Smart-Beta-Konzepte im Unternehmensanleihen-Segment

Tristan Perret, Foto: Ossiam

Angesichts der seit Jahren vergleichsweise niedrigen Renditen von Staatstiteln engagieren sich Investoren zunehmend im Segment der Unternehmensanleihen. Unter tausenden Emittenten den Renditevorteil von Unternehmensanleihen zu heben, verlangt nach Ansicht des Autors ein systematisches Vorgehen. Traditionellen, auf Marktkapitalisierung basierten Anleihen-Benchmarks schreibt er die natürliche Tendenz zu, hoch verschuldete Emittenten überzugewichten, und damit insbesondere in Krisenzeiten einen signifikanten Einfluss auf die Performance zu riskieren. Er registriert deshalb auch an den Anleihenmärkten einen Trend zum Smart Beta Investing. (Red.)

Während der Aktienmarkt von einer Vielfalt systematischer Strategien in Form von Smart-Beta-Produkten profitiert, hat der Anleihemarkt kaum vergleichbare Innovationen hervorgebracht. Lange Zeit beschränkten sich neue Angebote im Bereich der Kreditindizes auf liquide Alternativen zu den wichtigsten Benchmarks sowie zahlreiche Unterteilungen dieser Indizes nach Bewertungs- und Durationskriterien. Smart-Beta-Ansätze hingegen - als nicht diskretionäre Strategien im ETF-Format - können das Risiko-Rendite-Profil konventioneller Indexanlagen optimieren. Angesichts seiner ganz eigenen Herausforderungen kann auch der Kreditmarkt von diesen maßgeschneiderten Strategien profitieren, da sie spezifische Ineffizienzen des herkömmlichen Indexangebots ausgleichen. Durch die Anwendung solider Techniken der Portfoliozusammenstellung und der Nutzung unterschiedlicher Datenquellen (die ersten Smart-Beta-Produkte verwendeten beispielsweise Fundamentaldaten) können neue Smart-Beta-Strategien gezielt für einzelne Segmente wie Investment-Grade-Unternehmensanleihen entwickelt werden.

Überprüfung des Performance-Profils

Bevor Anlegern Smart-Beta-Strategien für in Euro denominierte Unternehmensanleihen angeboten werden können, muss sichergestellt werden, dass die vorgeschlagenen Lösungen bei einem liquiden Angebot auch tatsächlich das "Beta" europäischer Investment-Grade-Unternehmensanleihen liefern. Es wird daher geprüft, ob sie zum Performance-Profil dieser Anlageklasse passen. Eine naheliegende Möglichkeit dies zu tun besteht darin, ein Portfolio der liquidesten Anleihen zusammenzustellen, welches die Ausrichtung hinsichtlich der Duration bei europäischen Unternehmensanleihen den wichtigsten Benchmark-Indizes entsprechend nachbildet. Die Durationspositionierung ist beispielsweise ein Aspekt, der von einfachen alternativen Indizes - zum Beispiel liquiden Versionen von Benchmark-Indizes, deren Fokus ausschließlich auf der Liquidität der Anleihen liegt - in der Regel nicht richtig beachtet wird. Auf diese Weise gelangen unerwünschte Durationsrisiken ins Portfolio und es wird eine Performance erzielt, die von der zugrunde liegenden Benchmark abweicht. Bei einem Ansatz, dessen Fokus auf den liquidesten Anleihen liegt, der jedoch die Ausrichtung hinsichtlich der verschiedenen Durationssegmente derjenigen des zugrunde liegenden Benchmark-Index entsprechend nachbildet, wird diese performancebezogene Dekorrelation hinge gen vermieden.

Ein zweiter Schritt zur Generierung von Smart Beta im Kreditbereich besteht darin, hinlänglich bekannte Fehler bei der Zusammenstellung bestehender Benchmarks zu meiden. Dies betrifft etwa die Verwendung von Kreditratings und Gewichtungen anhand der Marktkapitalisierung. Über Ratings wurde bereits viel diskutiert und es sollte klar sein, dass das Vertrauen in diese Ratings als verlässliche Angabe des mit einzelnen Anleihen verbundenen Kreditrisikos nicht wirklich gerechtfertigt ist, da sie keinen zukunftsgerichteten Indikator für die Kreditqualität darstellen. Auch die Methode zur Gewichtung herkömmlicher Anleiheindizes muss kritisch hinterfragt werden. Genauer gesagt stellt sich angesichts der üblichen Gewichtung einzelner Emittenten anhand ihrer Gesamtverschuldung die Frage, ob die beste Art der Indexzusammenstellung tatsächlich darin besteht, jene Emittenten stärker zu gewichten, die die meisten Schulden aufnehmen.

Integration neuer Analysedaten

Um einen tatsächlichen Mehrwert für die Anleger zu schaffen, kann man einen Schritt weiter gehen und systematisch ein liquides, investierbares und diversifiziertes Anleiheportfolio bei gleichzeitiger Bemessung und Überwachung des Kreditrisikos aufbauen. Eine vielversprechende Alternative bietet die Integration neuer Analysedaten - beispielsweise jener, die vom Research- und Analyse-Dienstleister Moody's Analytics bereitgestellt werden: die Expected Default Frequency (EDF) sowie den Fair Value Spread (FVS).

Der EDF-Indikator, der auf einem erstmals von US-Ökonom Robert C. Merton untersuchten strukturellen Modell basiert, misst die Ausfallwahrscheinlichkeit einer Anleihe nicht wie herkömmliche Modelle, sondern ausgehend von Informationen des Aktienmarktes - genauer gesagt auf Basis des Aktienkurses des Emittenten in Verbindung mit einem genauen Bild der Kapitalstruktur des jeweiligen Unternehmens. Das EDF-Modell ver wendet Optionspreismodelle, um eine Ausfallwahrscheinlichkeit aus den genannten Informationen abzuleiten und bietet den Vorteil, dass täglich aktuelle Aktienmarktinformationen in das Modell eingebunden werden können, was bei Informationen vom Anleihemarkt nicht immer der Fall ist. Da der Aktienmarkt sehr reaktionsschnell ist, können Unternehmen mit erhöhtem Ausfallrisiko rasch und effizient erkannt und aus dem Portfolio entfernt werden.

Da sich der Preis von Unternehmensanleihen stark nach dem vom Markt geschätzten Ausfallrisiko richtet, das sich am beobachtbaren Option-Adjusted Spread (OAS) ablesen lässt, kann durch eine fairere Bewertung des Risikos eines Unternehmens mittels EDF auch eine fairere Preisbewertung in Form des Fair Value Spread (FVS) von Moody's Analytics erzielt werden. Analog zur OAS-Kennzahl, die anhand der Marktwahrnehmung des nun vom EDF des jeweiligen Unternehmens abgeleiteten Risikos einer Anleihe bestimmt wird, kann eine Über- oder Unterbewertung einer Anleihe dann mittels Berechnung des Spread zwischen OAS und FVS festgestellt werden. Ist der Spread positiv, ist die Anleihe unterbewertet. So ermöglicht die Kombination der EDF- und FVS-Kenn zahlen von Moody's Analytics die Auswahl der Anleihen mit dem geringsten Risiko und dem größten Aufwärtspotenzial.

Unter Berücksichtigung der vorstehenden Überlegungen lässt sich eine Smart Beta-Anlagestrategie für europäische Unternehmensanleihen mit Investment-Grade-Rating erstellen, die darauf ausgerichtet ist, die Gesamtrendite einer liquiden, investierbaren und diversifizierten Auswahl an in Euro denominierten Unternehmensanleihen zu erzielen und gleichzeitig das Kreditrisiko gering zu halten. Wenngleich es schwierig ist, das zukünftige Verhalten des Kreditmarktes vorherzusagen, bietet diese systematische Strategie Investoren eine rationale Möglichkeit der Anlage in bonitätsstarke, europäische Unternehmensanleihen.

In Zusammenarbeit mit Moody's Analytics wurde Ende 2017 ein ETF aufgelegt, der auf diesem Ansatz basiert. Der Ossiam Solactive Moody's Analytics IG EUR Select Credit bildet einen vom deutschen Indexanbieter Solactive entwickelten Index nach: den Solactive Moody's Analytics IG EUR Select Credit Index. Die Indexmethode sieht die Auswahl eines liquiden und investierbaren Anleiheportfolios aus den Bestandteilen des Solactive Euro IG Corporate Index vor und filtert anhand des Emissionsvolumens nur nach den liquidesten Anleihen. Der Benchmark-Index wird auf Basis von Sektor und Duration in zwölf Gruppen unterteilt - von Nichtfinanztiteln mit einer Duration von weniger als drei Jahren bis hin zu Finanztiteln mit einer Duration von mehr als sieben Jahren. Die Gewichtung jeder Gruppe wird den Gruppen im Solactive Moody's Analytics IG EUR Select Credit Index entsprechend nachgebildet. Nachdem auf diese Weise sichergestellt wird, dass die Gewichtung der Sektor- und Durationssegmente derjenigen der Benchmark entspricht, sieht die Strategie eine Anleiheauswahl vor, mit der das Kreditrisiko des Portfolios optimiert wird.

Senkung des Kreditrisikos

Mittels eines auf dem EDF-Modell von Moody's Analytics basierenden Qualitätsfilters werden nun jene 25 Prozent der Anleihen mit der höchsten Ausfallwahrscheinlichkeit in jeder Gruppe aus der Auswahl aussortiert. Auf diese Weise sinkt die Wahrscheinlichkeit einer Anlage in Emittenten, die später herabgestuft werden oder ausfallen. Das heißt, das Kreditrisiko - eine der größten Gefahren für ein Anleiheportfolio - wird gesenkt.

In einem letzten Schritt werden innerhalb jeder Sektor- und Durations-basierten Gruppe diejenigen Anleihen identifiziert, deren vorstehend beschriebener OAS-FVS-Spread am höchsten ist. Dies ermöglicht wiederum das Investment in die am stärksten unterbewerteten Anleihen, wodurch das Potenzial für eine Outperformance gesteigert wird, wenn die Risikowahrnehmung des Marktes sich der aus dem EDF-Modell hergeleiteten Risikoeinschätzung angleicht. Ergebnis ist ein gleichgewichtetes Portfolio aus 100 Anleihen mit einer Obergrenze von fünf Anleihen je Emittent, die eine angemessene Diversifizierung gewährleistet. Der Index wird vierteljährlich neu gewichtet.

Die beschriebene Methode spiegelt die Zielsetzungen des neuen Smart-Beta-Angebots wider: die Performance von in Euro denominierten Unternehmensanleihen und die Neutralisierung von Verzerrungen bei der Sektor- oder Durationspositionierung - durch eine Auswahl liquider Anleihen, bei der einerseits Kreditrisiken minimiert werden und andererseits die Chance erhöht wird, von einer Neubewertung unterbewerteter Anleihen zu profitieren. Ein solcher Index bildet die Wertentwicklung benchmarknah ab, solange der Markt durch Zinsentwicklungen oder die relative Attraktivität unterschiedlicher Sektoren bestimmt wird, und profitiert von einem geringeren Kreditrisiko, wann immer dies relevant wird. Schließlich dürfte die Konzentration auf unterbewertete Titel langfristig für zusätzliche Performance sorgen.

Tristan Perret Co-Head of Investment Management & Research, Ossiam, Paris
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