Reformierter Euribor und €STR-basierte Term Rates als Euribor-Fallbacks

Prof. Dr. Oliver Read, Foto: O. Read

Der vorliegende Beitrag ist eine Fortsetzung aus Ausgabe 03/2021 der Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen. Beide Teile befassen sich mit der Reform der Benchmark-Zinssätze in der Eurozone. Während der erste Teil sich vor allem mit dem €STR befasste, geht es nun vor allem um Fallback-Lösungen für den Euribor. Nach einer neuen Definition ist der Euribor laut Beißer/Read der Zinssatz, zu dem Kreditinstitute in der EU und in der EFTA-Staaten am unbesicherten Geldmarkt Geld in Euro aufnehmen können. Dabei sei der Euribor fortan nicht mehr an eine strenge Zielbonität (AA) gekoppelt. Die Autorisierung des reformierten Euribor als BMR-konform dürfte laut Autoren bei den Marktteilnehmern für Erleichterung sorgen. Die Lücke der fehlenden Fallback-Lösungen werde bald geschlossen. Offen bleibe hingegen die "Baustelle" Forward-Looking-Methode für Kassaprodukte. (Red.)

Nach der Einführung des €STR und der Reformierung des Euribor wird derzeit an Fallback-Lösungen für den Euribor gearbeitet. Die Notwendigkeit wird aus Artikel 28 (2) Benchmark Regulation (BMR) abgeleitet. Von der Working Group on Euro Risk-free Rates (WG-ERFR) werden Produktgruppen-spezifische Ansätze zur Ermittlung €STR-basierter Term Rates analysiert.

Euribor erfüllte grundlegende Anforderungen der BMR nicht, da die Ermittlung ohne Bezug zu Transaktionsdaten erfolgte. Der Administrator EMMI hielt eine BMR-konforme Weiterentwicklung des Referenzzinses für möglich. Drei zentrale Elemente der Reformanstrengungen waren eine erweiterte Definition des Zinssatzes, die Entwicklung eines Governance Framework sowie eine neue Ermittlungsmethodik.

Nach der neuen Definition ist der Euribor der Zinssatz, zu dem Kreditinstitute in der EU und in EFTA-Staaten am unbesicherten Geldmarkt Geld in Euro aufnehmen können. Der Kreis der zulässigen Kreditnehmer wurde von "prime bank" auf "credit institutions" erweitert. Damit ist der Euribor nicht mehr an eine klare Zielbonität (AA-Rating) gekoppelt und eine Abgrenzung zwischen reiner Basiszinskomponente und Credit Spread nicht möglich. Außerdem können bei der Ermittlung nun auch kurzfristige Kredite anderer Marktteilnehmer wie Geldmarkt- oder Pensionsfonds herangezogen werden.

Das im Januar 2019 veröffentlichte Euribor Governance Framework besteht aus vier Elementen (Definition und Methodik, Anforderungen an den Administrator EMMI, Anforderungen an die Panelbanken, Anforderungen an den Calculation Agent) und soll Integrität und Zuverlässigkeit sicherstellen.

Abbildung 1: Entwicklung des Euribor (in Prozent) Quelle: Beißer, J. / Read, O., Daten: EMMI Benchmarks Euribor Rates

Neue Ermittlungsmethode

Die neue Ermittlungsmethode sieht vor, die Zinssätze für die fünf Laufzeiten auf der Basis von Transaktionsdaten zu ermitteln. EMMI verzichtet darauf, die Rohdaten zu sammeln. Stattdessen melden die Panelbanken für jede Laufzeit einen Zinssatz, der auf Basis eines dreistufigen Methodenwasserfalls bestimmt wird (Stufe 1: Berechnung auf Basis realer Transaktionen, Stufe 2: Berechnung auf Basis vergleichbarer Transaktionen, Stufe 3: Schätzung auf Basis zusätzlicher Transaktionen). Der Euribor wird vom Calculation Agent als getrimmter Mittelwert berechnet, wobei 15 Prozent der höchsten und 15 Prozent der niedrigsten gemeldeten Werte gestrichen werden. Das Problem, bei fehlenden Transaktionen eine Schätzung vorzunehmen, wurde an die Panelbanken ausgelagert.

Im April 2019 beantragte EMMI bei der belgischen Financial Services and Markets Authority (FSMA) die Zulassung als Administrator. Anfang Juli 2019 wurde die Zulassung erteilt und die BMR-Konformität des reformierten Euribor bestätigt. Damit kann der Euribor weiterhin als Referenzzins für neue Kontrakte verwendet werden. Die Umstellung auf die neue Methode erfolgte graduell. Die ersten Panelbanken begannen damit im Laufe des zweiten Quartals 2019. Ende November 2019 teilte EMMI mit, dass alle 18 Panelbanken die Umstellung vollzogen hätten.

Während der Umstellungsphase konnte man ein niedrigeres Niveau sowie eine höhere Volatilität des reformierten Euribor beobachten (Abbildung 1). Beides war aufgrund der Ergebnisse einer vorangegangenen Testphase erwartet worden.

Um für einen zeitweise gestörten oder dauerhaft eingestellten Euribor gewappnet zu sein, hat die WG-ERFR an Fallback-Lösungen basierend auf €STR Term Rates gearbeitet. Grundsätzlich können €STR-basierte Term Rates mittels eines Forward- oder eines Backward-Looking-Ansatzes abgeleitet werden. Drei Untergruppen der WG-ERFR waren beziehungswseise sind mit der Arbeit betraut (Abbildung 2).

Grundlagen zu €STR-basierten Term Rates hat die Untergruppe 2 gelegt. Zu ihren Aufgaben zählten neben der Begleitung des Forward-Looking-Ansatzes

- die Analyse der Credit-Spread-Differenz zwischen Euribor und der jeweiligen Term Rate einer €STR-basierten Zinsstruktur sowie die Ableitung von Empfehlungen zu einer Anpassung bei einer Einstellung des Euribor,

- die Untersuchung unterschiedlicher Backward-Looking-Methoden.

Aufgaben der seit März 2019 aktiven Untergruppe 5 sind

- für Marktteilnehmer einen Übergang von Eonia zu €STR zu ermöglichen und

- Fallback-Lösungen auf Basis €STR-basierter Term Rates in Finanzkontrakte mit Bezug zu Euribor einzubetten, um Marktstörungen zu vermeiden.

Als Vorarbeit hat die Untergruppe 2 der Untergruppe 5 eine Übersicht mit Vorund Nachteilen der Methoden zum Backward-Looking-Ansatz geliefert. Die Untergruppe 3 arbeitet an der Bestimmung von Trigger-Ereignissen für die Anwendung der Fallback-Lösung.

Abbildung 2: Aufgabenverteilung in der Working Group ERFR Quelle: Beißer, J. / Read, O. in Anlehnung an WG-ERFR (2020a), Seite 6

Am 23. November 2020 hat die WG-ERFR um Feedback zu zwei Konsultationen gebeten. Die von der Untergruppe 5 initiierte Konsultation befasst sich mit der bevorzugten Euribor-Fallback-Lösung für Kassaproduktgruppen inklusive der bevorzugten Credit-Spread-Anpassung. Die Konsultation der Untergruppe 3 behandelt die die Fallback-Lösung auslösenden Trigger-Ereignisse. Das Feedback der Marktteilnehmer wurde am 15. Februar 2021 veröffentlicht. Die Befragten haben die vorläufigen Empfehlungen der WG-ERFR im Wesentlichen befürwortet. Es ist bald mit einer finalen Stellungnahme der WG-ERFR zu rechnen.

Bei einer Einstellung des Euribor und der Aktivierung einer Fallback-Lösung besteht die Gefahr von Marktwertverwerfungen bei Finanzkontrakten. Um einen nahtlosen Übergang von Euribor auf €STR-basierte Term Rates zu gewährleisten, sollte die Untergruppe 2 eine Methode zur Anpassung des Credit Spreads zwischen Euribor und €STR-basierten Term Rates empfehlen. Im Juli 2019 wurden zunächst drei Methoden identifiziert (Abbildung 3).

Empfehlungen zur Credit-Spread-Anpassung

Ein erster Vergleich der drei Methoden wurde beim Meeting der WG-ERFR am 29. August 2019 vorgestellt:

- Historic Credit Spread: Pro Laufzeit wird die Differenz zwischen dem durch die mit der Aufzinsung mit dem risikolosen Overnight-Zins erhaltenen Zinssatz und dem Euribor der entsprechenden Laufzeit betrachtet. Basierend auf der Zeitreihe der Differenz wird entweder ein Durchschnitt oder ein Median über einen längeren Zeitraum berechnet. Diese Methode sei einfach und transparent, reflektiere aber nicht aktuelle Marktbedingungen.

- Forward Credit Spread: Basiert auf Marktdaten für den Forward Credit Spread zwischen Euribor und €STR-basierten Term Rates. Der Ansatz sei genauer als der Historic Credit Spread, jedoch komplexer und abhängig von transparenten und stabilen Marktdaten.

- Dynamic Credit Spread: Basiert auf Transaktionsdaten von unbesicherten Geldmarktinstrumenten. Es sollen Differenzen zwischen der Zinsstruktur auf der Basis von €STR und den Transaktionsdaten ermittelt werden. Diese Methode erscheint wegen fehlender Datenquellen für Transaktionen schwierig umzusetzen und wurde deshalb verworfen.

Abbildung 3: Methoden zur Ermittlung der Credit-Spread-Anpassung Quelle: WG-ERFR (2019a), Seite 4 und WG-ERFR (2019b), Seite 16

Neue vierte Methode

Im Konsultationspapier vom November 2020 kam eine vierte Methode hinzu:

- Spot Credit Spread: Für jede relevante Laufzeit wird die Differenz zwischen Euribor und der €STR-basierten Term Rate am Tag vor der Ankündigung einer Einstellung des Euribor beobachtet und für die Zukunft fixiert.

Andere Gremien haben ähnliche Fragestellungen untersucht: ISDA für Derivate in diversen Währungen und das Alternative Reference Rates Committee in den USA beziehungsweise die Working Group on Sterling Risk-free Reference Rates in Großbritannien für Kassaprodukte. In diesen Konsultationen haben sich die Befragten für eine Credit-Spread-Anpassung auf der Basis eines fünfjährigen historischen Medians ausgesprochen. Für die WG-ERFR sprach viel dafür, ebenfalls eine Anpassung nach der Historic-Credit-Spread-Methode zu befürworten, konkretisiert mit einem fünfjährigen Median und einer einjährigen Übergangszeit. Um aktuelle Marktbedingungen abzubilden soll zunächst der Spot Credit Spread zwischen Euribor und den €STR-basierten Term Rates angesetzt werden. In der Übergangsphase soll dann Tag für Tag immer mehr mittels Interpolation in Richtung Historic Credit Spread angepasst werden. Ein möglicher Klippeneffekt wird auf ein Jahr gestreckt.

Die Konsultationsergebnisse vom 15. Februar 2021 zeigen, dass die Befragten fast alle Vorschläge befürworten. Lediglich für die einjährige Übergangszeit gab es unter anderem aufgrund einer Inkonsistenz mit dem ISDA-Ansatz keine Mehrheit.

Beim Meeting der WG-ERFR vom 2. Juli 2020 berichtete die Untergruppe 5 über Vorbereitungen für die Konsultation zu Euribor-Fallbacks für Kassaprodukte. Infrage kamen

- der Forward-Looking Ansatz und

- die drei realisierbaren Backward-Looking Methoden (Payment delay, Lookback period, Last reset), die von der Untergruppe 2 identifiziert wurden.

Die vier Methoden wurden auf Basis von sieben Beurteilungskriterien verglichen (Abbildung 4). Die Umsetzbarkeit der Euribor-Fallbacks wurde für jedes Beurteilungskriterium und jede Methode mit Ampelfarben bewertet.

Backward-Looking versus Forward-Looking

Nach Ansicht der WG-ERFR liegt ein Dilemma vor. Grundsätzlich wünschen sich Marktteilnehmer die Anwendung einer einheitlichen Fallback-Methode für alle Produktgruppen. Auf der einen Seite stehe aber schon fest, dass für Derivate unter der ISDA-Dokumentation ein Backward-Looking-Ansatz verwendet werden soll. Nichtprofessionelle Marktteilnehmer bevorzugen aber einen Forward-Looking-Ansatz. Folglich stellt sich die Frage, für welche Kassaprodukte ein Forward-Looking-Ansatz unbedingt erforderlich ist.

Im Konsultationspapier vom November 2020 wird für global operierende Marktteilnehmer grundsätzlich die Backward-Looking-Methode Lookback period als Fallback für alle Produktgruppen vorgeschlagen. Allerdings wird akzeptiert, dass für Anwendungsfälle, bei denen der Zins im Vorfeld bekannt sein soll, beziehungsweise für lokal operierende Marktteilnehmer, für welche die ISDA-Standards weniger relevant sind, ein Forward-Loo king- Ansatz mehr Kundenakzeptanz genießt. Beispiele dafür seien Wohnimmobilienkredite, Konsumentenkredite, KMU-Kredite, Trade Finance und Exportfinanzierung. Für diese Anwendungsfälle empfiehlt die WG-ERFR eine Wasserfallstruktur der Fallbacks mit dem Forward-Looking-Ansatz im Level 1 und eine Backward-Looking-Methode im Level 2 (Abbildung 5). Zudem sollte eine Credit-Spread-Anpassung vorgenommen werden, wenn der Fallback aktiviert wird. Die Konsultationsergebnisse vom 15. Februar 2021 zeigen, dass die Befragten die Vorschläge der WG-ERFR befürworten.

Die Untergruppe 3 der WG-ERFR befasst sich mit vertragsrechtlichen Folgen der Zinsbenchmark-Reform für bestehende und neue Finanzkontrakte. Nach Auswirkungen des EONIA-€STR-Übergangs bei Finanzkontrakten steht nun der Übergang von Euribor auf €STR-basierte Term Rates bei einem Fallback im Fokus.

Empfehlungen zu Trigger-Ereignissen

Die WG-ERFR hat am 6. November 2019 High-Level-Empfehlungen für die Vertragsdokumentation von Kassaprodukten und Derivaten mit Bezug zu Euribor herausgegeben. Artikel 28 (2) BMR verlangt von Benchmark-Nutzern, dass schriftliche Pläne für den Fall existieren, falls eine Benchmark signifikant geändert oder eingestellt wird. Insbesondere sollte eine Fallback-Lösung genannt werden. Neue Finanzkontrakte sollten Trigger-Ereignisse für die Aktivierung des Fallbacks enthalten, die BMR-konform sind, unabhängig davon, ob sie unter die BMR fallen.

Beim Meeting der WG-ERFR am 2. Juli 2020 wurden Vorschläge diskutiert, die in das Konsultationspapier zu Trigger-Ereignissen vom November 2020 eingeflossen sind. Es werden sieben Trigger-Ereignisse untersucht:

1. Die zuständige Aufsichtsbehörde gibt eine öffentliche Stellungnahme ab oder informiert, dass der Administrator die Publikation der Benchmark dauerhaft oder bis auf Weiteres einstellt oder einstellen wird, wobei es zu diesem Zeitpunkt keinen Administrator als Nachfolger gibt.

2. Der Administrator gibt eine öffentliche Stellungnahme ab oder informiert, dass er die Publikation der Benchmark dauerhaft oder bis auf Weiteres einstellt oder einstellen wird, wobei es zu diesem Zeitpunkt keinen Administrator als Nachfolger gibt.

3. Die zuständige Aufsichtsbehörde gibt eine öffentliche Stellungnahme ab, dass nach ihrer Einschätzung der Euribor nicht mehr repräsentativ für den Markt, den die Benchmark messen soll, ist oder sein wird und dass der Administrator (voraussichtlich) keine Handlung unternimmt oder unternehmen wird, um diesen Zustand zu beheben.

4. Der Administrator stellt fest, dass der Euribor nach einer Ausweichmethode ermittelt werden muss, da entweder i) die Begleitumstände nicht vorübergehend sind oder ii) der Euribor mindestens einen Monat nach dieser Ausweichmethode ermittelt wird.

5. Die Nutzung des Euribor ist unter einer für die betroffenen Vertragsparteien relevanten gesetzlichen Bestimmung oder Verordnung nicht mehr erlaubt.

6. Die Publikation des Euribor wird ohne offizielle Stellungnahme der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des Administrators dauerhaft eingestellt.

7. Die Euribor-Methode erfährt eine signifikante Änderung.

Das Trigger-Ereignis 7 leitet sich direkt aus Art. 28 (1) BMR ab. Das Trigger-Ereignis 6 ist als Sammelposten (catch-all) gedacht.

Abbildung 4: Beurteilung des Forward-Looking-Ansatzes und der Backward-Looking-Methoden Quelle: WG-ERFR (2020d), Seite 28 und Vorversion WG-ERFR (2020c), Seite 17

Die WG-ERFR hat anhand von sieben Fragen angefragt, ob die Marktteilnehmer mit den Trigger-Ereignissen einverstanden sind. Vorläufig unterstützt die WG-ERFR die Aufnahme aller Trigger-Ereignisse mit Ausnahme von Nummer 4 (Ausweichmethoden bei der Ermittlung). In einer weiteren achten Frage sollten die Befragten sich dazu positionieren, ob die vorgeschlagenen Trigger-Ereignisse nach Möglichkeit über alle Produktgruppen hinweg einheitlich angewendet werden sollen. Die Konsultationsergebnisse vom 15. Februar 2021 halten fest, dass die Befragten sämtliche Vorschläge der WG-ERFR unterstützen.

Entscheidungen der ISDA zu Euribor-Fallbacks

Im Rahmen der angestrebten Überarbeitung der BMR hat die EU-Kommission am 24. Juli 2020 einen Entwurf veröffentlicht, in dem die EU-Kommission mit dem neuen Artikel 23a die Befugnis erhält, im Falle der Einstellung einer kritischen oder systemrelevanten Benchmark, eine gesetzliche Fallback-Lösung zu bestimmen. Der Fallback wird auf alle unter die BMR fallenden Finanzkontrakte angewendet, falls keine vertragsrechtlichen Fallbacks vorliegen. Der geplante neue Artikel 23a BMR enthält analoge Formulierungen wie die Trigger-Ereignisse 1, 2 und 3. Die gesetzliche Lösung zum Umgang mit der Einstellung einer kritischen Benchmark wird mit der erwarteten Einstellung des Libor in vier Währungen (CHF, EUR, GBP, JPY) Ende 2021 beziehungsweise des USD LIBOR Mitte 2023 begründet.

Die Vertragsdokumentation vieler Zinsderivate basiert auf den ISDA-Definitionen von 2006. Sowohl die erwartete Einstellung des LIBOR als auch die Unsicherheit rund um Euribor und EONIA haben die ISDA und ihre Mitglieder länger beschäftigt. Am 1. Februar 2018 hat die ISDA gemeinsam mit weiteren Verbänden der Finanzbranche eine Benchmark Transition Roadmap vorgelegt. In diesem Plan wurde aufgezeigt, wie ein Übergang der IBOR Benchmarks (zum Beispiel LIBOR, Euribor und TIBOR) zu risikolosen Zinsätzen (zum Beispiel SOFR, SONIA, €STR, SARON, TONA) aussehen sollte.

Am 12. Juli 2018 hat die ISDA eine erste Konsultation zu Zinsbenchmark Fallbacks gestartet. Folgende Referenzzinssätze wurden untersucht: GBP LIBOR, CHF LIBOR, JPY LIBOR, TIBOR und die australische Bank Bill Swap Rate (AUD BBSW). Für USD LIBOR, EUR LIBOR und Euribor wurde nur ein vorläufiges Feedback eingeholt, weil separate Konsultationen geplant waren.

Einerseits wurden vier verschiedene Verfahren zur Auswahl gestellt, um aus risikolosen Overnight-Zinssätzen abgeleitete Fallback-Lösungen zu bestimmen: Spot- Overnight-Zins, Overnight-Zins mit Konvexitätsanpassung, Compounded Rate mit Fixing am Ende der Zinsperiode (in arrears) und Compounded Rate mit Fixing am Anfang der Zinsperiode (in advance). Andererseits standen drei Verfahren zur Anpassung des Credit Spreads zwischen dem IBOR und dem Fallback-Zins zur Auswahl: Forward Credit Spread, Historic Credit Spread und Spot Credit Spread. Eine Mehrheit der Befragten hat sich für eine Kombination aus Compounded Term Rate in arrears mit einer Historic-Credit-Spread-Anpassung als Durchschnitt oder Median entschieden. Die finalen Ergebnisse wurden im Dezember 2018 veröffentlicht. In einer zweiten Befragung zu den Fallback-Lösungen für USD LIBOR, CDOR (in CAD) und HIBOR (in HKD), die mit finalen Ergebnissen im Dezember 2019 abgeschlossen wurde, kamen die Befragten zum selben Ergebnis.

Eine weitere Befragung bezüglich der "finalen Parameter" der Ermittlungsmethoden ergab folgende Präferenz: 

- Compounded Term Rate in arrears und einer Zeitverschiebung von zwei Tagen.

- Historic-Credit-Spread-Anpassung auf der Grundlage eines Medians der letzten fünf Jahre. Dabei soll keine Übergangszeit bei der Spread-Anpassung angewendet werden und weder Ausreißer noch negative Spreads aus der Berechnung herausgenommen werden.

Ergebnisse der Konsultation veröffentlicht

Am 24. Februar 2020 wurden die Ergebnisse einer Konsultation zu EUR LIBOR und Euribor-Fallback-Lösungen veröffentlicht. Demnach soll der €STR-basierte Fallback-Zins für EUR LIBOR und Euribor für Derivate mit ISDA-Dokumentation genau wie für die anderen IBORs bestimmt werden: als Compounded Rate in arrears und einer Zeitverschiebung sowie einer Credit-Spread-Anpassung auf der Basis des historischen Medians über einen Beobachtungszeitraum von fünf Jahren. Damit steht für Derivate unter ISDA-Dokumentation fest: Die €STR Term Rates als Fallback-Lösung für Euribor sollen mit der Backward-Looking-Methode Lookback pe riod ermittelt werden.

Als Administrator für die IBOR-Fallbacks wurde Bloomberg ausgewählt. Seit dem 21. Juli 2020 publiziert Bloomberg täglich die Fallback-Daten (Fallback-Zins vor Spread-Anpassung, Spread-Anpassung, Fallback-Zins inklusive Spread-Anpassung) für die IBOR-Zinsbenchmarks auf der eigenen Website.

Abbildung 5: Wasserfallstruktur der Euribor-Fallbacks für ausgewählte Anwendungsfälle Abkürzungen: BWL - Backward Looking, FWL - Forward Looking

Zur Einführung der IBOR-Fallbacks hat die ISDA am 9. Oktober 2020 zwei Dokumente (IBOR Fallbacks Protocol und IBOR Fallbacks Supplement) veröffentlicht, die zweierlei bewirken: 

- Umstellung der ISDA-Vertragsdokumentation bestehender Kontrakte bis zum Stichtag (Altverträge) mithilfe des IBOR Fallbacks Protocol, dem sich Marktteilnehmer multilateral anschließen können.- Umstellung der ISDA-Vertragsdokumentation für neue Kontrakte ab dem Stichtag mithilfe des IBOR Fallbacks Supplement zu den 2006 ISDA-Definitionen, wonach Fallbacks bei den "rate options" eingefügt werden, die im Falle einer dauerhaften Einstellung der Zinsbenchmark (oder falls die Benchmark als nicht mehr repräsentativ angesehen wird) zur Anwendung kommen.

Die Teilnahme am IBOR Fallbacks Protocol ist freiwillig. Es werden nur Kontrakte zwischen Parteien angepasst, die sich dem multilateralen Mechanismus angeschlossen haben. Es besteht auch die Möglichkeit mithilfe von Änderungsformularen bestehende Kontrakte bilateral zu ändern.

Am 23. Oktober 2020 erfolgte der tatsächliche Start des IBOR Fallbacks Supplement to the 2006 ISDA Definitions als auch das ISDA 2020 IBOR Fallbacks Protocol. Schon zum Start hatten sich 257 Marktteilnehmer aus 14 Jurisdiktionen dem Protokoll angeschlossen. Sowohl die Änderung der 2006 ISDA Definitions als auch die multilateralen Änderungen der Altverträge sind am 25. Januar 2021 in Kraft getreten. Sie betreffen zahlreiche IBOR-Zinsbenchmarks (Abbildung 6). Für Derivate, die sich auf einen der LIBORs beziehen, würden die Fallbacks auch zur Anwendung kommen, wenn die zuständige Aufsichtsbehörde UK Financial Conduct Authority (FCA) feststellt, dass der betroffene Libor in einer Währung nicht mehr repräsentativ für den zugrunde liegenden Markt ist.

Abbildung 6: Betroffene Zinsbenchmarks unter dem IBOR Fallbacks Supplement to the 2006 ISDA Definitions Quelle: ISDA (2020i), Seite 2

Lücke der fehlenden Fallback-Lösungen bald geschlossen

Am 5. März 2021 veröffentlichten die ICE Benchmark Administration und die FCA Stellungnahmen, abgestimmt wie in einem Drehbuch, die tatsächlich das Ende des LIBOR für alle Währungen besiegeln, nämlich für EUR, GBP, JPY und CHF Ende Dezember 2021 und für USD bis Ende Juni 2023. Aus Sicht der ISDA wurde das Trigger-Ereignis der nicht repräsentativen Benchmark ausgelöst und folglich die Fallback-Lösung für LIBOR aktiviert.

Mit der Autorisierung des reformierten Euribor als BMR-konform können die Marktteilnehmer vorerst aufatmen. Die Lücke der fehlenden Fallback-Lösungen wird bald geschlossen. Für Derivate setzt die Entscheidung der ISDA für €STR-basierte Term Rates mit einer Backward-Looking-Methode als Euribor-Fallback den Marktstandard. Für Kassaprodukte werden die Empfehlungen der WG-ERFR bezüglich Fallback-Lösungen und Trigger-Ereignissen den weiteren Weg prägen. Offen bleibt noch die Baustelle Forward-Looking-Methode für Kassaprodukte bis sich ein liquider Markt für €STR-basierte Zinsderivate etabliert.

Fußnoten

1) Die alte Definition lautete: "The rate that each panel bank believes one prime bank is quoting to another prime bank for interbank term deposits within the euro zone." Nun heißt es: "The ,Underlying Interest' for Euribor is stated as: ,The rate at which wholesale funds in euro could be obtained by credit institutions in the EU and EFTA countries in the unsecured money market.'" Vgl. Euribor-EBF (o.J.), S. 1, bzw. EMMI (2019a), S. 5.

2) Vgl. https://www.emmi-benchmarks.eu/euribor-org/euribor-governance-framework.html

3) Vgl. EMMI (2019a), S. 9 ff. und Beißer/Read (2019), S. 22.

4) Vgl. FSMA (2019).

5) Vgl. EMMI (2019b).

6) Vgl. Beißer/Read (2021), S. 139.

7) Vgl. WG-ERFR (2020d).

8) Vgl. WG-ERFR (2020e).

9) Vgl. WG-ERFR (2021a) und WG-ERFR (2021b).

10) Vgl. WG-ERFR (2019a), S. 4.

11) Vgl. WG-ERFR (2019b), S. 17 ff.

12) Vgl. WG-ERFR (2020d), S. 75 f.

13) Vgl. WG-ERFR (2021a), S. 35.

14) Vgl. WG-ERFR (2020b), S. 4.

15) Vgl. WG-ERFR (2020c), S. 18 ff.

16) Vgl. WG-ERFR (2020d), S. 41.

17) Vgl. WG-ERFR (2021a).

18) Vgl. BMR: REGULATION (EU) 2016/1011 OF THE EUROPEAN PARLIAMENT AND OF THE COUNCIL of 8 June 2016 on indices used as benchmarks in financial instruments and financial contracts or to measure the performance of investment funds and amending Directives 2008/48/EC and 2014/17/EU and Regulation (EU) No 596/2014.

19) Vgl. WG-ERFR (2019c), S. 4 ff.

20) Vgl. WG-ERFR (2020b), S. 5.

21) Vgl. WG-ERFR (2020e), S. 11; WG-ERFR (2020f), S. 12.

22) Vgl. WG-ERFR (2021b).

23) Vgl. European Commission (2020).

24) Vgl. WG-ERFR (2020e), S. 6.

25) Für die BMR-Überarbeitung liegt mittlerweile die abgestimmte Textversion des Rats der EU vom 8. Dezember 2020 vor. Vgl. Council of the European Union (2020).

26) Vgl. ISDA et al (2018).

27) Vgl. ISDA (2018a).

28) Vgl. ISDA (2018b).

29) Vgl. ISDA (2018c).

30) Vgl. ISDA (2019a), ISDA (2019b).

31) Vgl. ISDA (2019c).

32) Vgl. ISDA (2019d), ISDA (2020a).

33) Vgl. ISDA (2020b).

34) Vgl. ISDA / Bloomberg (2020).

35) Vgl. ISDA (2020c) und ISDA (2020d).

36) Vgl. ISDA (2020f).

37) Vgl. ISDA (2020g).

38) Vgl. ISDA (2020e).

39) Vgl. ICE Benchmark Administration (2021) und FCA (2021).

40) Vgl. ISDA (2021).

Prof. Dr. Oliver Read CFA, Professor für Finanzierung und Prodekan, Hochschule RheinMain, Wiesbaden
 
 
Prof. Dr. Jochen Beißer Professor für Finanzwirtschaft, Hochschule RheinMain, Wiesbaden
Prof. Dr. Jochen Beißer , Professor für Finanzwirtschaft, Hochschule RheinMain, Wiesbaden
Prof. Oliver Read , CFA, Professor für Finanzierung und Prodekan, Hochschule RheinMain, Wiesbaden

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