Das Kredit-Pricing der Zukunft ist smart und dynamisch

Dr. Peter Klenk, Foto: zeb

Zinserträge sind für den Bankenmarkt im deutschsprachigen Raum und besonders für den Regionalbankensektor die dominierende Ertragsquelle mit in der Regel gut 70 bis 75 Prozent der gesamten Erträge. Und dies, obwohl sich Neugeschäftsmargen auf recht niedrigem Niveau eingependelt haben und Konditionenvergleiche für interessierte Verbraucher sowie Nichtverbraucher mittlerweile deutlich einfacher sind. Umso erstaunlicher erscheint es, dass die Weiterentwicklung des Kredit-Pricing noch deutlich im Schatten typischer Preismaßnahmen im Umfeld von Girokonto- oder Wertpapierdepotmodellen steht, die in Sachen Preis-Leistungs-Differenzierung mittlerweile bei vielen Banken und Sparkassen einen recht ausgereiften Stand erreicht haben. Dass dies auch im Kreditgeschäft funktionieren kann, legt der Autor anhand aktueller Studienergebnisse und Erfahrungsberichte dar. (Red.)

Im Rahmen der jährlichen Zeb Pricing-Excellence-Studien erfolgte 2020 unter anderem ein tiefergehender Blick in die aktuelle Praxis der Preispolitik im Kreditgeschäft von Banken und Sparkassen im deutschsprachigen Raum. Drei zentrale Befunde lassen sich aus den Antworten von rund 50 Befragten sowie zusätzlich knapp 40 ausgewerteten, aktuellen laufenden Kredit-Pricing-Maßnahmen ableiten, die die aktuelle Situation sehr treffend wiedergeben:

- Preisstrategie: Ein erfahrungs- und projektbasierter Überblick über das Vorhandensein einer Preisstrategie oder eines Preisrahmens für das Kreditgeschäft, wie sie zukünftig im Rahmen der EBA-Leitlinie in Kapitel 6 ("Vorschriften zur Bepreisung", Inkrafttreten am 30.06.2021) verlangt wird, bestätigen nur rund 1/10 der Befragten beziehungsweise ausgewerteten Projekte. Dies ist umso dringlicher, als zukünftig risikoadjustierte Leistungsindikatoren, die der Größe, Art und Komplexität des Darlehens und dem Risikoprofil des Kreditnehmers angemessen sind (zum Beispiel als einzelner Geschäftswertbeitrag (Economic Value Added)) verwendet werden sollen. Zudem sind verschiedene Preisrahmen in Abhängigkeit von der Art der Darlehen und Kreditnehmer auszuarbeiten und aufsichtsrechtlich gefordert.

Abbildung 1: Typische Ausgangssituation und Stellhebel Quelle: zeb

- Preisfindung: Seit jeher sollte die Konditionierung im Kreditgeschäft einen nachvollziehbaren Zusammenhang zu Bonitätsbetrachtungen haben. Nur knapp 20 Prozent der Befragten gaben an, darüber hinaus preisbestimmende Kunden- und Produktmerkmale zu nutzen, die (nachweislich) auch auf eine mögliche höhere Preistoleranz schließen lassen wie zum Beispiel die Intensität der Kundenbeziehung, Flexibilität, Wettbewerbsintensität, Vermögenssituation oder die Unternehmensgröße. Dieser Wert hat sich zwar in den letzten fünf bis sechs Jahren zumindest verdreifacht, bleibt aber noch weit unter den datenanalytischen Möglichkeiten, in die zwischenzeitlich auch Banken und Sparkassen investieren.

- Preisdurchsetzung und Rahmenbedingungen: Ebenfalls nur rund 1/10 der Befragten beziehungsweise in nur jeder zehnten Optimierungsmaßnahme entsteht im Zielbild tatsächlich ein geschlossener Regelkreis im Kredit-Pricing. Dieser ist eingebettet in strategische Leitlinien und einer präzisen Zielpositionierung im Markt und verknüpft eine ganzheitliche Preisfindung mit der systematischen Messung der Preisdurchsetzung (Soko-Management) sowie dem Preiscontrolling. Auf dieser Basis erfolgt bei nicht erwünschten Effekten ein schnelles Gegensteuern im Zielsystem, in der Vertriebssteuerung oder in der Intensivierung von Schulungen oder Trainings.

Big Data für bessere Preisdurchsetzung

Ergänzend zu den aufgeführten Punkten kommt in der aktuellen Situation die Ba-Fin mit der Auslegung der aufsichtsrechtlichen Regelungen den Banken und Sparkassen entgegen und zeigt zum Beispiel bei der Ausfallermittlung und der Bewertung von Immobiliensicherheiten eine erhöhte Flexibilität (Vgl. Schneider et al., BankingHub 2020.) All dies bleibt wie üblich für Dritte nachvollziehbar zu dokumentieren, damit die Prüfbarkeit gewährleistet bleibt. An der grundlegenden, weit verbreiteten "Cost-plus"-Philosophie im Kredit-Pricing ändert dies nichts. Im Gegenteil, die Kosten-/Risikodominanz bei den preisbeeinflussenden Faktoren wird eher noch gestärkt und verstellt den Blick auf Faktoren, die die Preistoleranz der Privat- und Firmenkunden deutlich stärker beeinflussen. Andere Branchen, beispielsweise Logistik, Airlines, Powerhändler wie Amazon oder Zalando oder die Plattform Airbnb, geben hier den Takt vor und verarbeiten deutlich mehr sowie viel dynamischer (oft in "real time") Informationen, um preislich nichts zu verschenken. Eine Investition in ein stärker Big-Data-getriebenes Vorgehen amortisiert sich daher sehr schnell und kann die bankweite Preisdurchsetzung im Kreditvertrieb deutlich verbessern.

Viele Herausforderungen in der Bankpraxis

Aktuell fokussiert die typische (Vor-)Kalkulation einer privaten Baufinanzierung oder eines gewerblichen Darlehens sehr stark auf Produktionskosten (Einstand, Risikokosten, Personal-/Sachkosten, Eigenkapital- und Liquiditätskosten, Optionsprämien et cetera) sowie auf einen in der Regel undifferenzierten Gewinnanspruch. Unterschiedliche Preistoleranzen von Kreditnehmern (Kunden) werden dagegen kaum berücksichtigt - so als böte man vereinfacht ein iPhone mit 250 Euro Produktionskosten einheitlich für einen Durchschnittsendkundenpreis von 290 Euro an (Vgl. Hasken/Klenk, Bankinformation 2014; Klenk/Zikmund, Betriebswirtschaftliche Blätter 2015). In der Bankpraxis führt dies zu aus Ertragssicht sehr unbefriedigenden Ergebnissen oder Geschäftskonstellationen.

Eine Auswahl der Herausforderungen:

- Nettomargenunterschiede zwischen dem Top-75-prozentigen-Quantil (das heißt der besten 25 Prozent Abschlüsse) und den unteren 25 Prozent liegen in ein und demselben Produktfeld, Laufzeitband, Ratingklasse oft 150 bis 200 Basispunkte auseinander und zeigen eine sehr inhomogene Preisdurchsetzung (vergleiche Abbildung 1).

- Transparenz über die Preisdurchsetzung und realisierte Preise bei vergleichbaren Geschäften in einer Peergroup fehlt, das heißt, eine typische Vorkalkulation stellt keine oder nur wenig ambitionierte Preisanker bereit, die darüber hinaus keine zusätzlichen Informationen für eine (mögliche) höhere Preistoleranz beinhalten.

- Eine systematische Messung der Preisdurchsetzung unterbleibt. Damit können Rückschlüsse auf eventuell zu breite Kompetenzrahmen oder mögliche Vertriebsintensivierungen nicht erkannt werden.

- Volumen-Laufzeit-Kombinationen sind im Firmenkundengeschäft - gerade bei mittelgroßen Finanzierungen bis maximal 2 Millionen Euro - oft nicht adäquat bepreist und bieten deutliche Preisspielräume, sofern Größenklassen und Laufzeitdifferenzierung besser aufeinander abgestimmt werden.

- Rundum-sorglos-Pakete in der privaten Baufinanzierung (zum Beispiel mit 10-Prozent-Sondertilgungsoption, üppiger bereitstellungszinsfreier Zeit et cetera) werden deutlich zu günstig oder gar nicht verkauft.

- Für besonders nachgefragte Produktvarianten/-parameter existieren keine differenzierten Gewinnansprüche (Nettomargen).

- Bereits in der Bank oder Sparkasse vorhandene Informationen zu Kunden(segmenten), deren sonstiger Produktnutzung, Vertriebskanälen, regionalen Marktgebieten et cetera werden nicht für das Pricing nutzbar gemacht.

- Und insgesamt existiert eine hohe Unsicherheit, mit welcher Methodik diese Potenziale transparent und in den Kreditprozessen nutzbar gemacht werden.

Einen pragmatischen Ausweg bietet eine differenzierte Ableitung und Steuerung individueller Zusatzmargen, die entweder als Vergleichs- oder Vorschlagspreis oder direkt in die Vorkalkulation mit integriert werden können. Hierfür ist in einem ersten Schritt zu analysieren, was in einer Bank oder Sparkasse die unterschiedlichen Brutto- und Nettomargen erklärt. Oder mit anderen Worten: Existieren Kunden-, Produkt- oder Wettbewerbsmerkmale, die eine inhomogene Preisdurchsetzung statistisch signifikant nachvollziehbar machen?

Statistisches Instrumentarium

Je nach vorliegender Stückzahl oder Mengengerüste der betrachteten Kreditproduktvarianten kommt das gesamte statistische Instrumentarium in Betracht, zum Beispiel Mittelwert/Quantilsvergleiche, Faktoren-/Clusteranalysen, Regressionsanalysen oder auch adäquate Methoden des maschinellen Lernens (wie zum Beispiel das sogenannte Gradient Boosting), die iterativ möglichst homogene Gruppen von Geschäftsabschlüssen identifizieren und diese als Vergleichspreise ausweisen. In einem zweiten Schritt ist in enger Einbindung mit den Kredit- und Baufinanzierungsspezialisten im Vertrieb sowie den ORG/IT-Verantwortlichen zu bestimmen, wie derartige Merkmale als Margentreiber mit Zu- oder Abschlägen in die (Vor-)Kalkulation integriert werden und als Basis für die Kompetenzregelungen inklusive Sonderkonditions-Workflow dienen können. Dieser misst im Ergebnis "echte" Preisdurchsetzung und nicht - wie aktuell oft üblich - die mangelnde Marktkonformität der bestehenden Vorkalkulationsergebnisse.

Dass sich dies lohnt, zeigen die folgenden, exemplarischen Use-Cases:

1. Die Ausgangssituation einer großen Regionalbank in der privaten Baufinanzierung war auf den ersten Blick sehr auskömmlich, das bedeutete im Betriebsvergleich hohe Margen. Dennoch offenbarte eine Analyse auf Einzelgeschäftsebene, dass vergleichsweise "einfaches Geschäft" in Leerberatungen ohne Geschäftsabschluss endete. Smart Pricing für eine bessere Preis-Leistungs-Differenzierung nach ausgewählten Produkt- und Kundenmerkmalen konnte sowohl die Neugeschäftsvolumina als auch die monatlichen Bruttoerträge um mehr als 30 Prozent steigern, ohne dass dies zulasten des eher komplexen und höherpreisigen Wohnraumfinanzierungsgeschäfts ging.

Abbildung 2: Einbettung in Pricing-Framework Quelle: zeb

2. Eine überregionale Geschäftsbank konnte ihre Zins- und Provisionserlöse bei gewerblichen KK-Linien um über 50 Prozent steigern und damit gerade in der jetzigen Zeit den Mehrwert oder Nutzen von Liquidität für Firmenkunden adäquat monetarisieren. Wesentliche Erfolgsfaktoren waren

- eine präzise berechnete Senkung des Sollzinses (bei guter Bonität, aktuell hoher Normalkondition, abgeleiteten Schwellenwerten in der Linienziehung sowie weiterer kundenindividueller Parameter) bei gleichzeitig volumengestaffelter Bereitstellungsprovision sowie

- eine Kundenargumentation in begleitenden Anschreiben und Produktflyern, die den Mehrwert offener Kreditlinien als wichtiges Modul im Management der eigenen Liquidität herausstellte.

Die Aufmerksamkeit des Managements für bessere Kreditpreise, wachsende Kreditvolumina und möglichst geringe Kreditprozesskosten sind in der Bankpraxis oft genau umgekehrt proportional zu deren Gewinnwirkung. Die ertragsorientierte Weiterentwicklung und damit Zukunft des Kredit-Pricings liegt in einer deutlich stärkeren Dynamisierung und smarten Nutzung von preisbestimmenden Merkmalen, die nachweislich mit der Preistoleranz von Kunden oder Kundenverbünden stärker korrelieren, als dies Kosten- oder Risikomerkmale tun.

Literatur

A. Hasken/P. Klenk: Kreditpricing - Optimierung der Preisfindung, in: Bankinformation, 12/2014, S. 54-57.

P. Klenk/J. Zikmund: Bessere Preise im Kreditgeschäft - individuelle Margentreiber nutzen, in: P. Klenk (Hrsg.), Ihr Weg zur PRICING EXCELLENCE, S. 18-24.

N. Schneider/U.-T. Fuhrmeister/B. Walkhoff/H. Böschenbröker: Kreditgeschäft in Zeiten von Corona, BankingHub April 2020; https://bankinghub.de/banking/steuerung/kreditgeschaeft-in-corona-zeiten (letzter Zugriff 25.05.2020).

Dr. Peter Klenk Partner, zeb, München
Dr. Peter Klenk , Partner, zeb, München

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