Die Krise forderte viel - Deutschland hatte Antworten

Dr. Fritzi Köhler-Geib, Foto: KfW (Thorsten Futh)

Wohl kein anderes Institut war in den letzten Monaten so gefordert wie die Kreditanstalt für Wiederaufbau. KfW-Schnellkredite, Kredite für junge wie ältere Unternehmen und die Übernahme des größten Teils der Ausfallrisiken derselben sorgten in der gesamten deutschen Wirtschaft für Liquidität. Dr. Fritzi Köhler-Geib, Chefvolkswirtin der KfW, appelliert im vorliegenden Beitrag nun an Banken und Wirtschaft, diese Liquidität und damit Chancen nicht zu verspielen. Im Hinblick auf weitere Infektionswellen müsse man versuchen, die eigenen Reserven zu schonen und Investitionen in zukunftsorientierte Maßnahmen zu tätigen. So bedürfe es nach der Krise Innovationen, eine Aufrechterhaltung des internationalen Handels, klimafreundliches Wirtschaften, ein starkes Europa und der Vorsorge für die nächste Krise, um auch in Zukunft die Vorreiterrolle Deutschlands zu sichern. (Red.)

Die Corona-Pandemie bedeutet in jeder Hinsicht einen tiefen Einschnitt. Das Virus hat sich in kurzer Zeit weltweit verbreitet. Um eine Überforderung der Gesundheitssysteme zu verhindern, ist das öffentliche Leben in vielen Ländern stark eingeschränkt worden, internationale Lieferketten wurden unterbrochen. In der Folge werden in den USA, in Europa und in Deutschland 2020 historische Rezessionen erwartet. In den Schwellenländern gewinnt der Pandemie- und Krisenverlauf erst noch an Fahrt.

Bisher können in Deutschland heftige wirtschaftliche Auswirkungen beobachtet werden. Die Industrie ist besonders betroffen. Hier schlagen im April Einbrüche der Produktion von 22 Prozent und der Auftragseingänge von 26 Prozent zu Buche. Die globale Betroffenheit durch die Pandemie macht sich in einem Rückgang der Exporte im April um 24 Prozent und der Importe um 16,5 Prozent (alle Angaben gegenüber Vormonat) bemerkbar. Auch der Fiskus hat massive Einnahmeausfälle zu verkraften: Die Steuereinnahmen sind im Mai binnen Jahresfrist um fast 20 Prozent eingebrochen.

Die Erholung wird nur schleppend verlaufen und erst Ende 2021 werden wir wieder das Vorkrisenwirtschaftsniveau erreichen. Der Ursprung der derzeitigen Krise liegt außerhalb der Wirtschaft und führt zu besonders großer Vorhersageunsicherheit. Ein wesentlicher Faktor dabei ist die kaum abzuschätzende Dauer der Pandemie, einschließlich der Möglichkeit mehrerer Infektionswellen.

Das KfW-Research-Basisszenario geht davon aus, dass das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt in Deutschland 2020 um 6 Prozent schrumpft. Nachdem Deutschland mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung von - 2,2 Prozent im 1. Quartal (im Vergleich zum Vorquartal) noch glimpflich davongekommen ist, wird die Talsohle der Krise wohl im 2. Quartal mit einem Einbruch von ungefähr - 11 Prozent erreicht.

Die Lage bleibt ernst

Die Pandemie verlängert die bereits rekordlange Rezession in der Industrie, indem sie Störungen in den internationalen Wertschöpfungsketten verursacht, die nationale und internationale Nachfrage einbricht und Beschäftigte einem erhöhten Krankheitsrisiko oder Quarantäneanordnungen ausgesetzt sind. Hinzu kommen die Maßnahmen zur sozialen Distanzierung in der Binnenwirtschaft. Diese treffen grundsätzlich alle Wirtschaftsbereiche, besonders jedoch Dienstleistungen, die auf persönlichen Kundenkontakt angewiesen sind, wie zum Beispiel die Gastronomie oder die Reisebranche.

Nachfrageseitig treiben deshalb vor allem Exporte, privater Konsum und Unternehmensinvestitionen den Einbruch des BIP - und auch den anschließend zu erwartenden Wachstumsspurt. Sehr kräftige Aufholeffekte nach Überwindung der Pandemie sorgen 2021 für ein außergewöhnlich hohes Wirtschaftswachstum von 5 Prozent. Dies ist aber nur ein Zwischenspurt als Reaktion auf den vorangegangen tiefen Einbruch. Das Vorkrisenniveau wird erst Ende 2021 wieder erreicht. Anschließend wird sich das Wachstumstempo wieder deutlich verlangsamen.

Die Lage der Banken erscheint solide und die Beschleunigung der Neukreditvergabe zeigt, dass der Kreditkanal für Unternehmen weiterhin funktioniert. Die Erholung könnte sich weiter verzögern, wenn sich die Schäden durch den dramatischen Einbruch der wirtschaftlichen Aktivität verfestigen. Deshalb ist es wichtig, dass möglichst viele Unternehmen mit funktionierenden Geschäftsmodellen weiter Zugang zu Kreditmitteln erhalten, um abrupt auftretende Liquiditätslücken abdecken zu können.

Zu Beginn der Krise ist das offenbar gut gelungen: Bei dem von der KfW geschätzten Kreditneugeschäft mit Unternehmen und Selbstständigen gab es im 1. Quartal einen deutlichen Schub. Angetrieben von den kurzen Laufzeiten hat sich das jährliche Kreditwachstum auf 7,3 Prozent im Vergleich zu den davorliegenden drei Monaten verdoppelt. Darüber hinaus deuten die Ergebnisse des Bank Lending Surveys der EZB von Ende März/ Anfang April darauf hin, dass die deutschen Finanzinstitute, trotz der signifikant steigenden Ausfallrisiken, ihre Kreditstandards bislang nur moderat verschärft haben.

Noch reichen die Reserven

Dies ist auch ein Erfolg der regulatorischen Reformen nach der Finanzkrise. Auch wenn die Ertragsschwäche der deutschen Banken eine Hypothek ist, sind sie doch mit soliden Liquiditäts- und Eigenkapitalpositionen in die Krise gegangen. Durch die gute wirtschaftliche Entwicklung der vergangenen Jahre lag die Quote ausfallgefährdeter Kredite mit 1,2 Prozent zudem auf einem ausgesprochen niedrigen Niveau. Den Höhepunkt der Kreditdynamik erwartet die KfW angesichts der angespannten Finanzsituation vieler Unternehmen im 2. Quartal, bevor es im weiteren Jahresverlauf mit der fortschreitenden wirtschaftlichen Erholung zu einer Verlangsamung kommt.

Allerdings zeigen die von der KfW durchgeführten repräsentativen Ad-hoc-Umfragen des deutschen Mittelstandes, dass die Liquiditätslage der Unternehmen angespannt bleibt. Allein im Mai mussten rund 2,3 Millionen Unternehmen Corona-bedingte Umsatzeinbußen verkraften, also fast zwei von drei Mittelständlern. Im Durchschnitt ging den Firmen knapp die Hälfte der üblicherweise im Mai zu erwartenden Umsätze verloren - rund 45 000 Euro je betroffenes Unternehmen. Das lässt sich so einfach nicht wieder aufholen und ist folgenreich.

Durch das Wegbrechen von Umsatzerlösen können viele Unternehmen ihre Liquiditätsreserven nicht mehr in ausreichender Menge auffüllen - sie zehren von der Substanz. Rund jeder dritte Mittelständler berichtete Anfang Juni von einer Reduktion seiner Rücklagen aufgrund der Corona-Krise. Bei rund 45 Prozent reicht das Liquiditätspolster nur noch für maximal zwei Monate (gerechnet ab 1. Juni 2020). Die Gefahr der Zahlungsunfähigkeit ist für viele Unternehmen trotz Lockerungen somit nicht gebannt.

Für die Erholung im Unternehmenssektor und auch für die Bankenlandschaft in Deutschland sind die staatlichen Unterstützungsmaßnahmen sowie die Maßnahmen der EZB von großer Bedeutung. Die deutsche Regierungskoalition hat einen Corona-Schutzschild von fast 1,3 Billionen Euro aufgespannt, der vor allem Zuschüsse, Kredite, Bürgschaften und Eigenkapitalmaßnahmen, Einkommenssicherung für Familien sowie steuerliche Hilfsmaßnahmen umfasst. Ergänzt wird er um ein Konjunktur- und Krisenbewältigungspaket sowie ein Zukunftspaket im Umfang von insgesamt 130 Milliarden Euro für die Jahre 2020 und 2021.

Deutschland zeigt sich agil und bleibt damit liquide

Damit hat sich Deutschland schnell und umfassend handlungsfähig gezeigt. Die Corona-Krise wird jedoch zu steigenden Insolvenzen und Kreditausfällen führen. Das ist für jede Rezession normal - und diese ist außergewöhnlich scharf. Aufgrund der umfassenden wirtschaftspolitischen Maßnahmen gibt es jedoch Grund für Optimismus, dass das Schlimmste vermieden werden kann. Die Hilfen für Banken, Unternehmen und Gesamtwirtschaft wirken über die direkten Adressaten hinaus und verstärken sich gegenseitig.

So sorgt die EZB über das Notfallankaufprogramm PEPP im Gesamtvolumen von 1 350 Milliarden Euro nicht nur für reichlich Liquidität an den Finanzmärkten, sondern stützt über die zu äußerst attraktiven Konditionen vergebenen längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte TLTRO-III gezielt die Kreditvergabe an Haushalte und Unternehmen.

Für Banken, die bis März 2021 ihren Kreditbestand nicht reduzieren, wird der Zins für das geliehene Zentralbankgeld bei -1 Prozent festgesetzt. Angesichts der sich daraus ergebenden Ertragschancen war die Nachfrage der Finanzinstitute nach den dreijährigen Mitteln gleich bei der ersten Runde im Juni enorm. Insgesamt flossen 1,31 Billionen Euro an über 700 europäische Häuser.

Dazu kommt die Anpassungsfähigkeit der Unternehmen. Aktuell stellen die Mittelständler diese eindrucksvoll unter Beweis. 43 Prozent hatten bereits im April ihre Angebotspalette, ihren Vertrieb oder ihr Geschäftsmodell aufgrund der Corona-Krise angepasst. Zählt man auch die Unternehmen hinzu, die dies noch planten, beträgt dieser Wert sogar 57 Prozent.

Vorreiter sind dabei die von der Krise besonders betroffenen Unternehmen sowie Unternehmen, die bereits in der Vergangenheit erfolgreich Innovationen hervorgebracht haben. Dies unterstreicht, dass die Fähigkeit Innovationen zu entwickeln, wesentlich zur Krisenresilienz der Wirtschaft beiträgt.

Der Weg nach vorn bietet Chancen

Letztendlich wird die Erholung aber vom Pandemiegeschehen und dem Zurückkehren des Verbrauchervertrauens abhängen. Die zuletzt aufgrund bisher noch lokaler Ausbrüche wieder ansteigenden Infektionszahlen sind ein Test für das Konzept der regionalen Entscheidungen über Corona-Maßnahmen. Verbraucher werden nur dann ihre wirtschaftlichen Aktivitäten wieder voll aufnehmen, wenn sie den Eindruck haben, Risiken sowohl für ihre Gesundheit als auch ihre Lebensgrundlage abschätzen zu können.

Vor diesem Hintergrund bleiben die Entwicklung eines Impfstoffes, Schnelltests, die weite Verbreitung und Nutzung der Corona-Warn-App und die Einhaltung von Hygieneauflagen wichtige Bausteine auch einer wirtschaftlichen Erholung. Das Konjunktur- und Wachstumspaket ist für das Vertrauen in die Wirtschaftskraft Deutschlands und damit ebenfalls für die Überwindung der Krise von großer Bedeutung.

Obwohl ein schwieriger Weg noch vor uns liegt, liegt gerade in der Tiefe der Krise und den Verhaltensveränderungen, die man bereits sehen konnte, die Möglichkeit, dass Deutschland diese Krise für ein nachhaltigeres Wirtschaften danach nutzen kann. Dies kann vor allem dann gelingen, wenn die Gesellschaft in fünf Handlungsfeldern die Weichen in diese Richtung stellt.

Der Wiederaufbau erfordert den Zusammenhalt der Gesellschaft

Erstens ist Krisenfestigkeit entscheidend. Deutschland kommt bisher vergleichsweise gut durch die Krise, gerade weil Wirtschaftsakteure hierzulande vielfach Krisenfestigkeit schon mit berücksichtigen. Da Vorsorge etwas kostet, steht Krisenfestigkeit immer in einem Spannungsfeld mit Wachstum und Ressourceneffizienz. Öffentliche Mittel für das Angehen struktureller Herausforderungen aufzuwenden, stellt uns dabei gut auf, denn es erlaubt das Erwirtschaften von Einkommen auch in der Zukunft.

Zweitens muss Klimaneutralität vorangetrieben werden, denn auch dies ist letztlich eine Frage von Krisenfestigkeit. Drittens ist vor dem Hintergrund der alternden Gesellschaft die einzige Chance in der Zukunft Wohlstand zu erhalten, dass der Schub von notgedrungenem Erfindergeist und Digitalisierung in Produktivitätssteigerungen übersetzt wird.

Viertens muss die deutsche Wirtschaft auch weiterhin die außenwirtschaftliche Vernetzung nutzen können. Die Versorgungssicherheit kann dabei mit strategischen Reserven sichergestellt werden. Eine Abkehr vom internationalen Handel würde zu einem realen Einkommensverlust pro Person in Deutschland von geschätzt 22 Prozent führen. Fünftens ist ein gestärktes Europa entscheidend wichtig, weil Deutschland bei Themen wie Klimaneutralität oder Produktivitätssteigerungen und Zukunftstechnologien nur so weiterkommen kann.

Dr. Fritzi Köhler-Geib Chefvolkswirtin, KfW - Kreditanstalt für Wiederaufbau, Frankfurt am Main
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Dr. Fritzi Köhler-Geib , Chefvolkswirtin, KfW - Kreditanstalt für Wiederaufbau, Frankfurt am Main
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