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Die neue Rolle von Verbriefungen in Deutschland und Europa

Dr. Michael Meister, MdB, Parlamentarischer Staatssekretär, Bundesministerium der Finanzen, Berlin - In der Rückschau lässt sich aus der Sicht des Autors zwar nachvollziehen, dass eine deutliche Gewichtsverlagerung hin zu der Variante Subprime-Verbriefungen in den USA die Entstehung der Branchenkrise maßgeblich mitverursacht hat. Bei allem Wissen um diese Hintergründe und eine ohnehin teils ungleich bessere Entwicklung europäischer Verbriefungsprodukte registriert er nach der Aufarbeitung der Krise und der inzwischen erfolgten Nachregulierung gleichwohl eine deutlich geringere Dynamik an den europäischen Verbriefungsmärkten. Einfach alle Verbriefungen in einen Topf zu werfen und dann sicherheitshalber kollektiv aufsichtlich streng zu regulieren hält er für verfehlt und plädiert für eine transparente Differenzierung. Geeignete Kriterien für gute Verbriefungen zu identifizieren und zu formulieren sieht er als eine wesentliche Aufgabe der europäischen Politik und sagt für diesen Prozess die Unterstützung vonseiten der Bundesregierung zu. (Red.)

Es steht außer Zweifel, dass Verbriefungen durch die US-Subprime-Krise bis zu einem gewissen Grad diskreditiert wurden. Gleichwohl wäre es falsch, nun pauschal den Stab über Verbriefungen zu brechen. Die nachfolgenden Thesen sollen zu einer differenzierteren Sichtweise beitragen und erklären, welche Rolle sich für Verbriefungen in Deutschland und Europa in naher Zukunft ergeben kann und sollte.

These 1: Die US-Subprime-Krise ist seit 2008 gründlich analysiert worden. Die damals speziell im Verbriefungsbereich gemachten Fehler lassen sich identifizieren und künftig vermeiden.

Die krisenhafte Entwicklung des US-Subprime-Verbriefungsmarktes stellt sich historisch wie folgt dar: Seit den 1970er-Jahren hatten die sogenannten Government Sponsored Enterprises (GSEs, Fannie Mae und Freddie Mac) Immobiliendarlehen von Banken erworben. Dabei handelte es sich um relativ sichere (sogenannte conforming oder prime) Immobiliendarlehen. Diese Institute verkauften die Immobiliendarlehen verbrieft an Kapitalmarktinvestoren weiter und übernahmen dabei die Haftung für etwaige Ausfälle dieser Immobiliendarlehen.

Fehler künftig vermeiden

Entsprechend dem Fördergedanken der GSEs konnten Banken so ihre Kreditvergabe steigern. Denn die Banken konnten zum einen das Ausfallrisiko der Immobiliendarlehen abgeben, was sie eigenkapitalmäßig entlastete, und zum anderen standen den Banken die Erlöse der verkauften Immobiliendarlehen für eine Neukreditvergabe zur Verfügung. Die Kreditqualität der ausgereichten Immobiliendarlehen war kein großes Problem, solange es sich um jene relativ sicheren und bonitätsstarken (conforming oder prime) Immobiliendarlehen handelte, die die GSEs ankauften und garantierten.

Mit der Zeit verlagerte sich das Verbriefungsgeschäft aber zunehmend zu sogenannten Private-Label- oder Non-Agency-Originatoren. Im Bemühen, nicht direkt mit den GSEs zu konkurrieren, verbrieften diese Originatoren Immobiliendarlehen schlechterer Kreditqualität (sogenannte non-conforming oder subprime sowie Alt-A). Im Gegensatz zu den GSEs hafteten diese Originatoren auch nicht für etwaige Ausfälle der diesen Verbriefungen zugrunde liegenden Immobiliendarlehen. Mithilfe komplexer und undurchsichtiger Ver briefungs- und Tranchierungsstrukturen und auf Basis unzureichender Ratingmodelle erhielten diese Verbriefungen letztlich viel zu gute Ratings.

Krise aufgearbeitet - Markt nachreguliert

Auf dieser Basis expandierte der US-Markt für Immobilienverbriefungen ab Mitte der 90er-Jahre massiv. Zwischen 1996 und 2007 verdreifachte er sich nahezu (auf dann zirka 7,3 Billionen US-Dollar). Der Anteil von Subprime-Verbriefungen stieg dabei von 54 Prozent im Jahr 2001 auf 75 Prozent in 2006; dies nicht zuletzt, weil immer mehr Kreditnehmern Immobilienkredite fast aufgedrängt wurden, bei denen früh absehbar war, dass diese wohl nicht bedient werden können und die bei anderen Anreizstrukturen wohl auch nie begeben worden wären (Financial Crisis Inquiry Report, 2011). Ab 2007 zeigten sich erste Anzeichen der Krise am Immobilienmarkt. 2008 kam es zu Zusammenbrüchen von Banken, die in Subprime-Verbriefungen investiert oder einschlägige Tranchen einbehalten hatten, gefolgt von einer globalen Kreditklemme und Rezession.

In der Folge wurde die Krise umfassend aufgearbeitet. Seit 2007 wurde der Verbriefungsmarkt umfassend nachreguliert, um alle wesentlichen Schwachpunkte der US-Subprime-Erfahrungen zu adressieren.

These 2: Bei Weitem nicht alle Verbriefungen sind so schlecht gelaufen wie US-Subprime-Verbriefungen. Speziell europäische Verbriefungen schlugen sich teilweise ausnehmend gut.

Im Gegensatz zu US-Subprime-Verbriefungen zeigten europäische und besonders deutsche Verbriefungen keinerlei Auffälligkeiten. Sie stellten sich in ihrer Entwicklung während und nach der Finanzkrise positiv dar. Selbst in Ländern wie Spanien, die von einer Immobilienblase unmittelbar betroffen waren, war die Entwicklung insgesamt gut. Laut Standard & Poor's (2013) wiesen europäische Verbriefungen zwischen 2007 und 2013 eine Ausfallquote von 2,5 Prozent auf, deutlich weniger als jene 18,4 Prozent, die der gesamte US-Verbriefungsmarkt im Vergleichszeitraum verzeichnete - und dies bei insgesamt eher schlechterer Wirtschaftsentwicklung in Europa.

Besonders robust zeigten sich dabei folgende europäische Produkte: Wohnimmobilienverbriefungen, Kreditkartenverbriefungen und KMU-Verbriefungen (CLOs). Sie wiesen im Betrachtungszeitraum 2007 bis 2013 lediglich marginale Ausfallquoten von 0,10 Prozent, 0,00 Prozent beziehungsweise 0,41 Prozent auf.

Brücke zwischen Banken- und Kapitalmarktfinanzierung

These 3: Grundsätzlich können Verbriefungen einen wertvollen Beitrag zur Finanzierung der Realwirtschaft leisten. Denn sie schlagen eine Brücke zwischen Bankenfinanzierung und Kapitalmarktfinanzierung und finanzieren teilweise die Realwirtschaft direkt.

Die Finanzierung der Wirtschaft läuft in Europa größtenteils über das Bankensystem. Anders als in den USA spielen Kapitalmärkte eine vergleichsweise geringe Rolle. Schätzungen gehen davon aus, dass die Fremdfinanzierung in Europa zu 80 Prozent bankbasiert ist, im Unterscheid zu 20 Prozent in den USA (EFC High Level Expert Group 2013).

Um die Finanzierungsstruktur in Europa möglichst breit aufzustellen, können Verbriefungen eine wichtige Rolle spielen. Sie können

(a) dazu beitragen, die Bankbilanzen zu entlasten und die Bankenrefinanzierung zu diversifizieren. Dies ermöglicht den Banken zusätzliche Kreditvergabe. Sie tragen insofern

(b) dazu bei, dass Investitionsmittel von Nichtbanken in die Realwirtschaft gelenkt werden. Und sie können

(c) der Realwirtschaft auch direkt eine weitere Finanzierungsquelle neben dem Bankkredit eröffnen, indem die Realwirtschaft ihre Kundenforderungen oder Leasingforderungen verbrieft.

Hinreichend differenziert?

Insbesondere KMUs leiden normalerweise darunter, dass sie zu klein sind, um den Kapitalmarkt direkt zu nutzen. Verbriefungen können hier eine wertvolle Brücke schlagen.

These 4: Infolge der Krise wurde der Verbriefungsmarkt intensiv reguliert. Dies war notwendig. Gleichwohl ist angesichts der seitdem relativ geringen Verbriefungsvolumina zu fragen, ob die Regulierung hinreichend differenziert zwischen "guten" (einfachen, transparenten und standardisierten) Verbriefungen und "schlechten" Verbriefungen. Eine Situation, in der einfach alle Verbriefungen in einen Topf geworfen und dann sicherheitshalber alle aufsichtlich streng reguliert werden, sollte vermieden werden.

Europäische Verbriefungsprodukte haben die Krise viel besser überstanden als amerikanische. Gleichwohl haben sich seitdem die amerikanischen Verbriefungsmärkte dynamischer entwickelt als die europäischen. Während in den USA das Volumen im Jahr 2013 bereits wieder bei 75 Prozent des Vorkrisenniveaus lag, lag es in Europa lediglich bei 40 Prozent, und dies auch nur, wenn man einbehaltene Verbriefungen berücksichtigt (Bank of England/ECB 2014).

Auch wenn die unterschiedliche Entwicklung teilweise der amerikanischen Verbriefungsförderung über die GSEs geschuldet sein mag, ist doch zu fragen, ob die Regulierung hinreichend differenziert zwischen "guten" und "schlechten" Verbriefungen. Die Subprime-Krise hat gezeigt, wie heterogen Verbriefungen sein können. Von toxischen, für den Investor unverständlichen Produkten bis hin zu einfachen und transparenten Strukturen ist alles denkbar. Hierauf muss die Regulierung eingehen. Eine Situation, in der einfach alle Verbriefungen in einen Topf geworfen und dann sicherheitshalber kollektiv aufsichtlich streng reguliert werden, gilt es zu vermeiden. Denn dies würde die Realwirtschaft um die Vorteile guter Verbriefungen bringen.

Kriterien für "gute" Verbriefungen

Der Weg vorwärts scheint damit klar. Es muss darum gehen, Kriterien für "gute" Verbriefungen zu entwickeln. Diese Verbriefungen können dann entsprechend ihrer höheren Qualität risikoadäquat regulatorisch entlastet werden. Bei diesen "guten" Verbriefungen kann es sich im Übrigen grundsätzlich auch um Verbriefungen von eher riskanten Krediten handeln. Wichtig ist nur, dass dies für den Investor klar erkennbar ist, er also weiß, welches Risiko er eingeht, sodass Risiken entsprechend bepreist werden können. Es geht insofern also um die strukturelle Qualität (Einfachheit, Transparenz, Standardisierungsgrad) dieser Verbriefungen.

In ihrem Arbeitsprogramm für 2015 hat sich die EU-Kommission vorgenommen, eine entsprechende Initiative im Rahmen des Projekts Kapitalmarktunion voranzutreiben. In einem ersten Schritt gilt es, entsprechende Kriterien zu identifizieren. Hierbei kann auf Arbeiten zurückgegriffen werden, wie sie im Basel Committee on Banking Supervision (BCBS), bei der International Organization of Securities Commissions (IOSCO) und bei der europäischen Bankenaufsicht EBA bereits geleistet worden sind. Wichtig erscheint, das Spektrum zulässiger Papiere grundsätzlich zunächst breit anzulegen, gleichzeitig aber strenge und konkrete Kriterien für die Verbriefung zu fordern.

Unterstützung für den europäischen Prozess

So sollten beispielsweise synthetische Verbriefungen und Asset-Backed Commercial Papers nicht von vornherein außen vor gelassen werden. Unter der Voraussetzung, dass sich hierfür angemessene Kriterien finden lassen, wäre eine Einbeziehung derartiger Papiere durchaus wünschenswert, dienen sie doch oftmals insbesondere der KMU-Finanzierung. Die Bundesregierung hat sich gegenüber der EU-Kommission für einen derartigen Prüfprozess eingesetzt.

In einem zweiten Schritt sind dann die regulatorischen Vorgaben angemessen anzupassen - und zwar entsprechend der höheren strukturellen Qualität der Verbriefungen. Grundsätzlich tangieren diverse europäische Regelwerke die Regulierung von Verbriefungen. Hierzu zählen die Capital Requirements Regulation für Banken, die Solvency-II-Richtlinie für Versicherer sowie die europäischen Vorgaben im Investmentfondsbereich. Speziell mit Blick auf Transparenz und Informationspflichten sind daneben auch die Credit Rating Agency Regulation (CRA III) und die Prospektrichtlinie einschlägig.

Nachhaltigen Verbriefungsmarkt entwickeln

Deutschland unterstützt und begleitet den skizzierten europäischen Prozess eng. Für die Bundesregierung geht es aktuell darum, für die Steuerung und Messung des Erfolges dieses Prozesses sinnvolle Maßstäbe zu finden. Ex post ist dies einfach (Entwicklung eines nachhaltigen, sich selbst tragenden, der Realwirtschaft dienenden Verbriefungsmarktes), doch Expost-Betrachtungen helfen nicht bei der Gestaltung des Prozesses. Vor allem zwei Maßstäbe kommen in Betracht: Zum einen müssen die eng einzubindenden Aufseher bestätigen, dass die Initiative risikoseitig vertretbar ist (also nicht zu "mutig" oder gar eine Gefahr für die Finanzstabilität in sich bergend). Und zum anderen müssen Marktteilnehmer bestätigen, dass die Initiative wirksam ist (also "mutig" genug, um für die Finanzierung der Realwirtschaft tatsächlich einen Fortschritt darzustellen).

Literaturverzeichnis

Bank of England/ECB (2014) The case for a better functioning securitisation market in the European Union, https://www.ecb.europa.eu/pub/pdf/other/ecb-boe_case_better_functioning_securitisation_marketen.pdf

EFC High Level Expert Group (2013) Report of the EFC High Level Expert Group on SME and Infrastructure Financing, http://europa.eu/efc/working_ groups/hleg_report_2013.pdf

Financial Crisis Inquiry Report (2011) Final Report of the National Commission on the Causes of the Financial and Economic Crisis in the United States, Financial Crisis Inquiry Commission, Washington, D.C.: Government Printing Office.

Standard & Poor's (2013) Transition Study: Six years on, Standard & Poor's Capital IQ, December 2013.

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