung mit den täglichen €STR-Zinssätzen der letzten 12 Monate gebildet. Das Problem hierbei: Für die Vertragsparteien eines Zinskontraktes wäre der Zins zu Beginn der Zinsperiode nicht bekannt, sondern erst am Ende der Zinsperiode. Dies entspricht nicht der üblichen Praxis für zahlreiche Zinsinstrumente im Euroraum.

- Beim Forward-Looking-Ansatz werden die Term Rates anhand von Preisen von €STR-basierten Derivaten, insbesondere Overnight Index Swaps (OIS) und Futures, ermittelt. Die konkrete Ausgestaltung eines Forward-Looking-Ansatzes ist wegen der Freiheitsgrade und Parameter wesentlich komplexer. Die WG-ERFR zeigte sich grundsätzlich offen für einen Forward-Looking und einen Backward-Looking-Ansatz. Im Konsultationspapier konzentrierte sie sich jedoch zunächst auf einen Forward-Looking-Ansatz als Euribor-Fallback. Einer der Gründe war, dass sehr viele Marktteilnehmer einen Forward-Looking-Ansatz gegenüber einem Backward-Looking-Ansatz bevorzugen.

Die WG-ERFR hat folgende Mindestanforderungen an die Methodik eines Forward-Looking-Ansatzes formuliert: Es gibt

- einen signifikanten Transfer der Marktliquidität von Eonia OIS hin zu €STR OIS,

- einen transparenten und regulierten Derivatemarkt (für €STR OIS) zum Beispiel durch den Handel auf einer Multilateral Trading Facility (MTF),

- genügend Datenquellen für den überwiegenden Teil der Marktaktivität.

Methode auf Basis der OIS-Quotierungen

Die WG-ERFR hat verschiedene Forward-Looking-Methoden untersucht, die auf OIS-Transaktionen, OIS-Quotierungen, Kombination aus OIS-Transaktionen und OIS-Quotierungen oder Futures basieren. Die Methoden wurden hinsichtlich diverser Auswahlkriterien untersucht, die sich an den IOSCO-Leitlinien für Financial Benchmarks orientieren. Insbesondere die Leitlinien 6 Benchmark Design, 7 Datensuffizienz und 9 Transparenz der Benchmark-Ermittlung sind hier von Bedeutung.

- Die Methode auf Basis von OIS-Quotierungen, die von regulierten elektronischen Handelsplattformen stammen, wurde grundsätzlich als durchführbar angesehen. Obwohl sie nicht auf tatsächlichen Transaktionen basiere, sei sie unter Umständen noch konform mit den IOSCO-Leitlinien.

- Als nicht durchführbar wurde die Methode auf Basis von OIS-Transaktionen eingestuft, weil unklar sei, ob es genügend €STR-Swap-Transaktionen geben werde.

- Die Methode auf Basis von Futures wurde ebenfalls verworfen, da aus damaliger Perspektive kein €STR-Futures-Markt zu erwarten sei.

- Eine Ermittlung auf Basis einer Kombination von OIS-Transaktionen und OIS-Quotierungen (zum Beispiel als Wasserfallmodell) wurde als zu komplex empfunden.

Unter Abwägung der Durchführbarkeit und der Komplexität der einzelnen Methoden hat sich die WG-ERFR damals für die Methode auf Basis der OIS-Quotierungen ausgesprochen. Dabei wurde vorausgesetzt, dass bestehende Marktliquidität sowohl für Overnight-Geldmarkttransaktionen vom Eonia zum €STR als auch von Eonia Swaps zu €STR Swaps migriert.

Forward-Looking-Ansatz erstrebenswert

Die Ergebnisse der Konsultation, an der sich 73 Marktteilnehmer (darunter 43 Kreditinstitute) beteiligten, wurden in Februar 2019 veröffentlicht. Von den Befragten wurde ein Forward-Looking-Ansatz über alle Produktgruppen hinweg als erstrebenswert angesehen. Einige Marktteilnehmer wiesen darauf hin, dass die International Swaps and Derivatives Association (ISDA) sich in Bezug auf Fallback-Lösungen für Derivate bereits für einen Backward-Looking-Ansatz entschieden hat. Deshalb sollte man für alle anderen Produktgruppen (das heißt Kassainstrumente) auch diesen Ansatz empfehlen. Eine große Mehrheit war damit einverstanden, dass eine auf OIS-Quotierungen basierende Forward-Looking-Methode die erfolgversprechendste Euribor-Fallback-Lösung sei.

Abbildung 2: Emissionen EuroSTR-basierter Anleihen Quelle: O. Read/J. Beißer

Notwendige Voraussetzung für die Ermittlung von Term Rates mit einem Forward-Looking-Ansatz ist ein hinreichend liquider Markt in Bezug auf €STR-Produkte. Die ersten €STR-basierten Anleihen wurden mit Start des €STR von Kreditinstituten mit Sonderaufgaben aufgelegt. Die ersten Emittenten waren die L-Bank (die Förderbank von Baden-Württemberg), die Europäische Investitionsbank (EIB) sowie die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Während die L-Bank zwei kleinere Anleihen mit Laufzeiten von zwei beziehungsweise drei Jahren emittierte, lagen die Emissionsvolumina der Anleihen der EIB und der KfW mit je einer Milliarde Euro deutlich höher. Im Februar 2020 wagte sich mit Sachsen-Anhalt ein erstes Bundesland mit einer €STR-Anleihe an den Markt. Alle Anleihen haben eine Nominalverzinsung von €STR plus 2 Prozent (Abbildung 2). Der Zinssatz wird mittels folgender Zinseszins Formel als Compounded €STR Term Rate bestimmt:

Formel 1

Zu diesem Zins wird dann noch der Aufschlag von 2 Prozent per annum addiert. Hierbei bezeichnen €STR t-x den €STR als Overnight Zins, der x TARGET2 Geschäftstage (TGT) vor dem ersten Tag der Zinsberechnungsperiode, dem TGT t liegt, T die Anzahl der TGT der Zinsberechnungsperiode, d die Kalendertage der Zinsberechnungsperiode und nt die Anzahl der Kalendertage ab dem TGT t bis zum folgenden TGT.

Abbildung 3: Clearing-Volumina EuroSTR-basierter Swaps durch LCH Quelle: LCH

Im April 2020 wurde ein erstes €STR-basiertes Darlehen von der ING Wholesale Banking an die Energiekontor AG vergeben. Das Darlehen hat eine Laufzeit von 19 Jahren und dient der Finanzierung eines Windparks. Alles in allem ist der Markt 15 Monate nach Start des €STR hinsichtlich €STR-basierter Kassaprodukte noch sehr überschaubar.

€STR-basierte Derivate

Erste €STR-basierte Derivate wurden mit Einführung des €STR am 2. Oktober 2019 von HSBC und JP Morgan sowie der spanischen BBVA abgeschlossen: Bei dem zwischen HSBC und JP Morgan abgeschlossene einwöchigen 100-Millionen-Euro-Kuponswap wurde €STR gegen einen fixen Zins von minus 0,55 Prozent getauscht. Beim BBVA Swap handelte es sich um einen 500 Millionen Euro schweren Call Money Swap. Seit Oktober 2019 beziehungsweise November 2019 bieten LCH (London Clearing House) und Eurex Clearing das Clearing von €STR-basierten Derivaten an. Erste €STR-basierte Swaps wurden am 21. Oktober 2019 von LCH sowie am 18. November 2019 von der Eurex gecleart. Das durch LCH ausstehende Volumen an €STR-basierten Swaps stieg zunächst fünf Monate an, brach dann jedoch aufgrund der Corona-Krise um knapp die Hälfte ein, um ab Mai 2020 wieder kontinuierlich zu wachsen. Das durchschnittliche monatlich erfasste Volumen liegt bei knapp 77 Milliarden Euro.

Erst seit Oktober 2020 zeichnet sich ein Anstieg des monatlich erfassten Volumens auf über 120 Milliarden Euro ab (Abbildung 3). Knapp zwei Drittel der geclearten Swaps haben eine Laufzeit von unter einem Jahr. Der Futures-Markt schläft noch. Die Intercontinental Ex change (ICE) bietet mit dem One Month Euro Overnight Rate Index Future einen ersten €STR-basierten Futures an, aber es sind noch keine Handelsvolumina sichtbar.

Die Swap-Volumina sind noch gering, der Markt noch illiquide. Gründe für die fehlende Bereitschaft vieler Marktteilnehmer auf €STR umzusteigen, können sein:

- Ein Henne-Ei-Problem. Wegen der niedrigen Volumina und damit einhergehenden geringen Liquidität €STR-basierter Swaps warten viele Marktteilnehmer wohl noch ab und nutzen weiterhin Eonia als Referenzzins für neue Kontrakte. In einer von der Eurex in Auftrag gegebenen Studie gaben rund 50 Prozent der Befragten an, dass eine geringe Liquidität des €STR-Marktes der größte Hinderungsgrund für einen Transfer von Liquidität hin auf diesen Markt sei. Gleichzeitig sah eine Mehrheit der Befragten in einer verstärken Emissionstätigkeit von €STR-basierten Anleihen sowie in der Entwicklung und Implementierung neuer €STR-basierter Produkte den größten Anreiz auf €STR umzusteigen.

- Die Verwendung von €STR erfordert Anpassungen der IT-Systeme, Bewertungsmodelle und Risikomanagement-Prozesse im Front- und Backoffice, in Finance und im Risikocontrolling. Neue Datenfeeds müssen implementiert und integriert werden. Die notwendigen Anpassungen scheinen noch nicht bei allen Marktteilnehmern erfolgt zu sein.

- Trotz der Appelle der Regulatoren ist keine Notwendigkeit gegeben, vorzeitig auf den neuen Referenzzins umzusteigen. Eonia wird noch bis Ende 2021 als €STR plus 8,5 Basispunkte publiziert. Aufgrund des konstanten Spreads gleichen sich das Risikoprofil einer Eonia- und einer €STR-Position.

- Nachdem im Juli 2019 die FSMA die Benchmarkverordnungs-konforme Ermittlung des (Hybrid) Euribor bestätigte, kann dieser auch künftig als Referenzzins verwendet werden. Der Druck auf €STR und eine €STR-basierte Zinsstruktur als Ersatz für den Euribor umzusteigen, hat somit nachgelassen. €STR-basierte Term Rates sind als Fallback-Lösung im Gespräch.

Abbildung 4: Alternative Wasserfallmodelle eines Forward-Looking-Ansatzes EuroSTR-basierter Term Rates Quelle: Vergleiche WG-ERFR (2020b), Seite 6.

Ein Akzeptanzschub in Bezug auf €STR-basierte Kontrakte wurde von der Umstellung der Diskontierungsmethode zukünftiger Cashflows bei Zinsswaps und der Zinsberechnungsmethode für Collateral bei Clearing Häusern und Zentralen Kontrahenten erwartet (Discounting Switch). Ursprünglich für den 22. Juni 2020 geplant, musste die Umstellung von Eonia auf €STR bedingt durch die Corona-Krise um fünf Wochen auf den 27. Juli 2020 verschoben werden. Durch den Discounting Switch ausgelöste Wertänderungen wurden als einmalige Kompensation zwischen Zentralen Kontrahenten und Clearing Mitgliedern in bar abgewickelt. In Abbildung 3 ist zu erkennen, dass die mit der Umstellung verbundene Hoffnung auf signifikant höhere Handelsvolumina (bisher) enttäuscht wurde.

Neu formulierte Aufgaben für Untergruppe 2

Die Bestimmung einer Fallback-Lösung für Euribor basierend auf der Herleitung von Term Rates mittels eines Forward-Looking-Ansatzes stand zunächst im Mittelpunkt der Untergruppe 2 der WG-ERFR. Im Frühjahr 2019 wurden deren Aufgaben neu formuliert und auf zwei neue Untergruppen 2A und 2B verteilt:

1. Sicherstellen, dass eine Benchmark mit dem Forward-Looking-Ansatz als Fallback-Lösung für Euribor täglich von einem Benchmark-Administrator ermittelt werden kann.

2. Kontaktierung potenzieller Benchmark-Administratoren für die €STR-basierten Term Rates.

3. Analyse der Credit-Spread-Differenz zwischen Euribor und der jeweiligen Term Rate der €STR-basierten Zinsstruktur und Ausarbeiten von Empfehlungen zu einer Anpassung bei Einstellung des Euribor.

4. Untersuchung alternativer Backward-Looking-Methoden, Analyse der Vor- und Nachteile und Durchführung einer technischen Analyse in Bezug auf eine mögliche Koexistenz mit der ausgewählten Forward-Looking Methode.

Die Untergruppe 2B wurde mit den Aufgaben zum Forward-Looking-Ansatz betraut. Die Untergruppe 2A sollte die Aufgaben zur Credit-Spread-Anpassung und zu den Backward-Looking-Methoden angehen. Außerdem sollte die Untergruppe 2A eine Übersicht mit Vor- und Nachteilen der Methoden zum Backward-Looking-Ansatz an eine neue Untergruppe 5 (Kassaprodukte und Derivate) liefern. Die Untergruppe 2B der WG-ERFR erarbeitet eine an Administratoren gerichtete Ausschreibung für eine Forward-Looking-Zinsstruktur und veröffentlichte einen Aufruf am 10. Juli 2019 auf der EZB-Website. Potenzielle Administratoren sollten sich bis 30. September 2019 melden. Beim Meeting der WG-ERFR am 16. Oktober 2019 haben sich vier Anbieter mit Ideen vorgestellt: EMMI, FTSE Russel, ICE Benchmark Administration (IBA) und Refinitiv. 

Bei einem weiteren Meeting der WG-ERFR am 2. Juli 2020 wurde ein detaillierter Vergleich der Forward-Looking-Methoden präsentiert. Mittlerweile hatte sich das Teilnehmerfeld der interessierten Administratoren leicht verändert. Einerseits ist IHS Markit als potenzieller Benchmark-Administrator hinzugekommen, andererseits haben sich EMMI und IBA zusammengetan.

Die Anbieter haben einen Fragenkatalog der WG-ERFR zu folgenden Aspekten beantwortet: Methode, Daten/Datenzugang, Datenqualitätsmanagement, Datensuffizienz, Contingency, Veröffentlichung, Governance und Sonstiges. Es habe sich herausgestellt, dass eine alleinige Fokussierung auf OIS-Quotierungen nicht praktikabel erscheint. Benötigt werde ein Methodenwasserfall zur Priorisierung der verwendeten Datenquellen. Die Ideen der Administratoren unterscheiden sich insbesondere bezüglich der Anzahl der Levels im geplanten Wasserfall bei ungenügender Datengrundlage sowie bezüglich der verwendeten Daten im Wasserfall (Abbildung 4). Einige Administratoren ziehen OIS-Quotierungen und €STR Futures heran, andere bevorzugen OIS-Transaktionen und €STR Futures. Alle Administratoren haben vor €STR-basierte Term Rates zu entwickeln, die den Anforderungen der IOSCO-Leitlinien und der Benchmark-Verordnung entsprechen. Erste Berechnungen mit Testdaten seien Anfang 2021 vorstellbar.

Untersuchung unterschiedlicher Backward-Looking-Methoden

Die WG-ERFR bleibt im Dialog mit den interessierten Administratoren, allerdings darf sie aus wettbewerbsrechtlichen Gründen weder einen Administrator für die Entwicklung von Forward-Looking Term Rates auswählen noch eine Empfehlung aussprechen. Diese Entscheidung wird letztendlich von den Nutzern des Benchmark-Zinssatzes getroffen.

Eine weitere Aufgabe der Untergruppe 2A der WG-ERFR ist die Untersuchung unterschiedlicher Backward-Looking-Methoden. Beim Meeting am 4. Juli 2019 hat die Untergruppe 2A zunächst festgehalten, dass die Auflistung des Financial Stability Board (2019) vollständig sei. Die aufgeführten acht Methoden lassen sich hinsichtlich des Zeitpunkts der Zinszahlung wie folgt in drei Gruppen gliedern:

- in arrears (Zahlung am Ende der Zinsperiode): (1) Plain / Base case, (2) Payment delay, (3) Lockout period, (4) Lookback period.

- in advance (Zahlung am Anfang der Zinsperiode): (5) Last reset, (6) Last recent.

- hybrid: (7) Principal adjustment, (8) Interest rollover.

Anschließend erfolgte eine Detailanalyse der Methoden anhand folgender Beurteilungskriterien: Operationelle Benutzerfreundlichkeit/Cashflow Management, Einfachheit der Berechnung und Handhabung, Einfachheit des Hedging, Kundenakzeptanz und Übereinstimmung mit der Zinsperiode (Abbildung 5).

Aus Sicht der Untergruppe 2A gelten als machbar die Alternativen (2) Payment delay, (4) Lookback period und (5) Last reset. Diese Ergebnisse wurden im August 2019 an die Untergruppe 5 übergeben, damit diese die Eignung der Methoden nach Produktgruppen differenziert überprüft.

Unabhängig von der Arbeit der WG-ERFR in Bezug auf Backward-Looking-Methoden hat die EZB am 24. Juli 2020 eine Konsultation zu Compounded €STR Term Rates lanciert. Die Marktteilnehmer konnten sich bis 11. September 2020 daran beteiligen.29) Die EZB hat die Konsultation damit begründet, dass sie bald "aufgezinste" Versionen des €STR für ausgewählte Laufzeiten an jedem TGT veröffentlichen möchte. Mit der EZB selbst als offizielle Datenquelle soll die Nutzung des €STR als fast risikoloser Zinssatz gefördert werden. Außerdem soll damit eine Fallback-Lösung für Finanzkontrakte geschaffen werden, die Euribor oder EUR Libor als Referenzzins verwenden.

Abbildung 5: Beurteilung der Backward-Looking-Methoden für EuroSTR-basierte Term Rates Quelle: O. Read/J. Beißer in Anlehnung an WG-ERFR (2019g), Seite 4 ff. und WG-ERFR (2020d), Seite 24.

Die Aufzinsung würde täglich nach der Zinsberechnungsmethode Actual/360 und Modified Previous erfolgen:

Formel 2

Zum Beispiel wird die Compounded €STR Term Rate für 1 Woche von Freitag auf Freitag basierend auf Overnight-Zinsen v (Freitag auf Montag), w (Montag auf Dienstag), x (Dienstag auf Mittwoch), y (Mittwoch auf Donnerstag) und z (Donnerstag auf Freitag) folgendermaßen berechnet:

Formel 3

Die Veröffentlichung des Zinses erfolgt als Prozentsatz mit vier Nachkommastellen. Folgende fünf Laufzeiten wurden vorgeschlagen: 1 Woche, 1, 3, 6 und 12 Monate. Außerdem will die EZB einen aufgezinsten Indexwert mit neun Nachkommastellen veröffentlichen. Beginnend mit einem Startwert von 1 für den 1. Oktober 2019 wird der Indexwert wie folgt fortgeschrieben:

Formel 4

Die Compounded €STR Term Rate ist im Prinzip eine Backward-Looking-Methode, bei der Beobachtungsperiode und Zinsperiode übereinstimmen. Sie bildet die Grundlage für (1) Plain / Base case, (2) Payment delay oder (4) Lookback period.

Ein Feedback Bericht basierend auf den Rückmeldungen von 44 Marktteilnehmern wurde am 7. Oktober 2020 veröffentlicht. Die meisten Vorschläge wurden mit breiter Mehrheit angenommen, folglich ist wohl bald mit einer täglichen Publikation von Compounded €STR Term Rates durch die EZB zu rechnen.

Überschaubare Marktliquidität

€STR ist erfolgreich im Oktober 2019 gestartet. Es gibt erste €STR-Kassaprodukte (im Wesentlichen Anleihen) und Derivate (im Wesentlichen OIS). Wegen einer zögerlichen Bereitschaft der Marktteilnehmer von Eonia auf €STR umzusteigen ist die Marktliquidität von €STR-Produkten aber noch überschaubar. Auf den Weg zur Entwicklung einer €STR-basierten Zinsstruktur bis zu 12 Monaten sind Vorarbeiten durchgeführt worden. Der Markt wird sowohl auf einen Forward-Looking- als auch auf Backward-Looking-Ansatz zurückgreifen müssen. Wegen der fehlenden Liquidität am €STR-Derivatemarkt können interessierte Administratoren noch keinen Forward-Looking-Ansatz konkretisieren.

Der (Hybrid) Euribor hat eine Genehmigung nach der Benchmark-Verordnung erhalten und kann daher weiter ermittelt und verwendet werden (im Gegensatz zu Eonia und Libor). Das muss jedoch nicht für immer so bleiben. Die WG-ERFR arbeitet derzeit an Fallback-Lösungen für den Euribor anhand von €STR-basierten Term Rates. Am 23. November 2020 wurden zwei Konsultationen zu Fallbacks für Kassaprodukte und Trigger-Ereignissen lanciert, die bis zum 15. Januar 2021 laufen. Ergebnisse und Empfehlungen werden bis Ende des ersten Quartals 2021 erwartet. Die International Swaps and Derivatives Association hat bereits Euribor-Fallbacks für Derivate basierend auf einem Backward-Looking-Ansatz ausgearbeitet, die für neue Kontrakte ab 25. Januar 2021 in Kraft treten.

Fußnoten

1) Vgl. EMMI (2018).

2) Vgl. ECB (2018).

3) Für weitere Unterschiede vgl. Beißer/Read (2020), S. 309 f.

4) Daten: https://sdw.ecb.europa.eu/browse.do?node=9698150.

5) Vgl. ECB (2019).

6) Vgl. WG-ERFR (2018a), Protokoll vom 20.4.2018.

7) Vgl. WG-ERFR (2018b).

8) Vgl. IOSCO (2013).

9) Vgl. WG-ERFR (2018b), S. 31.

10) Vgl. WG-ERFR (2019a), S. 1 ff.

11) Daten: https://www.l-bank.info/binaries/content/documents/lbank/lbank-info-en/for-investors/market-information/anleihen/eur-250-m-eurostr-dip-issue/eur..., https://www.l-bank.info/binaries/content/documents/lbank/lbank-info-en/for-investors/market-information/anleihen/eur-500-m-%E2%82% ACstr-2.00-per-cent-dip-issue/eur-500-m-%E2%82%ACstr-2.00-per-cent-dip-issue/hippocms%3Aterms, https://www.kfw.de/PDF/Investor-Relations/Pdf-Dokumente-Investor-Relations/KfW-inaugural-%E2%82%ACSTR-linked-FRN.pdf, https://www.eib.org/en/investor_relations/recentissues/XS20619716151.htm und https://www.eib.org/en/investor_relations/recentissues/xs21049695501.htm.

12) Vgl. ING (2020).

13) Vgl. Becker (2019).

14) Vgl. https://www.bbva.com/en/the-estr-a-new-ratefor-the-euro-area/

15) Vgl. LCH (2019a) und Eurex Clearing (2019a).

16) Vgl. LCH (2019b) und Eurex Clearing (2019b).

17) Vgl. https://www.theice.com/products/37650328/One-Month-Euro-Overnight-Rate-Index-Future.

18) Vgl. Acuiti (2019), S. 5.

19) Vgl. EACH (2020).

20) Vgl. Hille (2020).

21) Vgl. WG-ERFR (2019b), S. 2 und WG-ERFR (2019c).

22) Vgl. WG-ERFR (2019d), WG-ERFR (2019e) und WG-ERFR (2019f).

23) Vgl. WG-ERFR (2019h), S. 3.

24) Vgl. WG-ERFR (2020a), S. 1 f.

25) Vgl. WG-ERFR (2020c).

26) Vgl. WG-ERFR (2020b), S. 2 f.

27) Vgl. WG-ERFR (2020d), S. 16.

28) Vgl. WG-ERFR (2019g), S. 5.

29) Vgl. ECB (2020a).

30) Vgl. ECB (2020b), S. 2.

31) Vgl. ECB (2020c).

Prof. Dr. Oliver Read CFA, Professor für Finanzierung und Prodekan, Hochschule RheinMain, Wiesbaden
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Prof. Dr. Jochen Beißer Professor für Finanzwirtschaft, Hochschule RheinMain, Wiesbaden
 
Prof. Oliver Read , CFA, Professor für Finanzierung und Prodekan, Hochschule RheinMain, Wiesbaden
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