ESG-Stresstests zur Identifizierung von Nachhaltigkeitsrisiken bei Banken

Prof. Dr. Joachim Weeber, Foto: J. Weeber

Auch wenn sie aus den neuen Aufsichtsschwerpunkten der BaFin für das Jahr 2021 verschwunden sind, Nachhaltigkeit wird in Zukunft eine immer wichtigere Rolle bei der Bewertungen von Risiken im Bankgewerbe einnehmen. Nicht nur die BaFin wird sich dem Thema annehmen, auch die EBA und die EZB setzen sich das Thema immer weiter nach oben auf der Agenda. Dabei ist jedoch fraglich, wie diese Risiken festgestellt und bewertet werden sollen. Diskussionen hierzu drehen sich zumeist um das Thema Umwelt, die beiden anderen Aspekte der Nachhaltigkeit, Soziales und Unternehmensführung, werden oft vernachlässigt. Der Autor des vorliegenden Beitrags beleuchtet mit ESG-Stresstests ein aufsichtliches Instrument, mit dem eine adäquate Risikomessung vorgenommen werden könnte. Probleme sieht er in den erwähnten fehlenden Dimensionen der Nachhaltigkeit und der zunehmenden Unabwägbarkeit der Risiken, falls neben Umweltaspekten noch weitere Variablen in die Tests mit einfließen, auch wenn dies der logische Schritt sein müsse. Letztlich sollten Stresstests ein Hilfsmittel für Banken sein, welches ihnen erlaube, sich auf Schocks vorzubereiten und ökonomischen Schaden abzufedern. (Red.)

Die Auswirkungen der Corona-Pandemie beanspruchen auch im Kreditgewerbe derzeit umfangreiche Kapazitäten. Nach der Überwindung der Pandemie und der daraus resultierenden Folgen dürften allerdings die bekannten Herausforderungen wieder in den Mittelpunkt der Banken und der Aufsichtsbehörden rücken. Hierzu gehören die seit wenigen Jahren auch für die Finanzmärkte relevanten ESG-Risiken (Environmental, Social and Governance). Also die Aspekte, die im Zusammenhang mit der Erfassung, Bewertung und Vermeidung von Nachhaltigkeitsrisiken stehen.

Die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) hat in ihrem Diskussionspapier "On management and supervision of ESG risks" deshalb klargestellt, dass sich Banken mit ESG-Risiken zu beschäftigen haben. In diesem Kontext stellen sich zahlreiche neue Aufgaben für die Institute der Kreditwirtschaft, aber auch für die Regulatorik. Eine Möglichkeit zur Erfassung von ESG-Risiken könnten Stresstests sein.

Stresstest als bankaufsichtliches Instrument

Der Regulatorik stehen im Rahmen der mikro- und makroprudenziellen Vorgehensweisen verschiedene Möglichkeiten zur Erfassung von ESG-Risiken zur Verfügung. Sie reichen von Analysen des bankaufsichtlichen Meldewesens bezüglich der Kreditvergaben in den nachhaltigkeitssensiblen Bereichen, über sachverhaltsaufklärende Anfragen an Kreditinstitute bis hin zur Analyse von Risikoberichten. Bereits derzeit werden im Rahmen der durch die Bankenaufsicht routinemäßig durchzuführenden Aufsichtsgespräche die dort dargelegten klimabezogenen Risiken gegebenenfalls hinterfragt.

Als weiteres Instrument zur Informationsgewinnung stehen den Aufsichtsbehörden Stresstests zur Verfügung. Stresstests werden in den Staaten der Europäischen Union durch die EBA, die EZB und durch die nationalen Aufsichtsbehörden durchgeführt. Für die unter der deutschen Aufsicht stehenden weniger bedeutenden Kreditinstitute (Less Significant Institutions) sind Stresstests nach AT 4.3.3 MaRisk geregelt. Unter Verwendung ausgewählter Annahmen, versuchen die Aufsichtsbehörden "zu bewerten, wie gut Banken für wirtschaftliche und finanzielle Schocks gewappnet sind." Das Szenario etwa eines schweren wirtschaftlichen Abschwungs wäre hierfür typisch. So beinhaltete der EBA-Stresstest 2018 eine Neubewertung globaler Risikoprämien, negativen Rückkopplungen zwischen niedrigem Wachstum und schwacher Ertragslage der Banken sowie die Schuldentragfähigkeit des privaten und des öffentlichen Sektors. Mithilfe dieser Ergebnisse können die Aufsichtsbehörden "die Schwachstellen der Banken identifizieren und im Rahmen des aufsichtlichen Dialogs mit den Banken diesen Schwachstellen frühzeitig entgegenwirken." Stresstests simulieren daher extreme Entwicklungen und erfassen insbesondere solche Risiken, "die aufgrund der Datenlage oder in Ermangelung aussagekräftiger Modelle nur ungenügend erfasst werden können." Typische Fragestellungen von regelmäßigen Stresstests betreffen das Kreditrisiko, das Zinsänderungsrisiko oder das Liquiditätsrisiko. Bei den, von der EZB alle zwei Jahren durchgeführten, thematischen Stresstests werden bestimmte Arten von Schocks mithilfe von Szenarien simuliert. So hat die EZB 2017 Analysen zum Liquiditätsrisiko und 2019 zum Zinsänderungsrisiko mittels solcher Tests durchgeführt.

Thematische Stresstests zu ESG-Risiken würden allerdings ein weitaus breiteres Themenspektrum umfassen müssen. In der Vergangenheit standen zunächst vor allem die Veränderungen von Umwelt- und Klimabedingungen im Mittelpunkt der Nachhaltigkeitsdiskussion. Erst in letzter Zeit haben auch die beiden anderen Bestandteile der ESG-Risiken an Beachtung gewonnen. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat in ihrem Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken die Erwartungen der Finanzmarktaufsicht an die Strategie- und Risikomanagementprozesse unter anderem der unter der deutschen Aufsicht stehenden Banken formuliert (siehe Abbildung 2).

Abbildung 1: Bankaufsichtliche Instrumente zur Identifizierung von ESG-Risiken Quelle: Joachim Weeber

ESG-Risiken

Der dort verfolgte Ansatz umfasst daher nicht nur die im Mittelpunkt etwa der Green Finance Debatte behandelten physischen, transitorischen und politischen Risiken des Klimawandels sowie die daraus erwachsenden Finanzstabilitätsrisiken. Aufsichtsbehörden, die sich daher nur auf die Analyse von Klimarisiken beschränken, greifen mit ihrem Aufsichtsansatz zu kurz. Soziale Aspekte und Unternehmensführung gehören ebenso zur Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit (Sustainability) umfasst vielmehr sämtliche Komponenten der von den Vereinten Nationen im September 2015 beim Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs verabschiedeten 17 Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals). Hierzu zählen zum Beispiel auch Fragen des Arbeitsrechts oder wirtschaftsethische Sachverhalte (Vermeidung von Korruption und Bestechung), also über das Thema Umwelt und Klima hinausgehende Ziele.

Im weitesten Sinne können auch die durch den Corona-Virus ausgelösten ökonomischen, sozialen und gesellschaftlichen Verwerfungen unter dem Aspekt des Gesundheitsschutzes erfasst werden - und damit einem Aspekt der ESG-Risiken. Pandemische Entwicklungen und deren Folgen sind allerdings für die moderne Zeitrechnung Neuland, zumindest was die Auswirkungen für die Bankenlandschaft angeht. Im Folgenden wird daher zunächst auf Stresstests für den Bereich Klima- und Umweltrisiken abgestellt und um die zusätzlichen Aspekte "Social" und "Governance" erweitert.

Durchzuführende Stresstests

Die Kreditinstitute sind aufgefordert, Nachhaltigkeitsrisiken für ihr Haus zu identifizieren. So hat die EZB in ihrem im November 2020 veröffentlichen Leitfaden zu Klima- und Umweltrisiken Anforderungen hierzu für die von ihr beaufsichtigten Banken konkretisiert - wenn auch, wie der Titel schon signalisiert, nicht für alle ESG-Risiken. Für die nationalen Aufsichtsbehörden wird zudem die Übernahme der dort aufgeführten Standards empfohlen. Neben den in diesem Leitfaden aufgeführten Hinweisen zur Behandlung von Klima- und Umweltrisiken im Zuge des Kredit- oder des Liquiditätsrisikos, finden sich auch Ausführungen zu von den Instituten durchzuführenden Stresstests im Rahmen des ICAAP.

Abbildung 2: Nachhaltigkeitsaspekte im Sinne der BaFin Quelle: in Anlehnung an BaFin (2020), S. 13.

Vor allem die Formulierung, dass die Stresstestszenarien alle wesentlichen Risiken beinhalten sollen, "die eine substanzielle Verringerung des internen Kapitals bewirken oder Auswirkungen auf die aufsichtsrechtlichen Kapitalquoten haben könnten", könnte auf eine in Zukunft möglicherweise vorgesehene Berücksichtigung von Klima- und Umweltrisiken durch zusätzliche Kapitalanforderungen der auffälligen Institute im Rahmen des bankaufsichtlichen Überprüfungs- und Bewertungsprozess (Supervisory Review and Evaluation Process, SREP) hindeuten. In Fortführung davon, wären zusätzlich die Risiken im Bereich Social und Governance durch die Institute zu prüfen und zu bewerten.

Anforderungen und Ziele eines Klima-Stresstests

Die Aufsichtsbehörden selbst, werden in Zukunft eigene Analysen im Hinblick auf die Bewältigung der ESG-Risiken durch die Institute in Form von Stresstests vornehmen. Welche Ziele sollten mit einem solchen Stresstest verfolgt werden? Solche Stresstests beziehungsweise die entsprechenden Vorbereitungsarbeiten hierzu finden sich bisher im Wesentlichen hinsichtlich des Klimaaspektes.

Die EZB wird hier den ersten umfassenden Schritt unternehmen, und zwar bezogen auf Klima- und Umweltrisiken. Erster Schritt ist die Aufforderung an die beaufsichtigten Institute, eine Selbsteinschätzung über die Umsetzung der im Leitfaden der EZB formulierten 13 Erwartungen durchzuführen. 2022 schließlich wird es von der EZB einen Klima-Stresstest geben. Ziel dieses Stresstests muss es in Anlehnung an frühere Stresstests sein, Informationen zur Widerstandsfähigkeit der Banken bei Eintreten entsprechender Risiken zu liefern.

Im Zusammenhang mit Umwelt- und Klimarisiken sollten bestehende physische und transitorische Risiken identifiziert werden. Die vorgenommene Selbsteinschätzung der Institute könnte so überprüft werden. Der eigentliche Stresstest könnte durch Analysen spezifischer Umfragen zu klimabezogenen Fragestellungen ergänzt werden. So hat die niederländische Zentralbank im Jahre 2017 eine Umfrage bei ihren Banken bezogen auf CO2-intensive Wirtschaftszweige durchgeführt, die neben Krediten auch die gehaltenen Anleihen umfasste. Im Rahmen von Klima-Stresstests können die Auswirkungen auf Ertragslage und Widerstandsfähigkeit gegen klimawandelbedingte Wirtschaftseinbrüche simuliert werden, gegebenenfalls ergänzt um makroökonomische Schocks, die in einem engen Zusammenhang mit dem Klimawandel stehen (zum Beispiel Ölpreisschock).

In besonderem Maße könnten hier Transitionsszenarien zu zusätzlichen Erkenntnissen führen, um "ein Verständnis des Zeithorizonts und der jeweiligen Branchen [zu bekommen], die durch einen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen auf dem Weg zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft unter Druck geraten können." Ergänzt werden können diese Szenarien durch Annahmen hinsichtlich Überschwemmungen, Dürren, Extremwetterereignissen und Ähnlichem und den dadurch ausgelösten Risiken für Banken (Physical Climate Scenarios).

Verkettung verschiedener Risiken

Auch der Test der Widerstandsfähigkeit von Banken beim Auftreten von Risiken in verschiedenen Szenarien sollte Inhalt sein. Die EZB geht in ihrem Leitfaden vor allem auf adverse Szenarien ein, also Szenarien, die "ungewöhnliche, aber plausible Entwicklungen" enthalten. Hierfür eignen sich insbesondere die Auswirkungen politischer Eingriffe. Dabei sind das Risiko des Ausmaßes politischer Regulierung und die Umsetzgeschwindigkeit gravierender Einschnitte umso größer, je deutlicher die umwelt- und gesellschaftlichen Risiken aus der Klimaveränderung werden, vor allem wenn es um sogenannte Kipp-Elemente geht. So könnte bei Überschreiten der Kipp-Schwelle "globale Erwärmung über zwei Grad Celsius" das Risiko stark ansteigen, "dass große Teilsysteme des Klimasystems in neue, teilweise nicht mehr umkehrbare Zustände kippen könnten."

Das Überschreiten solcher Tipping Points wird mit sich gegenseitig verstärkenden Effekten und dementsprechend deutlichen Temperaturanstiegen verbunden sein. Damit wären erste Anhaltspunkte für Konsequenzen vor allem aus veränderten politischen Rahmenbedingungen sichtbar. So könnten neben eher weichen politischen Vorgaben, wie etwa die Einführung der CO2-Abgabe, auch stärkere politische Eingriffsvarianten, zum Beispiel das Verbot von Inlandsflügen, hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Finanzmärkte simuliert werden. Daraus dürften aber massive politische beziehungsweise regulatorische Eingriffe resultieren - mit den entsprechenden drastischen Auswirkungen auch auf Banken und deren Portfolios. Stresstests im engeren Sinn müssen bei Berücksichtigung politischer Maßnahmen zur Abwehr von Klimarisiken die "Modellierung kurzfristiger, ungeordneter Übergangsszenarien" enthalten.

Im Gegensatz zu den bisher bestehenden Geschäftsrisiken, zeichnen sich Klima- und Umweltrisiken dadurch aus, dass dies langfristige Entwicklungen sind, die zu ungewissen Ergebnissen führen. Die im normalen Risikomanagementprozess verwendeten historischen Datensätze zur Abschätzung der quantitativen Auswirkungen von Kreditausfällen sind nicht vorhanden. Die Institute (und auch die Aufsichtsbehörden) müssen eine Art Monitoring für solch langfristigen Kreditrisiken unter Unsicherheit (vor allem bei dadurch ausgelösten politischen beziehungsweise regulatorischen Eingriffen) entwickeln. Dazu gehören das entsprechende Meldewesen, Kreditvergabestandards, aber auch das Risikomanagement. Strategische Planungen müssen darauf angepasst werden. Diese gilt es zu prüfen.

Sehr lange Prognosezeiträume

Erste Hinweise deuten darauf hin, dass Aufsichtsbehörden die Auswirkungen von Klimaveränderungen für den Bankensektor für einen Zeitraum von bis zu 30 Jahren abschätzen wollen. Dies überschreitet die bisherigen Prognosezeiträume (in der Regel Drei- bis Fünf-Jahres-Horizonte) im Rahmen von Stresstests erheblich und ist dem Umstand geschuldet, dass sich die aus dem Klimawandel resultierenden Risiken in kurzfristigen Szenarien eben nicht abbilden lassen.

Inhalte solcher Stresstests muss die Formulierung von Energiewendeszenarien sein, die vor allem von politischen Entscheidungen ausgelöst, aber auch von Bewusstseinsänderungen der Konsumenten und der Unternehmen getragen werden. "Mit fortschreitendem Klimawandel werden disruptive, klimatische, politisch-regulatorische und technologische Entwicklungen wahrscheinlicher."

Verschiebungen in der Struktur der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage zu nachhaltigen Produkten und alternativen Produktionstechniken dürften die Konsequenzen sein. Diese Szenarien sollten enge Zeitspannen zur Umsetzung solcher Maßnahmen enthalten. Solche Stresstests sind dabei von größeren Unsicherheiten geprägt als dies bei "klassischen Stresstests" der Fall ist.

Verstärkte Ausweitung auf SG-Risiken

Die Aspekte Klima und Umwelt dominieren noch die Diskussion über Nachhaltigkeitsrisiken. Aber bereits jetzt sind ansatzweise die zusätzlichen Themen "Social" und "Governance" in der praktischen Handhabung der Aufsichtstätigkeit sichtbar. So wird etwa das Nachhaltigkeitsmanagement der Geschäftsführung bereits jetzt einer kritischen Würdigung vonseiten der Aufsicht unterzogen. Aber auch Reputationsrisiken durch ein Fehlverhalten etwa im Bereich Steuerehrlichkeit (um nur ein besonders aktuelles Thema zu nennen) werden bereits bankaufsichtlich gewürdigt.

Die Konzeption adäquater Stresstests dürfte allerdings im Vergleich zu einem Klima-Stresstest nochmals anspruchsvoller sein: "So far, central banks, supervisors, banks and academics have mainly focused on the quantification of environmental risks leaving the inclusion of social and governance risks in a stress test an uncharted territory. The reason for this is that social and governance risks present more challenges in terms of modelling and data availability than climate risk." Die Veränderung von Rahmenbedingungen wären hier sehr viel spezieller anzusetzen, als es etwa bei früheren Stresstests zu den veränderten makroökonomischen Annahmen (zum Beispiel Einbruch der gesamtwirtschaftlichen Produktion; Veränderungen des Zinsniveaus) der Fall war. Beispiele für den Bereich "Social" werden in Abbildung 3 aufgeführt.

Abbildung 3: Mögliche Stressszenarien für soziale Nachhaltigkeitsaspekte Quelle: Joachim Weeber

Die internen Governance-Regelungen der Banken dürften sich ohne ausreichend klar definierte Zielvorgaben und Bewertungsgrundlagen nur schwerlich stressen lassen. Hinzu kommt, dass die Anforderungen eines ESG-Stresstests auch die Beurteilung vormals als sicher geltender Kredite an Staaten umfassen muss. So sind schon die Auswirkungen des Klimawandels auf Länder beziehungsweise Ländergruppen und die daraus resultierenden Wirkungen auf die Ratings dieser Staaten wenig erforscht. Bisher kam es deshalb zur Herabstufung der Kreditwürdigkeit einzelner Staaten durch Ratingagenturen nur in Einzelfällen durch die Auswirkungen infolge von Naturkatastrophen.

Die Betroffenheit für Staaten könnte sich bei Berücksichtigung von ESG-Risiken allerdings ändern. So wären zum Beispiel bei einem deutlichen Anstieg des Meeresspiegels große Flachlandgebiete und Inselstaaten auch großer Industriestaaten betroffen - und damit auch die Anleihen dieser Regionen/Staaten. Die Berücksichtigung von Social- und Governance-Kriterien für Staaten innerhalb von Stressszenarien dürfte zusätzlich komplexer werden. Welche Kriterien sind die Richtigen? Welche Datensätze sollen hier verwandt werden? Wäre etwa im Bereich Governance der BaFin der Aspekt "Maßnahmen zur Verhinderung von Korruption" der Korruptionswahrnehmungsindex (Corruption Perceptions Index) von Transparency International der richtige Indikator? Italien hätte hier im letzten Jahr von 180 Staaten nur Platz 52 erreicht. Wie würde dies berücksichtigt? Würden Kapitalzuschläge gegenüber Banken für das Halten italienischer Staatsanleihen ausgesprochen?

Drohende Konsequenzen für Banken

Bei einer unzureichenden Berücksichtigung von ESG-Risiken im Rahmen eines Stresstests sollten die bekannten, aber auch neuen, zusätzlichen Maßnahmen vonseiten der Aufsichtsbehörden im Rahmen der mikroprudenziellen Sichtweise angedacht werden. Je nach Ergebnis bieten sich unterschiedlich weitgehende Reaktionsmöglichkeiten an. So könnten zusätzliche Kapitalzuschläge für den Bereich der Klima- und Umweltrisiken verhängt werden, da zunächst Ergebnisse für den EZB-Klima-Stresstest vorliegen werden. Diese könnten für die von der EZB definierten bedeutenden Banken besonders merklich sein, um systemische Risiken zu vermeiden.

Aber auch für die national beaufsichtigten Institute wären die Kapitalanforderungen gegebenenfalls zu überprüfen. Über die Berücksichtigung der Risikoinformationen im SREP, wären die institutsspezifischen ESG-Risiken enthalten. Die Auswirkungen für die einzelnen Risikoarten (Adressenausfall- einschließlich Länderrisiken, Marktpreis-, Liquiditäts- und operationelle Risiken) wären dort zukunftsgerichtet zu bewerten. Schwächere Instrumente für Banken wären etwa eine Informationspflicht über die klimabezogenen Risiken im Lagebericht oder ein eigenständiger Risikobericht für die Aufsichtsbehörden. Ziel sollte es sein, die Fähigkeit der Banken zu stärken, um bei ad hoc auftretenden ESG-Risiken die dadurch ausgelösten ökonomischen Schocks abfedern zu können. Dabei gilt es, die bereits vorhandenen und noch absehbaren regulatorischen Vorgaben bezüglich ESG-Risiken in die bestehenden Geschäftsmodelle und die Risikomanagementprozesse einzubinden und Strategien für nachhaltige Geschäftsmodelle zu entwickeln. Es ist zu vermuten, dass sich die entsprechenden aufsichtsrechtlichen Anforderungen noch verschärfen dürften. Zusätzliche Kapitalzuschläge bei nicht oder nicht vollständiger Einhaltung der Vorschriften sind denkbar. Hierzu besteht ein Prüfauftrag an die EBA, die ihn spätestens zum 28. Juni 2025 abgeschlossen haben muss. Allerdings umfasst dieser Auftrag auch soziale Aspekte, sodass hier bereits eine Erweiterung der Zielebene stattfindet.

Nicht nur "grünes" Finanzsystem

Auch wenn es noch Widerstände geben sollte hinsichtlich einer deutlich stärkeren bankaufsichtlichen Berücksichtigung nachhaltigkeitsbedingter Risiken, die Politik hat die Rahmenbedingungen vorgegeben. Die Förderung einer nachhaltigen Politik soll auch über die Finanzmärkte erfolgen, wie die Europäische Kommission formuliert. Und auch die Kreditwirtschaft soll hierzu ihren Beitrag leisten, wie die EZB-Präsidentin Christine Lagarde Anfang des Jahres auf einer Konferenz des Institutes for Law and Finance der Frankfurter Goethe-Universität bestätigt hat. Neben einer möglicherweise grüneren Geldpolitik und dem Aufbau eines Zentrums für Klimawandel innerhalb der EZB gehören auch Stresstests für die Banken dazu. Die Ausweitung auf die zusätzlichen Komponenten der Nachhaltigkeitsziele (Social und Governance) wäre dann die logische Ergänzung.

Fußnoten

1) EBA (2020), On management and supervision of ESG risks for credit institutions and investment firms, Discussion paper, 30. Oktober 2020; https://www.eba.europa.eu/sites/default/documents/files/document_library/Publications/Discussions/2021/Discussion%20Paper%20on%20management%20an... for%20credit%20institutions%20and%20investment%20firms/935496/2020-11-02%20%20ESG%20Discussion%20Paper.pdf, (abgerufen: 31.01.2021).

2) EZB (2021), Stresstests, https://www.bankingsupervision.europa.eu/banking/tasks/stresstests/html/index.de.html, (abgerufen: 31.01.2021).

3) Vgl. Deutsche Bundesbank (2018), EBA-Stresstest belegt höhere Widerstandsfähigkeit der Banken im Euroraum gegenüber finanziellen Schock, https://www.bundesbank.de/resource/blob/766104/f9e41a5b99535922932b8d0321b97c49/mL/2018-11-02-eba-stresstest-download.pdf, (abgerufen: 31.01.2021).

4) EZB (2021), a.a.O.

5) Bopp, R. E./M. Weber (2020), Sustainable Finance, Stuttgart, S. 131.

6) Vgl. hierzu ausführlich: Weeber, J. (2020), Klimawandel und Finanzmärkte, Wiesbaden, S. 9ff.

7) EZB (2020), Leitfaden zu Klima- und Umweltrisiken, November, Frankfurt am Main, S. 45f.; https://www.bankingsupervision.europa.eu/ecb/pub/pdf/ssm.202011finalguideonclimate-relatedandenvironmentalrisks~58213f6564.de.pdf?86a1d9d72ccd52... 72f2a12d7c743, (abgerufen: 31.01.2021)

8) BaFin (2020), Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken, Stand: 13.01.2020; Bonn, S. 35; https://www.bafin.de/SharedDocs/Downloads/DE/Merkblatt/dl_mb_Nachhaltigkeitsrisiken.html; (abgerufen: 31.01.2021).

9) Vgl Bopp, R. E./M. Weber (2020), a.a.O., S. 132 sowie MSCI (2021), Scenario Analysis; https://www.msci.com/our-solutions/esg-investing/climate-solutions/scenario-analysis (abgerufen: 31.01.2021).

10) EZB (2020), a.a.O., S. 46.

11) Deutscher Bundestag (2017). Wissenschaftliche Dienste. Das "deutlich unter Zwei-Grad"-Ziel, Berlin, S. 17; https://www.bundestag.de/resource/blob/531604/7854d4994918bb0352f4e2da96b66fa2/das-deutlich-unter-zwei-grad-ziel-data.pdf (abgerufen: 31.01.2021).

12) Colas, J. (2019), Warum Klimarisiken schon heute für Banken relevant sind, S. 14; https://www.oliverwyman.de/content/dam/oliver-wyman/v2-de/publications/2019/dec/20191217_Climate_Change_Managing_A_New_Financial_Risk_GERMAN.pdf, (abgerufen: 31.01.2021).

13) Vgl. Lagarde, C. (2021), Climate change and central banking, Keynote speech at the ILF conference on Green Banking and Green Central Banking, Frankfurt a. M., 25. Januar 2021; https://www.ecb.europa.eu/press/key/date/2021/html/ecb.sp210125~f87e826ca5.en.html, (abgerufen: 31.01.2021).

14) FMA (2020), FMA-Leitfaden zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken, https://www.fma.gv.at/fma-veroeffentlicht-die-aufsichts-und-pruefschwerpunkte-2020-und-praesentiert-die-publikation-fakten-trends-und-strategien..., S. 41.

15) Vermeulen, R. u.a. (2018), An energy transition risk stress test for the financial system of the Netherlands, Amsterdam; S. 57, https://www.dnb.nl/en/ binaries/OS_Transition%20risk%20stress%20 test%20versie_web_tcm47-379397.pdf, (abgerufen: 31.01.2021).

16) EBA (2020), a.a.O., S. 109.

17) Vgl. Munich Re (2013), Economic consequences of natural catastrophes: Emerging and developing economies particularly affected - Insurance cover is essential. Economic Research, München, S. 9; https://www.munichre.com/site/mram-mobile/get/documents_E-1187363563/mram/assetpool.mr_america/PDFs/5_Press_News/Press/2013_10_30_position_paper..., (abgerufen: 31.01.2021).

18) Vgl. Transparency International (2021), Korruptionswahrnehmungsindex; https://www.transparency.de/cpi/?L=0, (abgerufen: 31.01.2021).

19) Zu einer solchen Kommentierung im Lagebericht etwa: Richter, N./Y. Meyer (2021), Green and more: Auswirkungen der Dekarbonisierung von Unternehmen auch auf den Lagebericht, in: Die Wirtschaftsprüfung, H. 2, S. 93-95. 20) Vgl. O.V. (2021), Börsen Zeitung vom 26.01.2021, S. 4.

Der Autor vertritt in diesem Beitrag seine persönliche Auffassung

Prof. Dr. Joachim Weeber Honorarprofessor, Nordakademie Hochschule der Wirtschaft, Elmshorn
Prof. Dr. Joachim Weeber , Bundesbankdirektor i. R., Honorarprofessor , Nordakademie Hochschule der Wirtschaft, Elmshorn

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