Integration von Nachhaltigkeitsrisiken - eine methodische Betrachtung

Dr. Maik Grabau, Foto: DSGV

Mit dem Klimawandel und darüber hinaus der ESG-Thematik sind für Banken und Sparkassen viele neue Risiken verbunden, physische wie transitorische Risiken. Banken stehen nun vor der schwierigen Aufgabe, diese Risiken, die erheblichen Unsicherheiten unterliegen, in die Banksteuerung zu integrieren. Dabei ist es zunächst wichtig, Risiken aus Nachhaltigkeitsfaktoren nicht als eigenständige, neue Risikoart zu erfassen, sondern als Treiber der klassischen finanziellen Risiken. Die beiden Autoren haben für die Sparkassen-Finanzgruppe einen Leitfaden entwickelt, mit dem die Integration von Nachhaltigkeitsrisiken und weiterer Risikotreiber in Risikomanagement und Banksteuerung vollzogen werden kann. Dieser differenziert nach strategischer, taktischer und operativer Steuerung. (Red.)

Nachhaltigkeit ist eine der großen Zukunftsaufgaben für die Menschheit. Sie umfasst Umweltschutz - vor allem den Klimawandel, soziale Aspekte und gute Unternehmensführung. Nachhaltigkeit ist wie die Digitalisierung ein Megatrend. Megatrends zeichnen sich dadurch aus, dass sie - im Gegensatz zu Moden - langfristig wirken, alle Stakeholder der Gesellschaft betreffen und durch exogene Schocks (wie zum Beispiel die Corona-Pandemie) maximal unterbrochen, aber nicht gebrochen werden. Sie führen zu einer tiefgreifenden Veränderung der Gesellschaft und entwickeln zum Teil erhebliche destruktive Tendenzen.

Obwohl diese Eigenschaften sowohl bei der Nachhaltigkeit als auch bei der Digitalisierung zu beobachten sind, tun sich Wirtschaftsakteure mit dem Megatrend Nachhaltigkeit schwerer als mit der Digitalisierung. Das hat unter anderen damit zu tun, dass sich Nachhaltigkeitsaspekte betriebswirtschaftlich wesentlich schwieriger fassen lassen als Aspekte der Digitalisierung. So führen digitale Innovationen (zum Beispiel über schnellere Prozesse, genauere Informationen oder eine Verringerung des Komplexitätsgrads) z u direkten quantifizierbaren Nutzen, die einer betriebswirtschaftlichen Investitions- und Amortisationsrechnung zugänglich sind. Die Allokation von marktpreislich quantifizierbaren Kosten und Nutzen findet in der Regel zwischen den Stakeholdern innerhalb einer Generation statt.

Beim Megatrend Nachhaltigkeit hingegen wirken die Faktoren meist auf öffentliche Güter (Umwelt, Luftreinheit oder Biodiversität) und immaterielle Vermögenswerte (soziale Belange), deren Werte und Preise nicht so einfach bestimmbar wie bei privaten Gütern sind. Hinzu kommt, dass Kosten und Nutzen - insbesondere beim Thema Umweltschutz und Klimawandel - nicht nur intersektoral, sondern auch intertemporal verteilt sind. Das heißt, dass die Präferenzen zukünftiger Generationen in das heutige Entscheidungskalkül einbezogen werden müssen, um den gesamtgesellschaftlichen Nutzen zu optimieren.

Abbildung 1: Integration von Nachhaltigkeitsaspekten in das Risikomanagement Quelle: DSGV

Werte und Preise

Wie schwierig das ist, lässt sich gut an der aktuellen Debatte um den Nutzen der Atomkraft für zukünftige Generationen ablesen. Zum einen lassen sich die Präferenzen zukünftiger Generationen zum heutigen Zeitpunkt nicht erheben und zum anderen sind diese zeitpfadabhängig. Sie ändern sich zum Beispiel mit dem technischen Fortschritt. Die Abwägung zwischen höherer Luftverschmutzung durch CO2 -intensive Stromgewinnung gegenüber höheren Ressourcen an fossilen Brennstoffen und Atommüll in der Zukunft hängt entscheidend davon ab, ob beispielsweise eine technische Innovation in der Zwischenzeit eher das Treibhausgas- oder das Atommüllproblem löst. Derartige Optimierungsprobleme können systematisch nur mit komplexen Modellen aus dem wirtschaftswissenschaftlichen Fachgebiet der Intertemporalen Allokation gelöst werden. Kreditinstitute stehen vor einer schwierigen Aufgabe. Sie müssen die Risiken aus Nachhaltigkeitsfaktoren in die Banksteuerung integrieren. Angesichts der geschilderten Unsicherheiten kann dies maximal komplex und kostenintensiv gestaltet werden. Doch es gibt auch einen pragmatischen und praxisnahen Weg. Diesen Weg schildert der vorliegende Beitrag.

Nachhaltigkeitsfaktoren als Risikotreiber

Der wichtigste Schritt für eine pragmatische Integration von Nachhaltigkeitsaspekten ins Risikomanagement von Kreditinstituten besteht darin, Nachhaltigkeitsfaktoren als Risikotreiber klassischer finanzieller Risiken und nicht als eigenständige Risikoart zu betrachten. Diese Sichtweise nimmt auch die deutsche Aufsicht in ihrem Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken1) vom Dezember 2019 ein. Dieser Ansatz wurde seither mit teilweise leicht abweichendem Fokus auch von anderen Aufsichtsbehörden aufgegriffen.2) Wenn im Folgenden aus Vereinfachungsgründen von Nachhaltigkeitsrisiken gesprochen wird, so sind damit diejenigen Risiken gemeint, die sich aus der Wirkung von Nachhaltigkeitsfaktoren ergeben.

Für das BaFin-Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken wurde in der Sparkassen-Finanzgruppe ein Interpretationsleitfaden erarbeitet, der die Aussagen des Merkblatts einwertet, konkretisiert und daraufhin untersucht, inwieweit sie in einer MaRisk-Perspektive Mindestanforderungen für die Institute darstellen können oder aber ambitionierteren Umsetzungsformen zuzuordnen sind.3) Die wesentlichen Schlussfolgerungen ergeben sich aus der Identifikation von Nachhaltigkeitsrisiken als Risikotreiber und der Bewertung ihrer Relevanz unter Berücksichtigung der Wirkungsrichtung.

In der Sparkassen-Finanzgruppe werden Nachhaltigkeitsrisiken oder genauer Nachhaltigkeitsfaktoren als Risikotreiber interpretiert, die auf die klassischen finanziellen Risikoarten eines Instituts wirken, also auf Adressenrisiken, Marktpreisrisiken, operationelle Risiken, Liquiditätsrisiken, eventuell weitere Risikoarten, sowie die Korrelationen zwischen und innerhalb der Risikoarten. Dies geschieht über die Beeinflussung der zu einer Risikoart gehörigen Risikofaktoren (zum Beispiel Bonität und Sicherheitenwerte für das Adressenrisiko oder Kurse beziehungsweise Marktpreise von Vermögenswerten). Die Risikoarten und die Ausprägungen der Risikofaktoren bestimmen das Risikoprofil des Instituts. Abbildung 1 stellt die Grundidee der Integration von Nachhaltigkeitsaspekten in das Risikomanagement von Kreditinstituten dar.

In der Praxis sind Nachhaltigkeitsaspekte nur einige von vielen Risikotreibern. Weitere Beispiele für Risikotreiber sind Demografie, Digitalisierung, geopolitische Risiken (Brexit, Handelskriege, militärische Auseinandersetzungen und Ähnliches), Pandemien oder die Konjunktur. Insofern sind die folgenden Überlegungen auch auf die Integration weiterer Risikotreiber in die Banksteuerung übertragbar. Allen Risikotreibern ist gemein, dass sie auf mehrere, wenn nicht sogar alle Risikoarten und Korrelationen wirken.

Die Abgrenzung von Risikotreibern und Risikoarten ist nicht immer exakt. Sie können ineinander übergehen, wenn zum Beispiel die Betrachtungsebene (und meist auch der Betrachtungszeitraum) geändert wird. Und es gibt Risiken, die durchaus zwischen den beiden ideal typischen Begriffen stehen können. Reputationsrisiken sind ein Beispiel dafür. Sie können als eigenständiges Risiko eintreten oder als Treiber die Adressen-, Markt- oder Liquiditätsrisiken maßgeblich beeinflussen.

Abbildung 2: Ebenen der Bank- und Risikosteuerung Quelle: DSGV

Abgrenzung, Wesentlichkeit und Wirkungsrichtung

Das zweite wichtige Element der Interpretation ist die Relevanz von Nachhaltigkeitsrisiken. Hier wird der Gedanke der Wesentlichkeit von Risiken, der in den MaRisk die Intensität der Befassung mit einer Risikoart bestimmt, auf Risikotreiber übertragen. Wenn Risiken unwesentlich sind, ist eine einfache Berücksichtigung im Risikomanagement ausreichend. Sind sie wesentlich, sind besonders strukturierte Analyse- und Steuerungsprozesse notwendig.

Bei der Beurteilung der Risikorelevanz von Nachhaltigkeitsfaktoren ist allerdings zu berücksichtigen, dass diese in dem Umfang, in dem sie sich im Zeitverlauf materialisiert haben, in bereits allen historischen Daten enthalten sind. Über die damit kalibrierten Risikomessverfahren und Risikokennzahlen werden also heute schon viele Aspekte von Nachhaltigkeitsrisiken (mit-)gesteuert. Ein Beispiel für den deutschen Wirtschaftsraum in der jüngeren Vergangenheit ist die "Energiewende" als Folge des Reaktorunfalls in Fukushima, ein prototypisches Transitionsrisiko, das in allen Wirtschaftsund Bankdaten enthalten ist. Im Mittelpunkt der Untersuchung der Risikorelevanz von Nachhaltigkeitsaspekten muss also die Frage stehen, inwieweit Nachhaltigkeitsrisiken in der Zukunft signifikant höher als durch eine Fortschreibung der Vergangenheit sind.

Der dritte Pfeiler der Interpretation von Nachhaltigkeitsrisiken ist ihre Wirkungsrichtung. Wirken sie auf das Kreditinstitut - oder werden sie von ihm verursacht? Diese klassische Risikomanagementperspektive ist der Schwerpunkt einer bankaufsichtlichen Betrachtung und sie steht auch im Mittelpunkt der internen Berichterstattung.

Demgegenüber wird in der "Inside-out-Perspektive" der Einfluss der wirtschaftlichen Tätigkeit des Instituts auf alle Nachhaltigkeitsaspekte betrachtet. Diese können aus dem Geschäftsbetrieb selbst oder aus den finanzierten Wirtschaftsaktivitäten resultieren. Die "Inside-out-Perspektive" ist der Schwerpunkt der externen Nachhaltigkeitsberichterstattung.

Es hängt von der strategischen Ausrichtung der Institute ab, welches Gewicht sie der Inside-out-Perspektive zumessen. Allerdings macht die Aufsicht zu Recht darauf aufmerksam, dass Reputationsrisiken das Scharnier zwischen den beiden Wirkrichtungen bilden und damit ein nicht nachhaltiges Agieren der Bank auf das eigene Risikoprofil zurückschlagen kann.

Der Rahmen für die Integration von Nachhaltigkeitsrisiken in die Banksteuerung erschließt sich ausgehend von der Frage, auf welcher Betrachtungsebene wie über "Risiko" gesprochen wird. Auf der strategischen Ebene wird sehr wohl über Risikotreiber als eigenständiges Risiko (und nicht über Risikoarten) gesprochen, während im operativen (Portfolio-) Risikomanagement Risikoarten, -modelle und -faktoren im Fokus der Betrachtung stehen. So löst sich auch die scheinbare Dichotomie des BaFin-Merkblatts auf, das einerseits von Nachhaltigkeitsrisiken spricht und andererseits diesen völlig zu Recht den Status einer eigenständigen Risikoart abspricht. Abbildung 2 zeigt drei Ebenen der Bank- und Risikosteuerung, die sich in der Granularität der Betrachtung und in den zugrunde liegenden Betrachtungshorizonten unter scheiden.

Strategisches Risikomanagement

Die strategische Risikosteuerung 4) findet auf langen Zeitskalen (in der Regel 5 bis 10 Jahre) statt, für die Strategien und Langfristplanungen formuliert werden und in deren Mittelpunkt Risikotreiber stehen. Sie beruht auf der Überlegung, dass jede (geschäfts-)strategische Entscheidung das Risikoprofil eines Instituts beeinflusst. Dass es eine Wirkungskette von einer strategischen Festlegung bis in das Risikoprofil eines Instituts gibt, ist sehr plausibel (siehe Box 1). Auch das BaFin-Merkblatt skizziert solche Wirkungsketten, wenn auch mit einem leicht abweichenden Fokus. Allerdings sind diese nur sehr grob umrissen und lassen sich momentan über isolierte Fallstudien hinaus kaum verlässlich quantifizieren.

In der Geschäftsstrategie können sich Institute im kompletten Spektrum der Nachhaltigkeit positionieren. Das kann von einer hohen Gewichtung in allen drei Bereichen des ESG-Themas bis hin zu einer vollkommen neutralen ESG-Aufstellung reichen. Je größer der strategische Fokus auf Nachhaltigkeit ist, desto stärker ist in der Regel auch die Inside-out-Perspektive betont. Parallel dazu werden die mit den Nachhaltigkeitsfaktoren verbundenen Risiken bereits aus der Strategie heraus begrenzt.

Typische Methoden in der Strategieentwicklung sind SWOT-Analyse und Balanced Scorecards, welche um die Dimension Nachhaltigkeit erweitert werden müssen. ESG-Scores und daraus abgeleitete Heatmaps, die das Exposure gegenüber Nachhaltigkeitsfaktoren erfassen, können bei der Beschreibung der Ausgangs- und Zielzustände und für den Soll-Ist-Vergleich sinnvoll eingesetzt werden.

Mithilfe von Stresstests wird die Belastbarkeit einer Strategie gegenüber adversen Entwicklungen geprüft. Verschiedene Varianten von Stresstests über sehr lange Zeitskalen von 20 bis 80 Jahren sind aktuell in der Entwicklung. Häufig orientieren sich die Risikomanager der Banken dabei an Versicherungsmodellen, welche für solch lange Betrachtungszeiträume konzipiert sind. Dabei können für den Klimawandel beispielsweise die Auswirkungen möglicher Szenarien für den Übergang zu einer kohlenstoffneutralen Wirtschaft durchgespielt werden. Hier wird gewöhnlich danach unterschieden, ob die Politik frühzeitig oder spät handelt oder gar untätig bleibt. Daraus ergibt sich ein unterschiedliches Gewicht von physischen und transitorischen Risiken.

Aber auch andere Umweltprobleme wie Biodiversität oder Luftverschmutzung können in Szenarien erfasst und in ihrer Wirkung auf die finanziellen Risiken analysiert werden. Die praktische Herausforderung besteht für Institute darin, eine geeignete Infrastruktur für solche Stresstests aufzubauen, sodass sie routinemäßig die Strategiediskussionen zu Nachhaltigkeit begleiten können. Dies gilt insbesondere für regional tätige Institute, die sich hier auch mit globalen Entwicklungen auseinandersetzen müssen.

Taktisches Risikomanagement

Aus der Strategie leiten sich Vorgaben und Heuristiken für die taktische Risikosteuerung ab, bei der die Entscheidungen über spezifische Geschäfte im Vordergrund stehen. Jede Entscheidung, ob und gegebenenfalls wie ein Geschäft getätigt wird, beeinflusst das Risikoprofil des Instituts. Die relevanten Zeiträume werden durch die Laufzeit der getätigten Kunden- und Eigengeschäfte bestimmt.

So kann zum Beispiel eine Strategie, nur bonitätsstarken Kunden Kredite zu gewähren, über eine Limitierung der Ratingnote zu Vorgaben für den Markt führen, und damit Einfluss auf das Adressenrisikoprofil nehmen. Genauso kann eine bestimmte Nachhaltigkeitsstrategie weitere Vergabebedingungen nach sich ziehen, die Kreditnehmer oder (im Eigengeschäft) Emittenten von Wertpapieren erfüllen müssen, damit ein Geschäftsabschluss zustande kommt.

Die einfachsten Formen des taktischen Risikomanagements im Bereich Nachhaltigkeit stellen Positiv-, Ausschlusslisten oder spezielle Investitionsstrategien im Eigengeschäft, wie zum Beispiel ein Best-in-Class-Ansatz, dar. Es gibt jedoch im Risikomanagement zahlreiche feinere Gestaltungsmöglichkeiten, Geschäfte zu ermöglichen und gleichzeitig die damit verbundenen Nachhaltigkeitsrisiken zu reduzieren wie beispielsweise Nebenabreden oder veränderte Risikoprämien in der Preisgestaltung. ESG-Scores können unter anderem im Mengengeschäft he ran gezogen werden, um Impulse für vertiefte Nachhaltigkeitsprüfungen von einzelnen Kunden zu generieren (siehe Box 2).

Potenzielle Auswirkungen von Nachhaltigkeitsaspekten auf die ratingbasierten Verfahren im Kundengeschäft sind zwar plausibel, müssen quantitativ jedoch genauer geprüft und validiert werden. In vielen Fällen werden die Auswirkungen auf die qualitativen und quantitativen Faktoren im Rating, welches einen Prognosehorizont von einem Jahr hat, überschaubar sein. Bei der Betrachtung der Kapitaldienstfähigkeit für die gesamte (Rest-)Laufzeit eines Engagements werden jedoch die Auswirkungen von Nachhaltigkeitsrisiken kumuliert und können zu einer spürbaren Neubeurteilung führen. Auch der möglicherweise beschleunigte Wertverlust von Sicherheiten aufgrund von Nachhaltigkeitsrisiken ist bei der Ausgestaltung eines Kreditengagements zu beachten.

Szenarioanalysen, die verschiedene Nachhaltigkeitsfaktoren und Wirkungsketten variieren, bieten sich sowohl für die Beurteilung der Kapitaldienstfähigkeit als auch für die Sicherheitenbewertung an. Anders als die Analysen auf der strategischen Ebene müssen sich diese jedoch bei regionalen Instituten auf die regionalen Auswirkungen und die Spezifika der Kunden fokussieren. Der Betrachtungshorizont wird durch die (Mindest-)Laufzeit der Engagements beziehungsweise der ersten Triggerpunkte für Nebenabreden bestimmt.5) Alternativ ist auch die Integration eines stochastischen Nachhaltigkeitsrisiko-Simulators in die Werkzeuge zur Beurteilung der Kapitaldienstfähigkeit und zur Ermittlung der Sicherheitenwerte denkbar.

Operatives Risikomanagement

Im taktischen Risikomanagement findet die Überleitung der Risikotreiber, die die strategische Diskussion bestimmen, in die Risikofaktoren und Risikoarten statt, die auf der operativen Ebene maßgeblich sind. Risiken können auf dieser operativen Ebene über statistische Modellierungen sehr genau gemessen werden. Um Vergleichbarkeit und Aggregation (zum Beispiel im Rahmen der Risikotragfähigkeit) zu gewährleisten, werden dabei die Planungshorizonte auf ein Jahr vereinheitlicht. Hier spielen Risikotreiber in der Regel keine explizite Rolle mehr, weswegen Nachhaltigkeitsrisiken keine eigenständige Risikoart sind. Ihre wesentliche Wirkung üben sie über die verschiedenen Risikofaktoren wie Bonität, Sicherheitenwerte, Volatilitäten, Schadensfälle aus operationellen Risiken und die Korrelationen innerhalb und zwischen den Risikoarten aus.

Sicher müssen die Modelle und Verfahren im operativen Risikomanagement mit Blick auf Nachhaltigkeitsrisiken noch verfeinert werden, indem beispielsweise Trends berücksichtigt werden, bei denen eine deutliche Korrelation mit Klimaoder Umweltindikatoren besteht. Oder indem geprüft wird, welche Indikatoren eine erhöhte Trennschärfe für die Ratingverfahren liefern.

Doch nur dort, wo es belastbare Indizien dafür gibt, dass auf dem Planungshorizont des operativen Risikomanagements die zukünftigen Werte aufgrund von Nachhaltigkeitsrisiken signifikant von den historischen Werten abweichen, oder wo Lücken in der Risikomodellierung erkannt werden (dies könnte beispielsweise bei Reputationsrisiken der Fall sein), ist ein größerer Eingriff in die Modellierung in Betracht zu ziehen. Dann wiederum sind aber spezifische Szenarien und Wirkmechanismen vorhanden, die mittels Stresstests zumindest so lange quantifiziert werden können, bis validierte Risikomodelle zur Verfügung stehen.

Eine zentrale Herausforderung auf der operativen Ebene besteht in der Ausdifferenzierung der Risikoinventur nach Risikoarten und Risikotreibern. Die aktuelle Praxis stellt häufig auf die mit den operativen Risikomesssystemen ermittelten Risikokennzahlen ab. Zumindest implizit werden damit die Risikoarten auf einem Planungshorizont von einem Jahr betrachtet. Darüber hinaus werden diese Systeme mit Daten kalibriert, in denen die historisch eingetretenen Nachhaltigkeitsrisiken bereits enthalten sind. Die Leitfrage lautet also: "Gibt es für eine Risikoart gewichtige Hinweise, dass Nachhaltigkeitsfaktoren auf der Zeitskala 1 Jahr zu signifikant anderen Ausprägungen des Risikos führen können als durch eine Fortschreibung der Vergangenheit abgeleitet?"

Weder Risikotreiber noch längere Zeitskalen werden in der aktuellen Risikomanagementpraxis strukturiert erfasst. Dies erscheint aber vor dem Hintergrund von Nachhaltigkeitsrisiken zukünftig unabdingbar. Gerade für Klimarisiken kann die Auswirkung auf den 1-Jahres-Valueat-Risk sehr klein sein. Auf Sicht der gesamten (Rest-)Laufzeit einer Immobilienfinanzierung oder eines Firmenkundenkredits kann das Risiko durchaus bedeutend werden. Darüber hinaus ist zu prüfen, inwieweit die Risikoinventur Input für die Kapitalplanung der Institute liefern sollte. Wird dies bejaht, so ist herauszuarbeiten, wie Nachhaltigkeitsrisiken die bisher rein ökonomische Betrachtungsweise auf einem Horizont von drei bis fünf Jahren modifizieren.

Übergangsweise kann die Risikoinventur sicher durch ESG-Scores ergänzt werden, um den Risikotreiber Nachhaltigkeit abzubilden. Allerdings bilden diese Scores Nachhaltigkeitsfaktoren und nicht die daraus folgenden Risiken ab und erlauben kaum eine Aussage über die damit verbundene Modifikation des Risikoprofils. Die Gründe dafür liegen in diffusen Wirkungsketten und in der Berücksichtigung aller historischen Nachhaltigkeitsrisiken in den ökonomischen Systemen.

Nachhaltigkeitsrisiken nicht vernachlässigen

Für die Integration von Nachhaltigkeitsaspekten in das Risikomanagement ist eine Differenzierung in unterschiedliche Ebenen der Risikomessung und -steuerung notwendig. Neben dem operativen Risikosteuerungskreis ist mindestens ein strategischer Steuerungskreis zu berücksichtigen. Die Grobsteuerung von Nachhaltigkeitsrisiken beginnt auf der strategische Ebene und muss integrativer Teil des Strategieprozesses werden. Die ökonomische Steuerung durchläuft auf der strategischen Ebene einen Zyklus von Strategiefindung, Planung, Soll-Ist-Abgleichen und gegebenenfalls Anpassungen. Entsprechend des Ambitionsniveaus des Instituts wird dort die strategische Steuerung des gesamten Nachhaltigkeitsprofils (parametrisiert durch die Nachhaltigkeitsfaktoren) des Instituts, also inklusive der Inside-out-Perspektive, integriert.

Die Feinsteuerung findet dann auf der taktischen Ebene statt. Limite, prozessuale und qualitative Vorgaben, welche Geschäfte getätigt werden, sind die Steuerungswerkzeuge. Zum Werkzeugkasten gehört aber auch eine Reihe von Begleitmaßnahmen, die es bei Bedarf erlauben, a priori riskante Geschäfte in die eigenen Bücher zu nehmen und gleichzeitig die Risiken wirksam zu begrenzen. Die Begleitmaßnahmen stellen also sicher, dass Verluste aus diesen Engagements eine dem Risikoappetit des Instituts entsprechende Schwelle nicht überschreiten.

Bis auf die beschriebene Verfeinerung der Risikomessverfahren sind für den Risikosteuerungskreis auf der operativen Ebene zurzeit kaum Anpassungserfordernisse erkennbar. Die Steuerung findet auf der Ebene der Risikoarten statt, nutzt Risikomessverfahren mit Planungshorizont von einem Jahr (eventuell plus X) und stellt die Risikotragfähigkeit fortlaufend sicher. Nachhaltigkeitsrisiken werden hier implizit über ihre Auswirkung auf die Risikoarten und Korrelationen gesteuert und sind zu einem großen Teil implizit bereits darin enthalten. Es ist also nicht zu erwarten, dass sich die Risikokennzahlen der einzelnen Risikoarten sowie die Belastung der Risikotragfähigkeit kurzfristig durch die vertiefte Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeitsrisiken signifikant verändern werden.

Häufig wird deshalb festgestellt, dass Nachhaltigkeitsrisiken im Sinne der MaRisk unwesentlich sind. Gleichwohl sind sie in vielen Instituten dennoch bedeutend. Dies bedeutet, dass sie hohe Aufmerksamkeit im Vorstand und im gesamten Haus genießen und eine wichtige Rolle bei strategischen Entscheidungen spielen. Hier gibt es wiederum eine Parallele zu Reputationsrisiken, die psychologisch sehr wichtig, betriebswirtschaftlich im Sinne der MaRisk jedoch in vielen Instituten unwesentlich sind.

Die vor allem strategisch getriebene Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeitsrisiken liefert aber einen Blick in die Zukunft, der weit über die in den Standard-Risikosystemen abgebildete Zeitskala hinausgeht. Ein ambitioniertes Institut kann deshalb parallel zu dem operativen Risikomanagementkreis einen strategischen Steuerungskreis für seine Nachhaltigkeitsfaktoren aufsetzen, um deren Entwicklung zielgerichtet in die strategisch gewünschte Richtung zu lenken.

Die Integration von Nachhaltigkeitsrisiken und weiterer Risikotreiber in Risikomanagement und Banksteuerung ist kein Hexenwerk, wenn man auf dem hier skizzierten Rahmen aufbaut, der strategische, taktische und operative Steuerung differenziert. Neue Modelle und Methoden können viele Prozesse erleichtern und unterstützen, sind jedoch kaum zwingend nötig. Damit können viele Institute einen schnellen und pragmatischen Einstieg in dieses wichtige Thema der Banksteuerung finden.

Fußnoten

1) BaFin (2019): Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken

2) EZB (2020): Leitlinien zum Umgang mit Umwelt- und Klimarisiken. EBA (2020): Leitlinien zur Kreditgewährung und -überwachung (EBA/GL/2020/06) und EBA Report on management and supervision of ESG risk for credit institutions and investment firms (EBA/REP/2021/18)

3) DSGV (2020): Interpretationsleitfaden für das BaFin- Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken

4) Unter strategischer Risikosteuerung wird hier die Veränderung des Risikoprofils durch strategische Entscheidungen verstanden. Dies ist abzugrenzen von der Steuerung des strategischen Risikos, also des Risikos, dass eine falsche beziehungsweise unangemessene Strategie gewählt wurde.

5) Er ist deshalb deutlich länger als in den ähnlich ausgerichteten Stresstests für die Erfüllung der MaRisk.

6) Marco Wilkens, Maximilian Görgen, Andrea Jacob, Martin Nerlinger, Bernd Wagner, Henrik Ohlsen and Sven Remer: Carbon-Risiken und Financed Emissions von Finanztiteln und Portfolios: Quantifizierung, Management und Reporting auf der Basis von Kapitalmarktdaten; Carima Handbuch 2019 (Lehrstuhl für Finanz- und Bankwirtschaft, Universität Augsburg; Verein für Umweltmanagement und Nachhaltigkeit in Finanzinstituten e.V.: Augsburg, 2019)

Box 1: Wirkungskette Geschäftsstrategie - Risikoprofil
Nehmen wir an, zwei identische Institute A und B liegen an einem Fluss, der häufiger über seine Ufer tritt. Beide bieten schwerpunktmäßig Baufinanzierungen an. Sie unterscheiden sich nur dadurch, dass Institut A nur Darlehen für Objekte ausreicht, die in den (relativ sicheren) ZÜRS-Zonen 1 und 2 des Geschäftsgebiets liegen, während Institut B Objekte in allen vier ZÜRS-Zonen finanziert. ZÜRS bezeichnet dabei das in der Versicherungswirtschaft bekannte Zonierungssystem für Überschwemmung, Rückstau und Starkregen. Die Kategorien stellen auf eine statistisch erwartete Überschwemmungshäufigkeit ab, die exponentiell von Kategorie zu Kategorie ansteigt.Wenn aber nun (so der aktuelle Erkenntnisstand der Wissenschaft) aufgrund des Klimawandels Überschwemmungen im Zeitverlauf immer häufiger und mit höheren Pegelständen auftreten, werden sich die Risikoprofile der beiden Institute aufgrund der unterschiedlichen strategischen Festlegungen durch das Wirken des Nachhaltigkeitsfaktors Klimawandel im Zeitverlauf immer weiter auseinanderentwickeln. Institut A begrenzt Nachhaltigkeitsrisiken durch seine strategische Festlegung, während Institut B sie in vollem Umfang in Kauf nimmt. Ohne Steuerungsmaßnahmen aufseiten des Instituts B (zum Beispiel ZÜRS-abhängiges Pricing, Pflicht zum Abschluss einer Elementarschadensversicherung) wird sich - ceteris paribus - das Risikoprofil von B im Zeitverlauf schlechter entwickeln als das von A.
Box 2: Performancevorteile nachhaltiger Wertpapiere
Wissenschaftliche Untersuchungen anhand von Faktormodellen deuten auf die Existenz eines Carbon-Beta hin, eines systematischen Unterschieds im Rendite- Risiko-Profil zwischen nachhaltigen und nicht nachhaltigen Wertpapieren. 6) Dieser kann bei Investitionsentscheidungen berücksichtigt werden. So emittiert die Bundesrepublik Deutschland seit 2020 grüne Bundesanleihen parallel zu klassischen Titeln in verschiedenen Laufzeiten. Die Spreaddifferenz (Greenium) scheint sich zwischen 3 und 5 Basispunkten zugunsten der grünen Anleihe einzupendeln.Auch die nachhaltige Variante des MSCI World-Index auf Aktien erzielt eine etwas bessere Performance als der generische Index. Dieser Finanzierungsvorteil spiegelt die Zahlungsbereitschaft der Investoren für nachhaltige Assets wider und kompensiert zumindest teilweise die zusätzlichen Kosten des Emittenten. Im Lichte der Mikroökonomik könnte man auch sagen, dass der externe Nutzen nachhaltiger Assets als Refinanzierungsvorteil beim Emittenten internalisiert wird. Also genau die Umkehrung des Anreizes von öffentlichen Gütern, wo die Kosten der Nutzung externalisiert wurden, um einen internen Nutzen zu generieren.
Dr. Maik Grabau , Direktor, Leiter Abteilung Strategische Banksteuerung und Rechnungslegung , Deutscher Sparkassen- und Giroverband (DSGV)
Dr. Johannes Voit , Abteilungsdirektor, Leiter Gruppe Management verfahren, Abteilung Strategische Banksteuerung und Rechnungslegung, , Deutscher Sparkassen- und Giroverband (DSGV)

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