Soll die Europäische Zentralbank Aktien kaufen?

Prof. Hanno Beck, Foto: H. Beck

Nicht erst seit der Corona-Pandemie, sondern schon seit dem Ausbruch der Finanzkrise 2009 steht die Geldpolitik weltweit unter Druck, immer expansiver zu werden. Längst haben sich alle großen Zentralbanken auf Territorien vorgewagt, die früher nicht vorstellbar waren. Angesichts der Volumina, welche die Notenbanken bereits auf die Märkte geworfen haben, stellt sich die Frage, ob ihnen bald die Munition für weitere geldpolitische Lockerungen ausgeht. Die japanische Notenbank hat bereits vor mehreren Jahren begonnen, neben Anleihekäufen auch Aktienkäufe als Mittel der Geldpolitik einzusetzen - eine Blaupause für Europa? Dieser Frage gehen die Autoren in diesem Beitrag nach. Dafür gehen sie zunächst der Frage nach, wie dieses geldpolitische Instrument wirken könnte und beziehen sich dabei auch auf Studien zum Einsatz des Instruments in Japan. Beck/Prinz kommen zu dem Schluss, dass einem noch nicht nachgewiesenen realwirtschaftlichen Nutzen die Gefahr großer Verwerfungen gegenüberstehen. (Red.)

Weltweit hat sich die Geldpolitik in den vergangenen Jahren auf unbekanntes Terrain gewagt, mit dem Ziel, die Wirtschaft zu stabilisieren und mobilisieren. Die Anleihekaufprogramme der großen Zentralbanken bewegen sich mittlerweile im Billionen-US-Dollar-Bereich und auch andere Instrumente der geldpolitischen Lockerung sind derart großzügig ausgestaltet, dass sich die Frage stellt, ob die unkonventionelle Geldpolitik bald am Ende ihrer Möglichkeiten angelangt ist und den Zentralbanken angesichts der bisherigen Anleihekaufprogramme die Munition ausgehen könnte - also die für die Geldpolitik verfügbaren Anleihen zu knapp werden. Wie aber sollen die Notenbanken angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Lage unter diesen Umständen einen weiterhin expansiven Kurs fahren?

In dieser Situation fällt der Blick nach Japan: Dort hat die heimische Notenbank seit mehreren Jahren ihrem Instrumentenkasten den Kauf von Aktien hinzugefügt. Der österreichische Nationalbankgouverneur Robert Holzmann schließt EZB-Aktienkäufe nicht aus,1) und bereits 2014 hat der damalige Präsident der EZB, Mario Draghi, erläutert, dass man im Rahmen der Debatte über Quantitative Easing die Käufe aller Vermögensklassen außer Gold diskutiert habe.2) Aktienmarktstrategen halten es für möglich, dass die EZB sich zu diesem Schritt entschließen wird. Sollte die Europäische Zentralbank (EZB) Aktien kaufen? Wie könnte eine solche Politik wirken, welche Probleme könnte sie aufwerfen?

Überblick bisheriger Maßnahmen

Bereits in der Finanzkrise 2009 begann die EZB, ihr Instrumentarium auszuweiten und ihre Politik expansiver zu gestalten. Dabei ging es ihr um die Sicherung der Liquidität des Finanzsystems und des geldpolitischen Transmissionsmechanismus sowie die Wiederbelebung der Wirtschaft. Zu diesem Zweck wurde Anfang 2015 das Programm zum Ankauf von Vermögenswerten (Asset Purchase Programme, APP, auch Expanded Asset Purchase Programme genannt) beschlossen. Mit Beginn der Corona-Krise hat die EZB ihre Geldpolitik noch expansiver ausgerichtet und unter anderem das Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP) in Kraft gesetzt, ein temporäres Ankaufprogramm für Staats- und Unternehmensanleihen. Das geplante Volumen beträgt 1,35 Billionen Euro. Ziel des PEPP sei es, die Risiken für die geldpolitische Transmission und das Preisniveau zu bekämpfen, die durch den Einbruch der Wirtschaft entstehen.

Die Anleihekäufe der EZB sind hinsichtlich ihres Umfangs begrenzt, da die EZB sich Kaufobergrenzen gesetzt hat, die es ihr verbieten, mehr als ein Drittel der ausstehenden Schuldtitel eines Landes zu halten. Im Rahmen des PEPP allerdings sollen die Anleihekäufe "flexibel" durchgeführt werden. Weiterhin erklärt die EZB, sollten " [...] einige selbst auferlegte Beschränkungen die EZB möglicherweise daran hindern, so zu handeln, wie es zur Erfüllung ihres Mandats erforderlich ist [...]", würde man eine Überarbeitung dieser Beschränkungen in Erwägung ziehen. Diese Formulierungen deuten Kritiker der EZB so, dass die EZB Beschränkungen bei Anleihekäufen suspendieren und somit einzelne Staaten in ihrer Wirtschaftspolitik mittels gezielter Anleihekäufe unterstützen kann.

Die Summe all dieser Maßnahmen ist beträchtlich, schon jetzt mehren sich die Stimmen, dass die EZB bald am Ende ihrer Möglichkeiten angelangt ist. Das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichtes geht in eine ähnliche Richtung; es könnte dafür sorgen, dass das Universum der Anleihen, welche die EZB kaufen kann, in absehbarer Zeit kleiner oder sogar zu klein wird.

Wirkung von Aktienkäufen auf mehreren Ebenen

Das könnte der Debatte darüber Auftrieb geben, welche Alternativen der EZB noch bleiben. In der Vergangenheit war die Bank of Japan (BoJ) eine Vorreiterin, wenn es darum ging, neue und unkonventionelle Wege in der Geldpolitik zu beschreiten. Ein solcher Weg, den die BoJ bereits seit 2013 beschritten hat, ist der Kauf von Aktien als geldpolitische Maßnahme. Bisher sind andere große Zentralbanken der BoJ nicht gefolgt. Dennoch drängt sich die Frage auf, was von dieser Maßnahme zu halten ist. Dazu sind zuerst die Wirkungswege solcher Käufe zu klären.

Aktienkäufe durch die EZB wirken auf mehreren Ebenen: Zum einen werden dadurch die Aktienkurse nach oben getrieben, was die Kapitalkosten der Unternehmen senkt und damit Investitionen erleichtert, zudem steigen die Vermögenswerte in den Bilanzen der Banken und der Bürger. Dies erleichtert den Banken die Kreditvergabe und kann den Konsum der Bürger erhöhen, wenn sich diese reicher fühlen. Weiterhin führen die steigenden Aktienkurse zu sinkender Rentabilität von Aktien und treiben Investoren in andere Vermögensklassen, deren Preise dann ebenfalls steigen und somit auch die Renditen anderer Vermögenswerte reduzieren. Dies soll die Beschaffung von Eigen- oder Fremdkapital für Unternehmen günstiger machen und damit ihre Investitionstätigkeit anregen.

Aktienkäufe ordnungspolitisch problematisch

Die steigenden Aktienkurse senken zudem die Rendite von Aktien, was zu höheren (geringeren) Kapitalexporten (-importen) und damit zu einer Abwertungstendenz des Euro führen kann, die den Exportsektor anregt. Nicht zuletzt erhalten die Banken durch die Aktienkäufe der EZB mehr Zentralbankgeld, wodurch ihre Kreditvergabefähigkeit steigt. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn die EZB riskante Wertpapiere aus den Bilanzen der Banken übernimmt und somit deren Bilanzen repariert. Darüber hinaus könnte der Aktienkauf das Portfolio der EZB diversifizieren. Je breiter die Palette der Vermögensklassen und -werte in der Bilanz der EZB ist, umso geringer dürfte das Verlustrisiko der EZB werden. Zumindest potenziell wären damit Aktienkäufe eine Handlungsoption für die EZB - wie könnten solche Käufe aussehen?

Zuerst muss die Frage beantwortet werden, welche Aktien die EZB kaufen sollte. Je größer dabei das Universum der Aktien ist, aus denen die EZB auswählen kann, umso umfangreicher wären die Auswahl, Feuerkraft und Wirkung des Programms. Allerdings kann das dazu führen, dass die EZB zum Großaktionär bei kleineren Unternehmen wird; dies dürfte ordnungspolitisch und politisch schwer zu vermitteln sein. Je mehr Aktienkäufe die EZB tätigt, desto eher könnte sie zum Großaktionär einiger Unternehmen werden, und je mehr sie sich bemüht, das zu verhindern, umso geringer wird die Wirkkraft eines solchen Programms.

Hinsichtlich der regionalen Aufteilung der Aktienkäufe könnte man sich an den Vorgaben der Anleihekaufprogramme orientieren und die Käufe an den Kapitalanteilen der Mitgliedsstaaten ausrichten. Solange die Größe des nationalen Aktienmarktes mit der Wirtschaftskraft des betreffenden Landes korreliert ist, hätte dies auch eine gewisse Logik. Man könnte auch das Universum auf Aktien weltweit ausweiten, das würde die potenzielle Kraft eines solchen Programms deutlich erhöhen. Der Kauf internationaler Aktien wäre allerdings ein währungspolitisches Risiko in der Bilanz der EZB und könnte mit der währungspolitischen Strategie der EZB kollidieren. Man könnte darüber hinaus versucht sein, mithilfe der Aktienkäufe Industriepolitik zu betreiben - die EZB kauft beispielsweise gezielt Aktien griechischer Unternehmen oder Aktien von Unternehmen, die man aus industriepolitischen Motiven fördern will. Zumindest ist zu vermuten, dass die EZB sich dem Druck zu einer solchen Strategie ausgesetzt sehen könnte - wie auch der Kritik daran. Nicht nur Anleihekäufe, auch Aktienkäufe der EZB dürften rasch politisiert werden, was auf Kosten der ökonomischen Rationalität solcher Maßnahmen gehen kann.

Grundkapital der EZB wäre gefährdet

Weiterhin wäre denkbar, dass die EZB gedrängt werden könnte, die Auswahl der zu kaufenden Aktien nach ökologischen, ethischen oder anderweitig politisch ausgerichteten Kriterien zu treffen, was das investierbare Universum - und damit das Potenzial dieser Politik - einschränken würde und zu politischen Auseinandersetzungen führen dürfte. Ähnliche Forderungen werden bereits an die EZB im Rahmen ihrer Anleihekäufe herangetragen,3) und Notenbanken zeigen bereits Bestrebungen in diese Richtung.4)

Ein weiteres Problem wäre die Güte der Aktien. Zu viele Ausfälle könnten das Grundkapital der EZB gefährden, die Verluste aus den Aktiengeschäften würden anteilig auf die Mitgliedsstaaten der Währungsunion entfallen. Jeder Kursrutsch an den Aktienmärkten schlüge dann durch ins jeweilige nationale Budget. Aus dieser Perspektive müsste man darauf achten, nur in Aktien erstklassiger Unternehmen zu investieren; dies würde wiederum das zur Verfügung stehende Aktien-Universum und die quantitative Reichweite eines potenziellen Aktienkaufprogramms reduzieren. Je höher die Beträge, die die EZB investieren würde, desto größer das Risiko für die nationalen Staatshaushalte. Je geringer aber das Risiko, umso begrenzter die Schubkraft eines Aktienkaufprogramms.

Diese Überlegungen legen nahe, dass die EZB eher passiv gemanagte Fonds kaufen sollte, die Indizes nachbilden, wie beispielsweise Exchange Traded Funds (ETFs). Das aber bedeutet, dass die Prämie für die Mitgliedschaft in einem Index noch höher ausfällt - Unternehmen werden lediglich für die Mitgliedschaft, also ihre Größe, belohnt, nicht unmittelbar für gute Unternehmenspolitik oder Dividendenzahlungen. Unterstellt man, dass sich die Qualität eines Unternehmens nicht nur in der Marktkapitalisierung niederschlägt, würde das bedeuten, dass die allokative Effizienz des Aktienmarktes leidet.

Die Idee, dass eine Notenbank Aktien kaufen könnte, um die Geldbasis auszuweiten, wirft einige Fragen auf. Die erste Frage ist, ob man diese Politik so einfach beenden kann, wie man sie begonnen hat. Will die EZB auf restriktive Geldpolitik umschalten, müsste sie umfangreiche Aktienverkäufe tätigen. Dies könnte einen Kursrutsch auslösen, der die EZB wieder zu einem expansiven Kurs zwingen würde. Schon die Befürchtung einer Verkaufsaktion durch die Notenbank könnte die Kurse ins Rutschen bringen. Im schlimmsten Fall gerät die Notenbank ins Schlepptau der Finanzmärkte, die kein Umschalten auf restriktive Politik mehr zulassen. Um ein solches Szenario zu verhindern, müsste der Verkauf der Aktien in kleinen Schritten erfolgen - und wäre damit für ein schnelles Umschalten der Geldpolitik nicht geeignet. Man könnte auf diesem Weg allenfalls geldpolitische Feinsteuerung betreiben.

Wiedergeburt des "Greenspan-Puts"

Dieser Zusammenhang könnte große Unternehmen dazu verleiten zu glauben, dass ihr Aktienkurs nicht abstürzen kann, weil die Notenbank als "investor of the last resort" zur Verfügung steht. Es wäre die Wiedergeburt des sogenannten Greenspan-Puts:5) Die Kurse großer Unternehmen können nicht fallen, weil die Notenbank zur Rettung bereitsteht. Man muss befürchten, dass das fundamentale Risiko der Aktienmärkte aus den Bilanzen der Marktteilnehmer in die Bilanz der Notenbank wandert. Das könnte das Risikobewusstsein vieler Marktteilnehmer - und damit ihr Verhalten - ändern und die Sorglosigkeit an den Börsen vergrößern. Dieses Verhalten der Zentralbanken kann Vermögenspreisblasen begünstigen.6)

Das führt zur nächsten Frage: Werden Aktienkurse verzerrt, wenn die Notenbank Aktien kauft? Man kann argumentieren, dass die Informationsfunktion der Preise leidet, wenn zu viele Aktien aus geldpolitischen Gründen gekauft werden und die fundamentalen Bestimmungsgründe eines Aktienkurses - Unternehmensergebnisse und -aussichten, Marktumfeld und allgemeine wirtschaftliche Lage - in den Hintergrund treten. Würde die EZB beispielsweise vor allem in Unternehmen mit hoher Marktkapitalisierung investieren - was aufgrund der obigen Überlegungen naheliegt -, so ist damit nicht sichergestellt, dass sie Unternehmen mit den höchsten Produktivitäts- und Investitionspotenzialen auswählt. Insofern sprechen zumindest theoretische Überlegungen dafür, dass geldpolitisch motivierte Aktienkäufe die Informationsfunktion des Aktienmarktes und damit dessen Effizienz beeinträchtigen. Eine Fehlallokation von Kapital wäre die Folge.

Unklar ist auch, ob Aktienkäufe durch die Notenbanken die Märkte volatiler und damit unsicherer machen. Noch komplizierter wird diese Frage, wenn die Notenbank synthetische ETFs kauft, also solche ETFS, die Aktienindizes nachbilden, anstatt die betreffenden Aktien tatsächlich zu halten.7) Auch hier gibt es Vermutungen, dass bei einem zu hohen Aufkommen von ETFs die Informationsfunktion der Aktienpreise beeinträchtigt werden könnte, da immer mehr Investoren einer vorgegebenen Gewichtung der Aktien in den Indizes folgen, anstatt informierte, individuelle Entscheidungen zu treffen. Für den Finanzsektor sind die Risiken nach Einschätzung der Bundesbank bisher noch begrenzt, was sich aber mit steigendem Wachstum des Segments ändern könnte. Bezüglich der Risiken von ETFs für die Finanzmarktstabilität lassen sich keine eindeutigen Aussagen machen. So findet die Bundesbank, dass ETFs in normalen Marktzeiten eine geringere Volatilität (gemessen an der Spanne zwischen Kauf- und Verkaufskurs) aufweisen als die ihnen zugrunde liegenden Indizes. Allerdings könne sich dieser Liquiditätsvorteil in unruhigen Marktphasen umdrehen.8)

Weitere Verzerrungen durch Aktienkäufe möglich

Unter Umständen könnte es auch zu Verzerrungen bei der Wahl der Rechtsform kommen: Wenn die Aktienkurse aufgrund der Ankäufe durch die EZB über dem Marktniveau liegen, bedeutet das, dass sich Aktiengesellschaften billiger mit Kapital versorgen können als Unternehmen anderer Rechtsformen. Dies könnte die Wahl der Rechtsform eines Unternehmens beeinflussen.

Eine weitere Frage betrifft die Unternehmensführung: Wird die EZB Großaktionär von Aktiengesellschaften, so stellt sich die Frage, wie sie mit den Stimmrechten verfahren soll, die mit dem Besitz dieser Aktien verbunden sind. Würde sich Notenbank aktiv in die Unternehmenspolitik von Aktiengesellschaften einmischen, könnte man das als Überdehnung ihres Mandates deuten, enthält sie sich hingegen ihrer Stimmrechte, so würde der Aktienmarkt seine Kontrollfunktion nicht mehr hinreichend erfüllen, mit negativen Folgen für die Corporate Governance von Aktiengesellschaften.

Eine weitere Frage ist, wie man den Wert der Aktien in der Bilanz der EZB behandeln sollte: Bei steigenden Kursen könnte die Politik Interesse daran haben, die Aktien mit ihrem Kurswert zu bilanzieren, dies würde einen höheren Notenbankgewinn und damit eine höhere Ausschüttung an die Mitgliedsstaaten bedeuten. Zudem scheint das politisch attraktiv, da bei massiven Kursverlusten die EZB auch mit negativem Eigenkapital arbeiten kann. Dann würde die Politik asymmetrisch von den Aktienkäufen der EZB profitieren - bei Kursgewinnen wird ein höherer Notenbankgewinn ausgeschüttet, bei Kursverlusten gibt es keine negativen Konsequenzen für die nationalen Staatshaushalte. Auf diesem Weg könnten nicht realisierte Kursgewinne in den Staatshaushalten landen.

Interessenkonflikt bei EZB möglich

Nicht zuletzt muss man einen Interessenkonflikt bei der EZB vermuten: Eine Zinserhöhung könnte zu einem Abrutschen der Aktienkurse führen und damit zu Kursverlusten in der eigenen Bilanz. Je mehr die EZB zum Vermögensverwalter wird, umso größer wird dieser Interessenkonflikt. Nicht zuletzt müsste man darauf achten, dass es die geldpolitisch verantwortlichen Akteure in der EZB strikt von den für die Aktienkäufe verantwortlichen Mitarbeitern getrennt werden.

Die Zentralbanken der Schweiz, Israels, Tschechiens, der Slowakei und Dänemarks haben Aktienpositionen in ihren Bilanzen stehen; offiziell aber werden diese Aktientransaktionen im Rahmen des Währungsmanagements getätigt oder mit Blick auf die Rendite, die man mit den Reserven erzielen möchte.9) 1998 kaufte die Hong Kong Monetary Authority Aktien, allerdings mit dem Ziel, den Wechselkurs der eigenen Währung zu verteidigen;10) die chinesische Notenbank kaufte 2015 Aktien, um einen Ausverkauf am Aktienmarkt zu verhindern.11)

Die Bank of Japan startete im Rahmen ihrer quantitativen und qualitativen Lockerung 201312) damit, Aktienkäufe zu tätigen, mit dem Ziel, die Risikoprämie von Vermögenswerten zu reduzieren. Steigende Aktienkurse sollen die Kapitalbeschaffung erleichtern und die Investitionstätigkeit anregen. Zu diesem Zweck kauft die BoJ ETFs auf den Tokyo Stock Price Index (Topix) und den Nikkei 225-Index. Aktuell hält die BoJ bei einer Bilanzsumme von 639 Billionen Yen Staatsanleihen im Wert von 500 Billionen Yen, Aktien im Wert von 33 Billionen und J-REITS (japanische Immobilienfonds) im Wert von rund 600 Milliarden Yen.13) Mittlerweile ist die Bank der größte Käufer im Markt für ETFs und J-REITS. Ende September 2019 hielt sie fast 80 Prozent des japanischen ETF-Marktes, wenngleich sie laut eigenen Angaben über die ETFs nur rund fünf Prozent des heimischen Aktienmarktes innehabe.14)

Offenbar gelingt es der BoJ, die Aktienkurse zu beeinflussen: So zeigt eine Studie von 2019,15) dass die ETF-Käufe der japanischen Notenbank erkennbar für das Wachstum des japanischen ETF-Markts gesorgt haben; man muss annehmen, dass sich die Branche auf die Bedürfnisse der Notenbank einstellt. Darüber sind die Kurse derjenigen Aktien, die in den ETFs der BoJ enthalten sind, höher als diejenigen anderer Aktien - es scheint der Bank zu gelingen, die Aktienkurse ausgewählter Unternehmen positiv zu beeinflussen. Allerdings nimmt dieser Effekt mit der Zeit - trotz steigender Aktienkäufe - ab. Eine andere Studie zeigt, dass die Interventionen der BoJ einen positiven Effekt auf die Aktienkurse haben und somit die Finanzierungskosten der börsengelisteten Unternehmen reduzieren.16) Eine weitere Analyse findet einen positiven Effekt der Käufe auf die Aktienkurse, allerdings ist der Effekt stärker in Phasen fallender Aktienkurse und zudem ist dieser Effekt auf täglicher Basis gering; um einen nachhaltigen Effekt zu erzielen, müsse man einen dauerhaften Druck auf die Nachfrage nach Aktien unterstellen.17)

Kurstreibender Effekt nur kurzfristig

Eine weitere, aktuelle Untersuchung zeigt, dass die Aktienkäufe der BoJ die Aktienkurse treiben; auch wenn dieser Effekt in der Folgezeit verblasst, kehren die Aktienpreise nicht vollständig zu den Kursen vor der Intervention zurück.18) Weiterhin sieht man, dass die Politik der BoJ dazu führt, dass die Unternehmen mehr Aktien ausgeben, also die günstigen Kurse für die Beschaffung von Eigenkapital nutzen. Allerdings erhöhen die Unternehmen ihre Investitionstätigkeit nicht, entgegen der Intention der BoJ, sondern steigern vor allem ihre Barbestände und kurzfristigen Vermögenswerte. Aber die Wirkung der Aktienkäufe lässt über die Zeit nach, wie eine andere Studie aus 2020 zeigt.19) Was bei all diesen Analysen offen bleibt, ist die Frage, ob die Aktienkäufe der BoJ zu höheren Unternehmensinvestitionen und steigendem Output geführt haben.

Darf's etwas konventioneller sein?

Fast zehn Jahre unkonventioneller Geldpolitik haben Spuren in Wirtschaft und Politik, aber auch in der Bilanz der EZB hinterlassen. Angesichts der Volumina, welche die EZB mittlerweile geldpolitisch zur Verfügung stellt, muss man sich fragen, wie viel Munition sie noch hat, sollte sich die wirtschaftspolitische Großwetterlage weiter eintrüben. Je umfangreicher die Anleihekaufprogramme der EZB werden, umso kleiner wird das Universum der Wertpapiere, welche die EZB kaufen kann, um ihre Geldbasis zu vergrößern. Schon aus diesem Grund ist zu erwarten, dass die Frage, ob die Europäische Zentralbank Aktien kaufen soll, bald Gegenstand der politischen Diskussion wird.

Letztlich dürfte ein Zielkonflikt zwischen der Wirksamkeit einer solchen Strategie und den damit verbundenen Verwerfungen bestehen: Je größer das Universum, in das die Notenbank investieren kann, je mehr Aktien sie kauft, umso größer dürften auch die damit verbundenen potenziellen Verzerrungen und politischen Auseinandersetzungen ausfallen. Nicht zuletzt sollte man bei dieser Debatte auch die grundsätzliche ordnungspolitische Dimension keinesfalls aus den Augen verlieren: Eine unabhängige Zentralbank, die dem Zugriff der Politik und des Wählers entzogen ist, sollte nicht zur Unternehmenseigentümerin, Großaktionärin und dominanten Spielerin an den Vermögensmärkten werden und wichtige Bereiche einer Volkswirtschaft der Kontrolle durch Marktprozesse und politische Mitbestimmung entziehen.

Mit Blick auf die Erfahrungen der japanischen Notenbank lässt sich festhalten, dass realwirtschaftliche Effekte der Aktienkäufe bisher nicht überzeugend nachgewiesen sind. Wie dieses bisher einmalige Experiment langfristig ausgehen wird, lässt sich bis jetzt noch nicht absehen. Angesichts dieser offenen Punkte ist es fraglich, ob sich ein weiterer Vorstoß der Geldpolitik in noch unkonventionellere Gewässer wirklich lohnt.

Fußnoten

1) (o.V.2020)Nationalbankgouverneur Holzmann schließt EZB-Aktienkäufe nicht aus, Der Standard Online, URL https://www.derstandard.de/story/2000117936247/nationalbankgouverneurholzmann-schliesst-ezb-aktienkaeufe-nicht-aus.

2) "On what sort of assets should be included in QE, my sense and recollection is that we discussed all assets, but gold", Draghi (2014), Introductory statement to the press conference (with Q&A), Frankfurt am Main, 4 December 2014, URL https://www.ecb.europa.eu/press/pressconf/2014/html/is141204.en.html#qa

3) Eckert, Daniel (2019), Jetzt soll die Zentralbank auch noch das Klima retten, Welt Online, URL https://www.welt.de/finanzen/geldanlage/article204131306/Brief-an-Lagarde-Jetzt-soll-die-EZB-auch-das-Klima-retten.html.

4) o.V. (2019), Die Zentralbanken wollen grüner werden - doch nicht wegen des Klimaschutzes, Tagesspiegel Online, URL https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/nachhaltige-investments-die-zentralbanken-wollen-gruener-werden-doch-nicht-wegen-des-klimaschutzes/251280....

5) Hall (2011) findet empirische Hinweise auf die Existenz dieses Puts, vgl. Hall, Pamela (2011), Is there any evidence of a Greenspan put?, Swiss National Bank Working Paper 2001/6.

6) Illing, Gerhard (2001), Financial Fragility, Bubbles and Monetary Policy, CESifo Working Paper Series No. 449.

7) Synthetische ETFs halten in der Regel ein Portfolio aus liquiden Aktien und vereinbaren mit einer Bank, dass man den Ertrag dieses Portfolios gegen den Ertrag des Index tauscht, den der betreffende ETF nachbilden soll.

8) Deutsche Bundesbank (2018), Die wachsende Bedeutung von Exchange Traded Funds an den Finanzmärkten, Monatsbericht Oktober 2018, S. 95.

9) Eisele, Patrick (2020), Zentralbanken als Aktionäre, Portfolio Institutionell, URL https://www.portfolio-institutionell.de/zentralbanken-als-aktionaere/.

10) Federal Reserve Bank of Dallas (2001), Currency board and market intervention in Hong Kong, Southwest Economy, May/June 2001, pp. 13-14.

11) Zeng, Fanhua; Huang, Wei-Chiao; Hueng, James (2016), On Chinese Government's Stock Market Rescue Efforts in 2015, Modern Economy, 2016, 7, pp. 411-418.

12) Erste Aktienkäufe beginnen bereits 2002, die BoJ kauft Aktien direkt von angeschlagenen Banken, nicht aus geldpolitischen Zielen, sondern um die Stabilität des Finanzsystems zu gewährleisten. Dieses Programm wurde 2004 abgeschlossen. Mit dem Verkauf dieser Aktien begann die BoJ 2007, setzte ihn aber 2008 wegen ungünstiger Bedingungen wieder aus; 2009 wurde dieses Programm bereits wiederaufgenommen. Die Idee, ETFs aus geldpolitischen Zielen zu kaufen, entsteht 2010. 2013 wird die quantitative und qualitative Lockerung eingeführt, in deren Rahmen der Kauf von ETFs beginnt. Vgl. Shirai (2018).

13) Bank of Japan (2020), Bank of Japan Accounts, URL https://www.boj.or.jp/en/statistics/boj/other/acmai/release/2020/ac200531.htm/

14) Japan Center for Economic Research (2020), Risks in the BoJs ETF purchases and regional financial institutions, February 12, 2020.

15) Harada, Kimie; Okimoto, Tatsuyoshi (2019), The BOJ's ETF purchases and its effects on Nikkei 225 Stocks, RIETI Discussion Paper Series 19-E-014 March 2019.

16) Barbon, A, and V Gianinazzi (2018), Quantitative easing and equity prices: Evidence from the ETF program of the Bank of Japan, mimeograph.

17) Shirota, Toyoichiro (2018), Evaluating the unconventional monetary policy in stock markets: A semi-parametric approach, Hokkaido University, Citation Discussion Paper, Series A, 322: 1-22.

18) Charoenwong, B, R Morck, and Y Wiwattanakantang (2019), Asset prices and corporate responses to Bank of Japan ETF purchases, NBER Working Paper 25525.

19) Charoenwong, Ben, Morck, Randall, Wiwattanakantang, Yupana (2020), Bank of Japan equity purchases: The final frontier in extreme quantitative easing, NBER Working Paper 25525, April 2020.

Prof. Hanno Beck Professur für Wirtschaftspolitik, Hochschule Pforzheim
Prof. Aloys Prinz Professur für Wirtschaftspolitik, Universität Münster
Prof. Hanno Beck , Professur für Wirtschaftspolitik, Hochschule Pforzheim
Aloys Prinz , Professur für Wirtschaftspolitik, Universität Münster

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